Steuern Schweiz Teil 2: Die Leistungsträger
Sie erinnern sich: Rodolfo Buletti aus Cadro (Gemeinde Lugano seit 2014) hat Steuern hinterzogen. Das gegen ihn eröffnete Verfahren hat sich in die Länge gezogen. Zurück bleibt für ihn das Gefühl, Unrechtes erfahren zu haben. So seien die Nach- und Strafsteuern unverhältnismässig gewesen (ein Mehrfaches der hinterzogenen Steuern). Seither misstrauisch verhält sich auch die Steuerverwaltung. Sie will neuerdings alles belegt haben.
Die modernen Steuernomaden ziehen weiter
Als ihm sein Arbeitgeber (eine grosse Versicherungsgesellschaft) die Möglichkeit eröffnet, in Bern zu arbeiten, sogar noch verbunden mit einer Beförderung, beginnt er zu rechnen. Mit folgenden steuerrelevanten Daten:(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Steuerbares Einkommen p.a. insgesamt CHF 250’000, steuerbares Vermögen (inklusive Steuerwert der Liegenschaft Cadro) CHF 900’000. Damit ist er noch nicht bei den Grossverdienern und weit davon entfernt, sich reich zu fühlen. Nach seiner Meinung gehört er zum oberen Mittelstand. Für die Steuervergleichsrechnung stehen ihm verschiedene Modellrechner zur Verfügung. Er wählt den Steuerrechner der homegate-Plattform und kommt zu folgendem Ergebnis:
Rodolfo Buletti bezahlt in der Gemeinde Lugano Steuern (Kanton, Bund, Kirche) im Betrage von CHF 72’700. Zieht er nach Bern, bezahlt er CHF 82’200 (CHF 9’500 oder 13,1% mehr). Seine in Aussicht gestellte Lohnerhöhung ginge zum grossen Teil an die Steuerverwaltung. Wie wäre es, wenn er statt nach Bern noch Zug ziehen dürfte?
In Zug bezahlt er noch CHF 48’700 (33.0% oder CHF 24’000 weniger), eine massive Steuerentlastung!(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Rodolfo Buletti „spart“ in Zug jedes Jahr CHF 24’000 an Steuern! Reinvestiert er diese Steuerersparnis über Jahre kommt er auf diese Weise auf ein stattliches Vermögen. In Lugano wäre es verloren.
Glas Klar zügelt
Lassen wir im Vergleich noch Glas Klar zügeln, Informatiker, ledig, keine Kinder, keine Konfession, kein Vermögen, als Mieter wohnhaft in Bern, mit folgenden steuerbaren Daten: Nettoeinkommen CHF 110’000, Berufs- und Sozialabzüge CHF 10’000, steuerbares Einkommen p.a. insgesamt CHF 100’000.
In Bern bezahlt er Steuern von CHF 24’700, in Zürich wären es noch CHF 18’700 (24,3% weniger). Zieht er von Bern nach Zug sind es noch CHF 13’200 (oder 46,5% weniger!).
Diese Steuervorteile irritieren. Steuerpflichtige aus den Hochsteuerkantonen wünschen eine Steuerharmonisierung, vermutlich verbunden mit der Hoffnung, die persönliche Steuerbelastung auf diese Weise zu reduzieren. Auch die Linke fordert eine Steuerharmonisierung, nur geht diese in Richtung einer Lückenschliessung zu den Hochsteuerkantonen. Das ist nicht das Gleiche, überhaupt nicht!
Nur wenige sind sich der massiven Unterschiede bewusst. Massgebend für die Wohnsitzwahl sind andere Faktoren, wie die Höhe der Mietkosten (da weiss man Bescheid bis hinab auf die Quartiere), die Entfernung zum Arbeitsort, die Umgebung und andere. Dabei wäre die Berechnung der Steuerbelastung ohne nähere Kenntnis der Steuersätze (und deren Anwendung) mit Hilfe des Internet keine Herausforderung.
Comparis hilft Ihnen, die unterschiedliche Steuerbelastung zu berechnen. Unter vielen anderen stellt auch noch die Bundesverwaltung einen Steuerrechner zu Verfügung. Der Umzug (datahaus Demo Version) kann sich lohnen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Konzernzentralen ziehen nicht nach Bern
Noch vor wenigen Wochen – im Zusammenhang mit der Unternehmungssteuerreform III – fanden sich querbeet Hinweise auf das Kriterium „Standortvorteile“ für zuziehende Unternehmen. Mehrheitlich war man der Auffassung, die Steuerbelastung als Kriterium sei wichtig, wenn auch nicht ausschlaggebend. Im Rückblick gesehen war merkwürdig, dass kaum jemand auf den Entscheidfindungsprozess auf Stufe Konzernspitze hingewiesen hat.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Wieso in aller Welt sollten sie nach Bern ziehen? Ein wirtschaftliches Randgebiet, nicht unbedingt als unternehmerfreundlich bekannt. Zwar wunderschön, doch im harten Kampf um die Konkurrenzfähigkeit ungeeignet.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Bern, eine Verwaltungsstadt, fernab der technischen Speerspitze. Wie dramatisch ist der Talentabfluss (Braindrain) in Richtung Grossregion Zürich? Und wer greift korrigierend ein? Niemand?
Steuerfallen für Grossverdiener
Grossverdiener mit einem steuerbaren Einkommen über CHF 300’000 meiden die Spitzenbelastungen. Spitzensteuersätze finden sich in den Zentrumsstädten Basel (37,5%), Zürich (40,0%), Bern (41,4%) und Genf (45,0%) – (Der Mythos vom Steuerparadies Schweiz, Hansueli Schöchli, NZZ vom 31. Januar 2017). Zu diesen Spitzensteuersätzen kommen bei Grossverdienern noch die AHV- und die IV-Beiträge hinzu von insgesamt rund 10% sowie das Solidaritätsprozent für die Arbeitslosenversicherung (und allenfalls die Kirchensteuer). Zieht man auch noch die Vermögensertrags- und die Vermögenssteuern hinzu (Steuern Schweiz Teil 1) liegen wir bei den steuerlich gefürchteten skandinavischen Hochsteuerländer (52 bis 57%, diese teilweise inklusive Krankenversicherungsprämien). Die Wissenden ziehen weiter in steuervorteilhafte Gebiete, die Politiker schauen weg und schweigen.
In einer Demokratie sind es immer die Minderheiten, die zur Kasse gebeten werden, wie hier eben die Grossverdiener. Der Mehrheit kann es nur Recht sein.(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Wer im Kanton Bern defekte oder verschmutzte manuelle Sonnenstoren durch elektrische ersetzt, muss damit rechnen, dass die Hälfte dieser „Unterhaltskosten“ steuerlich aufgerechnet wird. Oder die geltend gemachten Kosten für das neue Dusch-WC, welches das alte ersetzt, werden zu einem Drittel aufgerechnet (Komfortverbesserung). „Vor dem Gesetz sind alle gleich“ hört der Steuerberater beim Versuch, auf die Proportionen „aufgerechnete Kosten zu steuerbarem Einkommen“ hinzuweisen.
Eine gewisse Kulanz gegenüber Grosssteuerzahler (als natürliche Personen) ist politisch nicht vertretbar. Die Linke will keine Steuergeschenke machen, die ewigen Neider wollen den harten Vollzug sehen und einige Journalisten warten nur auf willkommene Schlagzeilen. Überdies müssen die Steuerexperten der Veranlagungsbehörden fürchten, zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn sie Verständnis zeigen und Hand bieten für einen Kompromiss. Und dass vor dem Gesetz alle gleich sind stimmt grundsätzlich nicht und bei Steuerpflichten im Besonderen.
Die schönsten Aussichten den Pauschalierten
„Luftig“ wäre ein schönes Zweitdomizil, blauer Himmel, Wintersport, Sommerwanderungen, gepflegte Umgebung, Diskretion, Ruhe. Sie werden es sich nicht leisten können
Wer kennt sie nicht, die Superreichen. Sie verlassen ihr Heimatland und kommen in die Schweiz um Steuern zu sparen. Hier werden sie nach dem „Lebensaufwand“ besteuert (und nicht mehr nach dem Welteinkommen und dem Weltvermögen wie zuhause). Aufwandbesteuerung oder Pauschalbesteuerung nennt sich das. Da man den effektiven Lebensaufwand nicht kennen will (man macht sich schon gar nicht die Mühe darüber nachzudenken), dient der Eigenmietwert der Wohnstätte bzw. ein Mehrfaches davon als Basis für die Steuerveranlagung. Die Steuerersparnis kann märchenhaft sein. Natürlich müssen Interessenten bestimmte Anforderungen erfüllen (wie kein Erwerbseinkommen aus der Schweiz).
Es geht hier nicht darum, ob die offizielle Schweiz den Steuerflüchtlingen helfen oder aus Rücksicht auf die Heimatländer ein solches Verhalten verhindern soll. Und richtig ist es, dass auch andere Staaten ähnliche Lösungen anbieten(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Nein, es geht hier darum ob es ethisch vertretbar ist, dass die Schweiz den hier ungeschränkt Steuerpflichtigen schlechter behandeln soll als den reichen Ausländer auf der Steuerflucht. „Ich die Schweiz bin ein Schlitzohr und nehme von diesen Leuten was ich kriege“, jetzt unabhängig vom Leistungsprinzip, ohne Rücksicht auf die allgemeine Steuerpraxis. Einfach als Ausnahme (wobei je nach Kanton die Ausnahmen zahlreich sind). Der Pauschalierte schafft Einkommen für die nahe Umgebung, Einkommen für den Liegenschaften Händler, den Bauunternehmer, den Gärtner, den Bäcker, den Metzger …(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Zeigen sich die Pauschalierten noch grosszügig (und unterstützen Tourniere, sanieren Bergbahnen, errichten Stiftungen) erhalten sie die besondere Zuneigung vom Gemeindepräsidenten, der Bauunternehmer lobt sie, die Gemeindemitglieder grüssen sie auf der Strasse, ehrfurchtsvoll. Der Schweizer Grossverdiener und Grosssteuerzahler vor Ort muss sich indessen gegen eine weitere Erhöhung des Eigenmietwerts wehren. Die Gemeinde zeigt sich erstaunt. Der Gemeindepräsident von „Luftig“ erstattet ihm keinen Besuch zu seinem runden Geburtstag (die Steuererträge gehen überwiegend an die Wohnsitzgemeinde im Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und nicht an die Gemeinde „Luftig“).
Ein Schlitzohr von Staat, der seine eigenen guten Steuerzahler bedrängt, den steuerflüchtigen Ausländer aber auf Händen trägt. Ist das nicht billig, unwürdig? Und was ist mit Herrn Schweizer, der darüber abstimmen durfte und es mehrheitlich zuliess? Es wurde ihm gesagt, es entlaste seine Steuern.
Szenenwechsel: Max Wolle, ein alternatives Lebensmodell
Glas Klar trifft ihn zu später Stunde in einer Berner Altstadtbar. Es geht um Gott und die Welt, um die Sinngebung in einer sinnlosen Zeit, um all das, was für Glas Klar, den Informatiker, bisher eher unwichtig war. Max Wolle, Landschaftsgärtner von Beruf, lebt mit seiner Partnerin in einer subventionierten Altstadtwohnung direkt unter dem Bellevue mit wunderbarer Sicht auf die Aare und den Hausberg von Bern. Er kennt sich in der Berner Szene aus, trifft überall Freunde und Bekannte, hat immer Zeit für ein gescheites Gespräch, weiss viel, sieht erst noch gut aus, geht regelmässig „isele“ (in die Eisen), kurz: Max Wolle überzeugt Männlein und Weiblein. Dem introvertierten Glas Klar öffnet er eine neue Welt.
Max Wolle hat ein paar Semester Volkswirtschaft studiert an der Uni Bern, dann aber das Studium abgebrochen. Zuviel Mathe, zu abstrakte makroökonometrische Modelle, zu wenig Bezug zum wahren Leben. Nicht sein Ding. Er will etwas schaffen das man sieht am Ende des Tages, seine Hände benutzen, draussen sein, im Wetter stehen. Er will sein Leben, von Gott geschenkt, richtig leben. Seine Partnerin sieht es ähnlich, sie arbeitet im Auftragsverhältnis für Fernsehen und Theater (Kulissenbau, Aussenbau, Modellbau). Beide wollen keine Kinder, unabhängig bleiben, keine unnötigen Verpflichtungen eingehen. Max Wolle arbeitet Teilzeit, gerade so viel, dass er dieses Leben führen kann. Mit einer Teilzeitarbeit von 50% und gelegentlicher Schwarzarbeit für seine zahlreichen Freunde und Bekannten kann er sein steuerbares Einkommen minimieren auf wenige Tausend Franken pro Jahr.
Eigentlich stösst er mit diesem Leben auf grosses Verständnis. Er macht nicht mit in dieser hirnlosen Leistungsgesellschaft, in dieser ewigen Tretmühle. Vernetzt bei den Linksalternativen kämpft er für den weiteren Ausbau des Sozialstaates.
Darf man Fragen stellen die niemand beantworten will, für die niemand zuständig ist
oder ist schon die Frage an sich unerhört, der Fragesteller politisch unkorrekt, vom rechten Spektrum?
- Wieso kann Herr Jedermann sein Einkommen so weit minimieren, dass keine Steuern mehr anfallen?
- Wieso darf Max Wolle die Leistungsgesellschaft, von der er lebt, unkommentiert kritisieren?
- Wie sähe Max Wolle’s Schweiz aus?
Einschub: Die Höhe der Steuerbelastung richtet sich nach der Leistungsfähigkeit. Wobei der Begriff „Leistungsfähigkeit“ beinhaltet, dass jeder nach Massgabe seiner individuellen ökonomischen Voraussetzungen zur Finanzierung der Staatsaufgaben (inklusive der Sozialaufgaben) beiträgt. Max Wolle ist zwar leistungsfähig, aber nur teilweise leistungswillig. Er nutzt die Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates (wie die universitäre Ausbildung), hilft aber nicht, diese zu finanzieren. Das sollen jene tun, die es gerne machen, die Freude an der Arbeit haben, seiner Meinung nach die Mehrheit. In diesem Sinne war er auch aktiv in der Initiative für bedingungsloses Grundeinkommen.
Der Vielarbeiter, der Leistungsträger dieser Gesellschaft, verzichtet auf vieles, vor allem aber auf die Freizeit. Max Wolle hat sie. Ist diese Freizeit ein Konsumgut, das man besteuern sollte? Absurd? Doch: wer früher in Pension geht, zahlt weiterhin AHV, auch ohne Erwerbseinkommen (auf dem Vermögen und der kapitalisierten Rente).(Klicken Sie zum Weiterlesen)
Konsumieren, was andere finanzieren
Wieso erhält der Bünzli, der zwar nicht freiwillig, aber eben doch massiv Steuern bezahlt, nie ein Dankeschön (von der Regierung, vom Nachbar, vom Parteigegner?). Ist nicht das Gegenteil der Fall? Je mehr Steuern er bezahlt, je mehr wird er kritisiert. Bedauern hat niemand. Alle würden gerne mit ihm tauschen, Hauptsache, sie erhalten sein Einkommen. Er könnte sogar noch mehr bezahlen, eigentlich. Und um Gottes Willen keine „Steuergeschenke“ für solche Typen.
Was ist das für eine irre Welt, die nicht mehr zur Kenntnis nimmt, wer diesen Wohlstand möglich macht, die nicht mehr weiss, wer die Staatsaufgaben finanziert. Es ist unsere Welt. Der Vorschlag, die Freizeit zu besteuern, ist politisch ausgeschlossen. Aber darüber nachzudenken, vor dem Einschlafen, würde niemanden schaden.
„Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“
Sind wir schon so weit oder besteht noch Hoffnung? Wer die berühmte Extrameile rennt muss mehr Anerkennung erhalten. Und es gibt sie, diese Leistungsträger, in der Unternehmung, in der Verwaltung, in der Politik, in Ihrer Nähe. Und eigentlich kennen wir sie, jeder in seiner Umgebung. Nicht immer lockere Sympathieträger wie Max Wolle. Wir brauchen sie um wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu erhalten. Zum Überleben im Wohlfahrtsstaat Schweiz.
Als Denkanstoss das Steuerreform-Paket EL’FE, demnächst 12.04.2017/zb