Manna vom Himmel – Teil 2

Bei null Komma null null Prozent Zinsen erreicht die expansive Geldpolitik einen ersten Zwischenhalt. Jetzt sind neue Ideen gefragt. Warum nicht gleich die Notenpresse in Gang setzen. Der dafür zutreffende ökonomische Begriff ist schnell gefunden, er ist putzig und liebenswert: monetäre Lockerung – Quantitative Easing (QE). Und der wegweisende Vollstrecker: Helikopter Ben.

Ben Bernanke, von 2006 bis 2014 Vorsitzender der US-Notenbank, hat sich den Kampf gegen die Deflation zur Lebensaufgabe gemacht. Die amerikanische Notenbank (Fed) und in ihrer Gefolgschaft die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of Japan und jetzt auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) ergreifen aus historischer Sicht beispiellose Massnahmen, um die Schlacht gegen die Deflation zu gewinnen.

QE – das grösste geldpolitische Experiment aller Zeiten

NYQE-Massnahmen bestehen im direkten Ankauf von Wertpapieren durch die Zentralbank (Staatsanleihen u.a.), um damit neues Geld in die Finanzmärkte zu pumpen. Historisch einmalig sind die Dimensionen (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dem Q3 der US-Zentralbank voraus gingen die Programme Q1 (Dezember 2008) und Q2 (Juni 2011). Q3 hatte zum Ziel, monatlich 40 Mia Dollar hypothekengesicherte Wertpapiere (MBS) und 45 Mia Dollar längerfristige US-Staatsanleihen zu kaufen, bis sich der US-Arbeitsmarkt verbessert. Nach einer Reduktion auf 10 Mia Dollar pro Monat beendete die US-Zentralbank ihr Programm im Oktober 2014 – während die EZB damit wieder anfing.

Verblüffend ist, dass das europäische Pendant insgesamt grösser ist als jedes der amerikanischen QE-Programme. Die EZB will ab März 2015 Monat für Monat Staatsanleihen und sonstige Wertpapiere (Pfandbriefe und Hypothekenpapiere – ABS) im Umfang von 60 Mia Euro kaufen. Insgesamt erreicht das QE-Programm ein Volumen von unglaublichen 1’140 Mia bzw. 1,14 Billionen Euro.

Auch die SNB spricht von Lockerung der monetären Bedingungen. Sie kündigt im März 2009 an, Fremdwährungen und Anleihen zu kaufen. Zu ihrem Ziel gehöre auch die Verhinderung einer weiteren Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro.

Weltweit ist die Ausdehnung der Geldmenge durch die Zentralbanken gewaltig. Aus Erfahrung wird es nicht gelingen, die Geldmenge bei Erreichen der Ziele rechtzeitig und umfassend wieder zu reduzieren. Auch können die Zentralbanken niemanden zwingen, das viele Geld, das sie in die Finanzmärkte pumpen, dann auch zu konsumieren. Wer trägt die moralische Verantwortung, wenn das Experiment scheitert, die ultralockere Geldpolitik zum Desaster wird? Wer kümmert sich um die Risikowahrnehmung und -steuerung dieser gigantischen Eingriffe in die Finanzwirtschaft?

Risk Monitoring

Landen wir in einer Inflationsspirale, wie einige befürchten? Zwar hat gemessen am Konsumentenpreisindex bisher kein nennenswerter Anstieg der Inflation stattgefunden. Jedoch zeigen die in Teil 1 (Manna vom Himmel) erwähnten Anlagealternativen (Immobilien, Aktien und Sachwerte) in gewisser Weise eine Vermögenspreisinflation. Dass diese Art Inflation aus keiner Statistik hervorgeht beweist einmal mehr, wie irreführend der Konsumentenpreisindex als alleiniger Massstab für die Inflation sein kann.

Die Sicherstellung der Preisstabilität bzw. eine auf Preisstabilität fokussierte Geldpolitik ist Aufgabe der SNB (Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Die SNB führt als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik des Landes. Sie muss sich gemäss Verfassung und Gesetz vom Gesamtinteresse des Landes leiten lassen, als vorrangiges Ziel die Preisstabilität gewährleisten und dabei der konjunkturellen Entwicklung Rechnung tragen. Damit setzt sie grundlegende Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Wirtschaft“.

Die SNB sieht die Preisstabilität als gewährleistet bei einem Anstieg der Konsumentenpreise von weniger als 2 Prozent pro Jahr. Da die SNB damit eine öffentliche Aufgabe erfüllt, wird sie gemäss Verfassung unter Mitwirkung und Aufsicht des Bundes verwaltet. Sie ist als spezialgesetzliche AG konstituiert. Die rechtliche Rahmenordnung resultiert aus dem Bankengesetz (BankG), dem Nationalbankgesetz (NBG), der Nationalbankverordnung und dem Börsengesetz. Die Kontrollgremien innerhalb der SNB entsprechen den Erwartungen und sind beachtlich (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dazu gehören der Bankrat (beaufsichtigt und kontrolliert die Geschäftsführung, setzt einen Prüfungs- und einen Risikoausschuss ein), die Generalversammlung (wobei ihre Befugnisse geringer sind als bei privatrechtlichen Aktiengesellschaften), die interne Revision (dem Präsidenten des Bankrats unterstellt), die externe Revisionsstelle und das eidgenössische Finanzdepartement (EFP).

Der Prüfungsausschuss unterstützt den Bankrat in der Überwachung der internen und externen Revision. Er beurteilt die Angemessenheit und die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems (IKS), insbesondere der Prozesse zum Management der operationellen Risiken und zur Sicherstellung der Einhaltung von Gesetzen, Reglementen und Weisungen (Reglement über den Prüfungsausschuss der SNB). Die Compliance wurde verstärkt durch eine eigenständige Compliance-Stelle (dem Präsidenten des Direktoriums unterstellt) mit Berichterstattung an den Präsidenten des Prüfungsausschusses.

Zum Ausgleich der Unabhängigkeit überträgt das Gesetz der Nationalbank eine dreiteilige Rechenschaftspflicht: gegenüber dem Bundesrat, der Bundesversammlung und der Öffentlichkeit. Im Bereich Finanzstabilität arbeitet die SNB mit der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) zusammen. Die Zusammenarbeit und die Abgrenzung der Aufgaben sind in einem „Memorandum of Understanding“ geregelt (vom 23. Februar 2010). Die SNB übt keine Bankenaufsicht aus und ist nicht zuständig für die Durchsetzung der bankengesetzlichen Vorschriften. Beide Institute haben jedoch gemeinsame Interessen u.a. bei der Beurteilung der Solvenz und Stabilität der systemrelevanten Banken, des Bankensystems insgesamt und der Liquiditäts-, Eigenmittel- und Risikoverteilungsvorschriften, soweit sie die Finanzstabilität betreffen.

Das EFD hat im April 2011 eine Arbeitsgruppe „Finanzstabilität“ beauftragt, die Ausgestaltung der makroprudenziellen Aufsicht über das schweizerische Finanzsystem zu prüfen (Ziele, Zuständigkeiten, Instrumente) und Vorschläge zu deren Verstärkung zu erarbeiten. In ihrem Bericht vom Februar 2012 beurteilt sie die gegenwärtigen Mandate als hinreichend präzise formuliert. Die Aufsicht allein biete jedoch noch keine Gewähr für die Stabilität des Finanzsystems.

Makroprudenzielle Massnahmen zur Risikoeindämmung

Für den Aussenstehenden sind folgende Massnahmen sichtbar oder in ihrer Zielsetzung erkennbar:

  • Der Aufbau notfalltauglicher Strukturen, um im Krisenfall die systemrelevanten Teile in der „Schweiz-AG“ fortzuführen. Die UBS hat die UBS Switzerland AG gegründet (eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der UBS AG mit eigener Banklizenz und getrennter IT-Plattform), die CS die Credit Suisse (Schweiz) AG –  („too big to fail“ Regulierung)
  • Die höhere Eigenkapital-Unterlegung der Banken im Rahmen von „Basel III“ (Kapitalvorgaben in Prozenten der risikogewichteten Aktiven – Eigenmittel-Regime)
  • Schrittweiser Abbau der Staatsgarantien (Kantonalbanken u.a.)
  • Strengere Regulierung zur Liquiditätshaltung
  • Überarbeitung und Reduzierung der Tragbarkeitsrisiken beim Erwerb von Immobilien (Eigenmittelunterlegung)
  • Weitere Stärkung der Kontrollgremien

Nimmt man die Medien zum Massstab, sind die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Gestaltungsmöglichkeit der SNB zu hoch. Und politisch wird mächtig Druck aufgebaut. Keine einfache Sache für die SNB.

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt  …

Ohne irgendeine kritische Qualifikation der Kontrollorgane und -prozesse andeuten zu wollen, sind die Rahmenbedingungen das Eine, die Führung der Banken, die Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung und die gelebte Unabhängigkeit das Andere.

Wer darf sagen, man habe das Ganze – schweizweit und weltweit – noch im Griff? Sogar die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) warnt vor Langzeitschäden aufgrund der expansiven Geldpolitik. Ist es denkbar, dass die Zentralbanken am Ende das Gegenteil bewirken? Mit dem Sinken der Zinsen erodiert auch die Ertragslage der Geschäftsbanken und damit ihre Fähigkeit, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Es mehren sich die Stimmen, die von einem Kollaps des Geldsystems sprechen. Einfacher sei, das viele Geld, das die Zentralbanken zur Deflationsbekämpfung schöpfen, direkt an die Bürger zu verteilen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Geldempfänger gehen einkaufen und stimulieren damit die lahmende Wirtschaft. Die Unternehmer fahren die Produktion hoch, schaffen neue Arbeitsplätze und können aufgrund der steigenden Nachfrage die Preise wieder erhöhen, Ende der Deflation. Zu einfach um wahr zu sein! Und man könnte mit dieser Idee auch Sozialpolitik betreiben. Helikopter bei Unterbeschäftigung, Helikopter über strukturschwache Gebiete, Helikopter zur Wirtschaftsförderung, Helikopter über 1. August-Feiern. Kampfhelikopter, wenn sie das Geld nicht ausgeben, sondern zur Bank tragen.

Up in the Air

Wir warten besser nicht auf Manna vom Himmel. Wir nehmen den Helikopter 1446226und steigen auf in höhere Sphären, um von oben die Wirtschaft (ins) Logo_ImVisier3 zu nehmen. In einer erfolgreichen Wirtschaft wird nur produziert und geleistet, was nachgefragt wird. Hinter jeder Nachfrage steht ein Individuum in seiner Besonderheit, der Konsument (die Konsumentin). Lebt er in einer deflationären Umgebung , schränkt er den Konsum ein. Lebt er in einer stark inflationären Umgebung, verliert er seine Kaufkraft. Es geht immer um ihn, immer um den Konsumenten, nicht um Banken, nicht um Produzenten, nicht um Dienstleister. Der Konsument will Vertrauen, Vertrauen in das Finanzsystem, Vertrauen in die Politiker, Vertrauen in die Wirtschaftsführer. Doch hat er das?

Die Geschäftsbanken sind keine Sympathieträger mehr. Die Grossbanken treten von einem Fettnapf in den nächsten. Die Zentralbank kämpft an allen Fronten. Überall Partikularinteressen, überall Zielkonflikte. Fährt sie die Zinsen hoch, was eigentlich erwünscht wäre, stärkt sie den Schweizer Franken (Safe Haven). Sie kann nicht, sie muss das Gegenteil machen, sie muss die Zinsen drücken, im Notfall unter Null, Strafzinsen. Und um Strafzinsen nicht umgehen zu können, stehen flankierende Massnahmen zur Diskussion: den Bargeldverkehr einschränken oder besser noch ganz verbieten.

Die Frage muss man stellen: Haben die Finanzmärkte überhaupt noch etwas zu tun mit der Realwirtschaft oder führen sie völlig abgehoben und entkoppelt ein Eigenleben? Und ist die auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete Feinsteuerung der Wirtschaft nicht eine gewaltige Illusion, ein Spielfeld für Experten?

Auf Eingriffe folgen Eingriffe, auf Experimente folgen Experimente – und über alles flutet der Euro Tsunami –  Fortsetzung folgt.

16.07.2015/Renzo Zbinden