Hochpreisinsel Schweiz Teil 1: Wischiwaschi im Schattentheater

Unvergesslich: In den frühen 70er-Jahren hat Paul Stocker, Professor für Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Universität Bern in seiner Einführung in die Volkswirtschaftslehre von der Schweiz als dem Eldorado der Kartelle gesprochen. Wenn das so war zu jener Zeit, was waren die Folgen, über vierzig Jahre später? Heute stehen wir auf einer beängstigenden Hochpreisinsel!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wobei nicht die absolute Höhe der Preise die Tragödie ist, sondern die relative gemessen am Festland. Um drei Beispiele zu nennen: Bei uns sind gemäss Preisbarometer des Konsumentenschützers

  • Nahrungsmittel 32 bis 37%
  • Zeitschriften und Kosmetikprodukte rd 70%
  • rezeptfreie Medikamente bis zu 7 Mal

teurer als im grossen Kanton (Deutschland).

In einer Antwort auf einen Vorstoss von SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer zum Thema „Erodiert die Mittelschicht?“ kommt der Bundesrat zum Schluss, dass im Vergleich zu den EU-Kernländern (EU15) die Preise in der Schweiz (im Jahr 2013) durchschnittlich um 41.4% höher waren. Unglaublich, und doch wenig kommentiert!

Da wurde ein halbes Jahrhundert lang lobbyiert, gemobbt, gestochen und gefightet, geschwiegen, getäuscht und gelogen, Besserwisser mit Gutachten zugemüllt, stumpfe Messer wie Konsumentenschutz und Preisüberwacher idealisiert. Das Wischiwaschi unserer Wirtschaftspolitiker und Lobbyisten war ein Graus, eine Schande und nimmt kein Ende. Noch vor kurzem hat die NZZ in einer Folge von Artikeln die Meinung vertreten, Preisabsprachen (vertikale) zwischen Herstellern und Händlern seien sinnvoll. Und unser Parlament lässt sich herumschieben von links nach rechts und wieder zurück, je nach Teilaspekt und Stärke der im Augenblick vorherrschenden Partikularinteressen, ein Parlament notabene mit bürgerlicher Mehrheit!

Da wird die Frankenstärke thematisiert und dramatisiert. Hinz und Kunz sprechen heute von den Auswirkungen des teuren Schweizer Frankens auf die Konkurrenzfähigkeit der Exportindustrie, der Nationalbank wird Untätigkeit oder gar Unfähigkeit unterstellt, Scheingefechte geführt in einem absurden Schattentheater. Und verlogen argumentiert: Solange die Schweizer Konsumenten die hohen Preise mit den hohen Löhnen bezahlen können ist doch eigentlich alles in Ordnung. Oder verkehrtherum: was nützen den Konsumenten im Ausland die tiefen Preise bei ihren tiefen Löhnen. Alles paletti Schweizer, kein Grund zur Sorge! Die Kaufkraft ist entscheidend, wir sorgen dafür, dass du angemessen entlöhnt wirst.

Ein Brett vor dem Kopf?

Die hohen Löhne gehen in die hohen Lohnkosten der Exportindustrie ein und katapultieren uns aus dem Weltmarkt, Arbeitsplätze gehen verloren. Dabei stellt sich naheliegend die wichtige Frage, inwiefern die hohen Löhne selbst die Ursache für die hohen Preise sind bzw. in welchem Verhältnis die hohen Löhne und weitere Ursachen bestimmend sind für die hohen Preise.

Der Bundesrat schreibt (in der erwähnten Antwort, S.16):(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Generell lässt sich festhalten, dass höhere Preise nicht zwangsläufig das Ergebnis eines im internationalen Vergleich hohen Lohnniveaus sein müssen. Sowohl die längere Wochenarbeitszeit als auch die im europäischen Vergleich hohe Arbeitsproduktivität erlauben ein höheres Lohnniveau in der Schweiz. Die höheren Preise dürften damit weniger Ausdruck eines hohen Lohnniveaus, sondern insbesondere auch das Resultat einer hohen Kaufkraft der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten sein, welche die Produzenten und Händler abzuschöpfen wissen.“

Fleiss, Zuverlässigkeit, Effizienz- und Qualitätsbewusstsein sind sicher Vorteile. Sie können aber nicht ins Unendliche gesteigert werden, und fleissig sind auch andere. In der Antwort des Bundesrates aufschlussreich ist hingegen das „insbesondere“:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nicht die Eingriffe in die freie Wirtschaftsordnung, nicht die Strukturerhaltungspolitik und keine Partikularinteressen sind Schuld, meint der Bundesrat, sondern die (raffgierigen) Produzenten und Händler, welche die Kaufkraft der Konsumenten (wie Sahne) abschöpfen. – Wenn man sie lässt, vermutlich schon, wie in jüngster Zeit das Beispiel Weitergabe der Währungsgewinne deutlich aufzeigt!

Welche Preistreiber?

Es ist vermutlich schwierig, eine Reihenfolge nach Wirksamkeit allumfassend bzw. allgemeingültig empirisch zu belegen. Unsere im Vergleich zum Ausland geringere Intensität des Wettbewerbs (infolge Strukturerhaltung und Kartellabsprachen) kann nicht alleine Ursache sein, wie vielleicht vermutet werden könnte. Partikularinteressen (an hohen Preisen) spielen ebenso eine wichtige Rolle. Wenig bestritten ist die Auffassung, je reicher eine Volkswirtschaft (wie die schweizerische), desto einfacher lassen sich Preiserhöhungen durchsetzen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der hohe Wohlstand bewirkt eine tiefe Preiselastizität der Nachfrage (je höher die Preiselastizität, desto stärker reagiert die Menge auf die Preisänderung). Leicht einsichtbar am Fahrzeugverkauf: Schweizer kaufen im Gegensatz zu Konsumenten benachbarter Staaten leistungsstärkere Fahrzeuge mit mehr Ausstattungs-Optionen – es darf ruhig ein wenig mehr kosten! BMW konnte es sich beispielsweise leisten, seine Fahrzeuge 33 Prozent teurer zu verkaufen als in Deutschland (der Fall BMW – vertikale Preisabsprache – ist vor Bundesgericht hängig). Der BMW Käufer nahm es hin.

Preistreibend ähnlich den Kartellabsprachen sind politisch erzwungene Hindernisse im internationalen Handel wie Zölle (im Rahmen der Agrarpolitik), technische und andere Sondervorschriften (um Parallelimporte zu verhindern) und nicht zuletzt die relativ hohen Produktionskosten im Inland ausserhalb der Lohnkosten aus hoher Regulierung und Bürokratisierung (gewollt und heftig verteidigt), nebst hohen Boden- und Mietpreisen. Ein ganzer Mix von Ursachen, der einfache Lösungen ausschliesst und einen politischen Konsens als Lösungsansatz voraussetzt. Hoffnung auf Preissenkung kam schliesslich auf mit dem Auftreten externer Faktoren.

Der Markteintritt von Aldi und Lidl – die dritte Kraft – sollte es richten

Migros und Coop wirkten lange Zeit oligopolähnlich im Markt der Lebensmittel, sie teilten sich die Märkte auf und taten sich nicht übermässig weh(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Darf man sich fragen, wie hoch die Gewinne aus oligopolähnlicher Struktur der Schweizer Discounter in all den Jahren waren (eine Art Konsumentenrente aus Marktmacht) oder schlachtet man dabei heilige Kühe? Das Kulturprozent der Migros in Ehren, aber war und ist es Aufgabe eines Schweizer Discounters, Kulturpolitik zu betreiben? Wäre es nicht angebrachter, den Konsumenten (und Genossenschaftern) weniger Geld aus der Tasche zu ziehen? Auf jeden Fall fiel auf wie es plötzlich möglich war, die Preise massiv zu senken und dabei immer noch Gewinne auszuweisen.

Kommen neu deutsche Hard-Discounter dazu (heute vor rund 10 Jahren), als dritte Kraft, werden die Preise sinken, so die damals vorherrschende Meinung. Und tatsächlich, vor Eintritt der Deutschen sanken die Lebensmittelpreise massiv, und als flankierende Abwehrmassnahme bildeten beide Schweizer Discounter eine Billiglinie (M-Budget und Prix-Garantie).  Die Warnungen „liberaler“ Wirtschaftspolitiker waren nicht zu übersehen: Preiskrieg, eine Verarmung des Sortiments, eine Konzentration auf Schnelldreher, eine Abnahme an Qualität, Frische und Dienstleistung. Ist das passiert? Oder war es nicht so, dass die Schweizer Discounter die Qualität gesteigert haben, Bio- und Fair-Trade Label einführten, Premium-Produkte? Und auf der anderen Seite Aldi und Lidl die Swissness (Brotausback-Stationen in den Filialen) und die hohe Qualität pflegten (Aldi-Produkte erhielten von den Konsumentenorganisationen immer wieder die Auszeichnung „Kauftipp“). In der Retrospektive hat sich nicht Wesentliches verändert und kaum überwiegend im negativen Sinne. Der Preisdruck der letzten Jahre kam weniger aus dem Konkurrenzverhalten und mehr aus der Frankenstärke. Relativ zum Ausland steht die Hochpreisinsel Schweiz unverändert da. Ein Beispiel gefällig?

Der Einkaufstourismus ist unleugbar und legt die Probleme schonungslos offen

Dass die Hochpreisinsel Schweiz weiter besteht, sieht jeder Schweizer spätestens dann, wenn er ein Aldi-Produkt auf das Kassenband legt, einmal in der Schweiz und einmal im Ausland. Machen Sie es!

Die Schweizer Konsumenten in Grenznähe handeln, Appelle an die Fairness prallen ab. Einerseits überzeugen die Argumente nicht und andererseits will man sie nicht befolgen. Die Zunahme der Kaufkraft der Schweizer Konsumenten in den letzten Jahren aufgrund der Frankenstärke begünstigt den Einkaufstourismus zusätzlich. Je nach Datenquelle sollen die Schweizer Konsumenten im Jahr 2015 Einkäufe von bis zu 11 Mia Franken im grenznahen Ausland vorgenommen haben, ein Vielfaches der Umsätze von Aldi und Lidl (nach GfK im Jahr 2014 zusammen rund 2.6 Mia Franken).

Damit die Preise fallen, müssten die Discount- und Detailhändler die gleichen Möglichkeiten haben, im Ausland einzukaufen (Parallelimporte).

Und da wäre noch das Faktum, dass viele Preise gar nicht über den Wettbewerb bestimmt werden, sondern direkt oder indirekt über den Staat (administrierte Preise überall, beim öffentlichen Verkehr, bei der Post, beim Gesundheitswesen). Wir sind beim Agrarsektor (Zölle) und bei den kantonalen Bau- und Umweltvorschriften, bei den Regulierungskosten und Verpackungsvorschriften, bei der Gebühren- (von den Radio- und Fernsehgebühren bis zum Abfallsack) und Steuerpolitik (Auswirkungen der Steuerprogression). Wer hat eigentlich ein Interesse daran (ausser der Exportindustrie), die Hochpreisinsel Schweiz zu schleifen?

Und dann sind wir bei den Schweizer Konsumenten ohne Lohnausgleich, bei den Rentnern: sie steigen immer mehr in die Holzklasse und verlassen die Schweiz.

Cabin2Einmal in Pension mit Renten ohne Teuerungsausgleich, was ausserhalb der staatlicher Betriebe die Regel ist, müssen immer mehr Rentner ins Ausland, da die Schweiz zu teuer geworden ist.

Zwar haben wir heute keine Teuerung (die Massgeblichkeit des Konsumentenpreisindexes ist ein späteres Thema), doch was auf uns zukommt aufgrund der gegenwärtigen Geld- und Währungspolitik schweiz- und weltweit gibt Anlass zu Sorge. Ist die Wettbewerbspolitik der Schweiz die richtige Anwort auf die zukünftigen Probleme? Hat sie nicht in der Retrospektive total versagt? Und ist die Agrarpolitik von heute nicht ein trauriges Beispiel für die Wahrung von Partikularinteressen.  Demnächst

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Hochpreisinsel Schweiz Teil 2: Gemeinsam voll in die Klötze

09.08.2016/Renzo Zbinden

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