In der Betriebswirtschafts – und Managementlehre ist es beliebt, fundamentale Zusammenhänge in gut dokumentierten Fallstudien (Business Case Studies) zu analysieren und hieraus funktionsbezogene praktische Lösungen zu erarbeiten und zu diskutieren. Zum Thema Non Compliance wird der Weltkonzern VW lange Zeit ein dankbares Beispiel abgeben.
Der blanke Wahnsinn
Um es zu rekapitulieren: VW rüstet seit Jahren Dieselfahrzeuge mit einer Software aus, die beim Emissionstest auf dem Rollenprüfstand weniger Abgase erzeugt als im Strassenverkehr. Wie geht das?(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Auf diese Weise erreichten die Fahrzeuge Abgas-Grenzwerte, mit denen sie die Zulassung in den USA erhielten. Weltweit sind rund 11 Mio. Fahrzeuge davon betroffen.
Der immense Schaden
Dem einst so mächtigen Konzern drohen gewaltige Kosten, es geht um Milliarden: Rückkäufe, Entschädigungen, Schadenersatzforderungen, Strafen, Umsatzeinbrüche. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz – DSW – will durch einen unabhängigen Sonderprüfer abklären lassen, ob die per Ende Vorjahr bilanzierten Rückstellungen von 16.2 Mrd Euro ausreichen. Zukünftige Kosten fallen an für eine weltweite und schwierige Öffentlichkeitsarbeit gegen den eingetretenen Verlust an Reputation und Kundenvertrauen.
Durch den Kurssturz haben die VW-Aktionäre viel Geld verloren, sie wollen klagen: Grossaktionäre wie amerikanische Pension-Funds und Kleinaktionäre, diese im Verbund über Sammelklagen. Nur das Land Niedersachsen mit 20% der Stammanteile wird sich diplomatisch verhalten müssen. Es leiden auch die vielen Zulieferbetriebe.
Die russige Dieselwelt made in Germany
Wo ein Räuchlein ist, da brennt ein Feuer. Unter Generalverdacht stehen inzwischen fast alle deutschen Autokonzerne(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Nicht nur Fahrzeuginhaber wollen klagen, klagen wollen auch jene, die ihren Lungenkrebs auf den zu hohen Stickoxidausstoss der Dieselmotoren zurückführen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Doch zurück zur Modellpolitik: Durch Umrüstungen und Modellanpassungen verändern sich auch die ursprünglich erzielten (und verkauften) Leistungswerte wie Drehmoment und Höchstgeschwindigkeit. Dass die Konkurrenz es hochspielen will, ist zu erwarten.
Auf einen Schlag ist alles zerstört, was seit Jahren aufgebaut wurde. Die Weltmarke VW ist schwer geschädigt, im Kampf um die Spitze um Jahre zurückgeworfen.
„Wolfsburger, go to begin!“
Den VW Konzern trifft es in einer schwierigen Phase mitten im industriellen Umbruch: das rollende selbstfahrende Eigenheim kurz vor dem Markteintritt mit Technologieführer aus dem Silicon Valley wie Google und Apple als Konkurrenten. Statt die gesparten Milliarden in diesen Kampf werfen zu können wird VW Altlasten bereinigen müssen. Wie konnte das nur passieren, wer ging solche Risiken ein, wer hat alles geschwiegen? Was für eine Führungskultur!
Grössenwahn? Vorstandschef Martin Winterkorn hatte seinem Konzern das Ziel gesetzt, weltweit die Nummer 1 zu werden, mehr Autos zu bauen als Toyota. Man kennt diese offensive Zielsetzung sonst nur von amerikanischen Weltkonzernen, nun war es ein deutscher.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Managementfehler auf oberster Stufe
Eine alte Binsenwahrheit sagt, dass das Aufdecken eines Betrugs zunimmt mit jeder zusätzlichen Person, die daran beteiligt oder Mitwisser ist. Und es waren nicht wenige. Damit war es nur eine Frage der Zeit, bis das Ganze aufflog. Es musste auffliegen. Zwar war es der amerikanische Staat, der die Sache ins Rollen brachte. Es hätte aber ebenso ein Mitarbeiter von VW oder von einem Vertragsunternehmen sein können, der aus Unzufriedenheit oder aus finanziellen Interessen die Initiative ergriffen hätte.
Es waren nicht ein paar skrupellose Mitarbeiter mit verschwommenen Zielsetzungen und Moralvorstellungen, es war die oberste Managementstufe, die wegschaute. Möglich war es, weil eine wirksame Compliance fehlte. Hinzu kommt noch die unprofessionelle Kommunikationspolitik nach Aufdecken des Fehlverhaltens: vertuschen, verharmlosen, Zeit gewinnen. VW ein Einzelfall (neben Siemens und der Deutschen Bank)? In der Schweiz undenkbar? Doch wie war das mit Swissair, oder wie ist das aktuell mit der BSI, der Fifa, den Grossbanken? In allen Fällen stellt sich die gleiche Frage: Wo war die
Compliance?
Der Begriff Compliance beinhaltet die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, regulatorischer Massnahmen und die Erfüllung weiterer, wesentlicher und in der Regel von Unternehmen selbst gesetzter interner Standards und Richtlinien. Die Gesamtheit der Grundsätze, Prozesse und Massnahmen zur Einhaltung der Compliance wird als „Compliance Management System (CSM)“ bezeichnet.
Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) hat folgende Grundelemente eines CSM identifiziert: Compliance-Kultur, -Ziele, -Risiken, – Programme, -Organisation, -Kommunikation und -Verbesserung. Wichtig sind ebenso die Empfehlungen des Wirtschaftsdachverbands Economiesusse im „Swiss Code“ (Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance) sowie für Emittenten von primär- oder hauptkotierten Beteiligungsrechten die Offenlegungspflichten aus den Richtlinien Corporate Governance (RLCG) nach dem umfassenden Grundsatz „comply or explain“. Compliance hat ausserdem die Schnittstellen zu Risk Management, Controlling, interner Revision und external Audit zu berücksichtigen. In solcher Ausführlichkeit ist Compliance eine grosse Herausforderung verbunden mit erheblichen einmaligen und wiederkehrenden Kosten.
Compliance in diesem umfassenden Sinn findet man bei Unternehmen mit hohen Compliance-Risiken, allen voran in der Finanzindustrie (Libor- und Wechselkursmanipulationen, Devisenmarktabsprachen, Hypothekenverbriefungen, Gehilfenschaft bei Steuerbetrug, Geldwäscherei, oder im persönlichen Bereich bei Conflict of Interest, Insider Information and Trading) und in der Pharmaindustrie.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Die Pharmaindustrie sah sich ausserdem in der Defensive bei Schmiergeldzahlungen, Kartellabsprachen und Preismanipulationen. Auch andere Industrien und Gesellschaften verfügen über eine ausgebaute Compliance-Abteilung (wie ABB, Sulzer, Migros). Doch müssten sich auch mittelgrosse Unternehmen mit diesem Thema beschäftigen. Schon die Frage an sich
wo liegen die Compliance-Risiken mit welchen Konsequenzen
öffnet einen Gedankenprozess, der zu erstaunlichen Ergebnissen führen kann. Beispiele: Der Einkaufsprozess mit Rückerstattungen in schwarze Kassen, der Verkaufsprozess mit Überfakturierungen und Kick-Back-Zahlungen auf persönliche Inlandkonten, aggressive Provisions- und Lohnanreizsysteme usw. In der Praxis findet sich alles.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Wer noch kein CSM einführen bzw. dieses in kleinen Schritten über Jahre realisieren will, hat grundsätzlich die Möglichkeit, die wesentlichen Ziele als Initial- und Softmassnahme in einem
Code of Conduct
festzuhalten. Der Code of Conduct enthält unternehmensspezifische Richtlinien bzw. einen Verhaltenskodex, auch „Mission Statement“ genannt in Übereinstimmung bzw. Konkretisierung des Unternehmensleitbildes. Natürlich muss dieser Code of Conduct verständlich und praxisnah verfasst sein. „Wir wollen professionell und ethisch verantwortungsvoll handeln“ oder „Wir wollen für unsere Kunden ein proaktiver, prinzipienstarker Partner sein“ (aus dem Code of Conduct Credit Suisse) gibt eigentlich nichts her. Schon ausführlicher erscheint der Code of Conduct Novartis. Allumfassende Compliance hat auch eine Kehrseite: wer durch bestimmte Verhaltensweisen auffällt, gerät auf das Radar der Compliance-Zuständigen. Wer zum Beispiel keine Ferien bezieht, lange Überstunden macht, privat viel Geld ausgibt – macht sich verdächtig. Seine E-Mails werden nun plötzlich überwacht. Solche Massnahmen gefährden die Mitarbeiterzufriedenheit und dürfen nicht im Vordergrund stehen. Es ist auch zu befürchten, dass die Angehörigen der Compliance-Abteilungen nicht immer richtig damit umgehen können und damit die Unternehmenskultur trüben (in Richtung Überwachungs- und Angstkultur). Und es darf bei allem guten Willen nicht übersehen werden, dass Non Compliance erst auf oberster Führungsstufe zu dramatischen Konsequenzen führt (wie eben bei VW oder früher bei Enron und WorldCom).
Non Compliance Verstösse verfolgen vor allem die amerikanischen Behörden (Panalpina, Credit Suisse, UBS u.a.). Als Folge beschäftigen sich immer mehr globale Unternehmungen mit Compliance, ihre Compliance-Abteilungen werden ausgebaut, Chief Compliance Officers eingestellt, Ethik-Botschaften in Unternehmensleitbild, -kultur und -berichterstattung aufgenommen. Entscheidend für die Wirksamkeit ist jedoch in vielen Fällen wie man mit Whistleblowers umgeht. Betrachtet man sie in erster Linie als Verräter, die man irgendwie auffangen muss um Schlimmeres zu verhüten, wird es nicht funktionieren. Entscheidend kann auch sein, wo die Whistleblower-Hotline hinführt. Als Empfänger falsch wäre die Rechts-, Finanz- oder Personalabteilung. Bei kotierten Gesellschaften ideal wäre der Präsident des Audit-Committee, in Einzelfällen der Präsident des Verwaltungsrats.
Compliance als Thema ist im Aufwind, eine eigentliche Compliance-Industrie macht sich breit, Beratungsunternehmen und Universitätsinstitute entdecken die neue Nachfrage und sind mit Analysen, Strategien, Compliance-Programmen und -konserven im Markt. Doch wichtige Meilensteine kann man selbst erreichen, vieles hat mit Ethik zu tun und mit der Vorstellung, wie man mit Kunden umgehen will. Ist es richtig, dass Retourflüge der Swiss ab Zürich gebucht teurer sind als umgekehrt? Als Beispiel kostet Zürich-Malaga-Zürich volle 56% mehr als Malaga-Zürich-Malaga (SonntagsBlick vom 29.05.2015).
Und dabei sind wir beim nächsten Thema: Hochpreisinsel Schweiz – die grosse Abzocke. Demnächst
08.06.2016/Renzo Zbinden
Abgesehen davon, dass der Autor die „Technik“ als sozialer Knecht und Treiber der Gesellschaft ausblendet, darf nicht vergessen werden, dass vor ca. 20 Jahren eine Renaissance der (deutschen) Verbrennungskraftmaschinentechnologie ( basierend auf Benzin-Otto-Motor und Diesel-Motor) eingeleitet wurde und sich weltweit durchgesetzt hat. Die USA-Industrie empfindet dies als schweren politischen Affront und reagiert mit AUFSICHTSbehördlichen Strafaktionen mittels Staatsanwälten, Geschäftsschädigungen, pauschalen Betrugsvorwürfen, Bussen etc. Dagegen hilft dann auch der beste „Code of Conduct“ von VW oder anderen Motorenherstellern nichts!