Franken-Schock

Donnerstag 15. Januar 2015, 10.30 Uhr: „Die Schweizerische Nationalbank hebt den Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro auf“.

Der Euro fiel in Minuten auf 85 Rappen und erholte sich knapp über der Parität. Ein Schock für die Schweizer Wirtschaft.

Rückblick

Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) im September 2011 die Notbremse gegen die Frankenaufwertung zog und den Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro einführte, hat sie der Exportindustrie geholfen, die Nachteile des starken bzw. zu starken Schweizer Frankens aufzufangen. Aus heutiger Perspektive hielt sich die Anerkennung für diesen mutigen Entscheid in Grenzen. Nicht wenige waren damals der Auffassung, der Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro sei zu tief. Er sollte besser zwischen CHF 1.30 und 1.40 liegen.

Die Massnahme galt als vorübergehend. Trotzdem, für viele war der Abbruch der Übung „Out of the blue“ an eben diesem Donnerstag, den 15. Januar 2015. Nicht oder nur teilweise gebilligt wurde die Begründung. „Ein Hinauszögern des Aufhebens des Mindestkurses wäre nur auf Kosten einer unkontrollierbaren Ausdehnung der Bilanz um ein Mehrfaches des schweizerischen Bruttoinlandprodukts möglich gewesen“, so SNB-Präsident Thomas Jordan. Viele für die Bestimmung des Wechselkurses massgebenden Kriterien wiesen unwiderlegbar auf eine weitere Schwächung des Euro-Kurses hin. Und nicht ganz ohne Einfluss war die kurz bevorstehende Euro-Flutung durch die Europäische Zentralbank (QE – Manna vom Himmel Teil 2).

Ob der Zeitpunkt und die Art der Kommunikation richtig waren ist eine andere Frage. Doch seit diesem Beschluss sah sich die SNB einer anhaltenden Kritik aus Wirtschaft und Politik ausgesetzt.

Panik und Besonnenheit

Die Folgen für die Schweizer Wirtschaft waren massiv und unmittelbar. Selten waren die Kurse abgesichert ( weshalb auch, die SNB übernahm die Kurssicherung kostenlos). Euroguthaben mussten wertberichtigt werden (erfolgswirksam mit rd. 15%). Laufende Umsätze in Lokalwährung fielen.

Das Neugeschäft war auf einen Schlag nicht mehr konkurrenzfähig, in Europa 15% zu teuer, in Nordamerika und Asien 10% (über den Dollar). Der Auftragsbestand ging zurück, Margen wurden zusammengestrichen, Kostensenkungen  eingeleitet.  Flankierende Massnahmen: Lohnstopp, Ausdehnung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, Kurzarbeit, Entlassungen, die ganze Krisenpalette. Stark unter Druck sah sich die Maschinenindustrie(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweizer Maschinenindustrie erzielt fast vier Fünftel ihres Umsatzes im Export, wovon rd. 60% an europäische Kunden geht. Besonders betroffen sind kleine Zulieferanten, die nicht in der Lage sind, Teile der Wertschöpfung kostenreduzierend ins Ausland zu verlagern. Gemäss Medienmitteilung der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) vom 21. Juli 2015 lagen die Exporte insgesamt umsatzmässig unter dem Niveau des Vorjahres (nominal -2.6%, real allerdings nur -0.8%). Der Exportrückgang der Maschinen- und Elektronikindustrie lag bei -5.2%. Demgegenüber sind die Exporte von Uhren und Präzisionsinstrumenten unverändert.

Schlecht geht es dem Detailhandel und dem Tourismus. Beide Branchen stehen in einem existenzgefährdenden Preiskampf, um dem wechselkursbedingten Abwandern der Kunden zu begegnen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Auf der einen Seite hat der Einkaufstourismus im grenznahen Gebiet noch einmal zugenommen. Auf der anderen Seite können Importeure günstiger einkaufen. Sie geben diese Preisvorteile auch weiter, als Beispiel Fahrzeugimporteure wie BMW, Mercedes und VW, welche unverzüglich Eurorabatte gewährten. Die Allianz der Konsumentenschutzorganisationen stellt andererseits aber auch fest, dass Wechselkursgewinne einbehalten werden. Zeitschriften, die schon bisher masslos überteuert waren, bleiben teuer. Als Beispiel „Der Spiegel“, eine in der Schweiz beliebte deutsche Wochenzeitschrift.  Sie kostete in der Schweiz am 10. Januar 1915 CHF 7.40 (bei einem aufgedruckten Europreis von 4.60). Heute kostet „Der Spiegel“ CHF 7.00 (Preisreduktion 5.4%, neuer Umrechnungskurs zum Euro CHF 1.52). Eine unternehmerische Meisterleistung oder eine schamlose Abzocke?

Die Tourismusbranche kann weniger von günstigen Importpreisen profitieren. Das erste Halbjahr hat tiefe Spuren hinterlassen . Oder haben die Touristiker auf Vorrat gejammert?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Jürg Schmid, Chef Schweizer Tourismus, sagte kürzlich, dass der Geschäftstourismus in den Städten florierte (im ersten Halbjahr 2015 stieg die Anzahl Hotelübernachtungen 4.3% gegenüber der Vorjahresperiode), in ländlichen Regionen jedoch stark rückläufig war.

Zwar kamen weniger Europäer in die Schweiz, dafür mehr Asiaten. Insgesamt lag der Rückgang bei den Logiernächten nach sechs Monaten bei nur 0.6%, eigentlich wenig, auch wenn Verzögerungseffekte (wie Vorausplanungen und abgesicherte Kurse) noch wirksam waren. Bei den Gästen aus Deutschland beträgt das Minus allerdings 9%. Dass die Deutschen Ferien in der Schweiz als zu teuer empfanden, war allerdings keine neue Erfahrung. Dass sie heute für ihren Euro noch weniger Gegenleistung erhalten, ist offensichtlich, ihr Klagen nachvollziehbar.

Nicht unerwartet fordert Schweiz Tourismus weitere Mittel vom Bund, CHF 48 Mio für die nächsten vier Jahre. Hinzu eine Reduktion des Kostensockels durch die Unterstützung der parlamentarischen Initiative „Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland“ sowie das Beibehalten des bis Ende 2017 befristeten Sondersatzes für die Beherbergung (aus STV Medienmitteilung zum Thema Frankenstärke). In diesem Zusammenhang zu denken geben muss, weshalb Zweitwohnungsbesitzer steuerlich gezwungen werden sollen, ihre Wohnung weiterzuvermieten (Kampf den kalten Betten). Damit nimmt die lokale Bruttobettenkapazität zu, was auf die Übernachtungspreise drückt. Vom Hotel  in die Ferienwohnung, staatlich gefördert! Es fehlen die Worte. Und hat man sich einmal daran gewöhnt, nicht immer rund um das Bett wohnen zu müssen, kommt man wieder und wieder, und wird zum Dauergast –  in der Parahotellerie.

Zum anderen sind Megatrends nicht zu stoppen. Als Beispiel die Kreuzfahrtindustrie.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für bescheidene Budgets zwei Wochen Abenteuerreise, mit oder ohne Kindern, mit Freunden, Bekannten, Jasskollegen. Nur einmal Auspacken, das Hotel fährt mit, wenig DSC01394Stress, kein Portemonnaie (alles über Plastik am Ende der Reise), Arzt an Bord. Und Vorurteile gegen diese Art von Ferien: Kleiderordnung, Völlerei, Enge, Langeweile können nur jene haben, die es gar nie erleben wollten. Ein Abendspaziergang durch die Geschäfte und Restaurants, hoch oben auf der zwölften Etage, mit Blick auf das freie Meer, ein wenig Unterhaltung, je nach Stimmung – für bedeutend weniger als zwei Wochen Skiferien in der Schweiz. Wieso nicht?

Strukturerhaltungspolitik war selten zukunftweisend. Die Touristikindustrie Schweiz braucht eine Nische, welche die aktuellen Kundenbedürfnisse erfolgreich abdecken kann. Sie wird ihren Weg finden.

Robuste Binnenwirtschaft

Durch die Frankenstärke hat die Kaufkraft der Konsumenten zugenommen. (Editorial Numis-Post 2/2015 zur Euro-Preisuntergrenze). Hinzu kommen fallende Energiepreise für Erdöl, Erdgas, Eisen und Stahl. Die Privathaushalte beleben die Nachfrage (das Konsumwachstum der Schweiz war im Zeitraum 1990-2013 mit 0,7% vergleichsweise tief), die Arbeitslosenquote blieb stabil. Der Swiss Performance Index hat das Wegfallen der Eurountergrenze verkraftet. Er notiert im Vergleich zum 14. Januar 2015 3% im Plus (15.7.2015).

Gewisse Branchen haben sich erholt, wie die binnenmarktorientierte Informations- und Kommunikationsbranche (ITC), die Software- und gewisse Beratungsdienstleister. Aber natürlich: die Unsicherheit ist gross, die Margen sind knapp. Im übrigen ist es nicht ausgeschlossen, dass die eine oder andere schon lange vorgesehene Sanierungsmassnahme mit dem starken Franken begründet wird, eine willkommene Gelegenheit für schwer vermittelbare Auslagerungen oder Entlassungen.

Der Ausstieg der SNB war richtig, so sieht es auch die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung, so sehen es auch die Medien. Die Kritik gegen den Entschluss schwindet. Es war nie die Absicht der SNB, den Wechselkurs auf Dauer zu subventionieren. Keine Industriepolitik auf Risiko der Öffentlichkeit (Niklaus Blattner, ehemals Vizepräsident der SNB, im Interview mit dem Bund vom 13. Juni 2015). Heute ist Schadensbegrenzung die Parole.

David gegen Goliath – die verlorene Geld-Souveränität der Schweiz

Wo der Wechselkurs in den folgenden Monaten zu liegen kommt, wird unter Devisenexperten unterschiedlich beurteilt. Sie prognostizieren einen fallenden Wechselkurs, eine Stagnation oder einen Anstieg auf CHF 1.08 pro Euro (am 15. August 2015 lag er bei CHF 1.09). Nicht gerade hilfreich. Zwar zeigt der Konjunkturausblick für Europa auch positive Veränderungen. Und der wiedererstarkte Dollar hilft, in den Dollarraum zu exportieren. Doch die griechische Tragödie hat die strukturellen Risiken des Euro schonungslos offengelegt. Weltweit schwache Konjunkturdaten und die Wirtschaftsentwicklung in China tragen auch in den kommenden Monaten dazu bei, dass die Devisen im sicheren Hafen der Schweiz kumuliert werden, Negativzinsen zum Trotz.

Der Aufwertungsdruck lässt nicht wirklich nach und vieles spricht dafür, dass das derzeitige Niveau nur mit hilfe der SNB gehalten werden kann (kontrolliertes Devisenfloating), immer wieder verbunden mit der Hoffnung, die einheimische Industrie könne durch nie abbrechende Fitnessprogramme den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit kompensieren. Zwar ist die Schweiz mit dem  Franken währungspolitisch souverän, doch sie kann nur aus der Defensive reagieren.

Was wären die Massnahmen der SNB, wenn in einer kommenden Krise grosse Kapitalströme in den Franken flössen? Weitere Devisenmarkt-Interventionen und als Ultima Ratio Kapitalverkehrskontrollen? Wie sieht das Reaktionsdispositiv der SNB aus und wie weit reicht es?

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der nächsten Ausgabe: die Kavallerie der SNB.

Zurück zu den Ferien: Es muss nicht unbedingt eine Kreuzfahrt sein, warum nicht ein Segeltörn auf dem Thunersee?

19.08.2015/Renzo Zbinden

 

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