Die Solvenz der Schweizerischen Nationalbank (SNB) – ein Update

Wer „die Solvenz der SNB“ googelt findet den Basisbeitrag vom 5. September 2015 ganz oben auf der Seite an erster Stelle. Er hat auch nach über 3 Jahren wenig an Aktualität verloren, namentlich wenn es um Fragen geht wie

  • Macht die SNB mit dem Druck von Banknoten Gewinne?
  • Schafft sie damit Eigenkapital?
  • Wie finanziert sie ihre Interventionen an den Devisenmärkten?
  • Wie wirksam ist die Compliance?
  • Kann sie illiquid werden
  • oder sogar Konkurs gehen?

Der Basisbeitrag schloss mit der Hoffnung, die SNB stabilisiere ihre Devisenanlagen auf 500 Mia Franken bzw reduziere ihre Währungs- und Kursrisiken. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil:

Ein Hedgefonds?

Um sich der Aufwertung der Schweizer Währung entgegenzustemmen hat die SNB ihre Politik der Deviseninterventionen ungehindert fortgesetzt mit dem Ergebnis, dass die Devisenanlagen per Bilanzstichtag auf 764 Mia Franken oder um 44.2% gestiegen sind, wie folgende Bilanz per 31.Dezemer 2018 zeigt:

Die Devisenanlagen von 764 Mia Franken betragen 93.5% der Gesamtaktiven. Die Aktivseite der Bilanz gleicht damit einem Hedgefonds (einem Investmentfonds mit hohen Risiken). Bei den Devisenanlagen entfallen 36% auf US-Dollar, 39% auf Euro, 8% auf Yen, 7% auf Pfund und 10% auf übrige Währungen (gegenüber dem Vorjahr unverändert). Als Anlagekategorien nennt die SNB 69% Staatsanleihen, 12% andere Anleihen und 19% Aktien. Das Aktien-Portefeuille beträgt damit rund 145 Mia Franken und umfasst rund 6000 Titel aus 95% aller Aktienmärkte weltweit. („Die SNB investiert passiv, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 28. Juli 2018. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweiz hat nach Norwegen und China den drittgrössten Staatsfonds der Welt (wobei der Staatsfonds von Norwegen durch Eigenkapital finanziert ist). Heute ist die SNB wohl einer der grössten Aktionäre von Apple, Microsoft, Google, Amazon und Facebook!

Die gigantische Bilanzsumme per 31. Dezember 2018 von 817 Mia Franken ist mehr als die Schweizer Wirtschaft pro Jahr produziert und fast so gross wie sämtliche Pensionskassenguthaben zusammen. („Die Abhängigkeit der SNB“, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 29. September 2018). Und in seinem Beitrag vom 25. April 2018 unter dem Titel „Ein Verlustszenario für die SNB“:

„Ihr Portefeuille müsste Schöpfungsfonds heissen, denn sie speist es aus der Geldschöpfung“.

Währungs- und Kursrisiken auf Devisenanlagen


Die Währungs- und Kursrisiken auf den Devisenanlagen (Anleihen und Wertpapiere) sind gigantisch. Für diese Risiken sind zwar Rückstellungen gebildet worden (Rückstellungen für Währungsreserven), diese aber unter dem Eigenkapital aufgeführt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dieses Vorgehen entspricht den Rechnungslegungsvorschriften von Swiss GAAP FER, sofern die bilanzierten Devisenanlagen per Bilanzstichtag zum Markt- bzw. Verkehrswert bilanziert sind, wovon auszugehen ist.

Die unter dem Eigenkapital bilanzierten Rückstellungen für Währungsreserven von 68 Mia Franken sind prozentual zu den bilanzierten Devisenanlagen von 764 Mia Franken bescheidene 8.9%. Wie weit mit diesen Rückstellungen das inhärente oder mittelfristig latente Währungs- und Marktrisiko abgedeckt ist, namentlich bei rückläufiger Wirtschaftslage, ist schwer zu beurteilen. Im Vergleich zu den Währungs- und Marktrisiken sind die ordentlichen Einnahmen aus Anleihen (Zinseinnahmen), Dividenden und Negativzinsen bescheiden.

(Anzumerken bleibt, dass die SNB weiterhin von Devisenreserven spricht, wenn sie Devisenanlagen meint, was bei Wirtschaftsjournalisten und in der Politik immer wieder zu Fehlinterpretationen führt).

Die Finanzierung der Deviseninterventionen

Die Gesamtaktiven sind zu 85,3% fremdfinanziert. Zur Fremdfinanzierung beigetragen haben vor allem die inländischen Geschäftsbanken und Institutionen mit enormen 481 Mia Franken (Girokonten inländische Banken und Institutionen). Die Zusammensetzung dieser Bilanzpositionen ist nicht bekannt, es ist aber anzunehmen, dass auch die Kantonalbanken dabei sind.

(Auch hier gilt anzumerken, dass die SNB bei den Girokonten inländische Banken unbelehrbar und ungehindert von Sichtguthaben der Nationalbank spricht, eine Terminologie, die von der Wirtschaftspresse weitgehend übernommen wurde. Der Begriff Sichtschulden wird gemieden wie die Pest).

Die drohende Überschuldung

Ein Einbruch der Wirtschaft würde blutige Wunden bei der SNB hinterlassen. Sie könnte kaum reagieren, ohne den Schweizer Franken zu stärken und dabei hohe Kursverluste zu erleiden.

Rutscht das Eigenkapital aufgrund hoher Kursverluste gegen Null droht eine Überschuldung (bei einer Überschuldung sind die Schulden grösser als das Vermögen bzw. die Passiven grösser als die Aktiven, woraus ein negatives Eigenkapital resultiert). Was für eine Aktiengesellschaft im Allgemeinen und für eine Bank im Besonderen die Weiterführung gefährden würde sei für eine Zentralbank kein Problem, wird immer wieder gesagt. Sie könne nicht Konkurs gehen. Beispiele dazu seien die Zentralbank der noch jungen Tschechischen Republik und die Zentralbank von Chile.

Bild: 10’000 Escudos ND (1970) – vor der Währungsreform

Doch was für ein Benchmark für unsere stolze Nationalbank. Chile kann kein Vorbild sein. Und von wegen Preisstabilität: 10’000 chilenische Pesos entsprechen heute einem Gegenwert von 15 Schweizer Franken!

Von einer drohenden Überschuldung und ihren Folgen spricht niemand. Es würde nicht schaden von der SNB-Spitze zu erfahren, sie würde eine Überschuldung unter keinen Umständen hinnehmen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit grosser Wahrscheinlichkeit macht sie auch einen Stresstest in eigener Sache, einen Stabilitätsbericht wie für die Geschäftsbanken üblich. Als Szenarien wären denkbar: die Folgen bei einer Euro-Krise, einer Schwellenländer-Krise, einem Zinsschock? Wieviel Kursverluste könnte sie hinnehmen, ohne in die Überschuldung zu kommen?

Interessieren würde in diesem Zusammenhang auch:

  • Wer wäre in der Lage und willens, zur Überwindung der Überschuldung neues Eigenkapital einzuschiessen (in der Grössenordnung von 100 Mia Franken)?
  • Die inländischen Geschäftsbanken hätten Guthaben bei einer überschuldeten Zentralbank. Müssten sie diese Guthaben wertberichtigen?
  • Mit einer überschuldeten Nationalbank wäre der Bankenplatz Schweiz am Boden. Wie lange würde die Schweiz diese Situation politisch hinnehmen?

Wie vertrauensbildender wäre es, wenn solche Berichte öffentlich zugänglich wären, vor allem dann, wenn die SNB alles „im Griff“ hat. Zweifel sind angebracht. Warum macht man sich lächerlich wenn man befürchtet, schlussendlich in den Euro gedrängt zu werden?

Eine „taumelnde“ SNB?

Die SNB vertritt die Auffassung, einerseits an den Devisenmärkten weiter uneingeschränkt intervenieren und andererseits die Negativzinsen weiter erhöhen zu können (Fritz Zurbrügg, Vizepräsident der SNB im ECO-Interview vom 7. Januar 2019). Dabei ist folgendes zu beachten:

Weitere Deviseninterventionen können grundsätzlich nicht aus flüssigen Mitteln der SNB finanziert werden (aus Schweizer Franken), ganz einfach deshalb, weil diese fehlen. Infolgedessen: kauft die SNB weitere Fremdwährungen lässt sie, einfach gesagt, bei inländischen Geschäftsbanken „anschreiben“. Sie kauft auf Kredit. Damit sind die neuen Anlagen – wie auch die Mehrheit der alten – fremdfinanziert. Die Folge: die Bilanzverlängerung geht in die nächste Runde und die Währungs- und Kursrisiken nehmen weiter zu.

Die SNB ist gehalten, diese Politik der Bilanzverlängerung zu stoppen und zwar bevor die Devisenanlagen 1,0 Bio Franken überschreiten. Die US-Zentralbank macht es vor: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nachdem ihre Bilanz fast drei Jahre auf 4,5 Bio Dollars gehalten wurde, leitete der geldpolitische Ausschuss im Oktober 2017 die Normalisierung ein. Das Fed liess fällig werdende Wertpapiere (Staatsanleihen und Hypotheken) auslaufen und die Erlöse nicht reinvestieren.

Auch die SNB muss diesen Weg beschreiten. Doch einfacher gesagt als getan: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Denn mit der Bilanzverkürzung macht sie genau das Gegenteil von bisher, mit der Bilanzverkürzung verkauft sie fremde Devisen oder Wertpapiere in Fremdwährung gegen Schweizerfranken. Damit verknappt sie den Schweizer Franken, er nimmt an Wert zu. Das will man nicht, aus Rücksicht auf die Exportindustrie. Überdies führt die Aufwertung des Schweizer Frankens zu Währungsverlusten bei der SNB. Und sollte die SNB einmal ihre Zinsen anheben, wären die Folgen ähnlich: sie würde den Franken tendenziell aufwerten und auf den bilanzierten Devisenanlagen in Fremdwährung Verluste einfahren. Ein Teufelskreis.

Wo liegt der Handlungsspielraum bei der Zinspolitik? Sollte die Schweiz in nächster Zeit in eine Rezession abrutschen, könnte die SNB den Leitzins von heute – 0,75 Prozent kaum mehr substanziell absenken, beispielsweise auf – 4,0 Prozent. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Negativzinsen betreffen vor allem die Geschäftsbanken. Doch diese geben sie weiter an ihre grossen Kunden, häufig Pensionskassen. Also tragen diese wie auch andere Sparer die Folgen der Zinspolitik der SNB, was wirtschaftlich sehr fragwürdig ist. Kurt Schiltknecht (ehemals Chefökonom bei der SNB, in: „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“, NZZ vom 16.11.2018) ist der Meinung, dass die Politiker sich nicht gegen Negativzinsen wehren, da die Zinsbelastung der öffentlichen Hand kleiner und damit der Spielraum für zusätzliche Ausgaben grösser werden.

Geht man davon aus, dass eine weitere massive Ausweitung der Bilanzsumme für die SNB nicht mehr in Frage kommt, ist ihr Handlungsspielraum gering, sie ist mit anderen Worten schachmatt. Sie kann nur hoffen, dass die EZB keine weiteren Kapriolen macht und das Währungsumfeld stabil bleibt.

Man muss sich fragen, ob die SNB überhaupt einmal autonom war.

Die Unabhängigkeit der SNB

Die SNB gleicht einem Wanderer, nicht schwindelfrei, der plötzlich vor einem Bergweg steht. Was soll er machen, bei ungewisser Grosswetterlage? Zurück auf den Wanderweg oder nach vorne auf dem Bergweg (über einen furchteinflössenden Gebirgsgrat)? Eine höchst ungemütliche Lage.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die SNB aus dieser Lage wieder befreien kann. Wir hoffen es. Es wird aber immer schwieriger, denn die Risiken nehmen mit jeder Bilanzverlängerung weiter zu. Kaum jemand ausserhalb der SNB versteht diese Zusammenhänge. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit der Vollgeldinitiative hat sich die Schweizer Bevölkerung ein erstes Mal mit der Geldschöpfung befasst und überrascht gezeigt. Noch nicht begriffen hat sie die Geldschöpfung der Nationalbank. Die Schweizer Bevölkerung geht davon aus, dass die Deviseninterventionen der SNB aus eigenen Mittel erfolgen. Nur wenige nehmen zur Kenntnis, dass die SNB ihre Devisenkäufe bei den Geschäftsbanken anschreiben lässt.

Die Unabhängigkeit der Nationalbank ist kein Diskussionsthema. Macht sich jedoch Ueli Maurer Gedanken über die Bilanzsumme der Nationalbank (die Ausweitung der SNB-Bilanz sei „an der Grenze des Erträglichen“), wird er offen kritisiert („Der Grund für die Unabhängigkeit“, Markus Diem Meier, Der Bund vom 2. August 2018). Ist es schon soweit, dass man fürchten muss, die labile Finanzierung der Nationalbank kippe, wenn sich ein Bundesrat öffentlich Gedanken macht über die ungewöhnliche Devisenpolitik. Doch „Hier möchten wir dann auch etwas zurückbauen in Zukunft“ hätte er wohl besser nicht gesagt, denn Weisungsgebunden darf sie nicht werden. (Eine Regierung soll nicht die Befugnis erhalten, die Geldpolitik zur Steigerung der Wiederwahlchancen zu missbrauchen.)

Die Macht der Technokraten

Thomas Jordan will keine „Grenze des Erträglichen“, er will freie Hand.

Dass man jedoch die Zukunft der Schweizer Wirtschaft einem kleinen Gremium von Technokraten überlässt, einem Dreierdirektorium, kann es auch nicht sein.

Das Führungskonzept mit einer Machtkonzentration auf wenige Direktoren geht auf das Jahr 1907 zurück. Es ist nicht mehr zeitgemäss, namentlich, wenn man der Nationalbank Ziele und Massnahmen überlässt, die einen derart grossen Impact auf die Schweizer Wirtschaft haben. Und es ist nicht entscheidend, ob dieses Gremium die fachliche Kompetenz hat und ob es unser Vertrauen verdient. Experten haben sich immer wieder geirrt, wie die Geschichte der Nationalökonomie ausführlich zeigt.

Die Nationalbank soll in ihren Entscheiden unabhängig sein und bleiben. Ist dem so, hat der Gesetzgeber jedoch zu bestimmen, in welchem Rahmen sich diese Unabhängigkeit entfalten darf. Geht man davon aus, dass die Exportindustrie die SNB weiter unter Druck setzt oder es allenfalls versucht oder Gewerkschaften und linke Kreise den Erhalt von Arbeitsplätzen als übergeordnetes Ziel aller Massnahmen erklären, wo liegt dann das Ende der Unabhängigkeit?

Wer hindert die Notenbanker, folgenschwere Fehlentscheide zu fällen? Wir stehen vor der gefährlichen Situation, dass einer Gruppe von Technokraten einerseits grosse Unabhängigkeit gewährt wird, doch damit andererseits die Politik abhängig wird. Die Unabhängigkeit auf der einen Seite führt zur Abhängigkeit auf der anderen Seite, was dann gefährlich wird, wenn diese über keine Kontrollmechanismen verfügt.

In einer Demokratie unterliegen wichtige Entscheide einer parlamentarischen Kontrolle. Sieht man die Exportüberschüsse 2018 der Schweizer Exportindustrie stellt sich die Frage, ob die SNB nicht zu viel des Guten getan hat. Es geht schlussendlich um gewaltige Interessen der Exportwirtschaft, die von der heutigen Situation Vorteile erzielt. Und infolgedessen müsste man sich überlegen, ob die Ziele der SNB nicht zu unverbindlich seien.

Die SNB hat das Ziel, die Preisstabilität zu gewährleisten. „Dabei trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung“. Ausserdem: „Sie trägt zur Stabilität des Finanzsystems bei“. Es fehlt die quantitative Messbarkeit, zu viel Wischiwaschi. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die SNB immer mehr Aufgaben an sich reisst, Aufgaben, die ihr eigentlich nicht zustehen (wie den Erhalt von Arbeitsplätzen zu sichern). Ganz von der Hand zu weisen ist auch nicht die Kritik, dass es unsinnnig ist, dass die Notenbanken durch die Ausweitung ihrer Bilanzen zu Grossaktionären werden.

Der Ideenreichtum der Politiker

Die Ausschüttung der SNB an die Öffentlichkeit ist ungefährdet(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Öffentlichkeit erhält jeweils maximal 2 Mia Franken, falls die Ausschüttungsreserve nicht unter 20 Mia Franken fällt. Im Eigenkapital eingeschlossen und unter dem Begriff Ausschüttungsreserve sind dafür 67 Mia Franken vorgesehen. Die Aktionäre erhalten maximal 1,5 Mia Franken.

Als ob es die Aufgabe einer Zentralbank wäre, Gewinnausschüttungen vorzunehmen. Dass man mit jeder Ausschüttung das Eigenkapital schwächt und damit die Risiken erhöht, scheint kaum jemand zu interessieren. Auch nicht, ob die empfangenden Kantone und der Bund im Notfall der SNB wieder Mittel zurückführen könnten.

Der Vorschlag gewisser Politiker, das Vermögen der SNB (die Devisenanlagen oder wie viele es immer noch bezeichnen, die Devisenreserven) könne man in einen Fonds ausgliedern zum Wohle der Bürger zeigt nur immer wieder, dass diese nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, dass die Devisenanlagen vorwiegend durch Fremdkapital finanziert sind.

Es kann doch nicht sein, dass sich Politiker nur dafür interessieren, was man mit dem fremdfinanzierten Vermögen der SNB alles anfangen könnte! (noch schlimmer wäre die Variante, wonach die SNB Banknoten drucken sollte, um damit im Rahmen eines Fonds gewinnbringende ausländische Anlagen zu erwerben).

Leadership

Die SNB unter Thomas Jordan igelt sich ein, lässt keine Kritik zu. Sie schützt sich mit Experten. Doch die kritischen Stimmen nehmen zu.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Wider die Allmacht nicht gewählter Notenbanker“ (Michael Rasch, NZZ vom 2. August 2018) oder „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ (Kurt Schiltknecht, a.a.O.), „Der Boom der Schweizer Notenpresse, Wie die Nationalbank ihre Unabhänggeit verlor“ (Arthur Rutishauser, SonntagsZeitung vom 5. August 2018)

Komplexe Sachverhalte einfach zu erklären ist schwierig, und die Vereinfachung birgt immer auch die Gefahr in sich, Einzelheiten zu übergehen und so die Analyse insgesamt angreifbar zu machen.

Den Franken zu schwächen um den Werkplatz Schweiz zu stärken birgt Risiken. Wie damit umzugehen ist verlangt Leadership. Es ist Zeit zu debattieren, wer diese übernimmt.

Auf jeden Fall gehört das Thema auf den Tisch, heute und ernsthaft diskutiert. Es darf nicht sein, dass man die Themenführerschaft einer Internetplattform überlässt (inside Paradeplatz). Es geht uns alle etwas an, es betrifft uns alle, nicht nur die Exportwirtschaft, die ihre Interessen zu wahren nutzte (Lobbying).

27.02.2019/Renzo Zbinden

Hände hoch – der Kampf ums Bargeld

Es ist nicht lange her, es war im Mai 2013, da stiess ich mit meinem Artikel „Wozu_noch_Banknoten?“ auf viel Unverständnis. Doch heute, nur zweieinhalb Jahre später, findet man es diskutabel, nicht nur auf Banknoten zu verzichten, sondern gleich – wenn schon – auf das gesamte Bargeld. Niemand regt sich auf, denn viele denken: reine Theorie, wird nie kommen. Doch sie könnten sich gewaltig täuschen!

Beim Kampf ums Bargeld stehen in erster Linie geldpolitische Motive im Vordergrund. Und wer mischelt mit: vorwiegend Makroökonomen, Finanz- und Wirtschaftspolitiker von links bis rechts. Sie nicht?

Im Endeffekt wird es uns alle treffen. Denn es hat etwas zu tun mit logischer Konsequenz aus laufenden Massnahmen, mit Argumenten, die ceteris paribus schwer zu widerlegen sind. Am Anfang waren die Nullzinsen, dann die Gebühren auf Bargeld, dann die Negativzinsen.

Die Abwehrschlacht über die Minuszinsen

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) gibt bekannt, dass sie Negativzinsen auf Girokonten bei der SNB einführt (Medienmitteilung vom 18. Dezember 2014). Negativzinsen werden auf jenem Teil der Girokonten erhoben, welcher einen bestimmten Freibetrag überschreitet. Das Zielband für den dreimonatigen Libor liegt seither bei -1.25% bis -0.25%, angestrebt werden -0.75%.

Wird das Zielband noch tiefer in den negativen Bereich gedrückt, nimmt die Gefahr zu, dass die Geschäftsbanken die Negativzinsen auch an Privatkunden überwälzen. Sollte dies erfolgen, holen die Bürger ihr Geld von den Banken und legen es als Bargeld in die Tresore.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Im Jahr 2014 war im Durchschnitt folgende Stückelung von Banknoten im Umlauf: Von insgesamt 389,9 Mio Banknoten waren 38,3 Mio 1000er Banknoten (oder 9.8%)! Noch aussagekräftiger ist folgende Relation: die Banknoten im Umlauf belaufen sich wertmässig auf 62,7 Mia CHF, davon sind 38,3 Mia CHF 1000er Banknoten (oder erstaunliche 61,1%). Eine Stückelung, die für den alltäglichen Zahlungsverkehr kaum benötigt wird. Ein grosser Teil liegt infolgedessen in den Tresoren! Vgl. dazu meine Ausführungen in „Die_Notenpresse_der_Nationalbank„.

Rein theoretisch könnte ein Banken-Run erfolgen – und um dies zu verhindern, das Halten von Bargeld gesetzlich verboten werden. Und wieder rein theoretisch könnten dann die Zentralbanken das Negativzinsen-Regime hemmungslos ausweiten. Die Sparer würden zwangsenteignet, ebenso institutionelle Einrichtungen wie Pensionskassen. Allfällige Vermögenssteuern auf dem verbleibenden Sparkapital gingen in die gleiche Richtung.

Es ist nicht völlig falsch, dass der Realzins bei einer „Deflationsrate grösser als Negativzins“ immer noch positiv sein könnte. Doch für alle sichtbar liegt Ende Jahr weniger Geld auf dem Konto. Wer will noch sparen in dieser irren Welt (Manna vom Himmel Teil 1), in welcher der Verzicht auf sofortigen Konsum bestraft wird. Überdies ist die Wirkung der Negativzinsen auf steigenden Konsum auch bestritten: Nach der internationalen Bank für Zahlungsausgleich (BIZ) erhöhen niedrige Zinsen die Sparbereitschaft der Konsumenten, weil bei ihnen die Unsicherheit über das zu erwartende Renteneinkommen zunähme! Und die Unternehmen würden die niedrigen Zinsen nicht für Investitionen nutzen, sondern ihre Schulden reduzieren. Die Reinheit der Theorie und die Schweinerei in der Praxis – einmal mehr!

Alternativen zu den Negativzinsen

Zur Diskussion stehen Alternativen wie die Einführung eines Wechselkurses zwischen Bargeld und Buchgeld (auf den Bankkonten) (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wird Bargeld einbezahlt, wird auf dem Konto weniger gutgeschrieben, wird Bargeld abgehoben, ein höheren Betrag ausbezahlt. Die Differenz zwischen Bargeld und Buchgeld könnte je nach Bedarf gesteuert werden („Ökonomen wollen Bargeld abschaffen“, Finanz und Wirtschaft vom 7. Oktober 2015).

oder eine periodische Steuerbelastung von Bargeld in der Höhe der Negativzinsen.

Im Moment sind es diese geldpolitischen Aspekte, die häufig diskutiert und in den Medien kritisch akzentuiert werden. Doch nicht minder bedeutsam sind daneben auch technologische und sozialpolitische Argumente.

Wir nehmen kein Bargeld – die bargeldlose Gesellschaft 

Das Königreich Schweden war das erste europäische Land, das Banknoten eingeführt hat (1661 – Dukaten und Taler). Nun wird es vielleicht eines der ersten Länder, welches das Bargeld abschafft. Das elektronische Portemonnaie im Handy spielt hier die entscheidende Rolle. „Swish“ ist eine von den sechs grössten schwedischen Banken eingeführte App, die es ermöglicht, einander Geld per Handy zu überweisen. Über ein Fünftel der Bevölkerung soll diese App schon installiert haben.

Überhaupt geht der Norden von Europa im Einschränken von Bargeld voraus. Die dänische Regierung hat vorgeschlagen, Geschäfte wie Restaurants, Tankstellen und kleine Läden nicht mehr zu verpflichten, Münzen und Banknoten als Zahlungsmittel anzunehmen. Und die Zentralbank hat angekündigt, die Herstellung von Banknoten und Münzen einzustellen! Auch hier steht das elektronische Portemonnaie im Vordergrund: die Danske Bank führte vor zwei Jahren eine Mobile-Pay-App ein. Inzwischen sollen über 1.6 Mio Dänen diese App nutzen, das wäre fast jeder dritte Einwohner.

Die Euro-Zone zieht nach: In verschiedenen Ländern dürfen Zahlungen über 500 Euro bzw. 1000 Euro (Frankreich) nicht mehr bar erfolgen. Eine solche Restriktion besteht seit einigen Jahren auch in Italien. Und die Schweiz?

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Auch hier ist man unterwegs, Barzahlungen einzuschränken (zur Diskussion stehen Barzahlungen ab CHF 100’000). Und auch hier soll es bald möglich werden, einer zweiten Person via Handy Geld zu überweisen, idealerweise unter Umgehung der Bank (von Privatperson zu Privatperson, Peer-to-Peer, P2P). In der Schweiz konkurrieren Entwicklungen wie Klimpr, Mobino, Muume, Paymit und Twint um die Gunst der Anwender.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das System Paymit ist ein Kooperationsprojekt des Schweizer Bankenplatzes (UBS, SIX, ZKB), bis auf weiteres kostenlos für alle, auch ohne UBS-Konto. Swisscom schliesst sich an und zieht bei Tapit die Notbremse. Auch CS und Raiffeisen sollen interessiert sein. Da die SIX-Technologie bei vielen Detailhändlern installiert ist, sieht man hier Akzeptanzvorteile. Twint, eine Tochtergesellschaft der Postfinance, entwickelt eine alternative Technologie – Datenübertragung per Bluetooth, wobei die Postfinance folgende Prioritäten setzen will: Detailhandel (Coop ist in einem Pilotprojekt), E-Commerce, P2P. Ziel: tiefere Transaktionsgebühren für über eine Mio Anwender.

Weltweit mischen die global Player mit, Apple (mit Apple-Watch), Google und Facebook. Wann es soweit ist und wer letztendlich die Standards setzt ist offen, es kann sich noch viel ändern. Google beispielsweise kündigt ein System an, das mündlich funktionieren soll.

Auch das elektronische Geld in Form einer digitalen Währung ist im Vormarsch. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bitcoin funktioniert ohne physisch existierende Wertträger wie Banknoten und Münzen. Bezahlt wird über Rechner oder Handy. Bitcoin beruht auf der Blockchain-Technologie. Sie besteht, wie der Name sagt, aus einer Kette miteinander verbundener Blöcke. Die verschlüsselten Informationen (für eine Zahlung beispielsweise) werden dezentral und für alle Beteiligten einsehbar auf verschiedene Rechner gespeichert und in einem Block an eine bestehende Kette aufgezogen, wie eine Perle auf eine Perlenkette. Die Blockchain ist eine Art Kontobuch, das alle Bitcoin-Nutzer prüfen können. Wer an einem bestehenden Block Veränderungen vornehmen möchte, müsste alle damit verbundenen Blöcke manipulieren um nicht entdeckt zu werden. Dazu reicht die Rechenleistung nicht aus. Die Blockchain-Technik gilt daher als sicher, ein digitales Zahlungssystem ohne Banken und ohne Staaten. Die kleinste Einheit, ein Hundertmillionstel eines Bitcoins,  ist ein Satoshi, genannt nach dem bis heute unentdeckt gebliebenen Erfinder mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto.

Konjunkturpolitik per Knopfdruck

Sollte in absehbarer Zukunft das digitale Geld das Bargeld verdrängen und die Zentralbank in der Lage sein, Negativzinsen per Knopfdruck einzuführen, wäre folgendes Szenarium denkbar:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die massgebenden „Wirtschafts-Ingenieure“ befürchten eine bevorstehende Deflation. Sie bedrängen die Zentralbank, die Negativzinsen markant zu erhöhen. Die Zentralbank im Schlepptau der Politik kündigt an: „Ab 1. März 20XY werden sämtliche Spar- und Kontokorrent-Konten mit einem Negativzins von 10% p.a. belastet“. Die Konsequenz wäre das Ziel: die überwiegende Mehrheit der Konsumenten und Investoren würde für später vorgesehene Ausgaben vorziehen und damit die Wirtschaft umgehend ankurbeln. Bleibt offen, wer die Zinsbelastung von 10% vereinnahmen dürfte. Sicher nicht die Banken, sicher der Staat. Es wäre eine Art Konsum- und Investitionssteuer, deren Lenkung Konjunktur- und Steuerpolitiker gemeinsam mit viel Phantasie und Begeisterung umsetzen würden.

Erschreckend, dass Währungsexperten und Politiker über solche Massnahmen nicht nur träumen, sondern darüber auch diskutieren und publizieren. Natürlich müsste man auch den Besitz von Gold und Fremdwährungen verbieten (Euro-Raum und USA). Doch: Wäre der Besitz von Bargeld, Gold und Fremdwährungen irgendeinmal verboten, nur der Besitz von Schweizer Franken nicht (die schweizerische Bevölkerung stemmt sich mit allen Kräften gegen diese Entwicklung), gewönne der Schweizer Franken zusätzlich an Attraktivität, weltweit, und der Kampf der SNB gegen die Überbewertung des Frankens wäre aussichtslos.

Hehre Motive hinter sozialpolitischen Zielen

Um das politische Umfeld für die Abschaffung von Bargeld nachhaltig zu beeinflussen wird darauf hingewiesen, dass die Einschränkung des Bargelds kriminelle Aktivitäten wie illegale Geschäfte, Geldwäsche, Schwarzarbeit (Schattenwirtschaft) und Steuerhinterziehung erschweren. Auch der Kampf gegen den Terror oder gegen Raub- und Banküberfälle werden als Motive vorgeschoben. Und überhaupt: Bargeld ist unsicher, schmutzig, teuer in der Herstellung und ineffizient als Zahlungsmittel.

Die Summe der technokratischen Aspekte der Geldpolitik, der technologischen Entwicklung im Zahlungsverkehr und der sozialpolitischen Umverteilungsperspektiven führen insgesamt zu einem Gebräu unterschiedlicher Ursachen und Interessen, die das Halten von Bargeld immer mehr einschränken.

Still und leise, nach und nach, auf bürokratischem Weg – und das Bargeld war einmal. Der Kampf ums Bargeld ist eigentlich schon verloren, bevor er richtig begonnen hat. Und die nächste Stufe der finanziellen Repression steht bevor: die totale finanzielle Überwachung durch den Staat.

AIA – der gläserne Konsument im Spiegel derLogo_ImVisier3 Geld- und Sozialpolitik. Demnächst

 

14.01.2016/Renzo Zbinden

 

Die Solvenz der Schweizerischen Nationalbank

Die Erwartung an die Schweizerische Nationalbank (SNB) war gewaltig:

Sie solle sich verpflichten, unbegrenzt zu einem festgelegten Euro-Wechselkurs Devisen zu kaufen – ohne „wenn und aber“.

Sie müsse dazu nur die eigene Währung verkaufen. Und da sie über das Banknotenmonopol verfüge, könne sie das auch tun. Basta.

Doch sie konnte nicht – mehr. Am 15. Januar 2015 zog sie die Notbremse. Die Folge: Franken-Schock

Derbe Kritik

Es fehle ihr an Führungsstärke und an Mut. Ihr Verhalten sei ängstlich, defensiv und strategielos. Sogar eigene Bankräte gingen an die Medien und kritisierten die Führungsgremien der SNB auf eine Weise, die in der Privatwirtschaft undenkbar wäre. Viele Unternehmen aus der Exportindustrie fühlten sich im Stich gelassen. Der Industriestandort Schweiz dürfe nicht geopfert werden (keine Deindustriealisierung). Auch die Gewerkschaften machten Druck. Doch was als befristete Notlösung funktioniert hat, konnte nicht fortgeführt werden. „Es entspricht nicht dem Mandat der Nationalbank, den Wechselkurs auf Dauer zu subventionieren. Das wäre nichts anderes als Industriepolitik auf Risiken der Öffentlichkeit“ (Niklaus Blattner, der Bund vom 13. Juni 2015). Viel treffender kann man es nicht sagen. Die Überdehnung der Bilanz durch immer höhere Devisenanlagen musste ein Ende nehmen.

Erbsenzähler beugen sich über die Bilanz

Wer sich in die Materie vertieft, wird in Diskussionen als Erbsenzähler disqualifiziert, wer die Konsequenzen ausblendet, zum gefragten Strategen. Wegschauen? Wie stark die SNB mit ihren Engagements am Limit war, zeigt der Zwischenabschluss per 30. Juni 2015:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die finanziellen Mittel der SNB sind zu 91.8% investiert in Devisenanlagen. Die Exponenten der SNB sprechen von Devisenreserven. Die Devisenanlagen sind in den letzten Jahren stark gewachsen durch die punktuellen Interventionen der SNB am Geldmarkt. Heute liegen sie nicht mehr weit entfernt vom BIP der Schweiz und betreffen vorwiegend Euros und US Dollars.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) ist ein Mass für die wirtschaftliche Leistung der Volkswirtschaft. Es wird der Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen gemessen, die sog. Wertschöpfung. Das BIP 2013 beträgt 635 Mrd Franken (Quelle Schweizerische Eidgenossenschaft, Statistik Schweiz).

Die Aktivseite der Bilanz (die Seite der Investierung) zeigt, wohin die Mittel fliessen, zu über 90% in Devisenanlagen. Doch woher kommen diese Mittel? Die Mittelherkunft zeigt die Passivseite der Bilanz (die Seite der Finanzierung)(Klicken Sie zum Weiterlesen)

SNBPassiven

Per Bilanzstichtag (30. Juni 2015) sind fast die gesamten Investitionen in Devisenanlagen (von  530 Mrd Franken) fremdfinanziert (die Girokonten inländischer Banken betragen 385 Mrd Franken). Diesen Devisenanlagen in Fremdwährungen (Aktiven) stehen Giro“schulden“ in Schweizer Franken gegenüber (Passiven). Ein grosses latentes  Währungsrisiko. Dazu kommen zweitens Abschreibungsrisiken, da sich in den Devisenanlagen Staatsanleihen befinden aus Staaten mit geringerem Rating und drittens Kursrisiken.

Die Eigenfinanzierung ist mit 5.9% minimal. In tabellarischer Form sieht die Fremdfinanzierung wie folgt aus:

Was nicht durch Eigenkapital finanziert ist, muss durch Fremdkapital finanziert werden. Gemäss Zwischenabschluss tragen die Schweizer Geschäftsbanken mit 385 Mrd Franken 66.8% zur Finanzierung der Aktiven bei (Girokonten inländischer Banken). Doch die SNB relativiert den Begriff Fremdkapital wie folgt: „Sichtguthaben bei der Nationalbank … können ökonomisch nicht dem Fremdkapital von normalen Unternehmen oder Geschäftsbanken gleichgesetzt werden. Denn Sichtguthaben … können nur in andere gesetzliche Zahlungsmittel getauscht werden, also wiederum in Sichtguthaben …“ Alles klar?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es ist nicht so, wie viele meinen, dass die SNB Guthaben gegenüber den Geschäftsbanken hat, das Gegenteil ist richtig, die SNB hat Verpflichtungen gegenüber den Geschäftsbanken. Weshalb?

Giroguthaben der inländischen Banken bei der SNB sind für die SNB unverzinsliche Sichtguthaben. Sie bilden die Grundlage der geldpolitischen Steuerung durch die Nationalbank. Der Bedarf nach solchen Giroguthaben liegt einerseits begründet in den gesetzlichen Liquiditätsvorschriften (betrifft die Geschäftsbanken) und andererseits im Bedarf nach Arbeitsguthaben im bargeldlosen Zahlungsverkehr zwischen den Banken (Interbank-Liquidität). Die Veränderung der Giroguthaben ist ein Indiz dafür, ob die SNB im Devisenmarkt interveniert hat. Sie hat:

Zur Absicherung des Euro-Mindestkurses zwischen dem 6. September 2011 und dem 15. Januar 2015 (Franken-Schock) hat die SNB Euros gegen Franken gekauft (und dabei dem Frankengeldmarkt massiv Liquidität zugeführt und das Zinsniveau gesenkt). Die Giroguthaben der inländischen Banken betragen per Ende Vorjahr 328 Mrd Franken (Zunahme per 30. Juni 2015 +57 Mrd oder +17.4%). Im Geschäftsbericht per 31.12.2014 (Finanzteil) wird diese passive Bilanzposition – als grosse Ausnahme zu den übrigen Positionen – mit keinem Wort erläutert, weder die Zusammensetzung noch die Veränderung. Per Ende 2010 war die Bilanzposition „Girokonten inländischer Banken“ noch bescheidene 38 Mrd Franken – das Ausmass der Zunahme in den letzten 5 Jahren ist erschreckend eindrücklich: +763 %

Die SNB weist per 30. Juni 2015 einen Rekordverlust von 50.1 Mrd Franken aus.

Die Zahl ist gigantisch, absolut wie relativ. Die Reaktion der Öffentlichkeit war milde, denn einerseits hat man einen Verlust in dieser Grössenordnung erwartet, und andererseits hat man sich an grosse Zahlen gewöhnt. Doch die Schweiz ist ein Kleinstaat mit einer ehemals eigenkapitalstarken Nationalbank, kein chinesisches Reich mit einer Bank of China. Der Rekordverlust von 50.1 Mrd Franken entspricht einem hart umkämpften Schweizer Militärbudget von 10 Jahren!

Mit dem rapiden Zerfall des Eigenkapitals ist die Institution SNB, die für Sicherheit und Stabilität in der Wirtschaft sorgen müsste, selbst zum Spielball einer weltweiten Spekulation geworden; in gewisser Weise zu einem riskanten Hedgefund, der sein ganzes Kapital auf wenige Währungen setzt. Doch was passiert, wenn sich die Verluste fortsetzen und das Eigenkapital negativ wird?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Gemäss Art. 1 Nationalbankgesetz (NBG) ist die SNB eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft. Subsidiär – soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt – gelten die Vorschriften des Obligationenrechts (Art. 2 NBG). Doch bei Kapitalverlust und Überschuldung (negatives Eigenkapital) gelten diese Bestimmungen nicht (Art. 725 f OR). Denn nach Art. 32 Abs. 1 NBG kann die SNB mittels Bundesgesetz aufgelöst werden. Die Rechtslehre ist sich offenbar einig, dass die SNB kein risikotragendes (haftendes) Eigenkapital braucht. Begründet wird dies u.a. damit, dass sich die SNB die fehlenden liquiden Mittel zur Bezahlung der offenen Verbindlichkeiten „aus dem Nichts“ drucken kann. Das ist an sich richtig, doch nur soweit, als unbegrenzt Banknoten stapelweise in Zahlung genommen werden. Und bei einem andiskutierten zukünftigen Bargeldverbot wäre Schluss mit gedruckter Liquidität!

Verwiesen wird auf die Notenbanken von Chile und der Tschechischen Republik, die einen antiinflationären Kurs verfolgen bei negativem Eigenkapital. Vorbilder für unsere Nationalbank? Sicher nicht. Das fehlende Eigenkapital beeinträchtigt die Vertrauensbildung gegenüber Geschäftsbanken und Schweizer Bevölkerung, setzt die SNB unter politischen Druck und gefährdet damit die faktische Unabhängigkeit.

Bei Überschuldung (Summe der Schulden grösser als Summe der Aktiven) kommt hinzu, dass die Geschäftsbanken ihre Giroguthaben bei der Nationalbank in ihrer eigenen Bilanz wertberichtigen (teilweise abschreiben) sollten, eingeschlossen die PostFinance. Und weshalb sollten und nicht müssen, dafür bemüht man: die Seigniorage.

Immerwährende Liquidität – das Mysterium  Seigniorage

Früher sprach man von Münzgewinn, Schlagsatz oder auch Schlagschatz (Münzen als Zahlungsmittel). Bei Banknoten ist es der durch die Notenbank erzielte Gewinn, der durch die Emission von Banknoten (Zentralbankgeld) entsteht. Bei geringen Druckkosten erhalten Private zinsloses Zentralbankgeld ohne Deckung, ein kolossaler Differenzgewinn für die Notenbank. Doch das ist ein Irrtum: es resultieren weder Gewinne noch Eigenkapital.

Die Banknote ist eine Urkunde, die als gesetzliches Zahlungsmittel dient. Mit der Emission gewährleistet die Zentralbank einen Rechtsanspruch des Banknoteninhabers auf eine Gegenleistung. Je nach Ausgestaltung kann diese Gegenleistung ein Umtauschrecht in Sachwerte sein (wie Gold) oder zumindest ein abstraktes Recht auf Werthaltigkeit. Früher war eine prozentuale Goldabdeckung selbstverständlich. Heute kann man die Werthaltigkeit des Papiergeldes bezweifeln.

Dementsprechend werden Banknoten in Zirkulation nicht unter „Flüssige Mittel“ aktiviert, sondern unter „Notenumlauf“ als Verpflichtung passiviert (in vorstehender Bilanz 67.4 Mrd Franken). Geht ein Stapel Banknoten erstmals in den Bargeldumlauf, verbucht die SNB den Nominalwert der ausgegebenen Banknoten unter dem Passivkonto „Notenumlauf“. Liefert sie den Stapel an die Geschäftsbanken aus, belastet sie die Konten dieser Geschäftsbanken.

„Girokonten Banken“ an „Notenumlauf“

so der Buchungssatz in der Buchhaltung. Die Giroguthaben der Geschäftsbanken sinken, während der Notenumlauf im Gegenzug steigt. Kein Gewinn in der Erfolgsrechnung, keine Neubildung von Eigenkapital, nur ein Passivenaustausch. Und sollten dereinst die Banknoten in Zirkulation wieder eingesammelt werden, müsste die SNB nicht Devisen verkaufen, sondern könnte eigene Schuldverschreibungen ausgeben (SNB-Bills).

Die Selbstheilungskraft unterkapitalisierter Zentralbanken hat ihre Grenze im tagesaktuellen Handlungsbedarf.

Richtig ist, dass eine Zentralnotenbank über ein „strukturelles Gewinnpotential“ verfügt. Sie kann Aktiven zinsgünstig finanzieren (im Moment über Negativzinsen) und verfügt damit über eine „fast unerschöpfliche Einkommensquelle“, so die Ökonomen aus dem Elfenbeinturm. Vergleicht man jedoch die aktuellen Devisenverluste mit den potentiellen Anlagerenditen auf Aktivanlagen, wird leicht sichtbar, dass was in der langen Sicht möglich wäre kurzfristig keine Löcher stopft. Kommt hinzu, dass unsere SNB prioritär der Preisstabilität verpflichtet ist und Zielkonflikte vermeiden muss.

Nebelgranaten

Die Homepage der SNB ist ohne Tadel, wer sucht der findet Antworten auf viele Fragen, den aktuellen Zahlenkranz, Stellungnahmen und Studien aller Art. Doch bei brisanten Fragen über Devisenanlagen, Fremdfinanzierung und Überschuldung tragen die Exponenten der SNB unabsichtlich zur Verwirrung bei. Sprechen sie von sich selbst, verwenden sie Begriffe, die nur aus Sicht der Gegenpartei richtig sein können. Sie kommentieren Giroguthaben inländischer Banken, meinen jedoch Giroschulden gegenüber 0943457inländischen Banken, sie reden von Sichtguthaben, meinen jedoch Sichtverbindlichkeiten. Notenumlauf sind für Aussenstehende „Flüssige Mittel“ zum Ausgeben, de facto sind es Verpflichtungen aus Notenumlauf (Passiven). Sie erwähnen Fremdwährungsreserven oder Devisenreserven (bilanztechnisch eine Unterbewertung von Aktiven oder ein Passivum mit Eigenkapitalcharakter), meinen jedoch Devisenanlagen (Aktiven). Ganz unverständlich wird es, wenn es um vorübergehend negatives Eigenkapital geht (aktive Währungsreserven).

Selbst Wirtschaftsjournalisten tappen in die Falle unklarer Fachbegriffe.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

NZZ (Wirtschaftsteil) vom 30. Juli 2015 zum geringen Eigenkapital:“ Alarmierend muss das aber noch nicht sein: So bleibt eine Nationalbank selbst mit negativem Eigenkapital handlungsfähig, da sie dank Notenmonopol langfristig ja stets Eigenkapital aufbauen kann“. Oder „Finanz und Wirtschaft“ vom 5. August 2015 mit dem fetten Titel: „Die Angst der SNB vor dem eigenen Reichtum“. Bei einer Fremdfinanzierung von 94.1 Prozent kann man nicht von Reichtum sprechen.

Der Rechnungslegungsstandard der SNB

Die SNB ist an der Schweizer Börse (SIX Swiss Exchange) im „Domestic Standard“ kotiert. Sie verwendet Swiss GAAP FER als Standard zur Rechnungslegung. Was für die Schweiz ein geeigneter Standard sein kann und vorwiegend für KMU zur Anwendung gelangt, ist international als lokaler Standard unbekannt. Paneuropäisch oder global tätige Gesellschaften verwenden den „International Financial Reporting Standard (IFRS) bzw. US GAAP, so auch die beiden Grossbanken der Schweiz. Weshalb verwendet die „Mutter aller Schweizer Banken“ einen weniger anspruchvollen Rechnungslegungsstandard? Als Beispiele verwenden die Deutsche Bank, die Bank of England, die EZB aber auch kleinere Zentralbanken wie die Österreichische Nationalbank und die Nationalbank der Republik Belarus IFRS als Standard. Für die Kohärenz, die Vergleichbarkeit und die Abstimmung internationaler Geldziele und -strategien ist ein weltweit anerkannter Rechnungslegungsstandard conditio sine qua non unter Experten. Mit dem Schweizer Franken steht auch die SNB im internationalen Rampenlicht, ihre Berichterstattung hat auch internationale Erwartungen an die Professionalität zu erfüllen. Bei einer Bilanzsumme von 577 Mrd Franken (nicht weit vom BIP der Schweiz entfernt) ist die Wahl des Swiss GAAP FER zu viel der Bescheidenheit. Kostenüberlegungen vorzubringen wäre bei einem Halbjahresverlust von 50 Mrd Franken geradezu peinlich.

Notbremse

Der Entscheid vom 15. Januar 2015 zur Aufgabe des Euromindestkurses war richtig. Viele sich in die Medien drängende Kritiker haben inzwischen ihre Köpfe eingezogen.

Der jüngste Anstieg der Sichtguthaben lässt vermuten, dass die SNB zu einer Politik des Managed Floating übergegangen ist, ein System, bei dem der Wechselkurs zwar grundsätzlich frei schwankt, die Währungshüter aber trotzdem ab und zu intervenieren, damit aber kein fixes Wechselkursziel verfolgen.

Und erstaunlich: Die Schweizer stehen hinter der SNB. Obwohl vielleicht nicht im ganzen Zusammenhang verstanden, das Bauchgefühl sagt dem Schweizer, dass ein Zurückkommen auf einen fixen Kurs pro Euro mit zu viel Risiken verbunden wäre. „Zwei Drittel der Befragten sind für die Aufhebung des Euromindestkurses – und nehmen höhere Arbeitslosigkeit in Kauf“ (SonntagsZeitung vom 12. Juli 2015 gestützt auf eine breitangelegte Onlineumfrage).

Und hoffen wir, dass es der SNB gelingen wird, die hohen Devisenanlagen und dieLogo_ImVisier3 damit verbundenen Verlustrisiken wieder in geordnete Bahnen zurückzuführen. Zugegeben, mit einer EZB die droht, die Liquiditätsschleusen noch weiter zu öffnen (QE 2), ein schwieriges Unterfangen.

Demnächst: Zerlegt in IT-Wolken, geschröpft im Alltag

15.09.2015/Renzo Zbinden

 

Franken-Schock

Donnerstag 15. Januar 2015, 10.30 Uhr: „Die Schweizerische Nationalbank hebt den Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro auf“.

Der Euro fiel in Minuten auf 85 Rappen und erholte sich knapp über der Parität. Ein Schock für die Schweizer Wirtschaft.

Rückblick

Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) im September 2011 die Notbremse gegen die Frankenaufwertung zog und den Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro einführte, hat sie der Exportindustrie geholfen, die Nachteile des starken bzw. zu starken Schweizer Frankens aufzufangen. Aus heutiger Perspektive hielt sich die Anerkennung für diesen mutigen Entscheid in Grenzen. Nicht wenige waren damals der Auffassung, der Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro sei zu tief. Er sollte besser zwischen CHF 1.30 und 1.40 liegen.

Die Massnahme galt als vorübergehend. Trotzdem, für viele war der Abbruch der Übung „Out of the blue“ an eben diesem Donnerstag, den 15. Januar 2015. Nicht oder nur teilweise gebilligt wurde die Begründung. „Ein Hinauszögern des Aufhebens des Mindestkurses wäre nur auf Kosten einer unkontrollierbaren Ausdehnung der Bilanz um ein Mehrfaches des schweizerischen Bruttoinlandprodukts möglich gewesen“, so SNB-Präsident Thomas Jordan. Viele für die Bestimmung des Wechselkurses massgebenden Kriterien wiesen unwiderlegbar auf eine weitere Schwächung des Euro-Kurses hin. Und nicht ganz ohne Einfluss war die kurz bevorstehende Euro-Flutung durch die Europäische Zentralbank (QE – Manna vom Himmel Teil 2).

Ob der Zeitpunkt und die Art der Kommunikation richtig waren ist eine andere Frage. Doch seit diesem Beschluss sah sich die SNB einer anhaltenden Kritik aus Wirtschaft und Politik ausgesetzt.

Panik und Besonnenheit

Die Folgen für die Schweizer Wirtschaft waren massiv und unmittelbar. Selten waren die Kurse abgesichert ( weshalb auch, die SNB übernahm die Kurssicherung kostenlos). Euroguthaben mussten wertberichtigt werden (erfolgswirksam mit rd. 15%). Laufende Umsätze in Lokalwährung fielen.

Das Neugeschäft war auf einen Schlag nicht mehr konkurrenzfähig, in Europa 15% zu teuer, in Nordamerika und Asien 10% (über den Dollar). Der Auftragsbestand ging zurück, Margen wurden zusammengestrichen, Kostensenkungen  eingeleitet.  Flankierende Massnahmen: Lohnstopp, Ausdehnung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, Kurzarbeit, Entlassungen, die ganze Krisenpalette. Stark unter Druck sah sich die Maschinenindustrie(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweizer Maschinenindustrie erzielt fast vier Fünftel ihres Umsatzes im Export, wovon rd. 60% an europäische Kunden geht. Besonders betroffen sind kleine Zulieferanten, die nicht in der Lage sind, Teile der Wertschöpfung kostenreduzierend ins Ausland zu verlagern. Gemäss Medienmitteilung der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) vom 21. Juli 2015 lagen die Exporte insgesamt umsatzmässig unter dem Niveau des Vorjahres (nominal -2.6%, real allerdings nur -0.8%). Der Exportrückgang der Maschinen- und Elektronikindustrie lag bei -5.2%. Demgegenüber sind die Exporte von Uhren und Präzisionsinstrumenten unverändert.

Schlecht geht es dem Detailhandel und dem Tourismus. Beide Branchen stehen in einem existenzgefährdenden Preiskampf, um dem wechselkursbedingten Abwandern der Kunden zu begegnen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Auf der einen Seite hat der Einkaufstourismus im grenznahen Gebiet noch einmal zugenommen. Auf der anderen Seite können Importeure günstiger einkaufen. Sie geben diese Preisvorteile auch weiter, als Beispiel Fahrzeugimporteure wie BMW, Mercedes und VW, welche unverzüglich Eurorabatte gewährten. Die Allianz der Konsumentenschutzorganisationen stellt andererseits aber auch fest, dass Wechselkursgewinne einbehalten werden. Zeitschriften, die schon bisher masslos überteuert waren, bleiben teuer. Als Beispiel „Der Spiegel“, eine in der Schweiz beliebte deutsche Wochenzeitschrift.  Sie kostete in der Schweiz am 10. Januar 1915 CHF 7.40 (bei einem aufgedruckten Europreis von 4.60). Heute kostet „Der Spiegel“ CHF 7.00 (Preisreduktion 5.4%, neuer Umrechnungskurs zum Euro CHF 1.52). Eine unternehmerische Meisterleistung oder eine schamlose Abzocke?

Die Tourismusbranche kann weniger von günstigen Importpreisen profitieren. Das erste Halbjahr hat tiefe Spuren hinterlassen . Oder haben die Touristiker auf Vorrat gejammert?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Jürg Schmid, Chef Schweizer Tourismus, sagte kürzlich, dass der Geschäftstourismus in den Städten florierte (im ersten Halbjahr 2015 stieg die Anzahl Hotelübernachtungen 4.3% gegenüber der Vorjahresperiode), in ländlichen Regionen jedoch stark rückläufig war.

Zwar kamen weniger Europäer in die Schweiz, dafür mehr Asiaten. Insgesamt lag der Rückgang bei den Logiernächten nach sechs Monaten bei nur 0.6%, eigentlich wenig, auch wenn Verzögerungseffekte (wie Vorausplanungen und abgesicherte Kurse) noch wirksam waren. Bei den Gästen aus Deutschland beträgt das Minus allerdings 9%. Dass die Deutschen Ferien in der Schweiz als zu teuer empfanden, war allerdings keine neue Erfahrung. Dass sie heute für ihren Euro noch weniger Gegenleistung erhalten, ist offensichtlich, ihr Klagen nachvollziehbar.

Nicht unerwartet fordert Schweiz Tourismus weitere Mittel vom Bund, CHF 48 Mio für die nächsten vier Jahre. Hinzu eine Reduktion des Kostensockels durch die Unterstützung der parlamentarischen Initiative „Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland“ sowie das Beibehalten des bis Ende 2017 befristeten Sondersatzes für die Beherbergung (aus STV Medienmitteilung zum Thema Frankenstärke). In diesem Zusammenhang zu denken geben muss, weshalb Zweitwohnungsbesitzer steuerlich gezwungen werden sollen, ihre Wohnung weiterzuvermieten (Kampf den kalten Betten). Damit nimmt die lokale Bruttobettenkapazität zu, was auf die Übernachtungspreise drückt. Vom Hotel  in die Ferienwohnung, staatlich gefördert! Es fehlen die Worte. Und hat man sich einmal daran gewöhnt, nicht immer rund um das Bett wohnen zu müssen, kommt man wieder und wieder, und wird zum Dauergast –  in der Parahotellerie.

Zum anderen sind Megatrends nicht zu stoppen. Als Beispiel die Kreuzfahrtindustrie.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für bescheidene Budgets zwei Wochen Abenteuerreise, mit oder ohne Kindern, mit Freunden, Bekannten, Jasskollegen. Nur einmal Auspacken, das Hotel fährt mit, wenig DSC01394Stress, kein Portemonnaie (alles über Plastik am Ende der Reise), Arzt an Bord. Und Vorurteile gegen diese Art von Ferien: Kleiderordnung, Völlerei, Enge, Langeweile können nur jene haben, die es gar nie erleben wollten. Ein Abendspaziergang durch die Geschäfte und Restaurants, hoch oben auf der zwölften Etage, mit Blick auf das freie Meer, ein wenig Unterhaltung, je nach Stimmung – für bedeutend weniger als zwei Wochen Skiferien in der Schweiz. Wieso nicht?

Strukturerhaltungspolitik war selten zukunftweisend. Die Touristikindustrie Schweiz braucht eine Nische, welche die aktuellen Kundenbedürfnisse erfolgreich abdecken kann. Sie wird ihren Weg finden.

Robuste Binnenwirtschaft

Durch die Frankenstärke hat die Kaufkraft der Konsumenten zugenommen. (Editorial Numis-Post 2/2015 zur Euro-Preisuntergrenze). Hinzu kommen fallende Energiepreise für Erdöl, Erdgas, Eisen und Stahl. Die Privathaushalte beleben die Nachfrage (das Konsumwachstum der Schweiz war im Zeitraum 1990-2013 mit 0,7% vergleichsweise tief), die Arbeitslosenquote blieb stabil. Der Swiss Performance Index hat das Wegfallen der Eurountergrenze verkraftet. Er notiert im Vergleich zum 14. Januar 2015 3% im Plus (15.7.2015).

Gewisse Branchen haben sich erholt, wie die binnenmarktorientierte Informations- und Kommunikationsbranche (ITC), die Software- und gewisse Beratungsdienstleister. Aber natürlich: die Unsicherheit ist gross, die Margen sind knapp. Im übrigen ist es nicht ausgeschlossen, dass die eine oder andere schon lange vorgesehene Sanierungsmassnahme mit dem starken Franken begründet wird, eine willkommene Gelegenheit für schwer vermittelbare Auslagerungen oder Entlassungen.

Der Ausstieg der SNB war richtig, so sieht es auch die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung, so sehen es auch die Medien. Die Kritik gegen den Entschluss schwindet. Es war nie die Absicht der SNB, den Wechselkurs auf Dauer zu subventionieren. Keine Industriepolitik auf Risiko der Öffentlichkeit (Niklaus Blattner, ehemals Vizepräsident der SNB, im Interview mit dem Bund vom 13. Juni 2015). Heute ist Schadensbegrenzung die Parole.

David gegen Goliath – die verlorene Geld-Souveränität der Schweiz

Wo der Wechselkurs in den folgenden Monaten zu liegen kommt, wird unter Devisenexperten unterschiedlich beurteilt. Sie prognostizieren einen fallenden Wechselkurs, eine Stagnation oder einen Anstieg auf CHF 1.08 pro Euro (am 15. August 2015 lag er bei CHF 1.09). Nicht gerade hilfreich. Zwar zeigt der Konjunkturausblick für Europa auch positive Veränderungen. Und der wiedererstarkte Dollar hilft, in den Dollarraum zu exportieren. Doch die griechische Tragödie hat die strukturellen Risiken des Euro schonungslos offengelegt. Weltweit schwache Konjunkturdaten und die Wirtschaftsentwicklung in China tragen auch in den kommenden Monaten dazu bei, dass die Devisen im sicheren Hafen der Schweiz kumuliert werden, Negativzinsen zum Trotz.

Der Aufwertungsdruck lässt nicht wirklich nach und vieles spricht dafür, dass das derzeitige Niveau nur mit hilfe der SNB gehalten werden kann (kontrolliertes Devisenfloating), immer wieder verbunden mit der Hoffnung, die einheimische Industrie könne durch nie abbrechende Fitnessprogramme den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit kompensieren. Zwar ist die Schweiz mit dem  Franken währungspolitisch souverän, doch sie kann nur aus der Defensive reagieren.

Was wären die Massnahmen der SNB, wenn in einer kommenden Krise grosse Kapitalströme in den Franken flössen? Weitere Devisenmarkt-Interventionen und als Ultima Ratio Kapitalverkehrskontrollen? Wie sieht das Reaktionsdispositiv der SNB aus und wie weit reicht es?

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der nächsten Ausgabe: die Kavallerie der SNB.

Zurück zu den Ferien: Es muss nicht unbedingt eine Kreuzfahrt sein, warum nicht ein Segeltörn auf dem Thunersee?

19.08.2015/Renzo Zbinden

 

Manna vom Himmel – Teil 2

Bei null Komma null null Prozent Zinsen erreicht die expansive Geldpolitik einen ersten Zwischenhalt. Jetzt sind neue Ideen gefragt. Warum nicht gleich die Notenpresse in Gang setzen. Der dafür zutreffende ökonomische Begriff ist schnell gefunden, er ist putzig und liebenswert: monetäre Lockerung – Quantitative Easing (QE). Und der wegweisende Vollstrecker: Helikopter Ben.

Ben Bernanke, von 2006 bis 2014 Vorsitzender der US-Notenbank, hat sich den Kampf gegen die Deflation zur Lebensaufgabe gemacht. Die amerikanische Notenbank (Fed) und in ihrer Gefolgschaft die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of Japan und jetzt auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) ergreifen aus historischer Sicht beispiellose Massnahmen, um die Schlacht gegen die Deflation zu gewinnen.

QE – das grösste geldpolitische Experiment aller Zeiten

NYQE-Massnahmen bestehen im direkten Ankauf von Wertpapieren durch die Zentralbank (Staatsanleihen u.a.), um damit neues Geld in die Finanzmärkte zu pumpen. Historisch einmalig sind die Dimensionen (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dem Q3 der US-Zentralbank voraus gingen die Programme Q1 (Dezember 2008) und Q2 (Juni 2011). Q3 hatte zum Ziel, monatlich 40 Mia Dollar hypothekengesicherte Wertpapiere (MBS) und 45 Mia Dollar längerfristige US-Staatsanleihen zu kaufen, bis sich der US-Arbeitsmarkt verbessert. Nach einer Reduktion auf 10 Mia Dollar pro Monat beendete die US-Zentralbank ihr Programm im Oktober 2014 – während die EZB damit wieder anfing.

Verblüffend ist, dass das europäische Pendant insgesamt grösser ist als jedes der amerikanischen QE-Programme. Die EZB will ab März 2015 Monat für Monat Staatsanleihen und sonstige Wertpapiere (Pfandbriefe und Hypothekenpapiere – ABS) im Umfang von 60 Mia Euro kaufen. Insgesamt erreicht das QE-Programm ein Volumen von unglaublichen 1’140 Mia bzw. 1,14 Billionen Euro.

Auch die SNB spricht von Lockerung der monetären Bedingungen. Sie kündigt im März 2009 an, Fremdwährungen und Anleihen zu kaufen. Zu ihrem Ziel gehöre auch die Verhinderung einer weiteren Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro.

Weltweit ist die Ausdehnung der Geldmenge durch die Zentralbanken gewaltig. Aus Erfahrung wird es nicht gelingen, die Geldmenge bei Erreichen der Ziele rechtzeitig und umfassend wieder zu reduzieren. Auch können die Zentralbanken niemanden zwingen, das viele Geld, das sie in die Finanzmärkte pumpen, dann auch zu konsumieren. Wer trägt die moralische Verantwortung, wenn das Experiment scheitert, die ultralockere Geldpolitik zum Desaster wird? Wer kümmert sich um die Risikowahrnehmung und -steuerung dieser gigantischen Eingriffe in die Finanzwirtschaft?

Risk Monitoring

Landen wir in einer Inflationsspirale, wie einige befürchten? Zwar hat gemessen am Konsumentenpreisindex bisher kein nennenswerter Anstieg der Inflation stattgefunden. Jedoch zeigen die in Teil 1 (Manna vom Himmel) erwähnten Anlagealternativen (Immobilien, Aktien und Sachwerte) in gewisser Weise eine Vermögenspreisinflation. Dass diese Art Inflation aus keiner Statistik hervorgeht beweist einmal mehr, wie irreführend der Konsumentenpreisindex als alleiniger Massstab für die Inflation sein kann.

Die Sicherstellung der Preisstabilität bzw. eine auf Preisstabilität fokussierte Geldpolitik ist Aufgabe der SNB (Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Die SNB führt als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik des Landes. Sie muss sich gemäss Verfassung und Gesetz vom Gesamtinteresse des Landes leiten lassen, als vorrangiges Ziel die Preisstabilität gewährleisten und dabei der konjunkturellen Entwicklung Rechnung tragen. Damit setzt sie grundlegende Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Wirtschaft“.

Die SNB sieht die Preisstabilität als gewährleistet bei einem Anstieg der Konsumentenpreise von weniger als 2 Prozent pro Jahr. Da die SNB damit eine öffentliche Aufgabe erfüllt, wird sie gemäss Verfassung unter Mitwirkung und Aufsicht des Bundes verwaltet. Sie ist als spezialgesetzliche AG konstituiert. Die rechtliche Rahmenordnung resultiert aus dem Bankengesetz (BankG), dem Nationalbankgesetz (NBG), der Nationalbankverordnung und dem Börsengesetz. Die Kontrollgremien innerhalb der SNB entsprechen den Erwartungen und sind beachtlich (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dazu gehören der Bankrat (beaufsichtigt und kontrolliert die Geschäftsführung, setzt einen Prüfungs- und einen Risikoausschuss ein), die Generalversammlung (wobei ihre Befugnisse geringer sind als bei privatrechtlichen Aktiengesellschaften), die interne Revision (dem Präsidenten des Bankrats unterstellt), die externe Revisionsstelle und das eidgenössische Finanzdepartement (EFP).

Der Prüfungsausschuss unterstützt den Bankrat in der Überwachung der internen und externen Revision. Er beurteilt die Angemessenheit und die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems (IKS), insbesondere der Prozesse zum Management der operationellen Risiken und zur Sicherstellung der Einhaltung von Gesetzen, Reglementen und Weisungen (Reglement über den Prüfungsausschuss der SNB). Die Compliance wurde verstärkt durch eine eigenständige Compliance-Stelle (dem Präsidenten des Direktoriums unterstellt) mit Berichterstattung an den Präsidenten des Prüfungsausschusses.

Zum Ausgleich der Unabhängigkeit überträgt das Gesetz der Nationalbank eine dreiteilige Rechenschaftspflicht: gegenüber dem Bundesrat, der Bundesversammlung und der Öffentlichkeit. Im Bereich Finanzstabilität arbeitet die SNB mit der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) zusammen. Die Zusammenarbeit und die Abgrenzung der Aufgaben sind in einem „Memorandum of Understanding“ geregelt (vom 23. Februar 2010). Die SNB übt keine Bankenaufsicht aus und ist nicht zuständig für die Durchsetzung der bankengesetzlichen Vorschriften. Beide Institute haben jedoch gemeinsame Interessen u.a. bei der Beurteilung der Solvenz und Stabilität der systemrelevanten Banken, des Bankensystems insgesamt und der Liquiditäts-, Eigenmittel- und Risikoverteilungsvorschriften, soweit sie die Finanzstabilität betreffen.

Das EFD hat im April 2011 eine Arbeitsgruppe „Finanzstabilität“ beauftragt, die Ausgestaltung der makroprudenziellen Aufsicht über das schweizerische Finanzsystem zu prüfen (Ziele, Zuständigkeiten, Instrumente) und Vorschläge zu deren Verstärkung zu erarbeiten. In ihrem Bericht vom Februar 2012 beurteilt sie die gegenwärtigen Mandate als hinreichend präzise formuliert. Die Aufsicht allein biete jedoch noch keine Gewähr für die Stabilität des Finanzsystems.

Makroprudenzielle Massnahmen zur Risikoeindämmung

Für den Aussenstehenden sind folgende Massnahmen sichtbar oder in ihrer Zielsetzung erkennbar:

  • Der Aufbau notfalltauglicher Strukturen, um im Krisenfall die systemrelevanten Teile in der „Schweiz-AG“ fortzuführen. Die UBS hat die UBS Switzerland AG gegründet (eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der UBS AG mit eigener Banklizenz und getrennter IT-Plattform), die CS die Credit Suisse (Schweiz) AG –  („too big to fail“ Regulierung)
  • Die höhere Eigenkapital-Unterlegung der Banken im Rahmen von „Basel III“ (Kapitalvorgaben in Prozenten der risikogewichteten Aktiven – Eigenmittel-Regime)
  • Schrittweiser Abbau der Staatsgarantien (Kantonalbanken u.a.)
  • Strengere Regulierung zur Liquiditätshaltung
  • Überarbeitung und Reduzierung der Tragbarkeitsrisiken beim Erwerb von Immobilien (Eigenmittelunterlegung)
  • Weitere Stärkung der Kontrollgremien

Nimmt man die Medien zum Massstab, sind die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Gestaltungsmöglichkeit der SNB zu hoch. Und politisch wird mächtig Druck aufgebaut. Keine einfache Sache für die SNB.

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt  …

Ohne irgendeine kritische Qualifikation der Kontrollorgane und -prozesse andeuten zu wollen, sind die Rahmenbedingungen das Eine, die Führung der Banken, die Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung und die gelebte Unabhängigkeit das Andere.

Wer darf sagen, man habe das Ganze – schweizweit und weltweit – noch im Griff? Sogar die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) warnt vor Langzeitschäden aufgrund der expansiven Geldpolitik. Ist es denkbar, dass die Zentralbanken am Ende das Gegenteil bewirken? Mit dem Sinken der Zinsen erodiert auch die Ertragslage der Geschäftsbanken und damit ihre Fähigkeit, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Es mehren sich die Stimmen, die von einem Kollaps des Geldsystems sprechen. Einfacher sei, das viele Geld, das die Zentralbanken zur Deflationsbekämpfung schöpfen, direkt an die Bürger zu verteilen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Geldempfänger gehen einkaufen und stimulieren damit die lahmende Wirtschaft. Die Unternehmer fahren die Produktion hoch, schaffen neue Arbeitsplätze und können aufgrund der steigenden Nachfrage die Preise wieder erhöhen, Ende der Deflation. Zu einfach um wahr zu sein! Und man könnte mit dieser Idee auch Sozialpolitik betreiben. Helikopter bei Unterbeschäftigung, Helikopter über strukturschwache Gebiete, Helikopter zur Wirtschaftsförderung, Helikopter über 1. August-Feiern. Kampfhelikopter, wenn sie das Geld nicht ausgeben, sondern zur Bank tragen.

Up in the Air

Wir warten besser nicht auf Manna vom Himmel. Wir nehmen den Helikopter 1446226und steigen auf in höhere Sphären, um von oben die Wirtschaft (ins) Logo_ImVisier3 zu nehmen. In einer erfolgreichen Wirtschaft wird nur produziert und geleistet, was nachgefragt wird. Hinter jeder Nachfrage steht ein Individuum in seiner Besonderheit, der Konsument (die Konsumentin). Lebt er in einer deflationären Umgebung , schränkt er den Konsum ein. Lebt er in einer stark inflationären Umgebung, verliert er seine Kaufkraft. Es geht immer um ihn, immer um den Konsumenten, nicht um Banken, nicht um Produzenten, nicht um Dienstleister. Der Konsument will Vertrauen, Vertrauen in das Finanzsystem, Vertrauen in die Politiker, Vertrauen in die Wirtschaftsführer. Doch hat er das?

Die Geschäftsbanken sind keine Sympathieträger mehr. Die Grossbanken treten von einem Fettnapf in den nächsten. Die Zentralbank kämpft an allen Fronten. Überall Partikularinteressen, überall Zielkonflikte. Fährt sie die Zinsen hoch, was eigentlich erwünscht wäre, stärkt sie den Schweizer Franken (Safe Haven). Sie kann nicht, sie muss das Gegenteil machen, sie muss die Zinsen drücken, im Notfall unter Null, Strafzinsen. Und um Strafzinsen nicht umgehen zu können, stehen flankierende Massnahmen zur Diskussion: den Bargeldverkehr einschränken oder besser noch ganz verbieten.

Die Frage muss man stellen: Haben die Finanzmärkte überhaupt noch etwas zu tun mit der Realwirtschaft oder führen sie völlig abgehoben und entkoppelt ein Eigenleben? Und ist die auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete Feinsteuerung der Wirtschaft nicht eine gewaltige Illusion, ein Spielfeld für Experten?

Auf Eingriffe folgen Eingriffe, auf Experimente folgen Experimente – und über alles flutet der Euro Tsunami –  Fortsetzung folgt.

16.07.2015/Renzo Zbinden

Manna vom Himmel – Teil 1

Es ist Mittwoch, der 21. Juli 20XX, 08.15 Uhr. Sie öffnen die Post und halten einen Scheck in Ihren Händen – 5‘000 Franken – mit freundlichen Grüssen, die Schweizerische Nationalbank.

Ein schöner Traum? Nicht unbedingt. Es ist eine der letzten verzweifelten Massnahmen, die drohende Deflation zu stoppen, sog. Helikoptergeld. Doch der Reihe nach.

Als Deflation bezeichnet man ein sinkendes allgemeines Preisniveau über einen Zeitraum von mehreren Quartalen. Das Gegenteil – uns gut bekannt – die Inflation ist sinngemäss ein steigendes allgemeines Preisniveau. Ökonomen sind der Ansicht, dass

  • erstens eine Inflationsrate von weniger als 2 Prozent erstrebenswert ist
  • zweitens eine darüber hinausgehende Inflation jederzeit unter Kontrolle gehalten werden kann
  • drittens eine Deflation ungenannter Grösse unter allen Umständen zu verhindern sei

Weshalb ist die Deflation gefährlich?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein Beispiel aus der Konsumgütertechnologie: Fernsehapparate werden immer billiger, trotz zunehmender Leistungsfähigkeit. Preissenkungen dieser Art heben das Realeinkommen der Bevölkerung. Das ist auch der Fall, wenn Importgüter aus Gründen des starken Schweizer Frankens billiger werden. Deflation, die es zu verhindern gilt, hat andere Ursachen: sie ist gefährlich, wenn die Nachfrage nach Gütern dauernd unter der aktuellen Produktionskapazität liegt. Dann erfolgen Preissenkungen, um überhöhte Lager abzubauen. Und in dieser Erwartung verschieben die Konsumenten ihren Kaufentscheid immer wieder, was zu weiteren Preissenkungen und damit verbunden zu Umsatzeinbussen, Gewinneinbussen und Entlassungen führt. Liegt gleichzeitig eine hohe Verschuldung der Haushalte und Unternehmen vor, steigt überdies der reale bezüglich Kaufkraft effektive Wert der Verschuldung. Haushalte und Unternehmer sehen sich gezwungen, Vermögenswerte zu verkaufen, was die Preise noch einmal ins Rutschen bringt. Zahlungsausfälle häufen sich. Die Banken halten Sicherheiten, die zur Deckung der gewährten Kredite nicht mehr ausreichen, Wertberichtigungen drängen sich auf, die Bankenkrise ist da und das Karussel dreht sich weiter bis tief in die Rezession.

Wenn eine Zentralbank die Wirtschaft stimulieren will, senkt sie normalerweise den Leitzins. Die Geschäftsbanken können sich dann bei ihr billiges Geld besorgen, um dieses günstiger an Haushalte und Unternehmen weiterzugeben. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Sinkt der Zinssatz gegen Null, fehlt der anderen Seite der Medaille, dem Geldgeber (ausserhalb der SNB) bzw. dem Anleger der Anreiz, in die Realwirtschaft zu investieren. Das überschüssige, nicht „konsumierte“ Geld wird heimatlos, es bleibt der produktiven Wirtschaft fern.

Dem Kapitalmarkt ist der Kompass abhanden gekommen

Anleger, die höhere Erträge erzielen wollen (oder müssen), sehen sich gezwungen, auch höhere Risiken einzugehen. Und sie finden Alternativen:

Alternativen sind erstens Direktinvestitionen in den Immobiliensektor. Wer heute in Immobilien investieren will, muss tief in die Tasche greifen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Namentlich Institutionelle Investoren sehen sich in einem Anlagenotstand. Die sog. Buy-to-let-Strategy (Kauf von Immobilien zur Weitervermietung) wird mit steigenden Immobilienpreisen immer riskanter. Nicht viel besser ergeht es dem Privatanleger der Wohneigentum erwerben will. Attraktive Wohnobjekte werden immer teurer. Das zeigt sich u.a. am Immobilienindex ImmoScout24/IAZI: Seit Januar 2011 sind Einfamilienhäuser um über 10% gestiegen, Eigentumswohnungen um gegen 20% (Stand 18.6.2015).

Mehr oder weniger bewusst geht der Privatanleger Risiken ein, die er – aufgrund der aktuell tiefen Hypothekarzinsen – unterschätzt. Er rechnet: die Miete für eine  Neubauwohnung in Stadtnähe für eine 4-köpfige Familie beträgt CHF 2’250 monatlich oder CHF 27’000 jährlich (ohne Nebenkosten). Kann er die minimale Eigenfinanzierung aufbringen, stemmt er bei einem Hypothekarzins von 1.5% einen Kaufpreis von CHF 1.8 Mio. plus Eigenkapital. Damit ist er voll im Markt. Und sollte der Hypothekarzins nach Ablauf der Festhypothek gestiegen sein, hat er insofern kein Problem, als er inzwischen Karriere gemacht bzw. Reallohnerhöhungen erhalten hat.

Doch die Risiken sind beträchtlich. Steigt der Hypothekarzins auf 5%, steigt die jährliche Zinsbelastung von CHF 27’000 auf CHF CHF 90’000. Nach Ablauf der Festhypothek verlangt die Bank eine jährliche Amortisation und zusätzlich fallen namhafte Unterhaltskosten an. Geht er später der Pensionierung entgegen, macht sie eine sog. Tragbarkeitsrechnung. Sie rechnet (unabhängig von der möglicherweise immer noch tiefen Zinssituation) eine jährliche Zinsbelastung von 5% und stellt diese in Relation zum Ersatzeinkommen (Renteneinkommen) und Vermögensertrag.

Immer häufiger stellt die Bank eine ungenügende Relation zwischen hochgerechneter Zinsbelastung und Ersatzeinkommen fest. Sie drängt den Haus- oder Wohneigentümer, das Objekt zu verkaufen. Vermutlich sind die heute in den Medien aufgeführten Beispiele noch exemplarische Einzelfälle, doch die Absicht ist klar erkennbar: bei Kreditnehmer vor oder nach Pensionierung Kreditrisiken reduzieren.

Alternativen sind zweitens Investitionen in den Aktienmarkt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Rally der Schweizer Aktien dauert bereits über sechs Jahre. Das deutsche Börsenbarometer DAX ist in den vergangenen drei Jahren um rund 75% gestiegen. Nach Ankündigung des Anleihekaufprogramms der EZB im laufenden Jahr ging es gleich weiter. Per Mitte Juni liegt der DAX rund 15% im Plus. Das Bewertungsnivau ist hoch und ebenso die Volatilität. Paradoxal ist der Gesamtanstieg auch deshalb, weil die Gesamtrisiken im Aktienmarkt stetig zugenommen haben.

Heute sind die Unternehmen selbst aktive Investoren in den Aktienmarkt. Da ihre überschüssigen Mittel im Tiefzinsumfeld kaum Rendite abwerfen, investieren sie ihre Cashflows in eigene Aktien, und nicht in die Realisierung ehrgeiziger Ziele. Damit treiben sie ihre eigenen Aktienkurse zusätzlich in die Höhe.

Alternativen sind drittens Investitionen in Edelmetalle, Rohwaren,  Kunst und exotische Sachwerte (wie Bauernhöfe, Imkereien, Weingüter, Oldtimer und Banknoten).

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Cape Verde 500 Escudos ND (1971), Color Trial 152, unzirkuliert

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Aus einer Meldung der Nachrichtenagentur Bloomberg geht hervor, dass bei Auktionen in New York im Mai 2015 Kunstgegenstände im Wert von $ 2,7 Mrd. verkauft worden sind, ein Plus von 23% gegenüber dem Vorjahr. In Europa noch weniger bekannt sind Investitionen in historische Wertpapiere, Anlage-Münzen und -banknoten. Dazu Investieren_in_Banknoten

Das tiefe Zinsumfeld ist auch für die Zentralbanken auf längere Sicht unerwünscht. Sollten sie die Zinsen wieder erhöhen – der Zins als Steuerungselement der Mittelallokation eine Renaissance erfährt – drohen reale massive Vermögensverluste. Denn letztendlich war das billige Geld unproduktiv investiert. Hoch verschuldete Haus- und Wohneigentümer, Haushalte und Unternehmen geraten dann reihenweise ins Straucheln. Dazu kommen Banken und Versicherungen, deren Hypothekarkredite im fallenden Immobilienmarkt ungenügend gedeckt sind. Bei erodierender Ertragslage der Banken entfällt auch ihre Fähigkeit, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen.

Der Immobilienboom, die Börsenhausse, die Schuldenwirtschaft fordern ihre Opfer. Dabei ist der weltweit aggregierte Schuldenberg grösser als je zuvor.

Die Krise entstand durch niedrige Zinsen und billiges Geld. Die Lösung liegt in noch mehr Geld und in negativen Zinsen.

Es kommt die Zeit von Helikopter Ben – Manna vom Himmel – Teil 2.

20.06.2015/Renzo Zbinden