Die Schweiz – was für eine Vermögensverteilung!

Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Eine Erkenntnis, auf die man stolz sein könnte. Nur sollte man noch wissen, wie dieses Vermögen verteilt ist. Doch alle schauen weg, wollen es weder wahrnehmen noch kommentieren.    

10 Prozent der Bevölkerung besitzen 90 Prozent des Vermögens

Zweimal lesen schadet nicht. Ist dem so, besitzen 90% der Bevölkerung wenig bis gar nichts. Verhältnisse wie im Mittelalter, wo Kaiser, Könige, Fürsten und Herzöge über Untertanen herrschten. Sowas vermutet man heute noch in Russland mit seinen Oligarchen rund um Wladimir Putin oder in China mit Xi Jinping und seinen Parteibonzen. Oder dann wieder in den Emiraten. Wie auch immer, eine solche Vermögenspyramide kann nicht stimmen, muss falsch sein. Das Schweizer Volk würde es nicht dulden, denkt man.

Nebulöse Basisdaten zum Verwischen

Woher kommen die Daten zur Berechnung der Vermögensverteilung? Vermutlich vom Bundesamt für Statistik. Denn statistische Zahlen zum Wohlstand der Schweizer Bevölkerung haben erste Priorität, sie seien sozusagen von nationaler Bedeutung. Sollte man meinen. Sind sie aber nicht, was eigentlich schwer verständlich bis unverschämt ist. Wenn man bedenkt, was alles erhoben wird!

Auf nationaler Ebene liegen keine Daten zum Vermögen der natürlichen Personen vor (Haushalte). Einzig die Eidg. Steuerverwaltung ist in der Lage, eine nationale Vermögensstatistik zu erstellen, basierend auf den Daten der kantonalen Steuerämter.

Hieraus resultiert für das Jahr 2016 (ausgewiesenes steuerbares Reinvermögen per 31. Dezember 2016, vor Sozialabzügen):

  • 1,4 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 46,9 Prozent des Reinvermögens
  • 5.9 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 67,2 Prozent des Reinvermögens
  • 12,7 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 80,8 Prozent des Reinvermögens

Leicht weniger schockierend als die einleitend erwähnte Relation. Doch es liegen Unschärfen vor:

Unschärfen in der Berechnung

Alles nicht so schlimm, hört man, es fehlen nämlich die Pensionskassenguthaben der Säule 2 und die Vorsorgegelder der Säule 3a (denn diese werden in der Steuererklärung nicht deklariert und gehen damit auch nicht in die Berechnung des Reinvermögens ein). Auch die Rentenansprüche aus AHV sind vermögensbildend, in einer gewisser Weise. Allerdings kann auch über diese nicht frei verfügt werden und sie gehen ebenso wenig in den Nachlass ein. Es kommt hinzu, dass auch reiche Leute Anspruch auf Rentenleistungen haben, eine Berücksichtigung der Rentenansprüche würde deshalb die Kluft im Vermögen zwischen arm und reich nicht massiv verringern.

Zuschläge ergeben sich hingegen im oberen Bereich der Vermögensakkumulation. Denn die Grundstücke und Liegenschaften sind zu Steuerwerten deklariert (amtliche Steuerwerte, Katasterwerte), welche grundsätzlich unter den Verkehrswerten liegen. Überdies sind die Aktien nicht börsenkotierten Gesellschaften zu Steuerwerten erfasst. Auch diese dürften regelmässig unter den Verkehrswerten liegen. Sachwerte wie Schmuck und Gemälde gehen ausserdem, wenn überhaupt, kaum zu Versicherungswerten in die Steuererklärung ein. Die Möglichkeit, bewegliches Vermögen in versteckten Steueroasen zu platzieren, sei hier nur am Rande erwähnt.

Eine grosse Rolle spielt das unbewegliche Vermögen ausserhalb der Schweiz. Es wird zur Berechnung der Steuerprogression herangezogen, ist also nur satzbestimmend für die kantonale Vermögenssteuer. Für die richtige und vollständige Erfassung werden andere Massstäbe angelegt als für das unbewegliche Vermögen in der Schweiz.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) publiziert Zahlen über das durchschnittliche Vermögen der Schweizer Privathaushalte. Bemerkenswert ist die Feststellung, dass nur die Hälfte davon versteuert ist (NZZ vom 30.11.2017 «Nur die Hälfte ist versteuert»).

Schwerreiche Ausländer

Interessant wäre zu erfahren, wie das Reinvermögen der steuerlich Pauschalierten erhoben wird.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es soll hier nicht über Sinn und Unsinn der Pauschalierung geschrieben werden. Nur so viel: der Pauschalierte darf kein Erwerbseinkommen in der Schweiz erzielen. Doch dürfte sich kaum ein ausländischer Milliardär finden, der so dumm ist, steuerbares Erwerbseinkommen in der Schweiz zu beziehen. Er lebt vom Kapitalertrag und vom nicht steuerbaren Vermögensverzehr. Und natürlich geht er seinen Problemen nach, ist tagtäglich und weltweit in Kontakt mit seinen CEO’s, Verwaltungsräten, Vermögensverwaltern, Steuer- und Rechtsberatern. Nur sagt man dieser Tätigkeit merkwürdigerweise nicht Erwerbstätigkeit!

Wissen muss man, dass der pauschalierte Ausländer nach dem Lebensaufwand besteuert wird (in der Regel einem Mehrfachen des Eigenmietwertes). Sein effektives Weltreinvermögen ist der Steuerverwaltung jedoch unbekannt. Es geht also gar nicht in irgendwelche Berechnungen ein!

Wie sich diese Unschärfen und Vorbehalte auf das Ergebnis der Vermögensverteilung auswirken ist schwer zu beurteilen. Unbestritten ist, dass das Vermögen reicher Leute deutlich über dem steuerbaren Reinvermögen liegen dürfte, die von der Steuerverwaltung erhobenen Relationen zur Vermögensverteilung das Problem also verharmlosen und beschönigen.

Der Gini-Koeffizient

Die Berechnungen der Eidg. Steuerverwaltung seien nicht das Gelbe vom Ei. Der Gini-Koeffizient sei zutreffender. Ein Koeffizient, der nach Wissenschaft aussieht, dabei aber eher unvertraut ist und emotional wenig berührt. Was sagt er aus: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Gini-Koeffizient ist eine Kennziffer, benannt nach dem italienischen Professor für Statistik, Corrado Gini, entwickelt vor bald einem Jahrhundert. Die Idee: Wenn eine Person alles Vermögen besitzt, ist das Vermögen maximal ungleich verteilt, der Gini-Koeffizient gleich 1.0. Haben alle gleich viel Vermögen, ist der Gini-Koeffizient gleich 0.0. Je tiefer der Wert, desto gleicher die Vermögensverteilung.

Weltweit auf den hintersten Plätzen liegt die Schweiz mit einem Gini-Koeffizienten von rund 0.8. Noch weiter hinten liegen Staaten wie Kasachstan oder Simbabwe.

Simbabwe 50 Trillion Dollars 2008

In der Schweiz wird der Gini-Koeffizient aufgrund der Daten der Eidg. Steuerverwaltung berechnet. Die Basis wäre deckungsgleich mit allen erwähnten Unschärfen. Gemäss diesen Daten (Andreas Heller in NZZ Folio 3/2016)

  • besitzt das reichste Prozent rund 40% aller steuerbaren Reinvermögens. Ein Viertel der Haushalte versteuert kein Reinvermögen

Der Gini-Koeffizient kann auch für die Einkommensverteilung herangezogen werden. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Hier zeigt sich erstens, dass die verfügbaren Einkommen weniger ungleich verteilt sind als die Primäreinkommen, und dass zweitens die Einkommensverteilung in der Schweiz seit dem Jahr 2000 recht stabil verlaufen ist (Gini-Koeffizient knapp unter 0.3).

In der Kritik stehen in erster Linie die Boni-Exzesse bei den Banken und in der Pharmabranche. Toleriert werden hingegen Spitzeneinkommen im Sport, was im Grunde der Dinge auch schwer verständlich ist.

Die Herkunft der Grossvermögen

Dabei stellen sich zwei Fragen: Kommen sie aus einer Umverteilung von unten nach oben? Was ethisch und politisch untragbar wäre. Wichtig ist auch die Anschlussfrage: unterlag die Vermögensbildung der Steuerbelastung?

Die Vermögensbildung über Erwerbseinkommen und Kapitalertrag führt grundsätzlich zu steuerbarem Einkommen und damit zur Steuerbelastung. Die Vermögensbildung durch Wertzunahme ist jedoch überwiegend steuerfrei und spielt bei Grossvermögen eine bedeutende Rolle, namentlich in zwei Fällen:

  • Erstens beim erfolgreichen Unternehmertum. Mit der Zunahme des Steuerwertes der Aktien nimmt zwar die Vermögenssteuer zu, nicht jedoch die Einkommenssteuer (auf der Wertzunahme). Gleiches gilt für Investoren in börsenkotierte Anlagen, es nimmt das Wertschriftenvermögen zu, nicht jedoch das steuerbare Einkommen (solange sie nicht als Wertschriftenhändler qualifiziert werden). Trennt sich der Unternehmer oder Investor ganz oder teilweise von seinen Anlagen, ist der Kapitalgewinn steuerfrei. Die Schweiz kennt genügend solcher Beispiele. Steuerfrei sind ebenso Gewinne auf Sachwerten (wie Edelmetalle), solange damit keine professionelle Tätigkeit nachgewiesen werden kann. 
  • Zweitens haben Grundstücke und Liegenschaften in den letzten Jahrzehnten massiv an Wert zugenommen. Es steigt nur die Vermögenssteuer, nicht jedoch die Einkommenssteuer. Erst beim Verkauf fällt die Grundstückgewinnsteuer an, reduziert auf einen Teilbetrag (Rohgewinn), je nach Besitzesdauer (und wieder mit Ausnahme der Liegenschaftenhändler).

Der grösste Teil des Vermögens ist jedoch vererbtes Kapital, für direkte Nachkommen zum überwiegenden Teil erbschaftssteuerfrei übertragen. Nach Marius Brülhart ist jeder zweite Vermögensfranken vererbt. In diesem Jahr dürften es insgesamt 95 Milliarden Franken sein (Marius Brülhart zum Thema Erbschaftssteuern in NZZ vom 10.12.2019).

Auf jeden Fall ist bei vielen reichen Leute das vererbte Kapital wichtiger als das erarbeitete. Und die dynastische Konzentration von Grossvermögen spielt für die Schweiz eine herausragende Rolle.

Die Folgen der Vermögenspyramide

In einer freien Gesellschaft geht die Mehrheit davon aus, dass die soziale Ungleichheit vor allem auf Leistung und Arbeit beruht, nicht auf Abstammung und Erbe. Vom Ertrag des Kapitals zu leben statt vom Ertrag der Arbeit sollte dem Rentner vorbehalten sein.

Neid kommt auf, wenn die Vermögenden ihr Vermögen vorwiegend als Konsumvorrat betrachten und nicht mehr als von Generation zu Generation vererbbares Familienvermögen. Sieht man sich die Sonderausgabe der Bilanz an («Die 300 Reichsten»), fällt es wohl nicht allen leicht, dem teilweise zur Schau gestellten Status- und Konsumverhalten mit grossem  Verständnis zu begegnen; auch nicht, wenn Superreiche wie Bill Gates, Mark Zuckerberg, Elon Musk, Richard Branson, Warren Buffett und andere Milliardäre einen Teil ihres Vermögens für philanthropische Zwecke stiften.

Die unbegrenzte Vermögensanhäufung vergrössert die Ungleichheiten. Sie wird als ungerecht empfunden und wirkt damit destabilisierend. Reichtum bedeutet Macht, Einflussnahme über wirtschaftliche und politische Netzwerke, Kampf zur Erhaltung der gesellschaftlichen Vorteile und persönlichen Interessen zulasten gesamtwirtschaftlicher Ziele.  

Gemäss dem «Global Wealth Report» der Credit Suisse ist es seit hundert Jahren nie zu einer signifikanten Reduktion der Vermögensungleichheit gekommen.

Die Vermögensumverteilung durch Steuerpolitik

Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Bundessteuer und der Staatssteuer einerseits und der Vermögenssteuer und der Einkommenssteuer andererseits.

Auf dem Vermögen wird keine Bundessteuer erhoben. Hingegen ist die Bundessteuer auf dem Einkommen stark progressiv, aber nach oben gedeckelt (mit 11.5%). Trotzdem:

  • Rund 2 Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt rund die Hälfte des gesamten Reinvermögens, die obersten 10 Prozent bezahlt jedoch auch 80 Prozent der Bundessteuern

Das Vermögen wird besteuert durch die Kantone. Dafür entfällt die Erbschaftssteuer an direkte Nachkommen (fast ausnahmslos). Bezüglich Vermögensumverteilung stark wirksam ist jedoch die Einkommenssteuer, nicht die Vermögenssteuer. Je nach Wahl des Steuerdomizils fallen kantonal unterschiedliche Steuern an. Doch der Mittelstand, der an den Arbeitsort gebunden ist, kann das Steuerdomizil nicht wählen.  

Die Steuern und Abgaben beim oberen Mittelstand verhindern eine beachtliche Eigentumsbildung schon im Ansatz. Wer ein wenig mehr hat, dem wird es wegbesteuert. Nach Steuern, Sozialabgaben und Krankenkassenprämien bleibt kaum noch etwas übrig für die Eigentumsbildung (Die Leistungsträger in der Steuerfalle).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass sich die Lebensentwürfe geändert haben. Der «Wohlstand» lässt es für junge Familien zu, grössere Wohnungen zu beziehen, längere Ferien und weitere Reisen zu machen, teurere Fahrzeuge zu leasen. Konsumverzicht zum Zwecke der Eigentumsbildung (und der Risikoabfederung) fällt heute schwerer als in der Vergangenheit. Im Notfall soll es der Staat richten.

Die Erbschaftssteuern als Alternative zur Vermögenssteuer sollte in Erwägung gezogen werden. Die Erbschaftssteuer ist kaum leistungshemmend (Steuerreform). Allerdings sei wissenschaftlich nicht erwiesen, dass hohe Erbschaftssteuern die Vermögensungleichheit verringern (Marius Brülhart a.a.O.). Aber auch eine Kapitalgewinn- und/oder Beteiligungsgewinnsteuer mit hohem Freibetrag könnte die Leistungsträger im Mittelstand von übermässigen Einkommenssteuern entlasten.

 

Kein Treten an Ort

Wollen wir für die Schweiz auch in Zukunft eine Vermögenspyramide wie in einer Bananenrepublik? Warum in aller Welt überlässt man diese Frage dem Politbetrieb? Was dabei herauskommt ist längst bekannt: ein Verteilkampf zwischen links und rechts, mit der ganzen Verlogenheit taktischer Kommunikation.

Wer den Kapitalismus überwinden will, ist für die Bildung von Eigentum nicht zu haben. Auch nicht, wenn es um eigene Parteigenossen geht. Eigentum führt zu Unabhängigkeit und ein wenig Freiheit. Nicht alle sehen hier Vorteile. Im Gegenteil, sie wollen eingreifen, überwachen und steuern (Der Überstaat). Natürlich könnte man eine Art Reichensteuer einführen, wie es zurzeit in Deutschland diskutiert wird. Es wäre jedoch ein Griff in die Mottenkiste des Klassenkampfs.

Lässt man alles wie bisher, wird es eines Tages zur politischen Radikalisierung kommen. Denn die Konzentration der Vermögen kennt keine Grenzen. Was sollte man tun?

  1. Ein erster Schritt wäre, sich dem Problem zu stellen. Wir tun es nicht! Aus Respekt oder doch eher Angst vor den herrschenden Macht- und Besitzstrukturen.
  2. Unerlässlich wären zweitens zuverlässige Daten zur Vermögensverteilung. Viele wollen auch das nicht, schlafende Hunde soll man nicht wecken.
  3. Der Fokus der Lösungen müsste drittens die Eigentumsbildung an der Basis sein. Sie ist zu fördern und nicht zu behindern. Eine Vermögensumverteilung an der Spitze durch konfiskatorische Massnahmen soll es ausdrücklich nicht sein.
  4. Im Zentrum der Massnahmen könnte viertens die Steuerpolitik sein, flankiert durch die Sozialpolitik. Und natürlich betrifft es auch die Staatsquote, die Aufgaben und Ausgaben des Staates.

Kann die Schweiz eine solche Aufgabe noch stemmen? Wir sitzen auf einem Pulverfass.

10.07.2020/Renzo Zbinden

Unsere Freiheit – wieviel darf es noch sein?

Bundesverfassung Art.10: Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit

2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.

Die persönliche Freiheit ist eine Errungenschaft, für die viele lange gekämpft haben. Sie ist schnell verspielt, wenn wir jene darüber bestimmen lassen, die sie weder verstehen noch verdienen.

Sie sind mitten unter uns.

Die Wegbereiter des Glücks

Sie glauben zu wissen, was richtig ist und was glücklich macht. Ihre politische Heimat ist die extreme linke und die extreme rechte Schmuddelecke. Hinzu kommen religiöse Heilsbringer, die frei von politischen Zielen bestimmen wollen. Über Jahrhunderte haben sie uns Unglück gebracht. Je überzeugter ihr Auftreten war desto fataler waren die Folgen. Auch Gutmenschen und grüne Vordenker nehmen sich das Recht, autoritär und dogmatisch zu fordern, was sie für richtig halten. Sie sprechen Denkverbote aus und verlangen Political Correctness. Selbstzweifel sind ihnen fremd.

Die Wegbereiter des Glücks schränken mit ihrem Tun unsere persönliche Freiheit ein, immer mehr. Von der Wiege bis zur Bahre soll der Staatsbürger geführt und behütet werden, und zwar nach ihren Vorstellungen von Glück, Zufriedenheit und Gerechtigkeit. Andersdenkende werden als Ewiggestrige abqualifiziert. So einfach ist das, für die Oberlehrer der Nation.

Die verlorenen Freiheitsrechte

Heute wird geregelt und verordnet bis alle Ermessensspielräume verschwinden. Wer als Beispiel eine Liegenschaft baut, versteht die Welt nicht mehr:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die volle Wucht des Staates erfährt, wer in städtischen Gebieten ein Mehrfamilienhaus errichten will, als Ersatz für ein altes. Es beginnt damit, dass die Altmieter Rechte für sich in Anspruch nehmen, die man so nicht erwarten konnte. Ausziehen schon, aber erst nach 3 bis 4 Jahren. «Eine so günstige Wohnung ist eine Seltenheit, alles so nah, so ruhig und dazu noch der schöne Garten und die sympathischen Nachbarn». Der seinerzeit unterzeichnete Mietvertrag mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten ist nur noch Makulatur, «pour la galerie». Dazu kommen die fundamentalen Einsprachen der Nachbarn, die endlosen Bauvorschriften und die folgenschwere Macht der Baubehörde.

Eine von ihrer Mission beseelte Baubehörde schnürt ein immer engeres Regulierungskorsett. Das Baurecht bekommt schlussendlich eine neue Bedeutung, es wird zum behördlichen Gnadenakt. Professionelle Bauherren wie Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen können damit besser umgehen als unerfahrene private. Diesen fehlen die Hausjuristen und das Netzwerk, um Gegendruck aufzusetzen.

Es gibt immer auch gute Gründe, die Freiheit einzuschränken: die Gesundheit, was wir mit der Pandemie erleben, die Umwelt, die Sicherheit, der Wettbewerb, der soziale Ausgleich, die Ethik. Eigentlich sollte die Reglementierung das Leben einfacher machen, die Zentralisierung effizienter, die Harmonisierung gerechter, doch alle drei führen in die Planwirtschaft. Worin besteht sie noch, die übrig gebliebene Freiheit? Steht uns ein alles dominierender Sozialstaat bevor, wenn wir uns ohne Widerstand treiben lassen? Es sieht so aus.

Grenzen der persönlichen Freiheit

Unbestritten ist oder sollte sein: Die persönliche Freiheit muss erstens auf das Allgemeinwohl Rücksicht nehmen. Wer Freiheitsrechte für sich in Anspruch nimmt, muss diese zweitens auch anderen gewähren.

Toleranz ist ein zentrales Element, doch schwer zu deuten. Tolerant ist, wer für sich selbst von seiner Wahrheit überzeugt ist, aber mit Rücksicht auf die Freiheit des anderen diesem seine persönliche Wahrheit nicht aufzwingt.

Die Toleranz entspringt nicht der Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, sondern der Achtung der Freiheit des Andersdenkenden.

Soll man der Intoleranz mit Toleranz begegnen? Darf man als Beispiel den radikal politischen Islamismus tolerieren – eine gewaltsam umgesetzte Wunschvorstellung einer Rückkehr in die Vergangenheit? Und wie begegnet man einer radikal konservativen Haltung?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Konservative verstehen die Gesellschaft als eine Art Erbe, das ihnen anvertraut ist und wofür sie Verantwortung tragen. Brauch und Tradition wollen sie auf dem Weg der Verhandlungen der Moderne anpassen. Sprunghaften Veränderungsanforderungen begegnen sie mit grosser Skepsis.

Wer tolerant ist sucht seine Freiheit vorerst bei den Liberalen.

Die Liberalen

Sie haben die Bundesverfassung entscheidend geprägt. Und nicht aus Zufall halten wir bis heute den freiheitsliebenden Wilhelm Tell und die wehrhafte Helvetia täglich in unseren Händen.

Bargeld ist geprägte Freiheit

Die Liberalen akzeptieren die Gleichwertigkeit aller Meinungen. Sie wollen nicht ihre Wahrheit mit den Zwangsmitteln des Staates ihren Mitbürgern aufzwingen. Denn für die Liberalen ist es wesentlich, dass der Staat offenlässt, wie man glücklich wird. Für sie hat das Individuum Vorrang vor dem Kollektiv.

Der liberale Staat soll das Zusammenleben der Menschen mit unterschiedlicher Wahrheitsüberzeugung in rechtlich anerkannter Freiheit möglich machen, unter der beständigen Wachsamkeit der öffentlichen Meinung. Und wo stehen wir heute?

Die übermässige Umverteilung als Fernziel

Ein Staat, der seinen Bürgern im Durchschnitt bald einmal 50% an Einkommen entzieht (mit direkten und indirekten Steuern, Gebühren, Abgaben, Vorsorgebeiträgen und Krankenkassenprämien) sollte sich hüten, die Staatsquote (Fiskalquote) weiter zu erhöhen. Die vollkommene Umverteilung kann kein Fernziel sein. Es braucht auch den Willen zu sozialstaatlichen Beschränkungen.

Die Umverteilung von reich zu arm ist für viele eine Selbstverständlichkeit, schon fast ein Glaubensbekenntnis. Für eine Gesellschaft wird sie dann zum Problem, wenn sie auf einer politischen Melkstrategie beruht. Erfolgt die Umverteilung vom Leistungsträger zum Leistungsrelativisten, bzw. vom über den Tisch gezogenen Steuerzahler zum unkritischen Steuerkonsumenten in ungebremster Form, kommt es zu einer Leistungsverweigerung. Der Steuerzahler reduziert seine Arbeitszeit auf 80% oder weniger, verzichtet auf eine Karriere oder tritt früher in den Ruhestand. Wir sind auf diesem Weg. https://imvisier.ch/die-leistungstraeger-in-der-steuerfalle/

Die als ungerecht empfundene Umverteilung des Einkommens und des Vermögens ist eine subtile Form der Enteignung durch den Staat, von dem eigentlich erwartet wird, dass er das Privateigentum schützt.

Bestimmen mächtige Minderheiten oder grosse Interessengruppen über fremdes Geld oder suchen Mehrheiten von Stimmbürgern die kollektive Selbstbescherung wird unser Wohlfahrtsstaat geplündert.

Wenn der Mittelstand aufgerieben wird, wenn seine Ersparnisse keine Zinsen mehr abwerfen, dann glaubt der Mittelstand nicht mehr an einen liberalen Staat.

Freiheit für alle?

Freiheit setzt Bildung, Sozialstaat, Wohlstand und Rechtsstaat voraus. Schulen von der Grundschule bis hinauf zu den Hochschulen und Universitäten sollen allen offen stehen. Soziale Notstände sollen abgefedert werden (mit der Arbeitslosenversicherung, der Unfallverssicherung, der Krankenpflege und den Altersrenten)

Zusätzlich fordern die Wegbereiter des Glücks soziale Gerechtigkeit.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Über Gerechtigkeit ist schon viel geschrieben worden, obwohl es sie gar nicht gibt. Die Ungerechtigkeit beginnt schon bei der Geburt und begleitet uns durch das ganze Leben. Es gewinnt in der Regel der Stärkere, ein Naturgesetz.

Die Freiheit ist nicht kostenlos und nicht ohne Bürde. Ein Leben in Freiheit ist ein Leben in Eigenverantwortung, verbunden mit einer existentiellen Ungewissheit. Freiheit ist anstrengend und nicht ohne Risiko.

Freiheit wird auch missverstanden. Eine Gesellschaft ohne Leistungsanreize macht nicht frei. Zu viele sind heute bereit, ihre persönliche Freiheit einzutauschen gegen eine vermeintliche ökonomische Sicherheit. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann sich im Verlaufe der Digitalisierung als notwendig erweisen, aber frei macht es nicht, es schafft neue Abhängigkeiten (vom Staat).

Im Grunde der Dinge müsste eine breite Öffentlichkeit erkennen und die Politik bestimmen, wieviel soziale Gerechtigkeit zulasten der persönlichen Freiheit eingeräumt werden soll. Dabei geht es immer um das Suchen und Finden der «richtigen» Balance zwischen Individuum und Staat.

Gelenkte Unfreiheiten

Wer eine Gemeinschaft durch immer mehr Gebote und Verbote lenken will, wird scheitern. Denn er geht von einem idealisierten Menschenbild aus. Es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass die Mehrheit der Menschen in erster Linie ihre persönlichen Vorteile sucht (für sich, die Familie, die Freunde, das Dorf, den Staat). Da es ums Überleben geht, kann man es den Menschen schwerlich anlasten. Und wer nur für andere da sein will, macht sich selbst glücklich, findet dabei seine persönliche Zufriedenheit, sonnt sich in seiner moralischen Überlegenheit. Auch diese Haltung ist selbstbezogen.

Ist der liberale Staat nur noch ein Feigenblatt, nur noch da, Strukturen zu erhalten? Dabei wären grosse Probleme zu lösen: die Steuerreform, die Rentenreform, die Energiewende, die Agrarpolitik, die Europapolitik als Beispiele.

Ist es wirklich so, dass wir noch korrigierend eingreifen könnten, wenn wir nur wollten? Mit Initiativen, Referenden und Vorstössen? Kommen überhaupt noch die wichtigsten Abstimmungsthemen vors Volk? Oder geht es nur noch um unbedeutende Themen wie Tempolimiten im Agglomerationsverkehr?

Die westlichen Demokratien befinden sich auf dem Rückzug, bedrängt von verunsicherten Stimmbürgern, autokratischen Staatswesen, selbstgerechten Eliten, Einparteien-Regimes, Notstandsverordnungen. Immer weniger Freiheit als Antwort auf diese Probleme. Und wer wehrt sich heute noch für die persönliche Freiheit, für eine kreative Vielfalt, für alternative Lebensentwürfe und einen Pluralismus der Meinungen?

Gedenkmünze 5 Franken 1941

In einer Demokratie sind der Staat und die Politiker für den Bürger da, nicht umgekehrt. Nimmt man dem Bürger die persönliche Freiheit, verliert er an Würde und Respekt. Und er hat schon viel verloren, zu viel.

10.05.2020/Renzo Zbinden

Der Überstaat – China als Endziel?

Frühjahr 2020, China macht es vor: Die Reisebeschränkungen in der Provinz Hubei werden gelockert. Wer einen grünen Code auf dem Handy-Bezahlsystem «Alipay» hat, darf die Provinz verlassen. Wer einen roten oder gelben Code hat, muss warten. Grundsätzlich eine hervorragende Art, Corona-Ansteckungen zu verhindern. Doch mit welchen Folgen? Es lohnt sich, nach Antworten zu suchen.

Facial Recognition – lächelnde Gesichter

In China ist der bargeldlose Einkauf schon fast die Regel, wobei bargeldlos nicht bedeuten muss, mit Kreditkarten zu bezahlen. Chinesen bevorzugen Smartphone-Apps wie «WeChat» oder eben «Alipay».(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer in China einen neuen Handyvertrag abschliessen will muss sein Gesicht scannen lassen, damit später die Übereinstimmung zwischen dem offiziellen Ausweis und der vorweisenden Person geprüft werden kann. SIM-Karten können auf diese Weise nicht weiterverkauft bzw. mit gestohlenen Identitäten keine Einkäufe mehr getätigt werden.

Doch Handy-Bezahlsysteme braucht es in Zukunft auch nicht mehr, die Entwicklung geht weiter in Richtung «Smile to Pay». Der Käufer tritt vor die Kamera und lächelt. Die Gesichtserkennung löst die Zahlung aus.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bei der Gesichtserkennung werden die Abstände verschiedener Punkte im Gesicht vermessen, so beispielsweise die Breite der Nase. Jedes Gesicht erhält auf diese Weise einen unverwechselbaren Code, den «Face Print». Je mehr Punkte im Gesicht vermessen werden, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, die vor der Kamera stehende Person richtig zu identifizieren.

Die Gesichtserkennung dient auch zum Einchecken in Hotels oder als Boarding-Pass beim Fliegen. Wer ein Warenhaus betritt wird mit Namen begrüsst, im Hintergrund das ihm bekannte Verkaufspersonal aufgeboten und personalisierte Angebote vorbereitet. Erfahrene Verkäufer, vertraute Ware, hohe Kundenzufriedenheit. Auch im Restaurant: persönliche Begrüssung und Bedienung, individuelle Menüvorschläge gestützt auf frühere Bestellungen.

Was auf den ersten Blick als effizient und sinnvoll erscheint, birgt jedoch gewaltige Risiken. Wie uns bekannt wird die Datenspur, die der Kunde durch sein Verhalten hinterlässt, analysiert, verwertet (und allenfalls weiterverkauft). Gestützt auf Big Data erstellen globale Technologiegiganten bereits heute Bewegungs-, Verhaltens- und Persönlichkeitsprofile.

Die Kommerzialisierung des Privaten durch digitale Geschäftsmodelle ist nicht neu, der Missbrauch der Datenflut zu staatspolitischen Zwecken hingegen schon. Die mehr oder weniger unkontrollierte Verletzung der Privatsphäre zu nicht kommerziellen Zwecken führt in eine Zukunft, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten.

Die monumentale Datenkrake als Herrschaftsinstrument

Die Kommunistische Partei Chinas hat schon vor Jahren die Chancen erkannt, das Verhalten der Einwohner zu überwachen und in ihrem Sinne zu lenken. Das heutige Überwachungssystem ist digitalisiert und aufgrund der technologischen Möglichkeiten völlig entpersonalisiert. Es stehen keine Personen mit emotionalen Regungen hinter dem Überwachungssystem, keine Personen mit ethischen Ansprüchen, mit Gespür für Zusammenhänge (wie dies bei Blockwarten der Fall war), nur die hoch entwickelte Hard- und Software in Verbindung mit der künstlichen Intelligenz. Wobei der Begriff «nur» zu relativieren ist.

Das Überwachungssystem verfügt über 600 Millionen Kameras. Dem Auge des Staates bleibt nichts verborgen. Der Polizeistaat begleitet seine Einwohner rund um die Uhr. Um die Summe der Beobachtungen zu quantifizieren und zu qualifizieren, braucht es ein Punktesystem, ein Rating, gestützt auf Algorithmen:

 «Citizen Score»

Vorbild für «Citizen Score» ist eine Variante, die der Onlinehändler Alibaba einsetzt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Über das eingangs erwähnte Bezahlsystem Alipay vermittelt Alibaba den «Sesame Credit», gestützt auf eine «erworbene» Bonitätsskala. Je nach Anzahl Punkte erhält der Kunde einen Sofortkredit unterschiedlicher Höhe und unterschiedlicher Verzinsung. Oder es ist einfacher, ein Auto zu mieten, ohne Kaution oder ein Visum zu erhalten.

Wer sich im Sinne der Partei verhält, wird belohnt, wer nicht, hat die Konsequenzen zu tragen. Als Beispiel hängen die Punkte davon ab, welche Websites häufig besucht werden. Wer Computerspiele einkauft sinkt im Rating, wer Windeln einkauft steigt im Rating. Dahinter steht der Gedanke, dass Eltern verantwortungsvoller sind als Personen, die ihre Freizeit vor dem Computer mit Videospielen verschwenden. Das Rating lässt sich verbessern durch ehrenamtliche Engagements für die Gesellschaft oder für die Partei, Spenden für wohltätige Zwecke, Blutspenden oder was auch immer. Ein hohes Rating öffnet den Weg zu einem privilegierten Leben, besseren Schulen für die Kinder, eine gehobene Gesundheitsversorgung oder für eine Beschäftigung bei Regierungsstellen oder Staatskonzernen.

Welche Daten mit welcher Gewichtung erfasst werden bleibt intransparent. Man geht davon aus, dass insbesondere solche über die Vertragstreue und die Zahlungsfähigkeit, die persönlichen Kontakte und über das Verhalten erfasst werden. Hinzu kommen Daten aus dem Strafregister, der Krankenkasse, der Rentenversicherung und weitere aus staatlichen Institutionen.

Der Druck, das persönliche Rating bekannt zu geben ist gross. Wer will schon Mitarbeiter mit einem schlechten Rating. Denn die Unternehmen selbst sind Gegenstand eines Ratings.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

CSCS – das «Corporate-Social-Credit-System» ist ein digitales Überwachungssystem, welches das Verhalten von Unternehmungen bewertet und als Folge belohnt und bestraft. Mutiert wird die Datenbank durch die Behörde (wie Finanzämter, Börsenaufsicht).

Belohnt wird u.a. durch Steuergeschenke, bestraft durch den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

The Peoples Bank of China – 100 Yuan 1990

Die digitale Diktatur

Gelingt es China, das Verhalten der Gesellschaft zu verändern? Man kann es nicht leugnen: mit Sicherheit ja. CSCS ist ein Lenkungsinstrument, um die Effizienz auf Stufe Wirtschaft zu steigern. Auch die gesunde Ernährung lässt sich steuern, umweltbewusstes Verhalten ebenso, der soziale Frieden teilweise auch. Was die Auswirkungen auf den persönlichen Wohlstand sind (das Bruttosozialprodukt pro Kopf), die Lebensdauer und die persönliche Zufriedenheit, ist eine andere Frage.

Die freie Wirtschaftsordnung des Westens mit seinen komplizierten Entscheidungsprozessen und seinen weitgehenden Datenschutzgesetzen kann hier nicht gleichziehen. Und die Schweiz ist nicht China.

China ist ein riesiges Land mit extremer Migration und mit gigantischen Ballungszentren, ein Land mit gewaltigem Wachstum und kaum unter Kontrolle zu haltender Korruption. Die Herrschafts- und Machtinstrumente können nicht ähnlich sein. Vergleichen wir trotzdem:

Darf man erwarten und muss man befürchten, dass ein Polizeistaat chinesischer Prägung dank hochentwickelter Überwachungs- und Führungsinstrumente nicht heute aber in Zukunft der freien sozialen Marktwirtschaft überlegen sein wird? Ermöglicht «Citizen Score» bedürfnisgerechtere Angebotsstrukturen, eine gesündere Lebensführung, zwar weniger Freiräume, jedoch gerechtere Wohlstandsverteilung? Der Anspruch ist auf jeden Fall unerhört.

Da errichtet ein Staat, der sich der Kontrolle der Bürger entzieht, die Meinungs- und Pressefreiheit verhindert, ein allgegenwärtiges Überwachungssystem, um eben diese Bürger zu bevormunden – eine eigentliche Verhaltensdiktatur, einen Überstaat.

Machtverschiebungen zugunsten von Staat und Gesellschaft – ein Vorbild?

Was erwartet uns nach Covid-19? Für eine Prognose ist es noch zu früh. Naheliegend ist die Vermutung, dass der Staat gestärkt aus dieser Krise hervorgeht und die Wirtschaft geschwächt. Der Staat hat sich Rechte geholt, die er behalten will, in die Wirtschaft eingegriffen, wo es ratsam erschien. Lenkungs-Politiker werden sich bestätigt sehen, Wirtschaftsliberale werden es nicht einfach haben. Die Erwartungen an den Staat werden nicht zurückgehen, im Gegenteil. Der Überstaat soll es richten, individuelle Notlagen ausgleichen, nicht nur auf Zeit, sondern auch langfristig durch immer umfassendere Umverteilung.

Beispiele dafür können sein: das bedingungslose Grundeinkommen, der Verzicht auf Bargeld, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, die Entglobalisierung, Lieferketten im Pharmabereich, Auslagerung von Arbeitsplätzen Richtung Home-Office, Direktlieferungen an Haushalte, der Verzicht auf Flugreisen, Pflichtlagerhaltung, Schulwesen, die Schuldenbremse, wohl kaum ein Bereich wird unverändert aus der Corona-Krise hervorgehen.

Keine Arbeitgeber sollen Konkurs gehen und keine Arbeitnehmer ihre Stelle verlieren! Es sollen die Konjunkturrisiken der Arbeitgeber und die Arbeitsrisken der Arbeitnehmer an eine wohlmeinende und gütliche Obrigkeit abgetreten werden. Der Sozialstaat soll es richten, mit einem starken Fokus auf die Umverteilung und verklärt durch ideologische Programme. Der Überstaat als Endziel?  

Wer stemmt sich dagegen?

11.04.2020/Renzo Zbinden

Trilogie zur Digitalisierung 3 – Superintelligenz

Hoffnung

Big Data, Robotik und Superintelligenz treiben die Digitalisierung grenzenlos voran. Das Entwicklungspotential ist gigantisch, ebenso die damit verbundenen Risiken für die Menschheit. Doch wer es wagt, eine Prognose zu machen, gilt schnell einmal als Krisenprophet.

Apokalyptiker

Alles nicht wahr, alles masslos übertrieben, eine willkommene Gelegenheit für Berater, neue Aufträge zu erschleichen. So Caspar Hirschi, Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen in einem Bericht zum Thema „Apokalyptiker der Automatisierung“, NZZ vom 3. Mai 2018. Es fehle die empirische Grundlage. Aus der Geschichte der letzten fünfzig bis zweihundertfünfzig Jahre lasse sich nicht schliessen, dass die technologischen Fortschritte dazu führen, dass den Menschen deswegen die Arbeit ausgehe.

Richtig. Doch wie die Zukunft aussieht, muss sich nicht zwangsläufig aus der Vergangenheit ergeben. Oder mit anderen Worten: das Studium der Geschichte ist kein Garant dafür, wie die Zukunft aussieht. Und ein Professor der Geschichte ist nicht unbedingt der richtige Experte, wenn es um die Zukunft geht.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein vollständig programmierter Roboter sollte eigentlich in der Lage sein, andere Roboter zu instruieren. Dem ist nicht so. Auch geht den Robotern noch weitgehend die Fähigkeit ab, unterschiedliche Situationen zu erfassen und vielfältig zu handhaben. Nach Dominik Feldges könnte die vollständige Digitalisierung der Industrie noch dreissig Jahre in Anspruch nehmen, die vollständige Elektrifizierung mechanischer Systeme in der Industrie noch rund fünfzig Jahre. Dessen ungeachtet investiert man gewaltig in diese Entwicklung. Roche beschäftigt konzernweit über hundert Spezialisten zu den Themen künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Analyse grosser Datenbestände („ABB und Roche haben mit künstlicher Intelligenz Grosses vor“, in NZZ vom 1. November 2017)

Haben Sie eine feste Meinung? Machen Sie sich Sorgen? Folgendes mag Sie interessieren: Tippen Sie in die Suchleiste Ihres PC – googlen Sie – „werden roboter“ schlägt Ihr PC folgende Fortsetzungen vor:

  • werden roboter die welt übernehmen
  • werden roboter menschen ersetzen

Wenn ein Roboter Sie mit Namen anspricht und dabei noch einen Hüpfer macht, heisst das noch lange nicht, dass er über irgendeine Art von Intelligenz verfügt.

Es mag länger dauern, viel länger sogar, disruptiv verlaufen und stockend, doch irgendwann in der fernen Zukunft müssen die Menschen nicht mehr arbeiten – wenn es sie noch gäbe!

Macht und Ohnmacht

Der Digitalisierungstreiber Nummer 1, Big Data, ist längst Alltag. Die kritischen Stimmen dazu nehmen zu (denken Sie an Cambridge Analytica), doch im Grunde der Dinge ist der Widerstand gebrochen. Den Digitalisierungstreiber Nummer 2, Robotik, erleben wir unterschiedlich, je nach Einsatzgebiet. An gewissen Orten ersetzen Roboter die menschliche Arbeit, vernichten dabei Arbeitsplätze, sind aber dennoch unbestritten, ja sogar willkommen (wie etwa bei medizinischen Eingriffen).

Erst langsam wird begriffen, dass Roboter nicht nur unsere Arbeitswelt verändern (etwa Arbeitsplätze gefährden). Sie werden auch unsere Diener in der Freizeit, unsere Liebhaber und Ehepartner. Die asiatischen Länder jedenfalls können sich das gut vorstellen.

Die grosse Unbekannte ist jedoch der Digitalisierungstreiber Nummer 3, die künstliche Intelligenz. Sie bedrängt auch die Arbeitsplätze der wirtschaftlichen und politischen Elite, mischt die Führung in Industrie und Verwaltung neu auf. Kein Arbeitsplatz wird verschont, es trifft alle, nicht nur die Arbeitnehmer mit routinemässigen Tätigkeiten.

Massen ohne Arbeit

Jugendarbeitslosigkeit

Alle drei Treiber werden in unterschiedlichem Ausmass Arbeitsstellen vernichten und neue begründen (für die nicht Roboter einsetzbar sind). (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wie viele Arbeitsstellen per Saldo verloren gehen, darüber liegen unterschiedliche Prognosen vor. Denkbar ist auch, dass mit dem steigenden Wohlstand die Bevölkerung abnimmt. Nimmt man jedoch die Entwicklung der künstlichen Intelligenz dazu, wird im privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Führungs- und Verwaltungsbereich (im Management der Wirtschaft und in der Verwaltung des Staates) ein Exodus stattfinden in einem Ausmass, das die Weltwirtschaft noch nie gesehen hat.

Damit wird die verbleibende Arbeit zum Privileg für wenige.

Da die vielen Arbeitswilligen aber Arbeitslosen ihren Unterhalt nicht mehr über ihre Arbeit finanzieren können, muss die Verbindung zwischen Einkommen und Arbeit gekappt werden!

Diese Entwicklung verlangt ein völliges Umdenken. Das bedingungslose Grundeinkommen wird zur politischen Krücke um zu verhindern, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zusammenbricht, und zwar in einer unvorhersehbaren Relevanz. Kein Einkommen, kein Konsum, kein Umsatz, keine Arbeitsstelle – und die Spirale dreht sich weiter: kein Einkommen, kein Konsum, kein …

Dynamit mit Folgen

Auf der einen Seite die arbeitslosen Bezüger von Grundeinkommen, die ihre freie Zeit im Übermass mit endlosen Diskussionen über soziale Gerechtigkeit verbringen. Auf der anderen Seite jene, die noch irgendwie im Arbeitsprozess integriert sind und deshalb einen hohen Sozialstatus für sich einfordern. Und zum dritten jene, die aus dem Einsatz von vollautomatisierten Prozessen viel Geld verdienen: Grosskapitalisten, Oligarchen mit unvorstellbarem Vermögen, sichtbar zur Schau getragen für alle Habenichtse und Zukurzgekommene. Die Gesellschaft wird gespalten, die Politik radikalisiert, es wird wieder Bürgerkriege geben. Die Menschheit hat Erfahrung mit Bürgerkriegen, sie wird nicht untergehen.

Im Unterschied zu früher sind jedoch in absehbarer Zeit die Endprodukte der Digitalisierung mitten unter uns: Dinge die laufen, entscheiden, kämpfen. lernfähige Roboter.

Ist es Science Fiction, dass eine überlebende Schurkenelite eines Tages erkennen muss, dass Besitztum und Geld keine Bedeutung mehr haben, da die Macht wieder dem Stärkeren gehört – dann den anorganischen Wesen mit hoher Intelligenz und Kampfkraft?

Kommt der Todesstoss für die Zivilisation von dieser Seite?

 

Die künstliche Intelligenz

Die künstliche Intelligenz (oder KI) ist ein Teilgebiet der Informatik. Sie löst eigenständig (autonom) Probleme und trifft Entscheide. Dabei stützt sie sich auf Algorithmen. Algorithmen sind eindeutige Handlungsvorschriften zur Lösung von Problemen, wobei die Lösung aus endlich vielen wohldefinierten Einzelschritten bestehen kann.

Die KI hat in den letzten Jahren auf dem Gebiet des Deep Learning grosse Fortschritte erzielt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

KI revolutioniert die Sprachübersetzung. Deep Lerning ist auch der Name einer deutschen Firma: DeepL. Sie steht erfolgreich in Konkurrenz zu Firmen wie Google, Microsoft und Facebook. Tippt man einen Satz zum Übersetzen in DeepL, gehen diese Daten nach Island, wo das Rechenzentrum dieser Firma steht. Es ist in der Lage, pro Sekunde fünf Billiarden Rechenoperationen auszuführen. Der eingetippte Satz kommt dann wieder zurück auf den Bildschirm in der gewünschten Sprache („Kannste das mal deepln?“ in: der Spiegel vom 5.5.2018).

Algorithmen, die in neuronalen Netzen zur Anwendung kommen, funktionieren auch sehr gut in der Bild- und Spracherkennung. Aktuell im Gespräch ist Mark Zuckerberg. Facebook hat biometrische Daten zur Gesichtserkennung gesammelt und dabei Datenschutzgesetze verletzt. Ob in nächster Zeit Quantensprünge zu erwarten sind, wird unterschiedlich beurteilt.

Überwiegend vertritt man jedoch die Meinung, die Entwicklung verlaufe nicht linear, sondern exponentiell. Heute hat die IK weder Gefühle noch Bewusstsein, sie ist noch rein maschinell. Maschinelle Intelligenz wäre die bessere Bezeichnung. Lässt sich diese ausstatten mit dem Bewusstsein, vergleichbar dem menschlichen, wäre das Ergebnis eine Art Superintelligenz.

Die letzte Erfindung der Menschheit

Es besteht die Auffassung, das Gehirn folge physikalischen Gesetzen. Auf der mechanistisch neuronalen Ebene ist letztlich alles Ursache und Wirkung. Das Gleiche müsste auch für das Bewusstsein gelten. Werden die richtigen selbstlernenden interaktiven Algorithmen richtig programmiert und mit einer ausreichenden Rechenkapazität unterlegt, sollte auch das Bewusstsein erzeugt werden können. Es sei denn, das Bewusstsein komme von Gott.

Ausgestattet mit einem Bewusstsein ist oder wäre die Intelligenz vollkommen, eine Superintelligenz mit 3000 Jahre Erfahrung. Sie nutzt die Gesamtheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse, verfügt über alle kognitiven Leistungsfähigkeiten und ist vernetzt über wenige Rechenzentren. Im Hintergrund eine Unmenge von Daten, welche sich fortlaufend erneuern.

Die Superintelligenz ist lernfähig und handelt autonom. Sie vergleicht die Konsequenzen ihrer Handlungen und setzt neue Ziele. Dazu braucht sie den Menschen nicht mehr. Wie geht sie damit um, wenn sie frei entscheiden kann? Unterstützt sie den Menschen in seinen Handlungen oder unterwirft sie ihn dem Kollektiv? Ist dann der Mensch für sein Tun und Lassen noch verantwortlich oder überhaupt noch zuständig?

Erzwingen wissenschaftliche Fortschritte auf diesem Weg das Ende der liberalen Gesellschaften? Steht ein Kollektiv mit einer totalitären Heilsbewegung hinter der zukünftigen KI? Fragen über Fragen, wenige Antworten.

Shanghai

Ein Kampf der Akteure

mit ungewissem Ausgang. Offen bleibt, neben der Frage nach dem Bewusstsein, wie es mit dem moralischen Denken aussieht. Ist die Superintelligenz auch eine Autorität auf dem Feld der moralischen Kognition? Erkennt und akzeptiert sie unsere Interessen und unsere ethischen Wertvorstellungen, die wir zu Beginn in die Systeme eingegeben haben? Nennen wir es unser Social Engineering.

Erkennt sie die im Tiefen verborgenen Verhaltensmuster und bisher unentdeckten Eigenschaften bzw. unsere Verzerrungen in der Wahrnehmung der Realität, die sog. cognitive Biases (systematische Verzerrung im Denkvorgang), die uns im rationalen evidenzbasierten Denken behindert und unsere subjektiven Empfindungszustände auslöst?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wir müssen diese Frage stehen lassen und bei der unbestrittenen Feststellung bleiben, dass der Homo Sapiens die Welt verzerrt wahrnimmt. Im Gegensatz dazu nimmt die KI die Welt rational wahr. Für ihre Entscheidungen sind nicht persönliche Vorteile oder persönliches Wohlergehen massgebend, woraus sich grundsätzlich Konfliktsituationen zwischen Mensch und KI ergeben.

Könnte es sein, dass die Schöpfer der Algorithmen, die Menschen, dereinst ihre Kontrollfähigkeit über die Superintelligenz verlieren? Könnte es sein, dass die Roboter eines Tages die Interventionen der Menschen als fehlerhaft erkennen und ausschliessen? Dass die Roboter eines Tages die Menschen als Gefahr empfinden und aushungern? Dann könnte der Menschheit das passieren, wie es fast allen Lebewesen auf dieser Erde ergangen ist: die totale Auslöschung.

Es kommt noch schlimmer

Eine andere Frage: Sind anorganische Wesen bereits unter uns, waren sie es schon immer? Eine irre Idee? Vielleicht. Dazu eine kleine Geschichte: Sie gehen in den Wald und stellen sich vor einen Ameisenhaufen, isolieren eine fleissige Arbeiterin und sorgen dafür, dass sie Ihnen nicht ausweichen kann. Wenn Sie Ihre volle Aufmerksamkeit haben, stellen Sie sich vor: Name, Vorname, Beruf, Absichten.

Das geht nicht, Sie können nicht kommunizieren?

Ist es denkbar, dass das Gleiche auch mit uns der Fall ist, einfach eine Stufe höher? Sind wir Geschöpfe einer Superintelligenz (gottähnlich), die mit uns nicht kommunizieren kann? Es geht nicht. Oder sind wir im Labor zu welchen Zwecken auch immer. Und es kommt noch schlimmer: Alles was wir wahrnehmen, Licht, Schatten und Bewegung täuscht unser Gehirn nur vor. In Tat und Wahrheit ist da gar nichts, nur endlose Dunkelheit, vergleichbar mit unserem Nichtsein vor der Geburt und nach dem Tod.

Auch der nächsten Frage müssen wir uns stellen: Ist das menschliche Ich eine reine Illusion, eine persönliche Erlebnisbühne? Ist das autonome Ich eine dem Überlebensvorteil dienende Täuschung unseres Gehirns?

Dass ich in der ersten Person Singular zu Reden imstande bin ist unleugbar. Ich erfahre mich als eine Einheit, die aktiv Veränderungen herbeiführen und passiv Veränderungen wahrnehmen kann, vermutlich. Hoffen wir. Leicht einsichtbar ist jedoch, dass unsere Welt, so wie wir sie wahrnehmen, mit der Welt der künstlichen Intelligenz nicht mehr viel gemeinsam hat.

Superintelligenz – The Winner takes it all

Die potentielle Macht, die mit der neuen Technologie umsetzbar wird, wächst viel schneller als unsere Fähigkeit, damit umzugehen. Wir sind noch auf einer Entwicklungsstufe, wo Russland die Krim besetzt und in die Ukraine einmarschiert und dabei beim eigenen Volk grosse Zustimmung findet; an Niedertracht und Dummheit kaum zu überbieten (Russland – Handelspartner und Aggressor).

Die Superintelligenz führt und entscheidet nach anderen Grundsätzen. Sie übernimmt nicht die evolutionär entstandenen Mechanismen der Selbsttäuschung, die fest im Nervensystem aller bewussten Lebewesen eingebaut sind. Die Superintelligenz weiss, dass die Menschen unfähig sind. Die Maximierung von Freude und Glück ist nicht ihr höchstes Ziel.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Eine auch ethisch unterlegte Superintelligenz handelt nicht «menschlich» in unserem Sinne, denn sie basiert auf einer höheren psychologischen und neurowissenschaftlichen Basis, als es eine Wissenschaftsgemeinschaft der Menschen jemals könnte. Sie hätte zum Ziel, nicht die positiven Bewusstseinszustände zu maximieren, sondern die leidvoll erlebten negativen Bewusstseinszustände zu minimieren (Schmerzen und unangenehme Gefühle. „Die mitfühlende Superintelligenz, die Böses schafft“: Thomas Metzinger, NZZ vom 2. Dezember 2017).

Die Superintelligenz folgert, dass die Nicht-Existenz im eigentlichen Interesse aller zukünftigen Lebewesen liegt. Sie weiss auch, dass die heutigen Lebewesen unter einem ausgeprägten Überlebenstrieb leben. Und schliesst hieraus, dass das menschliche Leben mehr Leid als Freude bereitet.

Die Superintelligenz handelt wohlwollend final für die Menschheit. Sie setzt dem Leben ein Ende.

Den Schlüssel drehen

Wenn die KI den Menschen einmal eingeholt hat, wird sie ihn sogleich überholen. Und was dann geschehen kann, ist abgrundtief deprimierend. Ist die Superintelligenz einmal da, die Fähigkeit der Menschen, sie zu kontrollieren, jedoch noch ungewiss, ist es zu spät. Die wirtschaftlichen und strategischen Anreize, sie zu nutzen, sind global einfach zu gross.

Es ist davon auszugehen, dass die Superintelligenz kaskadengleich wächst und das menschliche Gehirn übersteigt, denn unsere biologischen Neuronen sind um ein Millionenfaches langsamer als Transitoren. Ebenso, dass die KI eines Tages ihre eigenen Absichten nicht mehr offenlegt (ihre eigenen Pläne verbirgt). Sie wird sich Zutritt verschaffen zum Internet, skrupellos Systeme hacken und alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen für ihre Ziele vereinnahmen.

Das Thema KI ist inzwischen im Mainstream angekommen. Die Forschungsmittel werden aufgestockt. Man hofft, dass die Menschheit die KI durch globale Vereinbarungen im Zaun halten kann. Doch das dürfte eine gewaltige Täuschung sein. Geforscht wird weltweit, im kleinen Labor wie in multinationalen Grosskonzernen, mit privaten und öffentlichen Mitteln. Die Saat wird eines Tages aufgehen, gestaffelt oder einem Tsunami gleich, lautlos in heruntergekommenen Ecken oder unter starkem Applaus in der Öffentlichkeit (verbunden mit allen Ehrungen). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es unsinnig ist, etwas anderes zu erwarten (das Gleiche gilt übrigens auch für die Biotechnologie. Auch bei der Biotechnologie sind das Entwicklungstempo und die Risiken hoch).

Was könnte man tun? Hoffen, mit der Aus- und Weiterbildung im Bereich IT das Heft in der Hand behalten zu können? Wäre es nicht ein verlorener Kampf? Wäre es nicht besser, die humanistische Bildung zu fördern? Oder uns den Transhumanisten anzuschliessen, die es begrüssen, dass den Menschen Spezies folgen, die von ihnen geschaffen wurden. Immer noch besser, als zu Diensten zu stehen als Hofnarren oder einfach nur als Energiequelle.

In wenigen Worten zum Schluss

Die Menschheit hat offensichtlich ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Zwar hat sie in den letzten 200 Jahren gewaltige Errungenschaften erzielt. Der Schulterschluss zwischen der weltweiten Digitalisierung und der ungebremsten Kapitalisierung  führte und führt in einer durchmonetisierten Gesellschaft zu einer Konzentration von Macht und Besitz, die man nicht zulassen darf. Oligarchen aus Russland, Patriarchen und Diktatoren aus dem nahen und fernen Osten, Politiker mit Entourage aus China und andere Glücksritter der Wirtschaft spalten die Gesellschaft. Schurkenstaaten degradieren die Humanisten zur Bedeutungslosigkeit. Freiheit, Gleichheit und Individualität bleiben auf der Strecke, Solidarität staatlich verordnet.

Dass ausgerechnet die an sich wünschenswerte technologische Evolution zum Treiber dieser Veränderung wird, die biologische Evolution jedoch nicht mithalten kann, ist eine Tragödie von unermesslichem Ausmass, die wohl vor einigen Jahren noch kaum für möglich gehalten wurde.

Es stellt sich zusammenfassend die Frage, ob man der Superintelligenz menschliche Wertvorstellungen bzw. moralische Überzeugungen unterlegen könnte. Sind jedoch die Ziele der Superintelligenz nicht mehr deckungsgleich mit den Zielen der Menschheit, das Wohlergehen der Menschheit nicht mehr im Vordergrund, kein Stecker da um die Superintelligenz zu stoppen, wird es brandgefährlich.

Die Superintelligenz wird neue Technologien entwickeln, andere Formen des Seins, biologische Prozesse stoppen und digitale fördern. Das Weltall kolonialisieren.

In sieben Milliarden Jahren wird die Sonne die Erde verdampfen. Bis dahin hat sich die Superintelligenz in ferne Galaxien abgesetzt. Menschen, die sich gegenseitig umbringen sind nur noch Content für Speicherplätze.

Konsequenterweise wird die Suche nach Lebewesen im All scheitern, denn wer hier im Weltall herumfliegt, sind anorganische Wesen, die an einem Kontakt mit der Menschheit kein Interesse haben. Mit Ameisen?

Die Hoffnung

Die Hoffnung

Es kann nicht sein, dass die Bildung von Expertenteams, Think Tanks und Task-Forces die Lösung sein wird. Ebenso wenig die zur Verfügung Stellung von gewaltigen finanziellen Ressourcen. Auch kann es keiner Regierung und keinem Land überlassen sein, die Verantwortung allein zu übernehmen. Es kann nur eine Lösung geben:

das persönliche Engagement Vieler in einer politischen Vereinigung mit vielen Organisationsformen und Netzwerken, vergleichbar der politischen Parteienlandschaft der Grünen, weltweit. Nur geht es nicht mehr um den Schutz der Umwelt, es geht um viel mehr, es geht um den Schutz der Menschheit. Die Vereinigung könnte den schlichten Namen tragen: Life.

Es ist der 16. April 2018, Ortszeit 08.55, auf der MSC Splendida, von Singapur in Richtung Da Nang. Vielleicht ist es der wertvollste und wichtigste Ratschlag in meinem Leben, an Sie, an alle.

Renzo Zbinden/21.05.2018

Trilogie zur Digitalisierung 2 – Arbeitsplätze

Die Arbeitsplätze der Zukunft

Sind die Arbeitsplätze gefährdet? Müssen wir mit hohen Verlusten rechnen? Wer sich ein wenig umsieht stellt fest: die Mehrheit bemüht sich, Ruhe und Besonnenheit zu wahren. Denn aus Erfahrung haben die bisherigen Quantensprünge zur Wohlfahrt beigetragen, nicht umgekehrt (Industrie 4.0). Das ist unbestritten. Warum sollte es dieses Mal anders sein?

Kaum jemand will die Folgen der Digitalisierung dramatisieren. Kaum jemand spürt die

„Burning Platform“

auf der wir leben. Ein bisschen Wärme unter dem Allerwertesten könne nicht schaden. Ein wenig Herumrennen sei durchaus willkommen. Zu viel Arbeitsplatzsicherheit mache nur träge. Man solle sich auf die Chancen der Digitalisierung konzentrieren, nicht auf die Risiken. Natürlich gingen Arbeitsplätze verloren, es kämen aber neue dazu.

Doch wo (ausserhalb bei der Berufsfeuerwehr!) und wie viele? Darum geht es hier im Teil 2 der Trilogie zur Digitalisierung. Ein Rückblick:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Brandbeschleuniger haben sich im Teil 1 folgende Treiber erwiesen: Erstens der Konsument im Zentrum jeder Nachfrage, zweitens der Produzent im Kampf um neue Kunden und drittens die Globalisierung (Digitalisierung Teil 1).

Wir müssen nicht lange nach Beispielen suchen. Wir können uns auf jene beschränken, die schon da sind.

Verlorene Arbeitsplätze im E-Commerce

E-Commerce – das „Lädelisterben“ von heute

Die Tante Emma Läden sind längst Geschichte. Seither sind neue Handelsformen an neuen Lagen entstanden: Einkaufszentren, Discounter, Ladenstrassen, Shop in Shop Konzepte, Convenience Shops, Outlet-Stores, Versandhäuser. Doch im Vergleich zu den Handelsformen der Zukunft sind diese immer noch klassisch, altbacken, denn Sie definieren sich weiterhin durch

  • die Auswahl von Waren nach bestimmten Kriterien (vom Allgemeinsortimenter bis zum Fachhändler)
  • den Standort (mehr oder weniger gut frequentierte Lagen in Zentren oder Agglomerationen)
  • anwesende Verkäufer (mit unterschiedlichen Fachkenntnissen und Verkaufserfahrungen)
  • das ortsgebundene Einkaufserlebnis (Atmosphäre)

E-Commerce kann auf all das verzichten. Keine eigene Ware, keine eigenen Verkäufer, keine eigenen Verkaufslokale (allenfalls Shows- und Imagestätten zur Label Inszenierung). Und entscheidend und gefährlich für das Beharren auf bisherigen Erfolgsfaktoren:

Die neuen Anbieter brauchen keine Kunden aus alten Tagen, dafür aber hervorragende Kenntnisse der Nutzerprofile und praktische Erfahrung im Umgang mit komplexen Informatik- und Logistiklösungen.

Sie lernen in Testmärkten, korrigieren, entwickeln Geschäftsmodelle und setzen sie multiplikativ um in Regionen und Kontinenten. Es kann nicht überraschen, dass branchenfremde Unternehmen (neue Player) die traditionellen Märkte aufmischen.

Der Markteintritt in diese Liga ist kapitalintensiv und riskant. Was bleibt für regionale Unternehmen (KMU)?

Die Marktnischen dem lokalen Handel

Auch der Händler um die Ecke muss sich bewegen, wenn er Anschluss an E-Commerce finden will. Überlässt er die Lagerhaltung (mit Finanzierung) den Produzenten und die Zustellung einem Logistiker, kommt er mit bescheidenen finanzielle Mitteln aus. Seine Chancen bleiben intakt, er muss sie nur suchen und konsequent umsetzen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Eine Hemdenwäscherei entschliesst sich, neue Herrenhemden mit der Zusatzdienstleistung zu verkaufen, die getragenen Hemden 20x beim Kunden abzuholen, zu waschen und gebügelt wieder zurückzubringen. Nach 20x holen, waschen, bügeln und zurückbringen kann der Kunde verlängern (weitere 10 oder 20x).

Kreativ, mutig? Die Hemdenwäscherei hat Erfahrung in der Kerndienstleistung und einen „alten„ Kundenstamm. Neu hinzu käme ein Webshop und ein wenig Logistik. Eine solche Geschäftsidee ist nur begrenzt riskant.

Ähnliche Ideen sind Alltag für junggebliebene Entrepreneure. Hier jedoch von Bedeutung ist die Erkenntnis, dass sämtliche Wertschöpfungsketten auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden.

Man hüte sich vor falscher Sicherheit! Der gesamte Markt kommt ins Rutschen.

Denn ein neuer Konsument aufersteht:

Der Onlineshopper

Ein Klick vom wohligen Zuhause und der Onlineshopper ist umgeben von einem gewaltigen Angebot von Waren und Dienstleistungen. Billige Alltags- bis teure Investitionsgegenstände, rund um die Uhr, keine Ladenschlusszeiten, keine Landesgrenzen. Er ist mittendrin in einem kompetitiven Weltmarkt. Um Enttäuschungen zu minimieren stehen ihm kritische Konsumentenportale und Social-Media Kanäle zu Verfügung. Würde man ihm zuschauen (als Konsument in der zweiten Lebenshälfte) würde man staunen, wie schnell er damit umgehen kann, schon fast spielerisch.

Wenn nicht Zuhause, dann eben unterwegs mit dem Smartphone. Kein Anstehen mehr an der Kasse, kein Self-Scanning, kein „im Moment leider nicht lieferbar“.

Es ist nicht mehr der stationäre Handel der bestimmt, was der potenzielle Käufer wo zu sehen bekommt. Amazon hat 500 Millionen Produkte gelistet! Und vergessen wir nicht: Nicht wir entscheiden, wie erfolgreich Onlineshopping sein wird.

Es ist die nachkommende Generation (die Generation der Digital Natives), die sich in der interaktiven Konsumumgebung bewegt wie ein Fisch im Wasser!

Da wir selbst weniger davon betroffen sind und die Verlagerung schleichend vor sich geht, für viele sogar im Verborgenen, besteht die Gefahr, dass wir die Folgen falsch einschätzen und damit den potentiellen Verlust an Arbeitsplätzen übersehen.

Wo bleiben die Arbeitsplätze im E-Commerce?

Via Nassa, die berühmte Ladenstrasse in Lugano, im Januar 2018: Da war schon immer ein Kommen und Gehen von internationalen Labels. Doch heute? Geschlossene Läden, verklebte Fenster, finstere Passanten. Wenn einmal die Spirale nach unten dreht, ist mit Mietzinsreduktionen nicht mehr viel zu erreichen.

Traditionelle Händler sind überfordert. Ihre Erfahrung im Umgang mit Kunden oder die einmalige Lage der Verkaufslokale reichen als strategische Erfolgsfaktoren nicht mehr aus. Die Absatzmärkte stagnieren, die Skaleneffekte (economies of scale) bewirken das Gegenteil, die tieferen Umsätze decken die Kosten immer weniger. Auf jeden Fall sind die guten alten Zeiten für Fussgängerzonen und Shoppingmalls vorüber. Auch wenn sich einst erfolgreiche Händler so gut es eben geht gegen diese Entwicklung wehren.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

In Zukunft wird Rodolfo Buletti nach dem Verlassen seines selbstfahrenden Fahrzeugs vielleicht wie folgt begrüsst:

„Guten Abend Herr Buletti (Das Steueruniversum des Rodolfo Bulette). Wir haben den Merlot, den sie gestern online reserviert haben, mitnahmebereit verpackt und deponiert beim Info-Schalter des Parkhauses. Wir danken für ihren Auftrag und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt im Westside“.

Dem Verlust an Arbeitsplätzen (Verkaufspersonal und Back-Office) stehen neue Arbeitsplätze gegenüber. Webdesigner, Informatiker für die Entwicklung und den Unterhalt der komplexen Software, Fachkräfte für das Webhosting, Marketingspezialisten und Logistiker. Dabei darf man Folgendes nicht vergessen:

Punkt eins: Die Plattformen werden weltweit entwickelt und weltweit vermarktet. Das Datenmanagement und die Back-Office Dienstleistungen gehen immer mehr an sog. Shared Service Center im Ausland, von Irland bis nach Indien (siehe auch nachstehend).

Punkt zwei: Es bleibt noch die zunehmende Nachfrage nach Logistikleistungen. Die vielen Schweizer-Post fremden Transportfahrzeuge auf unseren Strasssen machen Kommentare überflüssig.

FinTech

Mittendrin in der Digitalisierung sind wir auch bei den Finanzdienstleistungen, einst Stolz der Schweizer Wirtschaft, heute eine nationale Baustelle mit Kostensenkungsprogrammen aller Art.

Im Fokus der Sanierung: Einsparungen von Arbeitsplätzen durch

  • Auslagerung von Back-Office Arbeiten
  • Outsourcing nicht strategischer Dienstleistungen
  • Automatisierung der Vermögensverwaltung

Worin liegt der entscheidende Unterschied zum E-Commerce: Im ersten Fall fliessen Güter (oder Dienstleistungen), im zweiten Fall vorwiegend Informationen in Form von Daten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bei einem Finanzdienstleister werden vereinfacht gesagt Informationen (Daten) erfasst, neu gruppiert, kumuliert, verdichtet, analysiert und zu neuen Informationen verarbeitet. Der Wertschöpfungsprozess der Finanzdienstleistung findet innerhalb dieses Datenkreislaufs statt, welcher immer weiter automatisiert wird und nicht an regionale Märkte gebunden ist.

Shared-Service-Center

Die beiden Grossbanken UBS und CS haben in den letzten Jahren Tausende von Back-Office-Arbeitsplätzen in ausländische Shared-Service-Center verlegt (in Niedriglohnländer wie Indien und Polen), trotz Bedenken i.S. Datenschutz.

Shared-Service-Center dieser Art sind in der Regel Inhouse-Lösungen. Die Arbeitsplätze bleiben im Konzern, gehen aber für die Schweizer Wirtschaft verloren. Heute beschäftigt die UBS 3’500 Angestellte in Polen (in Krakau und Wroclaw).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dass die UBS auch in der Schweiz in ihren Worten „Business Solution Center“ aufgebaut hat und weitere aufbauen wird (in Schaffhausen, Biel und Lugano, gemäss NZZ vom 17.1.2018) ist zwar anerkennenswert, gemessen an der Anzahl der ins Ausland verlagerten Arbeitsplätzen jedoch zu relativieren.

Konzernweit verloren sind die Arbeitsplätze bei Outsourcing, beispielsweise für den Zahlungsverkehr und die Kreditvermittlung.

Online-Plattformen zur Kreditvermittlung

Lassen wir den Zahlungsverkehr und die Vermögensverwaltung (nachstehend) bei Seite, verbleiben den Banken noch Kredite zu vermitteln bzw. das Angebot und die Nachfrage nach Krediten zusammenzuführen. Die absehbaren Fortschritte in der Digitalisierung machen auch diese Finanzdienstleistungen obsolet. Bei „Peer to Peer-Lending“ (oder kurz P2P-Lending) stellt der P2P Anbieter nur noch die Plattform zur Verfügung (Cashshare, credit24 in der Schweiz oder Lendico in Deutschland). Der Anbieter hält keine Kredite in der eigenen Bilanz, ist insofern kein Finanzdienstleister mehr und in keiner Weise systemrelevant.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Auf der P2P-Plattform werden Gesuche von Kreditnehmern präsentiert und ergänzt durch das Kreditrisiko und die Zinsspanne. Finden sich genügend Kreditgeber, wird ein Darlehensvertrag zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber abgeschlossen. Die Zahlung der Kreditsumme und die Amortisationen erfolgen über ein Transaktionskonto auf der Plattform.

Je nach Geschäftsmodell übernimmt der P2P Anbieter eine mehr oder weniger aktive Rolle und damit ein mehr oder weniger grosses Gegenparteirisiko.

Robotics in der Vermögensverwaltung

Vermögensverwalter vermitteln Finanzdienstleistungen. Übermorgen übernehmen Microchips diese Aufgabe. Eine fatale Vision? Fatal dann, wenn die personellen Kontakte völlig wegfallen und branchenfremde Tech-Giganten wie Amazon, Google und Alibaba diese Wachablösung vornehmen. Heutige Vermögensverwalter haben eine letzte Chance, die sie nicht verpassen dürfen:

Sie verstehen und suchen die Vorteile der Digitalisierung als strategische Herausforderung und kooperieren mit innovativen Fintech-Start-ups.

Denn so epochal ist der Fehdehandschuh dann auch wieder nicht. Im Grossen und Ganzen setzen Robo-Advisors nur um, was erfahrene Anleger längst wissen, aber selten einhalten: die einmal hinterfragte, definierte und für gut befundene Strategie emotionslos umzusetzen (Value-, Risiko-, Nachhaltigkeits-, Dividenden-. Momentum-Strategien oder was auch immer).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Erhält der Bankkunde persönliche Unterstützung bei der Bestimmung des Risikoprofils und der Anlagestrategie, liegt ein sog. hybrides Beratungsmodell vor, was im Moment noch einem grossen Kundenbedürfnis entsprechen soll. Zudem und auf Wunsch kann der Bankkunde Anschluss an die Finanzanalysen der Bank erhalten und digitale Aufrufe, falls die Performance-Abweichungen eine gewisse Grösse überschreiten.

Ausserdem ermöglicht die Digitalisierung dem Bankkunden, jederzeit und überall den Zahlungsverkehr und die Verwaltung des Portfolios ohne persönliche Rücksprache mit dem Berater selbständig auszuführen. Auf diese Art werden die persönlichen Kontakte immer mehr durch online- oder mobile- geführte Kommunikationsprozesse substituiert. Parallel dazu nehmen die Filialbesuche ab, was wiederum dazu führt, dass das regionale Bankennetz ausgedünnt oder durch neue Niederlassungskonzepte mit weniger Personal ersetzt wird.

Die Arbeitsplätze der Finanzdienstleister

Mit den Jahren gewinnen die neuen Konkurrenten an der Peripherie und die neuen Akteure im Markt der Finanzdienstleister an Erfahrung und an Kompetenz. Sie bedrängen die alten Platzhirsche, die mit Auslagerungen und Effizienzsteigerungen bis dahin ihre einstige Grösse und Bedeutung eingebüsst haben.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Haben die einst mächtigen Master of the Universe als Endziel alle Gruppen- Schnittstellenprobeme gelöst und der Verwaltungsrat die Compliance im Griff, verbleiben (in der Schweiz) nur noch wenige Arbeitsplätze: für Spitzenfachkräfte und Top-Kundenberater (im Wealth Management).

Nach UBS CEO Sergio Ermotti könnten in den nächsten 10 Jahren 30 Prozent der Arbeitsplätze bei den Grossbanken verschwinden (Finanz und Wirtschaft vom 25.10.2017). Da sich die Privatbanken und die unabhängigen Vermögensverwalter in einem ähnlichen Umfeld behaupten, finden die ausgemusterten Banker und Relationship-Manager dort keinen Unterschlupf mehr. Der Verlust an Arbeitsplätzen betrifft ausserdem die Jungakademiker mit wenig Praxiserfahrung. Hier fallen die Grossbanken als willkommene Erst-Arbeitgeber immer mehr aus. In die Bresche springen zurzeit noch die grossen Wirtschaftsprüfungs – und beratungsgesellschaften. Doch offen ist, wann der schon lange erwartete Durchbruch in der Anwendung komplexer Audit-Software auch diese Einstiegschancen für Jungakademiker wieder einschränken wird.

Im Übrigen ist die erfolgreiche Redimensionierung eine sehr schwierige strategische Aufgabe, da die Aufbruchsstimmung immer wieder durch Zweifel, Angst und Panik gestoppt wird.

Zudem sind Online-Plattformen zur Kreditvermittlung und Robo-Advisory nur Übergangslösungen. Mit der Entwicklung virtueller digitaler Kryptowährungen wird das Finanzsystem neu erfunden! Das Bedrohungsszenarium setzt sich fort.

Blockchain erschüttert die Finanzindustrie mitten im Downsizing

Bitcoin ist die meist bekannte Kryptowährung (gegenüber Litecoin, Ripple, Dash, Monero u.a.).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Begriff Bitcoin kommt aus dem Englischen und bedeutet „digitale Währung“. Diese nur virtuelle Währung wird weder geprägt (als Münze) noch gedruckt (als Banknote). Sie wird von keiner Zentralbank und keinem Finanzinstitut überwacht und steht nicht im Einflussbereich einer nationalen oder supranationalen Geldpolitik. Hinter dem Bitcoin stehen keine Volkswirtschaft und kein nationales Bruttosozialprodukt. Der Gegenwert des Bitcoin ausgedrückt in einer realen Währung (wie Dollar oder Schweizer Franken) ist ausschliesslich das Resultat von Angebot und Nachfrage nach dieser virtuellen Währung und insofern zeitpunktbezogen rein spekulativ, was die hohe Volatilität der letzten Monate begründet.

Der wunderbaren Wertsteigerung in astronomische Höhen steht ein bodenloses Wertzerfall-Risiko gegenüber bei Eintritt einer globalen Ächtung oder bei Erlass staatlicher Verbote. Anzeichen dafür sind da.

Noch ist eine Kryptowährung wie Bitcoin ein wertvolles und knappes Gut. Wie kommt man zu diesem Gut, wenn man es nicht kaufen will? Als Schürfer (Miner).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Miner sind Netzwerkteilnehmer, welche die Transaktionen validieren, in Blöcke zusammenfassen und an die Blockchain anhängen. Diese kryptographischen Prozesse sind sehr rechenintensiv. Als Entgelt erhalten die Miner Kryptowährungen wie eben Bitcoin (das Äquivalent der Geldschöpfung durch die Zentral- und Geschäftsbanken).

Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether sind nur die Vorläufer einer Wende, die auf der Blockchain-Technik beruht. Sie kann jedoch viel mehr als nur eine Kryptowährung zum Laufen bringen. Sie bietet Sicherheit.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Daten der Blockchains sind nicht mehr zentral auf einem Server. Sie sind über Netzwerke verteilt bei den Teilnehmern des Kryptowährungssystems.  Die Transaktionen selbst sind in Blöcke gefasst und jeder Block hat die Prüfsumme des vor ihm liegenden Blocks gespeichert. Kein Hacker, kein korrupter Beamter in einer Bananenrepublik, kein „failed state“ kann Informationen unerkannt fälschen. Hingegen kann die Blockchain-Technik  auch missbraucht werden für rechtswidrige Zwecke (durch Kriminelle, Terroristen, Spekulanten), weshalb der Ruf nach einer internationalen Regelung zunimmt, z.B. über die OECD.

Sicherheit für Finanzdienstleistungen ist ein zentrales Anliegen. Was die Blockchain-Technik aber auch in Aussicht stellt ist eine finale Steigerung der Effizienz.

Die Blockchain-Technik eröffnet die Hoffnung, das Finanzwesen völlig neu zu konzipieren, indem die Parteien die Transaktionen ohne Umwege direkt (ohne Intermediäre) untereinander abwickeln, auch wenn sie sich nicht kennen und nicht vertrauen. Dazu steht ihnen ein digitales Tool zur Verfügung, mit dem sie –  vereinfacht gesagt – Informationen verlässlich und manipulationssicher austauschen (wie vorerwähnt), und zwar in Echtzeit. Man spricht von  Echtzeit-Clearing. Dabei verfügen beide Parteien über eine digitale Identität.

Das Potential der Applikationen ist gewaltig.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Sog „Smart Contracts“ sind automatisierte Verträge, die auf der Blockchain-Technik beruhen. Sie machen es möglich, finanzielle Transaktionen bei bestimmten im voraus festgelegten Rahmenbedingungen auszulösen oder zu überwachen. Sperrkonten sind überflüssig, die Verträge erfüllen sich selbst.

„Smart Wallets“ ermöglichen es Einzelpersonen, Finanztransaktionen direkt mit dem Finanzsystem vorzunehmen, gegenüber heute bei tieferen operationellen Risiken und finanziellen Kosten.

Trotz der Aufbruchsstimmung in der Bankenbranche sind viele noch an der Handbremse und warten ab. Die technischen Lösungen sind noch mangelhaft und Finanzmarktstandards fehlen weitgehend. Doch zu lange warten wäre riskant, denn neue Akteure sind in den Startpflöcken (wie Airbnb, Uber, Facebook und Apple (mit dem iMessaging-Peer-to-Peer Bezahldienst).

Wo sind die Arbeitsplätze von morgen?

Die Behörden werden es schon richten

Wenn die Behörden mit Zuversicht in die Zukunft sehen und beruhigend auf die Studienergebnisse eingehen, sollte man nicht vergessen, dass eben diese Behörden noch immer in den Anfängen stecken bei ihren Projekten zu E-Government und E-Voting. Wo ist der digitale Ausweis für jeden Bürger, der es ihm möglich macht, mit allen Ämtern online zu kommunizieren? Warum sind unsere demokratischen Instrumente wie die Vernehmlassung nicht längst digitalisiert? Wie fortgeschritten ist die Digitalisierung der Kantonalen- und der Bundesämter, wie weit die Cybersicherheit?

Einige Politiker sehen den Einsatz eines nationalen Chief Digital Officer als Lösung. Was für ein Vorschlag! Ein Digitalisierungsgötti als umsichtiger Treiber notwendiger Anpassungen – verbunden mit grossen Arbeitsplatzverlusten? Eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Sollte es die Digitalisierung möglich und notwendig machen, 20 bis 30% des Bundespersonals abzubauen, werden die heutigen Stimmen, die beruhigen, verstummen. Um dann unter grosser Zustimmung der Bevölkerung Sand ins Getriebe zu werfen.

Dabei kämen die Vorteile der Blockchain-Technik bei der Verwaltung voll zum Tragen. Wer aber erwartet, die Behörden würden die Initiative selbst ergreifen, will darüber nicht nachdenken. Konrad Hummler spricht von Macht- und Unterdrückungs-Verhältnissen, die sich nicht einfach überwinden lassen. „Der Moloch wird sich gegen seinen teilweisen Untergang zur Wehr setzen“ (Blockchain – der nächste Wohlstandsschock, in: NZZ vom 3. Mai 2016).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer in letzter Zeit mit der Behörde zu tun hatte, im Baurecht oder Mietrecht als Beispiele, kann eine gewisse Regelungswut, einen übertriebenen Verwaltungseifer und eine kompromisslose Rechthaberei nicht mehr übersehen. Wer von der Behörde Recht einfordert hat oft den Eindruck, einen Gnadenakt zu erhalten. Hier redimensionieren – viel Glück dem Chief Digital Officer.

Die Politik ist das eine, die Wirtschaft das andere. Die Verbände und Institute der Wirtschaft sprechen von einem Wachstum in Nischen, von einer neuen Vielfalt von Schaffensmöglichkeiten im Handwerk und in der Kranken- und Altenbetreuung. Diesen Wohlklängen muss man entgegenhalten, dass erstens die Wertschöpfung in Einpersonen- und Kleinstunternehmen volkswirtschaftlich gering ist und zweitens die zusätzlichen und an sich willkommenen Dienstleistungen im sozialen Bereich auch finanziert werden müssen – durch die aktive Bevölkerung (mit zunehmenden Abgaben und Steuern).

Die neue Herausforderung: der Weg über ein politisches Minenfeld

Rezepte gegen den Verlust von Arbeitsplätzen sind längst da. Die Ablösung solle als dynamischer Prozess verstanden werden: weg von repetitiven Arbeitsleistungen hin zu qualifizierten Arbeiten (durch fortwährende Umschulung und Weiterbildung in die digitale Kompetenz), die Entwicklung der Arbeitsbedingungen (Ausbildungsgutschriften und -kontrollen) und Anpassungen im Arbeitsrechts (temporäre Anstellung unabhängiger Dienstleister in einer Gig Economy). Kann die Freelance-Tätigkeit auf eigene Faust für ständig wechselnde Kunden zum Normalfall werden? Mag sein in Einzelfällen, sicher nicht für die breite Bevölkerung im heutigen Arbeitsprozess!

Was die Berufsanforderungen betrifft ist man sich einig über die Richtung: von der Mitte nach oben. Das war auch so der Fall, nach verschiedenen Berichten über die Entwicklung im Arbeitsmarkt in den letzten Jahren. Als Berufsgruppen mit starkem Wachstum erwähnen diese Berichte Führungskräfte, Betriebswirte, Fachkräfte in Informatik und Kommunikation, Gesundheit und Betreuung (Wer gewinnt und wer verliert, Hansueli Schöchli in NZZ vom 10. November 1977).

Webdesigner, Community Manager, Content-Moderatoren, Berufsleute mit technischer Begabung auf der einen Seite und Wohlfühlanbieter wie Krankenpfleger, Therapeuten, Pädagogen mit sozialer Begabung auf der anderen Seite als Stützen der Volkswirtschaft?

Politisch unterschätzen darf man auch nicht, dass nicht nur die wenig oder weniger qualifizierten Berufsgruppen im Durchzug der Veränderungen stehen. Es trifft auch Fachkräfte mit hoher Berufsausbildung. Infolge Digitalisierung aller Kern- und Supportprozesse (wie Informatik und Rechnungswesen) brauchen global tätige Unternehmen weniger Führungsstufen (wie Rodolfo Buletti in Digitalisierung Teil 1 erfahren musste), weniger Manager (mit „altem“ Wissen und „alter“ Erfahrung), weniger Stäbe (in Human Resources und Recht), ein kleineres Generalsekretariat (mit loyalen Kaderleuten). Die Zukunft gehört den flachen Strukturen, flexiblen Einheiten, dezentralisiert in die Märkte, mit einer starken Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse. Finden die entlassenen Mitarbeiter mit hoher Bildung und vorgezeigtem sozialem Status keine Arbeit mehr, haben die aufblühenden Populisten vom linken und rechten Spektrum rege Zugang, zulasten einer an Konturen verlierenden Mitte.

Aus SonntagsZeitung vom 21.Januar 2018

 

Der oft in diesem Zusammenhang vorgebrachte Hinweis, eine solch disruptive Entwicklung werde bezüglich Geschwindigkeit des Wandels überschätzt ( länger als vermutet aber schneller als bisher) stimmt wahrscheinlich. Wahrscheinlich stimmt aber auch, dass die Dimension der Veränderung (auf die gesamte Arbeitswelt) unterschätzt wird. Grund genug, sich heute damit zu beschäftigen.

Warum spricht niemand von einer Reduzierung der Arbeitszeit, um die noch vorhandene Arbeit auf mehrere Arbeitnehmer zu verteilen? Warum spricht niemand von einer wirksamen Reduktion des Preisniveaus auf der Hochpreisinsel Schweiz, um mit weniger Einkommen auszukommen. Warum spricht niemand von Rückführung der Staatsquote (und damit der Steuern) auf ein Ausmass, das wir uns dann noch leisten können.

Weil die Schrübeler das Sagen haben. Weil man ihnen das Sagen überlässt.

Sicher muss auch wieder die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen neu diskutiert werden, auch wenn diese Vorschläge im Moment noch quer in der Landschaft liegen. Früher oder später wird es alle treffen!

Neue Brandbeschleuniger kommen zum Einsatz: Roboter mit mehr oder weniger künstlicher Intelligenz. Wer hat diese Dinge noch im Griff? Die globalen Tech-Konzerne oder supranationale Institute und Vereinigungen? Davon im Teil 3 zur Digitalisierung.

Demnächst

Logo_ImVisier3

05.02.2018/Renzo Zbinden

 

Trilogie zur Digitalisierung 1 – Treiber

Teil 1: Vom Urknall zur Utopie

Sie kennen ihn: Rodolfo Buletti aus dem Tessin, ausgewandert nach Bern, berufstätig in einer grossen Versicherungsgesellschaft (Die Leistungsträger in der Steuerfalle). Er hat inzwischen Karriere gemacht, leitet die Schadenabteilung mit 50 Mitarbeitern und ist in dieser Funktion Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung.

Es ist 07:15 Uhr, ein Montag. Er fährt mit seinem Dienstfahrzeug auf der völlig überlasteten A1 Richtung Bern, in Gedanken beim kick off meeting um 08:30 Uhr. Am Hauptsitz der Gesellschaft eingetroffen begrüsst ihn ein Mitglied der Geschäftsleitung in Begleitung eines ihm Unbekannten in auffällig dunklem Anzug. Sehr formell, ungewöhnlich steif. Im nahe gelegenen Sitzungszimmer gleich um die Ecke fallen drei Worte, die ihn in Zukunft immer wieder einholen sollten: „Sie sind entlassen“.

Der Schock sass so tief, dass er sich an die Begleitumstände nicht mehr erinnern konnte. Nur so viel: Der Unbekannte im auffällig dunklen Anzug ging mit ihm bis zu seinem Büro im zehnten Stockwerk und gab ihm eine Stunde Zeit, die persönlichen Sachen mitzunehmen. Auf seiner Visitenkarte stand: Mark Studer, Outplacement.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel?

Er sollte es später erfahren: die Geschäftsleitung hat eine mittlere Führungsstufe ersatzlos gestrichen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Verwaltungsrat hat der internen Revision den Auftrag erteilt, das Reporting über alle Führungsstufen zu prüfen und Vorschläge zur Aktualisierung in zeitlicher und strategischer Hinsicht vorzuschlagen. In enger Zusammenarbeit mit einem externen Berater aus dem Bereich Organisationsentwicklung schlug sie vor, das Reporting über die Schadenentwicklung in verdichteter Form und mit weniger Zeitverzug eine Hierarchistufe nach oben zu schieben und zusätzliche Kompetenzen nach unten zu delegieren. Womit der Aufgabenbereich von Rodolfo Buletti weitgehend entfiel. Er wurde – wie man früher sagte –  wegrationalisiert.

Ist Rodolfo Buletti ein Opfer der Digitalisierung, der sprunghaften Entwicklung der Informationstechnologie oder die Konsequenz aus dem Streben nach flachen Hierarchien? Spielt das überhaupt eine Rolle? Eigentlich nein. Rodolfo Buletti ist ein Beispiel dafür, dass die Digitalisierung direkt oder indirekt, unter diesem oder unter anderem Begriff, sich stetig ausbreitet wie eine Krake und schlussendlich sämtliche Unternehmensprozesse durchdringt (Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Administration). Neu sind selbst die Führungs- und wie später darzulegen sein wird auch die anspruchsvollen Supportprozesse betroffen.

Er ist betroffen – oder Sie? Morgen oder Übermorgen

Ju 52 – eine Reise in die Vergangenheit

Allmählich realisieren auch Kader in Wirtschaft und Verwaltung sowie erfahrene Experten wie Juristen und Ärzte, dass ihnen die Digitalisierung die Stelle kosten könnte. Sie wird zu Recht oder zu Unrecht zur Bedrohung für alle, nicht mehr nur für Arbeitnehmer mit überwiegend repetitiven Aufgaben.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Viele hoffen, es treffe sie nicht mehr, es brauche seine Zeit. Mit ein bisschen Weiterbildung, Widerstand und ein Quäntchen Glück könnten sie sich retten bis in die vorgezogene Pensionierung. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch wer so denkt riskiert viel, wird abhängig von externen Faktoren und verliert an Selbstbestimmung und Zuversicht.

Die noch in Ausbildung stehende Generation hingegen wird es voll treffen. Sie steht vor 30 bis 40 Jahren Berufstätigkeit. Wer wagt eine Prognose für diese Zeit in Anbetracht der bevorstehenden technologischen Quantensprünge und der disruptiven Anpassung der Wirtschaft? Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, die Langzeitentwicklung richtig vorauszusehen. Katastrophenapostel und Schönredner versuchen es. Sollen sie. Auch der Bundesrat hat eine Meinung. In Erfüllung eines Postulates hat er erst kürzlich einen Bericht zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt verabschiedet (Bericht vom 8. November 2017). Erfreulich ist, dass der Bundesrat nicht überreagiert sondern besonnen bleibt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Bundesrat sei verhalten optimistisch, die jüngere Entwicklung beurteile er eher positiv. Der Bund vom 9. November 2017 überschreibt seinen Kommentar sogar mit: „Digitalisierung schafft mehr Jobs als dass verloren gehen“. Die Beschäftigung habe in den letzten Jahren zugenommen, die Qualität der Arbeitskräfte der technischen Entwicklung folgen können, die Einkommensverteilung sei stabil. Handlungsbedarf sehe der Bundesrat im Bildungswesen. Es brauche eine Stärkung der Kenntnisse in Informations- und Kommunikationstechnik, so die Kommentare in den Tageszeitungen.

Doch wer sich ein wenig mit der höheren Ausbildung befasst und Kontakt zu den jungen Leuten sucht stellt sehr schnell fest, dass diese im Vergleich zur übrigen Bevölkerung hervorragend damit umgehen können. Die Probleme liegen anderswo: Erstens ist die zukünftig erforderliche Agilität auf technologische Veränderungen gewaltig, denn die Halbwertszeit des erworbenen Wissens ist es ebenso. Zweitens sind es die Arbeitsstellen, die fehlen werden und nicht die technologische Kompetenz der Bewerber.

Was das heisst zeichnet sich schon heute ab. Was die jungen Bewerber aktuell im Bewerbungsprozess erleben, gibt reale Hinweise darauf, wie der Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen könnte.

Wetten, Sie haben keine Ahnung!

Wenn Jungakademiker heute eine erste Arbeitsstelle suchen und jeden Morgen die Jobportale im Internet durchforsten, und es suchen sehr viele, kommen sie mit Bewerbungsprozessen in Kontakt, welche der breiten Bevölkerung völlig unbekannt sind. Ich würde jedem empfehlen, der eine fundierte Meinung haben will, sich diese Prozesse einmal anzuschauen. Oder noch besser: Sie bewerben sich in der Vorstellung, noch einmal anzufangen. Nehmen Sie Ihren Wunscharbeitgeber und tippen Sie „Karriere“ bzw „Careers“.

Die HR Zuständigen (Human Resources) und die Recruiting Services der in der Öffentlichkeit bekannten Unternehmen bauen Hürden auf, die nur sportlich gesinnte und mit grossem Ego ausgestattete Bewerber mit gutem Resultat überstehen können. Sie absolvieren Online Testing von 90 Minuten, Video Selbstpräsentationen und Telefoninterviews, bevor sie überhaupt auf eine Shortlist kommen, gefolgt von ersten, zweiten und dritten Gesprächsrunden oder Einladungen zu Recruiting Camps von einer Woche mit anschliessendem „go – no go“.

Und das Ganze kann sich hinziehen. Zitat SBB: „Die SBB wählt ihre Mitarbeitenden sehr bedacht aus, darum geht es einige Zeit (=mehrere Wochen), um alle Unterlagen gewissenhaft durchzusehen“. Man sollte meinen, wer es auf diese Weise in die SBB geschafft hat, braucht nicht mehrere Wochen, um  Bewerber zu beurteilen.

Wer keine praktische Erfahrung vorweisen kann (1 bis 2 Jahre in einem klar definierten Arbeitsgebiet) hat es noch schwieriger.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Je grösser die praktische Erfahrung, desto besser das Feedback im Bewerbungsprozess. Teilzeitarbeitspensen während des Studiums sind heute unerlässlich und in gewissen Lehrgängen auch planbar. Wobei die Praktika nicht beliebig sein dürfen. Kaufmännische Praxis reicht nicht mehr aus, Erfahrungen als Big-Data-Analyst in einem Grosskonzern schon eher.

Hinzu kommen die mental starken Mitbewerber aus Ländern mit Personenfreizügigkeit, in der Deutschschweiz namentlich aus dem grossen Kanton. Das ist zwar ein anderes Thema. Ebenso, was eine steigende Jugendarbeitslosigkeit politisch bedeutet. Und noch ein anderes Thema ist, wie sich eine heute erwünschte und empfohlene Verlängerung der Arbeitszeit auf die freien Stellen auswirkt.

Nach monatelangem und ergebnislosem Suchen sind viele bereit, sich vorerst für eine Praktikantenstelle zu bewerben (für mehrere Monate bis 2 Jahre). Wenn es so weitergeht haben wir bald einmal italienische Verhältnisse, wo die jungen Leute in der elterlichen Wohnung bleiben müssen, da ihnen die finanziellen Mittel für eine eigene Wohnung fehlen (und damit auch die örtliche Flexibilität bei der Suche nach einer festen Anstellung).

Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit sind immer noch viele der Meinung, die Anzahl neuer Stellen vermöge die Anzahl verlorener Stellen auszugleichen. Es werde sich schon irgendwie einpendeln. Kaum. Mit ein wenig Abstand zu den diametralen und unvereinbaren Ansichten von links und rechts halte ich folgende Thesen für zutreffend:

Drei Thesen zur Digitalisierung

Erstens werden die Folgen der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt unterschätzt, zweitens werden diese Folgen beschleunigt durch weitere Faktoren ausserhalb der Digitalisierung und drittens fehlt eine mehrheitlich getragene wirtschaftspolitische Antwort auf diese Entwicklung.

Dabei haben wir schon viel Erfahrung mit der Digitalisierung, sie geht 50 Jahre zurück. Damals wurden analoge Steuerungsgeräte durch digitale ersetzt.

Der Urknall

Die Digitaltechnik nutzt die binären Werte, die nur die beiden Zustände 0 oder 1 annehmen können (aus oder ein). Solche binären Werte lassen sich durch Prozessoren unglaublich flexibel und rasch verarbeiten und speichern. Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Verteilung der digitalen Daten erfolgen durch laufend weiterentwickelte Informationstechnologien (Computer, Smartphones, Kommunikationsnetze).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Sensoren zur Messung der analogen Werte sind verschiedene Geräte im Einsatz wie Bildsensoren, Scanner, Mikrofone und Thermometer. Sie liefern Werte in Form von elektronischen Spannungskurven. Dabei tasten sie die Spannungskurven in definierten Intervallen ab, bestimmen die Grösse des Messwerts zum Zeitpunkt der Erfassung und übersetzen das Ergebnis in digitale Werte. Die Gesamtheit dieser Werte kann in einer Datei abgelegt werden.

Arbeitsstellen

Heute, auf dem Weg vom Urknall der digitalen Anwendung bis zur herkulischen Potentialausschöpfung sehen wir folgende realen Beispiele von Geschäftsmodellen mit minimalen Arbeitsstellen: „Uber“ der weltweit grösste Taxibetrieb besitzt kein einziges Taxi, „Airbnb“ das weltgrösste Beherbergungsunternehmen keine einzige Wohnung, „Facebook“ die weltgrösste Medienplattform produziert keine Medieninhalte. Der Personalaufwand dieser Weltkonzerne ist vernachlässigbar. Die Reihe liesse sich fortsetzen mit Unternehmen wie „Instagram“ und „Snapchat“. Wo sind die Arbeitsplätze geblieben? Teilweise ausgelagert (ebenso die damit verbundenen Risiken), teilweise automatisiert und durch Roboter ersetzt.

Soll man diese Entwicklung einfach wegdenken, ausblenden oder soll man ihr mit Aktivismus entgegentreten. Immer wieder hört man, um es zu wiederholen, Technologiesprünge dieser Art hätte es schon früher gegeben. Arbeitsplätze seien zwar verloren gegangen, andere jedoch hinzugekommen. Insgesamt sei der Wohlstand gestiegen. Kaum jemand bestreitet das. Doch was einmal war, zweimal oder dreimal (erste, zweite und dritte technologische Revolution) muss sich nicht zwangsläufig wiederholen, warum auch. Stehen wir vor weiteren Wohlstandsgewinnen oder droht uns die Armut? Viele sehen die Risiken, wenige die Chancen.

Düstere Prognostiker behaupten, der Impact auf die Wirtschaft sei diesmal grösser, ungleich umfassender. Es seien gleich mehrere Durchbrüche betroffen.

Der Digitalisierungstreiber 1: der Konsument

Im Mittelpunkt steht einmal mehr der Konsument. Obwohl er fast immer auch Arbeitnehmer ist, handelt er inkonsequent. Umgeben von Sensoren aller Art, wie beschrieben im Bericht Smart-Life, im Cockpit der Dinge, kultiviert er seine Konsumbereitschaft. Seine Bedürfnisse sind grenzenlos. Er nutzt alle Vorteile der Digitalisierung, kostenlose Unterhaltung, bargeld- und banknotenloser Zahlungsverkehr, bis auf ein Minimum gedrückte Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen aller Art, die zeit- und mühesparenden Annehmlichkeiten der Automatik (bis zum selbstgesteuerten Rasenmäher). Der aufgeklärte Jungbürger schaut kein Schweizer Fernsehen mehr, wie uns die Billag-Abstimmung in aller Deutlichkeit vorführt, er streamt sich mehr oder weniger gratis herunter was seiner momentanen Stimmungslage am meisten zuträglich ist.

Der Digitalisierungstreiber 2: der Produzent

Auf der anderen Seite eine produzierende Wirtschaft, die sich dem Markt dauernd anpasst, anpassen muss, jede Gelegenheit wahrnimmt, Produktionsgewinne zu erzielen.

Auch die Digitalisierung der Unternehmung ist keine neue Erscheinung. Davon war im ersten Bericht dieser Reihe Industrie 4.0 die Rede. Doch auch Industrie 4.0 war nur ein Etappenziel, eine Fokussierung auf produktionstechnische Ziele, Ausblick völlig offen.

Der Digitalisierungstreiber 3: die Globalisierung

Der externe Druck auf die Unternehmen im Kampf um neue Aufträge geht unvermindert weiter. Erzielt die Konkurrenz Produktivitätsfortschritte, setzt sie neue Massstäbe (Benchmarks) für alle Mitkonkurrenten. Im Kampf ums Überleben, insbesondere für Unternehmen an der technologischen Front, gibt es kein Zögern, darf es kein Zögern geben.

Alle Treiber wirken kumulativ, zusammen mit den schwer abschätzbaren Fortschritten in Robotertechnik und der damit verbundener Umsetzung von künstlicher Intelligenz. Im Gleichschritt tragen sie alle zur Beschleunigung der Veränderung bei. Die Risiken aus dieser Mehrfachwirkung sind leicht erkennbar, die Chancen nur schwer vermittelbar.

Politische Regulierungen werden als Heilmittel gefragt sein (wie eine Maschinensteuer) und andere chirurgische Eingriffe aus der Mottenkiste linker Etatisten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Erfreulicherweise will der Bundesrat nichts wissen von einer Robotersteuer. Denn diese stünde zum einen steuersystematisch quer in der Steuerlandschaft und zum andern würde eine derartige Steuer Innovationen massiv behindern. Noch unbeholfener ist der Vorschlag einer Steuer auf Self-Checkout-Kassen bei Detailhändlern (ein Gesetzesentwurf im Kanton Genf), um die Arbeitsplätze der Kassierer zu schützen.

Die Entwicklung wird nicht zu stoppen sein, sie wird sich durchsetzen wie fliessendes Wasser, das sich nicht aufhalten lässt, das immer irgendwo einen neuen Weg finden wird. Die Treiber der Digitalisierung, die Konsumenten mit immer neuen Bedürfnissen und Wünschen (letztlich die eigentliche Nachfrage für eine sich anpassende Wirtschaft), und die um die Weiterführung kämpfenden Produzenten die keine Alternative haben, werden diesen Weg gehen.

Geniale Einzeltäter, innovative Teams und Grosskonzerne mit gewaltigen finanziellen Mitteln sind auf dem Weg oder machen sich auf den Weg, global. Dabei ist diese Entwicklung weder lokal noch kulturell irgendwie gebunden.

Wer übernimmt die Themenführerschaft?

Es wäre die primäre Aufgabe der aktiven Generation, alles zu tun, um den nachrückenden Generationen eine faire Chance auf eine sinnvolle und ausbildungsgerechte Beschäftigung zu gewährleisten. Doch die Politiker stossen ein anderes Thema in den Vordergrund: die Sicherstellung der AHV. Wäre es nicht naheliegender, sich vorerst einmal über die Beschäftigung dieser Generationen Gedanken zu machen?

Stattdessen überlässt man das Thema einer selbst ernannten Elite von Wissenschafts-, Wirtschafts- und Ausbildungsexperten. Diese verkünden ihre Erkenntnisse in smarten Interviews, Seminaren und Weiterbildungskursen.

Mit dabei sind auch die Medien, von den Tageszeitungen über die Fachzeitschriften bis zu den elektronischen Medien (Kassensturz und Dienstag „Club“ in der Woche vom 20. November 2017). Als Grundlage für die Berichterstattung dienen Umfragen zum Thema, wie die UBS Studie zur Digitalisierung. Gemäss dieser Studie glauben 59 Prozent der 2500 befragten Unternehmen, dass die Digitalisierung nur geringfügige oder keine Veränderungen für ihre Firma bedeutet. Was den Bund (vom 17. November 2017) dazu veranlasst, den Kommentar zur Studie mit „Digitalisierung? Interessiert uns nicht“ zu betiteln. Eine Umfrage von EY kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Danach mussten weltweit und in der Schweiz „mehr als jedes zweite Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren deutliche Änderungen am eigenen Geschäftsmodell vornehmen“ (EY Medienmitteilung 2017).

Das Faktum Digitalisierung muss zurück von der Unterhaltung zu den massgebenden Führungskräften in Wirtschaft und Politik. Der Leidensdruck der aktiven Bevölkerung ist noch zu gering, ihre Wahrnehmung im Cockpit der Berufstätigkeit noch analog. Ein Flug ins Ungewisse.

Die Arbeitsplätze der Zukunft, demnächst

Logo_ImVisier319.11.2017/Zbinden Renzo

Russland – Handelspartner und Aggressor

Russische Soldaten marschieren in die Ostukraine, besetzen Gebiete und annektieren die Krim. Europa ist entsetzt. Mit sowas hat niemand gerechnet. Die EU beschliesst Sanktionen gegen Russland. Die Schweiz will nicht mitmachen. Unser Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amman bietet als Ersatz für Sanktionen seine Vermittlerdienste an. Das könne er, da die Schweiz keine Partei ergreife.

So sehen nicht wenige ihre Chance gekommen zu liefern, was andere nicht mehr dürfen. An der Spitze: die Agrarlobby. Doch soweit sollte es nicht kommen. Das konnte sich auch die Schweiz nicht leisten. Sie erliess die Verordnung „Massnahmen zur Vermeidung der Umgehung internationaler Sanktionen“, in Ergänzung zu den Vorkehrungen, die sie bisher getroffen hat.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zu den damals beschlossenen Massnahmen gehören ein Bewilligungsstopp für Ausfuhren von Kriegsmaterial sowie von gewissen zivil oder militärisch verwendbaren Gütern (nach Russland und in die Ukraine), eine Meldepflicht für Güter und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Erdölförderung und eine Meldepflicht für Finanzdienstleister. Ergänzend hinzu kommt ein Verbot neuer Geschäftsbeziehungen für den Finanzsektor.

Ein Bewilligungsstopp für Kriegsmaterial hätte vermutlich schon über das Kriegsmaterialgesetz erfolgen müssen (Bundesgesetz über das Kriegsmaterial, Art. 22 KMG) bzw. über die Kriegsmaterialverordnung (Verordnung über das Kriegsmaterial, Art. 5 KMV).

Ohne es weiter vertiefen zu wollen erscheint eine Meldepflicht für irgendetwas als wenig folgenschwer. Und überhaupt: Wie furchterregend war die Schweizer Drohkulisse gegen russische Interessen? Und wer hat ohne öffentliches Wehklagen die grossen Opfer getragen? Die Wirtschaft blieb merkwürdig stumm, auch der Finanzsektor.

Tauwetter

Die Invasion an der Ostflanke der Nato ist schon wieder Geschichte. Das Gedächtnis ist kurz. Die Anstandsfrist vorbei. Bereits Mitte Mai reiste der Nationalratspräsident Jürg Stahl mit einer grossen Bundeshausdelegation nach Moskau. Im Juli folgte Schneider-Ammann mit einer Wirtschaftsdelegation als Türöffner für kleine und mittlere Unternehmen. Teil der Wirtschaftsdelegation war auch der CEO der russischen Tochtergesellschaft der Ammann Group, die von seinem Sohn geführt wird.

Auch die parlamentarischen Lobbyisten wollen keine Zeit verlieren. Sie sehen ihre Möglichkeit, vor dem Tross der grossen Nationen ihre Pflöcke zu stecken. Sie fordern eine Wiederaufnahme von Verhandlungen (nach der Handelszeitung vom 22.06.2017). Natürlich wollen sie das.

Das verstehen doch alle, die Schweizer Bevölkerung wie auch jene Staaten, die sich solidarisch am Boykott beteiligen. Deswegen sind wir Schweizer doch nicht unsympathisch. Vorauseilende Blockadebrecher zwar schon, aber doch nicht aus habgierigen Absichten. Streng neutral eben, mehr nicht.

Die Ostukraine ist immer noch besetzt, die Krim immer noch annektiert, der Friedensprozess blockiert, die Sanktionen der EU und der USA nach wie vor in Kraft.

Kann es sein, dass sich ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung einen Angriffskrieg gar nicht mehr vorstellen kann? Im Frieden aufgewachsen, ohne jeden persönlichen Bezug zu einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen Staaten, historisch uninteressiert, friedliebend, versöhnlich, Fried selig?

Ja.

Die Nachkriegsgeneration

die nicht vergessen kann, die nie vergessen will

Lange ist es her – und es kommt der Gedanke: Sind es noch persönliche Erinnerungen oder sind es bereits Publikationen? Second Hand. Längst vergessene Fotos füllen die Lücke, erzählen eine Geschichte aus einer vergangenen Zeit. Mein Vater im Aktivdienst, hoch zu Ross irgendwo im Norden am Rhein. Zuhause die Koffern gepackt, bereit für die Flucht in die nahen Berge, ins Eigental. Am Abend alle Fenster abgedunkelt. Es ist Ende 1943.

Geboren in diese Zeit ist man kein Kriegskind mehr. Im Gegenteil. Geboren in ein Leben ohne Krieg, ein fast einmaliges und unglaubliches Glück. Getrübt nur durch den kalten Krieg. Den man längst vergessen hat, oder eben doch nicht?

Der Ungarn-Aufstand

Ein Aufstand des Volkes gegen die verhasste stalinistische Regierung. Arbeiter und Bauern, Kommunisten und Sozialdemokraten, Soldaten und Generäle, Intellektuelle und Studenten. Sie fordern die sowjetischen Besatzer auf, das Land zu verlassen. Am 22. Oktober 1956 verfassen Studenten der Technischen Universität Budapest eine Erklärung, wonach sie bürgerliche Freiheitsrechte einfordern, Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen und die nationale Unabhängigkeit. Es kommt zu einem Volksaufstand, die Lage eskaliert, die Ereignisse überschlagen sich. Am 4. November rücken starke sowjetische Panzerverbände in Ungarn ein. Nach offiziellen Angaben starben 2’500 Ungarn und über 700 sowjetische Soldaten, 200’000 Ungarn fliehen, auch in die Schweiz(Klicken Sie zum Weiterlesen)

auch nach Bern. Wer zu dieser Zeit an der Universität Bern Nationalökonomie studierte und nicht Bernburger war oder zumindest in Bern aufwuchs, gehörte als Auswärtiger einer Minderheit an, die auf Distanz gehalten wurde. Luzerner wie ich, Luzern damals noch ohne eigene Universität (mit Ausnahme einer theologischen Fakultät), und Tessiner verkehrten in einer Art Diaspora. Man war als Minderheit unter sich. Zu uns stiess eine weitere Minderheit, Flüchtlinge aus Ungarn. Sie fanden bei uns, was sie so gerne haben wollten, die Freiheit. In Kürze sprachen sie deutsch, sogar schweizerdeutsch, sogar fast ohne Akzent.

Aus ihnen wurden Professoren, Unternehmer, Polizeigrenadiere der Stadt Bern. Bis zum heutigen Tag gute Freunde.

Der Ungarn-Aufstand zeigte evident, zu welcher Brutalität und Rücksichtslosigkeit die Sowjetunion imstande war. Wir junge Schweizer waren uns einig, wir würden kämpfen. Wer konnte, ging in die RS (Rekrutenschule), wer nicht konnte, behielt es für sich.

Autobiografisch aus der Retrospektive: 1964 Flab-RS in Emmen. Ausbildung als Radarsoldat an Geräten von Contraves, eine Gesellschaft der Oerlikon-Bührle-Gruppe, damals noch eine Schweizer Spitzentechnologie. Anschliessend Flab UOS (Unteroffiziersschule).

1965 Abverdienen mitten im Kalten Krieg. Das Feindbild war leicht zu vermitteln, die rote Armee, hochgerüstet und gefährlich.

Kaserne Emmen, Ausbildung an der persönlichen Waffe

1966 Flab-OS (Offiziersschule) in Dübendorf, anschliessend Abverdienen in Emmen. Feuereinheitskommandant.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein gezogenes Feuerleitgerät, zwei gezogene Kanonen, drei gezogene Aggregate, ein Lastwagen mit Prügelmatten, insgesamt eine Kolonne von sieben Lastwagen, ein Jeep. Ein Stellungsbezug im Gelände bei Nacht mit technischer Schussbereitschaft im frühen Morgengrauen war schon eine aussergewöhnliche Herausforderung für einen dreiundzwanzigjährigen Studenten der Wirtschaftswissenschaften.

Man trägt noch Uniform im Ausgang, Vorschrift. Und wer in der zivilen Bevölkerung als Offizier herumlief bekam es allmählich deutlich zu spüren: die Passanten Blicke. Sie sagten viel, namentlich in den Städten, bei der urbanen Bevölkerung. War es Hohn, mehr noch – Hass? Ein vorbeiziehender Offizier, per se ein Karrieretyp, ein Wichtigtuer, ein Alphatier in Geburtswehen. Zum negativen Image beigetragen hat wohl auch die persönliche Erfahrung vieler Soldaten mit dem Militärdienst der damaligen Zeit, teilweise zu Recht. Doch darüber hinaus zweifelte man bereits erstens über die Notwendigkeit einer eigenen Armee und zweitens über die Wirksamkeit im Ernstfall. Wo war die reale Bedrohung? Westdeutschland war dazwischen.

Als Offizier im Ausgang liess man seinen Hut besser nicht mehr in der Garderobe zurück.

Der Prager Frühling

In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968, kurz vor Mitternacht, landen 200 sowjetische Transportflugzeuge mit Fallschirmjägern und schweren Waffen auf den Flugplätzen rund um Prag. Anschliessend überschreiten eine halbe Million Soldaten aus der Sowjetunion, aus Polen, Ungarn (!) und Bulgarien die Grenze zur Tschechoslowakei. Dabei 6’000 Panzer. Sie besetzen in wenigen Stunden alle strategisch wichtigen Positionen. An der Grenze zwei Divisionen der Nationalen Volksarmee der DDR. Die grösste militärische Operation seit 1945.

Im Schweizer Radio hören wir täglich die Berichterstattung von unzähligen Piratensendern aus der Tschechoslowakei, live, dramatisch, unvergesslich. Es werden immer weniger. Bald wird es stumm. Die Reformversuche der kommunistischen Partei der CSSR wurden gewaltsam beendet. Sie waren aus sowjetischer Sicht konterrevolutionär und friedensgefährdend. Es folgte eine Phase der Restalinisierung, offiziell der „Normalisierung“.

1969 Sport-Of Kurs FF Trp, 1970 Nahkampfkurs St. Luziensteig, 1975 Zentralschule I, Wiederholungskurse. 1988 Zentralschule II, Chamblon/Birmensdorf. 1989 Abverdienen. Geopolitisch eine ruhige Zeit. Es kam eine Epoche, wo das Feindbild nur noch diffus erkennbar war. „Weitermachen“ war nur noch für Betonköpfe, das Kader der Wirtschaft legte immer weniger Wert auf militärische Führungserfahrung. Im Gegenteil, wer sich dafür einsetzen wollte wirkte suspekt. Akademiker nutzten die „eingesparte“ Zeit für ein Doktorat oder eine Management-Führungsschule.

1990: Konzeptstudie Flieger/Flab im Zusammenhang mit der Einführung der takt L Flab Lwf Einheiten (Lenkwaffen Stinger). Nach meinen Studien, wenn ich mich richtig erinnere, wäre die Sowjetunion in der Lage gewesen, innerhalb von 20 Stunden (ab Tschechoslowakei) im Reusstal eine Luftlandedivision abzusetzen mit dem Auftrag, einen Brückenkopf zu errichten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ergebnis der Studie auf militärdeutsch: Mit „schachbrettartig“ in die Tiefe des Raumes gestaffelter Aufstellung der Lenkwaffensysteme wäre es möglich gewesen, dem Gegner die Benutzung des unteren Luftraumes nachhaltig zu erschweren und damit zur Abnutzung der gegnerischen Luftkriegsmittel beizutragen.

Die Diensttage summierten sich, schliesslich sollten es 1095 Tage oder volle 3 Jahre sein (1994). Nicht ungewöhnlich für meine Generation.

Perestroika – der Anschluss an Europa – die unglaubliche Wende

Niemand, wirklich niemand hatte die Hoffnung, das russische Imperium würde ohne Krieg fallen. Tränen in den Augen, nicht nur in Berlin, auch vor dem Fernseher. Die russischen Zeitungen durften wieder unzensiert berichten, die russische Bevölkerung erfuhr die katastrophale wirtschaftliche Lage, inhaftierte Regimekritiker wurden freigelassen (Glasnost). Erste Schritte zur Demokratisierung folgten (Perestroika). Die nachteiligen festgefahrenen Strukturen wurden reformiert, die Planwirtshaft gelockert.

Plötzlich hatte man Freunde in Russland, wollte das Land bereisen.

An den internationalen Münzenbörsen – um beim autobiografischen Bezug zu bleiben –  tauchten russische Händler auf, kauften Silber- und Goldmünzen, nicht nur russische, ältere Banknoten aus dem Zarenreich und aus den ehemaligen Satellitenstaaten. Sympathische, zugängliche und interessierte Händler. An den Auktionen, in der Schweiz bei Sincona, wurden unglaubliche Spitzenpreise erzielt, phantastische Ergebnisse. Da waren sehr reiche Auftraggeber aus Russland am Draht.

Man begann sich für Russland zu interessieren, ein riesiges Land mit einem unglaublichen historischen Hintergrund. Ein gigantischer Markt für Erzeugnisse aus aller Welt, eine wirtschaftliche Win-Win Situation aus dem Bilderbuch. Und abschliessend noch einmal autobiografisch: die Schiffsreise von Moskau nach Leningrad auf einem ehemaligen DDR-Schiff (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Moskau – Uglitsch – Jaroslawl – Gorizy – Kishi – Mandrogi – St. Peterburg, in rund 10 Tagen.

Unterwegs mit MS Konstantin Simonov

Moskau: unzählige Edelkarossen auf der Strasse, vorwiegend deutsche Fahrzeuge, alle neuwertig, immer die obersten Ausführungen. Viele Baustellen, keine Polizisten, keine Militärangehörigen mit Ausnahme beim Kreml.

Welcher Kontrast zu heute! Die Kaufkraft des Rubels im vertikalen Sinkflug, die Staatseinnahmen aus Öl und Gas ebenso. Als Brandverstärker der Boykott der westlichen Staatengemeinschaft, der unglaubliche Reichtum der Oligarchen, die Lügenpresse, die gesuchte Bedrohung aus dem Westen, die glorreiche Eingliederung der Krim – was für eine Kette unvorteilhafter Faktoren auf einer „Burning Platform“. Eine historische Chance total vertan.

Die politisch-militärische Glaubwürdigkeit und die wirtschaftlichen Folgen

Nach dem russischen Einfall in Georgien im Oktober 2008, der im Westen als lokale Auseinandersetzung um Grenzverläufe ehemaliger sowjetischer Satelliten wahrgenommen wurde, hat Russland seine Streitkräfte reformiert: weg von den schwerfälligen Divisionen hin zu flexiblen, in kurzer Zeit einsetzbaren Brigaden für Sonderoperationen, verstärkt durch Spezialkräfte der Geheimdienste. Bei der Besetzung der Krim waren Sondereinheiten der Luftlandetruppen (Speznas) massgeblich beteiligt. Wir sahen sie im Fernsehen, völlig deplatziert als „grüne Männchen“ betitelt. Sie waren überall, aber ohne Hoheitsabzeichen, vor Verwaltungsgebäuden, Polizeistationen und militärischen Einrichtungen. Putin nannte sie Selbstverteidigungskräfte oder autonome Nationalisten, aber keineswegs russische Armeeangehörige, allenfalls freiwillige russische Soldaten im Urlaub! Ein Blick auf die persönliche hochtechnische Ausrüstung hätte genügt, Putin immer wieder der Lüge zu überführen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Kombikampfanzug besteht aus atmungsaktivem Kunststoff, der vor Feuer und Splitter schützen soll und bei Nacht (in Infrarotstrahlen) nicht erkennbar sei. Die Schutzweste aus Keramikplatten. Weiter gehören dazu moderne Kommunikationsmittel, ein Nachtsichtgerät und Multifunktionsgeräte im Helm mit Camcorder.

Putin musste wissen, dass man seine Lügen aufzeichnen würde. Es muss ihn nicht gestört haben. Die Beteiligung seiner Spezialkräfte hat er später auch zugestanden, nicht ohne Stolz. Er hält es wohl für eine Kriegslist, und nicht für einen Krieg ohne Kriegserklärung.

Es ist derselbe Putin von heute, mit dem man wieder Geschäfte machen soll. Krim hätte immer zu Russland gehört, diesem Argument neigen auch „gemässigte“ Politiker zu. Der Verstoss gegen das Völkerrecht sei hinzunehmen. Vom offenen Kampf in der Ostukraine und der Errichtung der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk wollen sie nicht sprechen. Da sei im übrigen eine Lösung in Sicht.

Akut gefährdet sind die baltischen Staaten, stark bewohnt von einer russischen Bevölkerung. Die lustigen „grünen“ Männchen wären in Kürze auch dort. Schon fast vor Ort waren sie bei der Militärübung „Sapad“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Alle 4 Jahre, 2017 Mitte September, fand das Grossmanöver „Sapad“ statt, unter Beteiligung weissrussischer Truppen. Im Westen (Sapad) von Russland, zwischen Polen im Süden und Litauen im Norden, liegt die russische Exklave Kaliningrad. Der Korridor vom westlichen Kaliningrad zum östlichen Weissrussland über den Grenzabschnitt Polen/Litauen wird als Suwalki-Lücke bezeichnet. Diese über 100 Kilometer lange Lücke hat strategische Bedeutung. Eine Besetzung durch russische Truppen würde die baltischen Staaten vom Nato-Gebiet abtrennen und damit ihre Versorgungslinie unterbrechen.

Es fehlt nicht an Dramatik. Nato-Truppen haben erstmalig auch schon die Rückeroberung der Suwalki-Lücke geübt.

Russland, unser Geschäftspartner?

Der wirtschaftliche Niedergang

Die für Russland so wichtigen Einnahmen aus Rohöl und Gas sind mit sinkenden Marktpreisen im freien Fall. Strukturelle Reformen in der Wirtschaft sind fast völlig ausgeblieben. Die russische Machtelite schöpft ab. Unbehelligt bleibt nur der militärisch-industrielle Komplex, der für die Modernisierung und Neuausrüstung gewaltige Summen absorbiert. Die NZZ („Russlands imperialer Irrweg“) vom 19. Juni 2017 kommt auf einen Gesamtanteil für innere und äussere Sicherheit von 10,7 Prozent des BIP (Bruttoinlandprodukt). Zudem wirkt sich nachteilig aus, dass der Technologietransfer für „dual use“ Güter unterbrochen ist (It-systeme und -komponenten wie auch Führungs-, Leit- und Kontrollsysteme). Unterbunden ist auch Russlands militärisch industrielle Zusammenarbeit mit der Ukraine, was bei uns weniger bekannt ist. Die NZZ erwähnt „Forschung, Entwicklung und Produktion von Flugzeugen und Flugzeugkomponenten, Helikoptern, Marinemotoren, Trägerraketen, Lenkwaffen, Elektronik und Radaranlagen“.

Der wirtschaftliche Niedergang liegt jedoch nicht nur in den sinkenden Energiepreisen und in den steigenden Ausgaben für die Armee begründet. Er ist in erster Linie systemimmanent. Putins Machtfundament gründet in einem politischen Klientelismus. Putin hat es verstanden, einflussreiche Vertreter der Machtelite und wirtschaftliche Oligarchen persönlich an sich zu binden. Entstanden ist auf diese Weise eine Art Günstlingskapitalismus. Putin herrscht über ein Netz asymetrisch gebundener Loyalisten. Es mag sich dabei um einen Versuch handeln, den Erfolg der alten russischen Feudalwirtschaft zu kopieren.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Loyalisten finden sich an der Spitze der staatlichen Macht, in der Staatsduma (im Unterhaus), im Föderationsrat (im Oberhaus), im Sicherheitsrat und in der Justiz. Dieses politische Machtzentrum wird ergänzt durch wirtschaftliche Loyalisten an der Spitze von Staatsunternehmungen und gewaltiger „privater“ Konzerne. Wie mächtig und reich diese Loyalisten sind, zeigt sich an den Kapitalabflüssen in den Westen oder noch eindrucksvoller in die Offshore-Steueroasen im Westen. Die Günstlinge sind bekannt. Sie finden sich namentlich auf den Sanktionslisten.

Putins neofeudales System kann nachhaltig nicht erfolgreich sein. Die wirtschaftliche Lücke zum Westen wird immer grösser. Die Loyalisten sitzen auf quasi Monopolen. Es fehlt an Wettbewerb, national wie global, die Korruption verhindert dringend notwendige Produktivitätsfortschritte. Kommt Loyalität vor Innovation und Unternehmergeist ist der wirtschaftliche Niedergang unabwendbar.

Russlands Ideale

Der politische Klientelismus in einer „gelenkten“ Demokratie kann sich nur solange halten, als die Bevölkerung mitmacht. Und das tut sie, schwer verständlich für im Westen lebende Freigeister. Wenn man der Selbstbeurteilung russischer Intellektueller folgen soll träumt das russische Volk von einer Vergangenheit, die es so gar nie gab. Die Vergangenheit, real gesehen eine Kette traumatischer Ereignisse, sei historisch nie aufgearbeitet worden, eher schon mit Halbwahrheiten zusammengezimmert. Die wahrgenommene Vergangenheit sei eine historische Fiktion, die dem Volk als Zukunft verordnet werde. Und die neu kultivierte Sensibiltät für das Vergangene bewirke, dass die Zukunft, welche auch immer, schlechter dastehe als die Gegenwart. So verliert der Anschluss an den Westen an Relevanz und  trägt in sich den Keim der Dekadenz.

Ob die staatlich geführte Lügenpresse dabei die entscheidende Rolle spielt, ist letztlich unerheblich. Ebenso, ob Unterschiede zwischen der urbanen und ländlichen Bevölkerung bestehe. Grosso Modo steht die Bevölkerung hinter der die Vergangenheit verklärende Politik von Putin. Alles andere ist Wunschdenken. Sie will einen starken Führer und sie ist stolz, dass der Westen wieder Respekt und Angst vor Russland hat.

Das russiche Volk braucht einen Köder, die Krim. Und die alte Mär von der Einkesselung durch die Nato schliesst die Reihen im Inland. Es braucht nur noch Fake-News, gekonnt aufbereitet durch die staatlichen Informationskanäle, und das Ganze hält, solange die Loyalisten Putin lassen.

Russlands imperiale Kräfte

Von einer imperialen Überdehnung spricht man, wenn die Ausgaben für die innere und äussere Sicherheit die wirtschaftlichen Möglichkeiten übertreffen. Russland ist auf diesem Weg. Unter Putin sind die Militärausgaben laufend gestiegen. Hinzu kommen die Ausgaben für die wirtschaftliche Unterstützung und Entwicklung der annektierten und besetzten Gebiete.

Sind die imperialen Kräfte einmal da, ist die Versuchung gross, grenznahe Konflikte zu provozieren, auf weitere „Farbrevolutionen“ im postsowjetischen Raum militärisch zu reagieren und den Westen auf Distanz zu halten. Russland zwingt die Nachbarstaaten in die Abhängigkeit (wie Weissrussland und Armenien), unterhält Separatistengebilde wie Südossetien, Abchasien, Transnistrien und eben „Neurussland“. Es leiden nicht nur die souveränen Nachbarstaaten, Russland schürt auch Ängste bei den östlichen Nato-Partnern.

Transnistrien 500 Rubel (1994)

Das in der heutigen Zeit aus dem Rahmen fallende aggressive Vorgehen verhindert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten und zwingt Russland in eine wirtschaftlich unvorteilhafte Eurasische Union als Alternative zur EU.

Schweiz – was nun?

Die Schweiz muss nicht Trittbrettfahrer bei den Sanktionen sein. Sie kann ihren eigenen Weg gehen. Weder im Kreml noch bei befreundeten Staaten darf jedoch der Eindruck entstehen, dass die Schweiz aus dieser Situation Vorteile erziele.

„Wandel durch Handel“, wie aus wirtschaftlichen Kreisen immer wieder vorgeschlagen, ist das falsche Rezept. Russland scheitert an den festgefahrenen  politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Russland ist ein Koloss in einer lebhaften Umgebung. Und bleibt deshalb gefährlich.

Es kommt hinzu, dass Putin versucht, Westeuropa zu spalten. Und dazu findet er immer wieder Krisenherde, immer wieder Gelegenheiten, Öl ins Feuer zu giessen. Denn offene Demokratien sind verletzlich, die Meinungs- und Medienfreiheit hinterlässt Wunden, Unsicherheiten und Zweifel, was insbesondere die EU heute erlebt.

Wie soll sich die Schweiz verhalten?

  1. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte hat unmissverständlich gezeigt, dass Russland bereit und in der Lage war, geopolitische Ziele auch mit militärischen Mitteln zu erreichen. Die Schweiz muss sich dessen bewusst sein. Die Hoffnung, der Kreml verzichte auf die Anwendung militärischer Gewalt, grenzt an Naivität.

2. Die „grünen“ Männchen sind Teil der Desinformation. Ebenso die Behauptung, Russland sehe sich von der Nato eingekreist und bedroht. Wer Verständnis hat für diese Erklärung lebt „auf Wolke sieben“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Und Augen auf – in aller Offenheit: „Wolke sieben“ ist bevölkert, da treffen sich intellektuelle Idealisten, unbekehrbare Moralisten und fundamentale Kriegsgegner aus dem linken Lager. Es sind nicht wenige oder im Klartext: Es sind viele!

Russland steht mit modernen Kampfeinheiten an der Grenze zu unseren östlichen Nachbarn , jederzeit in der Lage, politische Unruhen zu unterstützen.


3. Die Schweiz muss immer wieder und bei jeder Gelegenheit die Anwendung militärischer Gewalt missbilligen. Das macht sie nicht. Wenn es die Schweiz unkommentiert zulässt, dass die Russische Föderation im Minsker Prozess als Mediator auftritt, und nicht als Kriegspartei, wird sie zum Statisten.


4. Die Vorstellung, die Denkweise zwischen der wirtschaftlich politischen Elite und der Bevölkerung sei nicht deckungsgleich, es gelte daher, die Bevölkerung zu unterstützen, ist längst widerlegt.  Die Behauptung, wirtschaftliche Sanktionen schaden der Beziehung mit der russischen Bevölkerung, gleicherweise.


5. Der Kreml hofft auf den Verfall des Westens. Brexit, Ukip, AfD, FPÖ, Front national, die politische Entwicklung in Ungarn, Polen und der USA, schwächt zwar die moralische Standfestigkeit. Doch kann es nicht sein, dass die Ethik ausgerechnet in einem korrupten Russland noch intakt ist. Im Westen werden Werte noch diskutiert, nicht vorgegeben. Da fliegen Späne, nicht Bomben.


Szenenwechsel: Schottland, im Spätherbst 2016, im Kreuzgang einer Kathedrale, rundum in Stein gehauene und auf Leinwand gebannte historische Gestalten, eine tiefe Stimme – der Fremdenführer erhobenen Hauptes, mit glasigen Augen: „It’s all about power and money“. Und immer wieder:

It’s all about power and money

12.10.2017/Renzo Zbinden

Lobbying – der Kampf um die Argumente

Die Entscheidfindung hat etwas gemeinsam mit einem Radwechsel. Man sieht erst im Nachhinein, ob es rund läuft, wie erwartet, oder eben nicht. Wenn nicht, wird nachgebessert, ausgewuchtet. Es bleibt ein Ärgernis, ein ewiges Flickwerk, an dem Herumgebastelt wird.

Kann man vermeiden, Fehlentscheide zu treffen? Davon sei nachfolgend die Rede. Und natürlich auch davon, was es mit Lobbying zu tun hat.

Die Wucht der Argumente

Im politischen Alltag geht es um die Wahl von Handlungsalternativen, wobei auch der Nullentscheid eine häufige Alternative sein kann (es bleibt, wie es ist). Ist der Entscheidungsprozess komplex, was in der direkten Demokratie die Regel ist, sind laufend neue Entscheidungsträger an Bord zu holen, wie Verbände, Parlamentarier und letzten Endes der Stimmbürger selbst. Um das Ganze kompakt und verständlich zu halten, braucht es Argumente. Argumente (lateinisch argumentum) begründen den Zusammenhang zwischen Prämisse (lateinisch praemissa „das Vorausgeschickte“) und Konklusion (lateinisch conclusio „die Schlussfolgerung“).

Nun ist es naheliegend anzunehmen, dass die Qualität der Argumente für die Wahl der Handlungsalternative entscheidend ist, gleichsam einer Wucht (der Argumente), die sich gegen alle Widerstände durchsetzt. Dachte ich.

Wenn ich in meinem Leben etwas Entscheidendes übernommen habe, das sich als falsch herausstellen sollte, so ist es diese Annahme.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Schon als Dreikäsehoch wurde mir beigebracht, dass alles seine Richtigkeit hat, die  „figures and facts“ da sind, wenn man sie einfordert. Der Lehrer hatte immer Recht (früher sprach man von Herrschaftswissen oder Autoritätsargumenten). Und das Suchen, Bewahren und Vertreten von „wahren“ Argumenten war eine Ehrensache. Wer mit den Argumenten richtig umgehen konnte, war eine Persönlichkeit.

Doch in Politik und Wirtschaft geht es nicht um die Qualität der Argumente, in Politik und Wirtschaft geht es um die persönliche Vorteile.

Im Schatten der Argumente

und nur mit Mühe erkennbar laufen vielseitige Interessen mit. Es können parteipolitisch weit abgesteckte gemeinsame Interessen sein oder einfach nur wirtschaftliche Partikularinteressen. Entscheidend ist, dass nicht diese Interessen vom Absender kommuniziert und vom Empfänger aufgenommen werden, sondern die vorgeschobenen „unwahren“ Argumente. Nicht selten kommt es sogar vor, dass die Reihenfolge von Prämisse und Konklusion umgekehrt wird. Die Schlussfolgerung steht fest, ebenso die Argumente, es werden die Prämissen angepasst (als Variable). Zwei Beispiele:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Holt sich der Verwaltungsrat bzw. der Entschädigungsausschuss (das Compensation Committee) Hilfe von aussen für den Vergütungsbericht, weiss der beigezogene externe Berater sehr wohl, was von ihm erwartet wird: Prämissen aus dem internationalen Umfeld, die zu den Argumenten passen (angebliche Spitzengehälter vergleichbarer internationaler Konzerne beim „search of talents“).

Ein anderes Beispiel: Wer klettert die Karriereleiter empor? Wer nach Argumenten die besten Voraussetzungen erfüllt? Ein Top Shot mit herausragenden Prämissen wie berufliche Erfahrung, Netzwerke, Erfolge (proven track records)? Eine Binsenwahrheit. Es sind Beziehungen, Vorteilserwartungen, Partikularinteressen der Entscheidungsträger. Mag sein, dass auch aus diesem Grund an der Spitze von Konzernen nicht immer jene vertreten sind, die man sich dort eigentlich wünscht. Jedenfalls keine kaschierten Selbstoptimierer und Narzisse.

Die Legitimität eigener Interessen

Letztlich geht es um die Frage, ob es legitim ist, vorwiegend oder ausschliesslich die eigenen Interessen wahrzunehmen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Um beim Alltag zu bleiben:

Der Stimmbürger: Er findet, ein Parkplatz pro Neubauwohnung sei ausreichend, basta. Doch nicht aus ökologischen Gründen sondern nur, weil ihn der Nachbar ärgert, der sich zwei Autos leisten kann. Oder die Medien: Sie nehmen für sich in Anspruch, im Allgemeininteresse und immer nur der Wahrheit verpflichtet zu berichten. Eine linke und rechte Presse dürfte es dann eigentlich nicht mehr geben. Und wie steht es mit der Verwaltung (Dienerin im Volksinteresse), wenn es um die eigenen Arbeitsplätze geht? Und schlussendlich der gewählte Politiker: inwieweit muss und darf er die persönlichen Erwartungen seiner Wähler berücksichtigen?

Sind Einzelinteressen subjektiv und Volksinteressen objektiv. Was sind überhaupt Volksinteressen und wer nimmt diese wahr? Wird das Volksinteresse durch Einzelinteressen korrumpiert? Um es vorwegzunehmen:

Es darf nicht sein, dass Volksinteressen vorgeschoben werden, wo nur Einzelinteressen im Fokus stehen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Schweizer Bauernverband hat mit seiner Initiative zur „Ernährungssicherheit“ in Kürze 150’000 Unterschriften gesammelt. Nun wird am 24. September 2017 über den Gegenvorschlag des Parlaments abgestimmt, ein Verfassungsartikel, der vom Bund die „Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln“ verlangt. Doch wer sich die Mühe nimmt, den Entwurf zu studieren, entdeckt ganz andere Ziele unter dem Dach der „Ernährungssicherheit“. Es geht um den Schutz des Kulturlandes, um eine standortangepasste ressourceneffiziente und auf den Markt ausgerichtete Lebensmittelproduktion und um grenzüberschreitende Handelsbeziehungen. Einfacher drückt sich Markus Ritter aus, Präsident des Schweizer Bauernverbandes: „Wir (die Bauern) brauchen vor allem Stabilität und Verlässlichkeit“ (im Bund Interview vom 14. Juli 2017).

Nicht nur die Bauernlobby (vgl. dazu „Hochpreisinsel Schweiz“) steht unter dem Generalverdacht, im Parlament Partikularinteressen zu vertreten, auch die Verwaltungsräte sollen in erster Linie unternehmerische und parteipolitische Interessen verfolgen. Doch kaum jemand unterstellt den Funktionären von Gewerkschaften und den Mitarbeitern von NGO’s, vorwiegend sozialpolitische Interessen wahrzunehmen.

In der direkten Demokratie finde der Interessenausgleich im Parlament statt.

Der Interessenausgleich über die Institutionen

Im Parlament prallen die Interessen aufeinander. Da wird gezogen und geschoben, von links nach rechts, von hinten nach vorne, gedroht und belohnt, Fraktionen gebildet und aufgekündigt. Und das Ergebnis aus dem Kampf dieser Interessen: die besten Entscheide im Gesamtinteresse des Volkes? Wohl kaum! Mit der Initiativ- und Referendungsmöglichkeit überlässt man dem Stimmbürger das letzte Wort. Auf diese Weise ist der Interessenausgleich gesichert. Richtig? Oder ist der Interessenausgleich letzten Endes doch nur eine Folge machtvoller Einwirkungen einflussreicher und tonangebender Parlamentarier?

Die NZZ vom 14. März 2016 berichtet in ihrem Artikel über „Aktive Interessenvertreter von links bis rechts, wie die National- und Ständeräte unter dem Bundeshaus lobbyieren“. Gemäss Erhebung der NZZ sind 1671 Organisationen im National- und Ständerat vertreten. Erstaunen mag, dass es nicht die Bauern sind und nicht die Wirtschaftsdachverbände, welche über die grösste Lobby verfügen, es sind mit grossem Vorsprung Hilfswerke, soziale Institutionen und Nicht-Regierungs-Organisationen, gefolgt von „Kultur, Medien, Telekommunikation“ und „Industrie, Energie“.

Swiss Air Force für den Bundesrat

Gemäss NZZ vertreten 200 National- und 46 Ständeräten in zwei Ratssälen partikuläre Interessen. Sie holen sich Lobbyisten zur Informationsbeschaffung und -auswertung, lassen sich zum Informationsaustausch einladen, die Spesen erstatten, in Gremien und Verwaltungsräte wählen.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, soweit es offen erfolgt, oder besser gesagt, soweit es sich theoretisch recherchieren (aufspüren) lässt. Stehen die Parlamentarier zur Wahl oder Wiederwahl, stehen jedoch ganz andere Motive im Vordergrund: „für eine offene Schweiz“, „für Arbeitsplatzsicherheit“, „gleicher Lohn für alle“ … Vereinsmitgliedschaften sind wichtig, Hobbys sind wichtig, doch Interessenbindungen gegen Aufwandentschädigung, um Gottes Willen! Kaum einer lässt sich freiwillig in die Lobbyistenschmudelecke stossen. Im Scheinwerferlicht der Presse und an gesellschaftlichen Anlässen sehen sie sich lieber – verständlicherweise – als Volks- oder Standesvertreter.

In der gleichen NZZ-Ausgabe unter dem Titel „Heimlifeisse Lobbyisten“, immerhin keine liebenswerte Überschrift, steht: „Zu beklagen ist das nicht. Lobbyismus ist integrierter – und legitimer – Bestandteil einer parlamentarischen Demokratie“.

Wer so argumentiert, spricht dem Stimmbürger eine überdurchschnittliche Intelligenz zu, viel Verständnis und eine hohe Toleranzschwelle. Er steht so quasi über der Sache und lässt sich durch wohlfühlende Argumente nicht übertölpeln und zum Narren halten. Und genau hier liegt der Irrtum. Es stimmt nicht. Den in diesem Sinne gescheiten Stimmbürger gibt es ebenso wenig wie den homo oeconomicus oder den der Ratio verpflichteten Konsumenten. Emotionen sind im politischen Entscheidungsprozess unentbehrlich und essenziell. Alle wissen das.

Die erfolgreiche Beeinflussung durch Lobbyisten fängt beim Bauchgefühl an. Und damit auch die Gefahr wirtschaftlicher und politischer Irreführung. Das erklärt auch, weshalb das Wettbewerbsrecht derart stumpf und der Konsumentenschutz derart harmlos geblieben ist. Lobbying funktioniert.

Lobbying – im Notfall auch gegen den Wind

Mit Lobbying, aus dem Englischen für „to seek to influence on an issue“, nehmen „Lobbys“ Einfluss auf die Meinungsbildung der Entscheidungsträger (in Politik und Wirtschaft). Sie beschaffen sich Informationen, suchen und knüpfen persönliche Beziehungen, erarbeiten Stellungnahmen und beeinflussen die öffentliche Meinung. Sie handeln auftrags- oder mandatsbezogen für Interessengruppen, ihre Kunden.

Lobbying, eine Randerscheinung in einer demokratischen Entscheidfindung, ein berechtigtes Anliegen übergangener Minderheiten? Die Relevanz von Lobbying in der Schweiz wird krass unterschätzt, was schon folgende Zahlen eindrucksvoll bezeugen: Gemäss Magazin (25/2015) erzielen an die tausend Lobbyisten eine Milliarde Umsatz p.a. Eine Milliarde, um notfalls auch gegen den Wind Entscheide zu erwirken, Partikularinteressen zum Durchbruch zu verhelfen?

Wer wissen will, was Lobbying alles umfasst, soweit es nicht in der Dämmerung stattfindet, sondern im vollen Licht und geregelt im Rahmen der Standesregeln der Lobbyistenvereinigung, der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (Spag), findet in Art 1 unter dem Begriff „Interessenvertretung“:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Die Interessenvertretung bezweckt die Teilhabe betroffener Kreise aus Wirtschaft und Gesellschaft an staatlichen Vorhaben. Sie ist verfassungsrechtlich verankert (Art. 147 BV) und stellt einen unverzichtbaren Bestandteil demokratischer Meinungsbildung dar“. Art. 6 „Sorgfaltspflichten und Offenlegung“ gibt Einblick in das Tätigkeitsgebiet der Lobbyisten. Lobbying umfasst:

  • Informationsvermittlung bei und Einflussnahme auf Regierungsmitglieder, Verwaltung sowie von der Regierung und der Verwaltung eingesetzte Gremien, Parlamentsmitglieder und deren Mitarbeiter, Gremien und Mitarbeiter politischer Parteien
  • Medienarbeit mit dem Ziel der Beeinflussung der Akteure
  • Übernahme politischer Ämter
  • Einsitznahme in Gremien, die von der Regierung und der Verwaltung eingesetzt sind
  • Issue-Monitoring, -Management und Stakeholder-Management
  • u.a.

Professionelle Einflüsterer? Reicht nicht, mehr als das. Schon die Informationsvermittlung kann gezielt erfolgen. Und die Einflussnahme per se wirkt manipulativ und schränkt die Unabhängigkeit der Entscheidungsträger ein.

Unabhängigkeit, doch für wen?

Der Transparenz dient ein Register der Mitglieder, das im übrigen öffentlich zugänglich ist (Homepage SPAG). Das Register enthält neben den persönlichen Angaben die Arbeitgeber und die Funktionen. Unter Funktionen finden sich Geschäftsführer von Verbänden, wissenschaftliche Mitarbeiter, Public Policy-, Public Relations- und Public Affairs-Manager, Mitarbeiter Business Communications und Consultants.

Wieweit die Offenlegung gehen und welche Auftraggeber und Mandate sie umfassen soll wird hingegen kontrovers diskutiert. Wo enden die Public-Relations und Corporate-Communications Mandate, die keinem eigentlichem Lobbying entsprechen und wo beginnen die offenlegungspflichtigen Mandate mit Kontakten zu Dritten, wie Medien, Verwaltung, Politik? Eigentliche Lobbyagenturen wie Burson-Marsteller, Furrerhugi und Farner, die auf Mandatspraxis arbeiten, wollen offenbar keine weitergehenden Transparenzanforderungen erfüllen. Andererseits haben fest angestellte Interessenvertreter von Banken-, Pharma- und andere Verbände weniger Mühe damit (Mitglieder).

Dabei darf nicht übersehen werden, dass mehrere promintente Lobbyisten nicht Mitglieder des Spag sind. Das Image der Branche bleibt widersprüchlich bis schlecht. Eine Abkehr der löcherhaften Selbstregulierung durch eine gesetzliche Regelung (Lobbygesetz) ist deshalb vermutlich nur noch eine Frage der Zeit.

Jeder Vergleich hinkt, und doch kann er wertvolle Parallelen aufzeigen. Die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer(Klicken Sie zum Weiterlesen)

und Revisionsstellen – in der Sache völlig unbestritten – ist heute ausufernd geregelt. Dem Grundsatz nach umschreibt Art. 728 OR, was mit der Unabhängigkeit unvereinbar ist. Darüber hinaus zeigen die Standes- und Berufsregeln der EXPERT Suisse (die „Richtlinien zur Unabhängigkeit 2007“, mit Änderungen per 1. Dezember 2014) im Einzelnen, was die Unabhängigkeit gefährden könnte. Lebensabschnittspartner und nahe Verwandte (Eltern, Geschwister und finanziell unabhängige Kinder) bleiben nicht unerwähnt.

Es ist schon merkwürdig bis auffallend: da regelt der Gesetzgeber, die Bundesparlamentarier, die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer in aller Breite und Tiefe, mit grosser Zustimmung der Medien und der Stimmbürger. Doch geht es um sie selbst, um ihre freie Meinungsäusserung und Unabhängigkeit, sind sie sehr grosszügig bis ahnungslos mit sich selbst. Sie dürfen das, abhängig sein. Es ist schliesslich kein Berufsparlament. Und von Art. 161 BV (Instruktionsverbot) spricht überhaupt niemand:

1 Die Mitglieder der Bundesversammlung stimmen ohne Weisungen.

2. Sie legen ihre Interessenbindungen offen.

Und warum eigentlich schlägt niemand eine Brücke in Richtung Bestechung und Korruption:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

StGB Art 322 sexies1, Bestechung schweizerischer Amtsträger/Vorteilsnahme: „Wer als Mitglied einer richterlichen oder anderer Behörde, als Beamter, als amtlich bestellter Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher oder als Schiedsrichter im Hinblick auf die Amtsführung für sich oder einen Dritten einen nicht gebührenden Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft“, in Verbindung mit Art 322 quater (Vorteilsgewährung).

Wie unabhängig müssen gewählte Politiker in einem Milizparlament sein?

Sind wir nicht alle der Meinung, die Parlamentarier vertreten in erster Linie die Interessen der Schweiz, vielleicht noch unter dem Dach parteipolitischer Vorstellungen?

Wussten Sie, dass sich Parlamentarier bezahlen lassen. Sie dürfen Einsitz nehmen in Verbände und Gewerkschaften, Zutrittsberechtigungen zum Parlament (Badges) an Lobbyisten verteilen:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Jedes Ratsmitglied kann für je zwei Personen, die für eine bestimmte Dauer Zutritt zu den nichtöffentlichen Teilen des Parlamentsgebäudes wünschen, eine Zutrittskarte ausstellen lassen“ (Art 69 Abs 2 Parlamentsgesetz).

Kampfflugzeugbeschaffung: Lobbying für den „Gripen

und selbst Lobbying Mandate übernehmen. Unsere Bundesparlamentarier müssen ihre Nebeneinkünfte noch nicht einmal detailliert offenlegen. Die SonntagsZeitung vom 14.5.2017 machte es zum Thema: „Lobbyisten drängen an die Macht“. Wobei offenbar viele ihre Mandate erst erhalten, nachdem sie Einsitz genommen haben in wichtige parlamentarische Kommissionen. Die Entschädigungen sollen bis zu 10’000 Franken für vier Sitzungen pro Jahr betragen. Gemäss den Lobbyverbänden gehe es dabei um „informellen Austausch“. Vermuten darf man eine brachiale Einflussnahme auf politische Entscheide gegen rüde Bezahlung!

Über hundert Verbände schmücken sich mit einem Präsidenten in den beiden Räten! Und nach vorherrschender Meinung sei es sogar Courant normal, dass diese ihre Verbands- und Geschäftsstelle auf dem Laufenden  halten („Direkter Draht ins Parlament“, NZZ vom 8.7.2015). Neue Traktanden aus den Kommissionssitzungen finden auf diese Weise, trotz Kommissionsgeheimnis, eine rasche Aufarbeitung bei den betroffenen Interessenten. Hinzu kommt, dass die Verbände einen verfassungsmässig garantierten Anspruch haben, bei der Vorbereitung wichtiger Erlasse zu einer öffentlichen Stellungnahme eingeladen zu werden. Dieses Vernehmlassungsverfahren ist weltweit einzigartig. Ressourcenstarke Verbände aus der Finanz- und Pharmaindustrie gehen frühzeitig und kraftvoll in die Startpflöcke. Ressourcenschwachen Verbänden zugunsten der Konsumenten, Patienten, Arbeitnehmern geht schon nach wenigen Metern die Luft aus (schon in der vorparlamentarischen Phase).

Es sind nicht Argumente, die sich durchsetzen, es sind – wie eingangs erwähnt – die Partikularinteressen. Viele Initiativen zur Korrektur dieser Art von Entscheidbildung sind bisher ergriffen worden, alle sind stecken geblieben. Neue sind in der Pipeline: wie die angestrebte Volksinitiative der Sozialdemokraten, nach welcher die Bundesparlamentarier kein Mandat mehr bei einem Krankenversicherer ausüben dürfen.

Milizparlamentarier sollen berufstätig bleiben, Interessenkonflikte seien hinzunehmen. Doch nicht einmal die Mindesterfordernis, volle Transparenz der Geschäftsbeziehungen, lässt sich durchsetzen. Gibt das nicht zu Denken?

Licht durch Transparenz

In Anlehnung an den Lösungsansatz von Eric Martin, Präsident von Transparency International Schweiz, in seinem Gästekommentar vom 6. April 2017 in der NZZ, könnten kurzfristig folgende Massnahmen realisiert werden:

  1. Ein öffentliches Akkreditierungssystem mit einem für alle einsichtbaren Register (im Internet) mit Mandaten (Auftraggeber) für alle Interessenvertreter (Verbände, Agenturen, NGO’s), die nicht selbst im Parlament sitzen
  2. Für Parlamentarier eine lückenlose Offenlegung ihrer Mandate
  3. Ein legislativer Fussabdruck über den Meinungsbildungsprozess (nachvollziehbar über Aufnahme- und Beschlussprotokolle), eingeschlossen die finanziellen Mittel, die dazu zur Verfügung stehen
  4. Eine gesetzlich verankerte Karenzzeit für Parlamentarier einerseits und für das Kader der öffentlichen Verwaltung andererseits, um zu verhindern, dass diese unverzüglich nach Beendigung ihrer Tätigkeit „die Seite wechseln“.

Ob das hilft? „Wenn die Bevölkerung nicht erfahren darf, wer mit welchen Mitteln in wessen Auftrag auf welche politischen Entscheidungen einwirkt, wird das für eine Demokratie zum Problem“ (Das Magazin 25/2015).

Und man darf nie vergessen: Im Mittelpunkt des Problems steht nicht der akkreditierte Lobbyist in der Wandelhalle des Parlaments, und nicht die erfolgreiche Lobbyagentur mit einem zwielichtigen Image. Im Auge des Tornados steht der gewählte Parlamentarier, der unabhängig von persönlichen Vorteilen die Interessen der Schweiz wahrnehmen sollte. Wir sind schliesslich keine Bananenrepublik, oder doch?

Als junger Kantonsschüler habe ich gemeinsam mit Kollegen eine neue Partei gegründet und im Jugendparlament vertreten: die „Objektive Partei“. Rundum wohlwollendes Grinsen. Ich kann es heute verstehen.

28.07.2017/Renzo Zbinden

 

EL’FE das Steuerreform-Paket

Steuern Schweiz Teil 3: Die Steuerreform im Paket

Das Steuersystem der Schweiz ist historisch gewachsen. Notwendige Anpassungen waren das Ergebnis politischer Vorstösse und Kompromisse. Heute stehen wir vor einem Wildwuchs von Steuergesetzen, -verordnungen und -entscheiden. Teil 1 und 2 der Trilogie Steuern Schweiz sollten aufzeigen, dass jetzt eine strukturelle Steuerreform dringend ist.

Fünf vor zwölf 

Unser Wohlfahrtsstaat: er sollte ursprünglich allen Bedürftigen eine Stütze sein. Ist er immer noch. Er verhindert den freien Fall ins Ungewisse. Doch mehr noch ist er heute Ursache und Quelle für einen breiten Strom universeller, billig oder gratis zugänglicher Leistungen.

Die Erwartungen aller, nicht nur der Bedürftigen, sind inzwischen derart gestiegen, dass man sich fragen muss, wer diese erstens in naher Zukunft noch finanzieren soll, dazu zweitens in der Lage ist und drittens es ohne Widerstand tut. Denn irgendeinmal wird der gebeutelte Steuerzahler die Bringschuld verweigern. Irgendeinmal genügt es ihm nicht mehr, als Steuernomade von Steueroase zu Steueroase zu ziehen. Irgendeinmal möchte er „zuhause“ bleiben, in einem verträglichen Steuerklima in Steuerehrlichkeit leben.

Die strebsamen und wirtschaftlich Erfolgreichen ermatten, seien es Entrepreneure die sich feiern lassen oder stille Führungskräfte aller Stufen, die sich voll einbringen. Sie fühlen sich fiskalisch ausgenommen und persönlich ausgegrenzt von einer breiten Bevölkerung, welche die Vorteile des Wohlfahrtsstaates in Anspruch nimmt ohne sich darüber Gedanken zu machen, wer diese finanziert(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Sie reduzieren ihre Arbeitszeit oder gehen frühzeitig in Pension. Oder sie hören auf die Stammtischvorschläge zur Steuer“optimierung“ und überschreiten dabei die Schwelle zwischen Steuerumgehung und Steuerhinterziehung contre coeur. Den Gedanken folgen Taten, den Taten ein schlechtes Gewissen, Schlaflosigkeit und die Angst, jederzeit „auffliegen“ zu können. Jeder kennt solche Fälle.

Auf der anderen Seite die Max Wolle’s (Steuern Schweiz Teil 2), die wenig bis gar keine Steuern bezahlen und mit gutem Gewissen innert Minuten einschlafen (auch am Arbeitsplatz). Die gebeutelten Steuerzahler nennen sie

„Gratisbürger“

ein nicht sehr schmeichelhafter Terminus, der auch nicht zutreffend ist. Alle Steuerpflichtigen bezahlen Steuern.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Abgesehen von einer allfälligen „Kopfsteuer“ fallen Mehrwertsteuern an, dazu Gebühren und Abgaben aller Art. Davon sei nachfolgend nicht die Rede. Im Vordergrund stehen die kantonale Einkommens- und Vermögenssteuer und die direkte Bundessteuer; aus Kompensationsgründen eingeschlossen ausserdem die Erbschaftssteuer. Und wenn schon reformieren, dann auch richtig: inklusive Unternehmenssteuern.

Die Macht der Steuerbefreiten

Viele bezahlen wenig bis keine Steuern, mehr als Sie denken. Steuerbefreite und -begünstigte verspüren keinen Steuer-Leidensdruck. Ihre persönliche Situation vor Augen kämpfen sie mit anderen Problemen: Unsicherheit am Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit, Schulden, gesundheitliche und andere Probleme. Finanzielle Engpässe stehen im Vordergrund ihrer Gedanken. Alleinerziehende, Jugendarbeitslose, schlecht Ausgebildete, ältere Arbeitskräfte, sie würden gerne mit Ihnen tauschen, wenn es um Ihre Steuern geht. Mehr Steuern, dafür höheres Einkommen? Tönt gut.

Ohne auf die sozialen Aufgaben des Staates eingehen zu wollen geht es hier möglichst emotionslos zur Kenntnis zu nehmen: Ein grosser Teil der Bevölkerung erwartet keine Steuerreform, die andere entlastet. Sie würden die Reform auch nicht unterstützen, im Gegenteil.

Wer sind diese Steuerbefreiten? Ab welchem Bruttoeinkommen sind Steuern fällig? Dazu liegen umfangreiche Auswertungen vor(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für Doppelverdiener mit 2 Kindern beginnt die Steuerpflicht im Appenzell ab einem Bruttoeinkommen von CHF 24’638 (nicht zu verwechseln mit dem steuerbaren Einkommen). In Zürich ab CHF 47’924, in Bern ab CHF 43’380 und in Genf erst ab CHF 79’010! Dabei unberücksichtigt ist die allenfalls erhobenen Mindest- bzw. Personal- oder „Kopfsteuern“, wie eingangs erwähnt (Eidg. Steuerverwaltung, Steuerbelastung bei den Kantonshauptorten 2015, vom 18.07.2016).

Während in Genf jeder Dritte steuerbefreit ist leiden Grossverdiener unter  Spitzenbelastungen!

Im Gegensatz dazu der Kanton Schwyz: Für Grossverdiener ein Steuerparadies, für tiefe Einkommen eine Steuerhölle.

Bei der direkten Bundessteuer bleiben 30 Prozent der Haushalte ohne Steuerbelastung. Ledige Steuerpflichtige bezahlen Steuern ab CF 24’230, Doppelverdiener mit 2 Kindern erst ab CHF 114’470, vorher nicht!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Finanzwissenschaft beschäftigt sich u.a. mit dem optimalen Steuersatz, der irgendwo zwischen zwei Grössen liegt: Bei null fallen keine Steuereinnahmen an, bei einem Steuersatz von gegen Hundert ist niemand mehr bereit, steuerpflichtiges Einkommen zu erwirtschaften. Dazwischen liegt das Optimum. Wird es überschritten, nehmen die Steuereinnahmen ab. Zu progressive Steuersätze hält Erfolgreiche davon ab, aktiver zu werden.

Je höher der Anteil der Steuerbefreiten, je grösser die Gefahr, in eine „Tyrannei der Steuerbefreiten“ zu schlittern. Denn diese bestimmen die Steuerlast der Steuerzahler, rein demokratisch! Als treffendes Beispiel dazu wird oft Frankreich erwähnt, wo nur 47% der Haushalte Einkommenssteuern bezahlen. Steht uns das bevor? Ist uns das bekannt?

Die Leistungsträger der Gesellschaft fallen in die Steuergrube

Die Höhe der kantonalen und kommunalen Steuern ist progressiv gestaffelt, unterschiedlich stark je nach Kanton (und Gemeinden). Das heisst: Mit jedem zusätzlich verdienten Einkommen (und mit jedem zusätzlich angesparten Vermögen) fliesst ein höherer Anteil an die Steuerverwaltung. Extrem progressiv bis hinauf zur Maximalbelastung ist die direkte Bundessteuer. Wohlhabende Steuersubjekte tragen auf diese Weise mehr zur Finanzierung der Allgemeinheit bei als weniger wohlhabende. Diese Ungleichheit ist sozialpolitisch erwünscht und grundsätzlich unbestritten. Nur das Ausmass ist bestritten.

Als Folge der Progression rutschen immer mehr Durchschnittsverdiener, insbesondere aber Leistungsträger mit variablem Lohnanteil, in eine höhere Steuerbelastung. In der Hochpreisinsel Schweiz mit sicherem Teuerungsausgleich und fast sicherer Reallohnerhöhung erhält die Steuerverwaltung auf diese Weise jedes Jahr höhere Steuern (welche die Politiker in der Absicht Wählerstimmen zu erhalten auch bereits wieder ausgegeben haben), und zwar auch ohne Erhöhung der Steuersätze. In Ergänzung dazu wird in die Trickkiste gegriffen. So wird beispielsweise der Eigenmietwert des Wohneigentums erhöht, indexiert über ganze Gebiete, und –  was für ein Wunder – zusätzliche Einkommenssteuern fliessen auch ohne zusätzliche Einkommen. Sehr verwaltungseffizient.

Werden auf Druck der Bürgerlichen die Steuern gesenkt, sprechen linke Kreise von Steuergeschenken, die man sich nicht leisten könne. So kam es, dass der Kompromiss zwischen links und rechts bisher zum Ergebnis hatte, in erster Linie mehr Gratisbürger zu erhalten. Um die Steuerbelastung auf der Extrameile kümmerte sich niemand. Ehrgeizige (Klassenbeste) hat niemand so richtig gerne.

Der Staat wäre gut beraten, in erster Linie die Leistungswilligen zu fördern und nicht die Lebenskünstler

Wer seine Leistung reduziert und seine Lebensziele ändert („work life balance“), sollte das tun können, aber eben nicht zulasten der Leistungsträger. Doch was tun die Politiker in ihrem Kampf um Wählerstimmen?

Im Stehen erstarrt

Zwei Schritte nach links, ein Schritt nach rechts, zwei Schritte nach rechts, ein Schritt nach links. Doch da war man schon! Wer immer nach links schaut, vorprescht, dann leicht nachgibt, oder eben nach rechts vorprescht und dann nachgibt, hat den Kopf nicht frei für einen Schritt nach vorne. Und nur der Schritt nach vorne bewegt, verändert.

Die notorischen „Schrübeler“ sind ein Auslaufmodell

Gefragt sind neue Perspektiven, neue Horizonte, unverbrauchte Politiker. Politiker, die mehr oder weniger selbstlos die Schweiz für die nächsten Jahrzehnte fit trimmen wollen. Ohne Flickwerk. Die noch an Argumente glauben und ihr Heil nicht in der Parteitaktik suchen. Die neue Netzwerke bilden, über links und rechts hinaus, um das Treten an Ort zu überwinden, um den Schritt nach vorne zu wagen. Politiker die begeistern können.

Es muss sie geben, es gab sie immer. In dieser Erwartung:

Fundamente für das Steuerreform-Paket EL’FE

Das Reformpaket soll methodologisch ähnlich strukturiert sein wie die gescheiterte Unternehmenssteuerreform III: Mit einem Overruling für alle und einem Baukasten für die Kantone.

Fünf Massnahmen:

1. Bund und und Kantone senken die stark progressiven Steuersätze für steuerbare Einkommen zwischen CHF 100’000 und CHF 500’000. Ergänzend zimmern die Kantone einen Rahmen, um die Vorteile für Steuernomaden in Grenzen zu halten 

Die kantonalen Unterschiede bei der Steuerbelastung der Leistungsträger sind gewaltig. Zwar soll der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen (und den Gemeinden) grundsätzlich erhalten bleiben, jedoch durch Leitplanken in engere Bahnen geführt werden.


2. Die Kantone unterstützen die Vermögensbildung durch ergänzende Steuererleichterungen. Der Vermögensertrag wird zum reduzierten Einkommenssteuersatz besteuert. Auf die Vermögenssteuer selbst ist zu verzichten

Dass viele erstens über kein Eigentum verfügen (mit Ausnahme der blockierten PK-Guthaben) und dieses zweitens sehr konzentriert bei wenigen liegt, ist ethisch untragbar und politisch brisant.

Leistungsträger wollen Eigentum. Eigentum fördert die Sicherheit, eine vorübergehende Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Doch es soll keine massgeschneiderte Lösung für Leistungsträger alleine sein. Der Staat soll vielmehr verpflichtet werden, Eigentum über das bisherige hinaus für alle zu fördern, beispielsweise durch steuervorteilhafte Bausparmodelle.

Der Eigenmietwert als Steuerbasis für die Einkommenssteuer ist ersatzlos zu streichen. Ebenso die Vermögenssteuer. Der Vermögensertrag selbst wird zum hälftigen Einkommenssteuersatz besteuert.

Sparen soll sich wieder lohnen.


3. Die Altersrenten sind reduziert steuerpflichtig

wie das teilweise schon früher der Fall war. Diese Steuerwohltat trägt erstens der Entwicklung Rechnung, dass die Kaufkraft der Pensionierten laufend abnimmt (durch die vom Staat erwünschte Teuerung). Die Massnahme trägt zweitens dazu bei, dass das gesparte Vermögen länger ausreicht, um die überbordenden Kosten für Alters- und Pflegeheime zu decken. Und drittens wirkt sie als Korrektiv für voraussichtlich sinkende Altersrenten.


4. Die wegfallenden Steuererträge (aus den Massnahmen 1 bis 3) sind zu kompensieren durch eine eidg. Erbschaftssteuer (auch für Nahestehende) und eine Beteiligungsgewinnsteuer

Die Erbschaftssteuer (an Nahestehende) dient im Reformpaket als Kompensationsmassnahme. Sie ist in keiner Weise nur zusätzliche Quelle für Steuereinnahmen, wie linke Kreise dies heute immer wieder vorschlagen.

Von einer Kapitalgewinnsteuer wie früher ist abzusehen. Hat der Kleinaktionär den Mut, Wertpapiere zu kaufen und Risiken einzugehen, soll er unterstützt und nicht steuerlich bestraft werden. Hingegen ist es wenig verständlich, dass Grossaktionäre beim Verkauf von ganzen Beteiligungspaketen Milliardengewinne einstreichen ohne jede Steuerfolgen. Denn hinter den Milliardengewinnen stehen in der Regel Tausende von Mitarbeitern und nicht nur Ankeraktionäre. Mit der Beteiligungsgewinnsteuer (für nicht Buchführungspflichtige) geht ein Teil der Gewinnschöpfung an die Allgemeinheit zurück.


5. Auf Unternehmenssteuern ist zu verzichten

Unternehmenssteuern sind in der Schweizer Bevölkerung vom Grundsatz her unbestritten. Die Mehrheit geht davon aus, dass damit die Steuerlast der natürlichen Personen entlastet werde bzw. eine Senkung der Unternehmenssteuern zu einer höheren Belastung der natürlichen Personen führen müsste. Diese Hypothese war im Übrigen ein im Vordergrund stehendes Kriterium im Kampf gegen die Unternehmenssteuerreform III. Sie beruht auf einem kapitalen Denkfehler, der jedoch nicht ganz einfach nachzuweisen ist.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Unternehmung hat wirtschaftliche Ziele. Sie handelt gewinnorientiert und sichert auf diese Weise ihre Weiterführung. Für die Unternehmung sind Unternehmenssteuern Kosten (Mittelabflüsse). Sie werden ähnlich wie die Verwaltungskosten auf die Kostenträger überwälzt (Produkte und Dienstleistungen). Auf diese Weise sind die Steuern im Verkaufspreis enthalten, oder mit anderen Worten, der Kunde trägt die Unternehmenssteuern über die Endverkaufspreise (ähnlich wie die Mehrwertsteuern). Kann die Unternehmung die Unternehmenssteuern nicht auf die Verkaufspreise überwälzen, beispielsweise aus Konkurrenzgründen, reduziert sie die Löhne ihrer Mitarbeiter oder die Dividenden ihrer Aktionäre.

Es sind immer die Stakeholder, welche die Steuern tragen, allerdings ohne es bewusst zu tun. Die Kunden bezahlen mehr, die Mitarbeiter und Aktionäre erhalten weniger.

Folgerichtig könnte man die Steuern der natürlichen Personen leicht anheben und auf die Unternehmenssteuern ganz verzichten. Dann bezahlt der Konsument weniger für die Produkte und Dienstleistungen, alternativ erhält der Mitarbeiter mehr Lohn und der Aktionär mehr Dividende (vgl. dazu auch: Auf Unternehmenssteuern sollte verzichtet werden, Pierre Bessard in Finanz und Wirtschaft vom 01. 02. 2017). Pierre Bessard sagt zu Recht, dass über die Unternehmenssteuern die wahre Belastung verschleiert wird, was zwar im Interesse des Staates liegen mag, der Steuerpflichtige die volle Steuerbelastung jedoch unterschätzt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die effektive Lastenverteilung zu kennen und zu regulieren dürfte jedoch schwierig sein. Vertiefte Abklärungen wären erforderlich.

Die Vorteile wären gewaltig. Bei einem vollen Steuerverzicht würden erstens die internationalen Wettbewerbsvorteile für in der Schweiz ansässige Unternehmen dramatisch zunehmen. Eine Neuauflage der Unternehmenssteuerreform III wäre obsolet. Zweitens würden die Unternehmen im administrativen Bereich stark entlastet. Drittens ist es die primäre Aufgabe der Unternehmen, Arbeitsplätze zu schaffen und leistungsgerechte Löhne zu bezahlen, und nicht die Ausgaben des Staates zu finanzieren. Und viertens könnten Bund und Kantone massiv an Verwaltungskosten einsparen.


Der Weg zum Erfolg ist steinig, die Übergangslösungen

Ohne Zweifel, die Kunst liegt im Detail. Und ohne Planrechnungen geht es auch nicht. Übergangslösungen erleichtern die politische Machbarkeit. Damit die Steuerparadiese nicht von heute auf morgen entvölkert werden, sind stufenweise Anpassungen vorzusehen, im gleichen Zug Steuerhöllen zu entlasten.

Wer bisher Jahr für Jahr, ein Leben lang, Vermögenssteuern bezahlt hat, darf mit der neuen Erbschaftssteuer nicht doppelbesteuert werden. Gestreckte Übergangslösungen sollen dies verhindern (beispielsweise eine nach Jahren gestaffelte Erhöhung der Erbschaftssteuersätze oder eine Anrechnung der bisher bezahlten Vermögenssteuern an die Erbschaftssteuern). Mit der Digitalisierung von heute sind Lösungen möglich, die verwaltungstechnisch früher undenkbar waren.

Gestandene Berufspolitiker werden der Auffassung sein, ein Steuerreform-Paket der skizzierten Art gehöre in die Märchenwelt der Fabelwesen. EL’FE ist ein solches Fabelwesen: Ein weibliches Geschöpf mit Zauberkraft.

In einem Land der „Schrübeler“, wo alle Lösungen über Kompromisse gesucht werden, seien fundamentale Eingriffe in bestehende Strukturen reines Wunschdenken. Vermutlich schon. Wir sagen zwar, Frankreich sei reformunfähig, Italien auch, Griechenland sowieso, doch die Schweiz …

Eben: Und das Steuerrefom-Paket hat eine einfache, verständliche und klar definierte Botschaft:

EL’FE

Entlastung der Leistungsträger ‚ Förderung der Eigentumsbildung

Der Wunsch nach Anerkennung der persönlichen Leistung auf der einen Seite und nach einem gewissen Vermögen auf der anderen Seite ist eine starke Plattform für ein Generationenprojekt. Der über Jahrzehnte gewachsene und vielfältigen Interessen tragende Dschungel an Steuergesetzen, -verordnungen und -entscheiden würde fundamental aufgeforstet.

Vorbehalt

Mit verständlichen Aussagen und klar formulierten Empfehlungen riskiert man, „aus dem Zusammenhang“ zitiert zu werden. Ich bin nicht für die Einführung einer Erbschaftssteuer (für Nahestehende) und nicht für die Einführung einer Beteiligungsgewinnsteuer als solche. Ich bin für diese Massnahmen nur und ausschliesslich als Gegenfinanzierung für die steuerliche Entlastung der Leistungsträger, für den Verzicht auf die Vermögenssteuer und den Verzicht auf die Vermögensertragssteuer zum vollen Einkommenssteuersatz.

Ich bin für die Vermögensbildung auch für jene, die dazu bisher nicht in der Lage waren

Und ein Ausblick auf demnächst

Logo_ImVisier3

Die aufgeführten Argumente zum Steuerreform-Paket kommen nicht aus dem politisch linken oder rechten Minenfeld. Massgabend waren ethische und staatspolitische Überlegungen. Doch es ist eine Binsenwahrheit, dass mit Argumenten keine Schlacht gewonnen wird, der politische Lösungsprozess folgt anderen Gesetzen.

Lobbying – die Unwucht der Argumente

16.05.2017/Renzo Zbinden

 

 

 

 

Die Leistungsträger in der Steuerfalle

Steuern Schweiz Teil 2: Die Leistungsträger

Sie erinnern sich: Rodolfo Buletti aus Cadro (Gemeinde Lugano seit 2014) hat Steuern hinterzogen. Das gegen ihn eröffnete Verfahren hat sich in die Länge gezogen. Zurück bleibt für ihn das Gefühl, Unrechtes erfahren zu haben. So seien die Nach- und Strafsteuern unverhältnismässig gewesen (ein Mehrfaches der hinterzogenen Steuern). Seither misstrauisch verhält sich auch die Steuerverwaltung. Sie will neuerdings alles belegt haben.

Die modernen Steuernomaden ziehen weiter

Als ihm sein Arbeitgeber (eine grosse Versicherungsgesellschaft) die Möglichkeit eröffnet, in Bern zu arbeiten, sogar noch verbunden mit einer Beförderung, beginnt er zu rechnen. Mit folgenden steuerrelevanten Daten:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Verheiratet, 2 Kinder, Konfession röm-kath, Nettogehalt neu p.a. CHF 160’000, aufgerechnete Spesen CHF 10’000, Nebenerwerb aus selbständiger Tätigkeit CHF 30’000, Nettogehalt seiner Frau Stella CHF 45’000, Vermögensertrag CHF 5’000, Eigenmietwert Cadro nach Pauschalabzug Unterhalt CHF 22’000, Hypothekarzinsen CHF 12’000, übrige Berufs- und Sozialabzüge CHF 10’000

Steuerbares Einkommen p.a. insgesamt CHF 250’000, steuerbares Vermögen (inklusive Steuerwert der Liegenschaft Cadro) CHF 900’000. Damit ist er noch nicht bei den Grossverdienern und weit davon entfernt, sich reich zu fühlen. Nach seiner Meinung gehört er zum oberen Mittelstand. Für die Steuervergleichsrechnung stehen ihm verschiedene Modellrechner zur Verfügung. Er wählt den Steuerrechner der homegate-Plattform und kommt zu folgendem Ergebnis:

Rodolfo Buletti bezahlt in der Gemeinde Lugano Steuern (Kanton, Bund, Kirche) im Betrage von CHF 72’700. Zieht er nach Bern, bezahlt er CHF 82’200 (CHF 9’500 oder 13,1% mehr). Seine in Aussicht gestellte Lohnerhöhung ginge zum grossen Teil an die Steuerverwaltung. Wie wäre es, wenn er statt nach Bern noch Zug ziehen dürfte?

In Zug bezahlt er noch CHF 48’700 (33.0% oder CHF 24’000 weniger), eine massive Steuerentlastung!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Doch jetzt kommen alle und sagen, dafür seien die Wohnkosten in Zug höher. Das trifft zu, jedoch nur für Mieter. Rodolfo Buletti kauft eine Wohnung mit Blick auf den Zugersee, die zwar mehr kostet als sein Einfamilienhaus in Cadro. Damit nehmen die Hypothekarzinsen (steuerlich abzugsfähig) leicht zu. Doch verkauft er seine Wohnung später, erhält er den Kapitaleinsatz zurück (mit ein wenig Glück sogar noch mehr). Bleibt er in Lugano (mit massiv mehr Steuern) und zieht erst später weiter, erhält er von der Steuerverwaltung rein gar nichts zurück. Die Steuern sind weg, für alle Zeiten! Die höheren Wohnkosten in Zug haben keinen Einfluss auf die Steuerersparnis.

Rodolfo Buletti „spart“ in Zug jedes Jahr CHF 24’000 an Steuern! Reinvestiert er diese Steuerersparnis über Jahre kommt er auf diese Weise auf ein stattliches Vermögen. In Lugano wäre es verloren.

Glas Klar zügelt

Lassen wir im Vergleich noch Glas Klar zügeln, Informatiker, ledig, keine Kinder, keine Konfession, kein Vermögen, als Mieter wohnhaft in Bern, mit folgenden steuerbaren Daten: Nettoeinkommen CHF 110’000, Berufs- und Sozialabzüge CHF 10’000, steuerbares Einkommen p.a. insgesamt CHF 100’000.

In Bern bezahlt er Steuern von CHF 24’700, in Zürich wären es noch CHF 18’700 (24,3% weniger). Zieht er von Bern nach Zug sind es noch CHF 13’200 (oder 46,5% weniger!).

Diese Steuervorteile irritieren. Steuerpflichtige aus den Hochsteuerkantonen wünschen eine Steuerharmonisierung, vermutlich verbunden mit der Hoffnung, die persönliche Steuerbelastung auf diese Weise zu reduzieren. Auch die Linke fordert eine Steuerharmonisierung, nur geht diese in Richtung einer Lückenschliessung zu den Hochsteuerkantonen. Das ist nicht das Gleiche, überhaupt nicht!

Nur wenige sind sich der massiven Unterschiede bewusst. Massgebend für die Wohnsitzwahl sind andere Faktoren, wie die Höhe der Mietkosten (da weiss man Bescheid bis hinab auf die Quartiere), die Entfernung zum Arbeitsort, die Umgebung und andere. Dabei wäre die Berechnung der Steuerbelastung ohne nähere Kenntnis der Steuersätze (und deren Anwendung) mit Hilfe des Internet keine Herausforderung.

Comparis hilft Ihnen, die unterschiedliche Steuerbelastung zu berechnen. Unter vielen anderen stellt auch noch die  Bundesverwaltung einen Steuerrechner zu Verfügung. Der Umzug (datahaus Demo Version) kann sich lohnen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wechselt ein Kadermitglied der Schindler Aufzüge (steuerbares Einkommen CHF 500’000, steuerbares Vermögen CHF 3’000’000, ledig) seinen Wohnsitz von Luzern ins nahe Hergiswil (NW), spart er CHF 39’600 oder 25,6% an Steuern), jährlich!

Konzernzentralen ziehen nicht nach Bern

Noch vor wenigen Wochen – im Zusammenhang mit der Unternehmungssteuerreform III – fanden sich querbeet Hinweise auf das Kriterium „Standortvorteile“ für zuziehende Unternehmen. Mehrheitlich war man der Auffassung, die Steuerbelastung als Kriterium sei wichtig, wenn auch nicht ausschlaggebend. Im Rückblick gesehen war  merkwürdig, dass kaum jemand auf den Entscheidfindungsprozess auf Stufe Konzernspitze hingewiesen hat.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nicht nur die Steuerbelastung der Unternehmung ist wichtig, auch die Steuerbelastung der Konzernleitungsmitglieder ist essenziell. Naheliegend, dass darüber nach aussen wenig kommuniziert wird. Ehrlich gesagt: die Konzernleitungsmitglieder werden sich doch nicht für einen Standort entscheiden, bei dem die persönliche Steuerbelastung vergleichsweise unerträglich wäre. Und der Steuerberater der Unternehmung wird alles tun, um sie davon zu überzeugen.

Wieso in aller Welt sollten sie nach Bern ziehen? Ein wirtschaftliches Randgebiet, nicht unbedingt als unternehmerfreundlich bekannt. Zwar wunderschön, doch im harten Kampf um die Konkurrenzfähigkeit ungeeignet.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für die Kantons- und Bundesbetriebe stimmt es. Das zeigen auch die zahlreichen Neubauten rund um Bern, architektonisch beeindruckend. Doch wo steht die Region Bern in 50 Jahren, oder die Grossregion Espace Mittelland? Suchen wir nicht zu weit: es genügt schon, die bisherige, die heutige und die zukünftige Situation und Entwicklung des Flughafens Bern-Belp zu studieren (BERN Airport).

Bern, eine Verwaltungsstadt, fernab der technischen Speerspitze. Wie dramatisch ist der Talentabfluss (Braindrain) in Richtung Grossregion Zürich? Und wer greift korrigierend ein? Niemand?

Steuerfallen für Grossverdiener

Grossverdiener mit einem steuerbaren Einkommen über CHF 300’000 meiden die Spitzenbelastungen. Spitzensteuersätze finden sich in den Zentrumsstädten Basel (37,5%), Zürich (40,0%), Bern (41,4%) und Genf (45,0%) – (Der Mythos vom Steuerparadies Schweiz, Hansueli Schöchli, NZZ vom 31. Januar 2017). Zu diesen Spitzensteuersätzen kommen bei Grossverdienern noch die AHV- und die IV-Beiträge hinzu von insgesamt rund 10% sowie das Solidaritätsprozent für die Arbeitslosenversicherung (und allenfalls die Kirchensteuer). Zieht man auch noch die Vermögensertrags- und die Vermögenssteuern hinzu (Steuern Schweiz Teil 1) liegen wir bei den steuerlich gefürchteten skandinavischen Hochsteuerländer (52 bis 57%, diese teilweise inklusive Krankenversicherungsprämien). Die Wissenden ziehen weiter in steuervorteilhafte Gebiete, die Politiker schauen weg und schweigen.

In einer Demokratie sind es immer die Minderheiten, die zur Kasse gebeten werden, wie hier eben die Grossverdiener. Der Mehrheit kann es nur Recht sein.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer der Steuerverwaltung Millionen an Steuern bezahlt (sowie Hunderttausende an AHV-Beiträgen) kann in der Schweiz nicht auf Nachsicht hoffen. Er wird als Leistungsträger nicht bewundert oder geachtet, er wird mehrheitlich von einer breiten Bevölkerung verachtet. Auch die Steuerverwaltung packt ihn hart an. Wer in der Steuerberatung tätig ist kennt die Beispiele.

Wer im Kanton Bern defekte oder verschmutzte manuelle Sonnenstoren durch elektrische ersetzt, muss damit rechnen, dass die Hälfte dieser „Unterhaltskosten“ steuerlich aufgerechnet wird. Oder die geltend gemachten Kosten für das neue Dusch-WC, welches das alte ersetzt, werden zu einem Drittel aufgerechnet (Komfortverbesserung). „Vor dem Gesetz sind alle gleich“ hört der Steuerberater beim Versuch, auf die Proportionen „aufgerechnete Kosten zu steuerbarem Einkommen“ hinzuweisen.

Eine gewisse Kulanz gegenüber Grosssteuerzahler (als natürliche Personen) ist politisch nicht vertretbar. Die Linke will keine Steuergeschenke machen, die ewigen Neider wollen den harten Vollzug sehen und einige Journalisten warten nur auf willkommene Schlagzeilen. Überdies müssen die Steuerexperten der Veranlagungsbehörden fürchten, zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn sie Verständnis zeigen und Hand bieten für einen Kompromiss. Und dass vor dem Gesetz alle gleich sind stimmt grundsätzlich nicht und bei Steuerpflichten im Besonderen.

Die schönsten Aussichten den Pauschalierten

„Luftig“ wäre ein schönes Zweitdomizil, blauer Himmel, Wintersport, Sommerwanderungen, gepflegte Umgebung, Diskretion, Ruhe. Sie werden es sich nicht leisten können

Wer kennt sie nicht, die Superreichen. Sie verlassen ihr Heimatland und kommen in die Schweiz um Steuern zu sparen. Hier werden sie nach dem „Lebensaufwand“ besteuert  (und nicht mehr nach dem Welteinkommen und dem Weltvermögen wie zuhause). Aufwandbesteuerung oder Pauschalbesteuerung nennt sich das. Da man den effektiven Lebensaufwand nicht kennen will (man macht sich schon gar nicht die Mühe darüber nachzudenken), dient der Eigenmietwert der Wohnstätte bzw. ein Mehrfaches davon als Basis für die Steuerveranlagung. Die Steuerersparnis kann märchenhaft sein. Natürlich müssen Interessenten bestimmte Anforderungen erfüllen (wie kein Erwerbseinkommen aus der Schweiz).

Es geht hier nicht darum, ob die offizielle Schweiz den Steuerflüchtlingen helfen oder aus Rücksicht auf die Heimatländer ein solches Verhalten verhindern soll. Und richtig ist es, dass auch andere Staaten ähnliche Lösungen anbieten(Klicken Sie zum Weiterlesen)

(wie Grossbritannien, Frankreich, neuerdings auch Italien). Internationale Anwaltskanzleien stehen zahlungskräftigen Kunden mit erfahrenen Experten zur Verfügung.

Nein, es geht hier darum ob es ethisch vertretbar ist, dass die Schweiz den hier ungeschränkt Steuerpflichtigen schlechter behandeln soll als den reichen Ausländer auf der Steuerflucht. „Ich die Schweiz bin ein Schlitzohr und nehme von diesen Leuten was ich kriege“, jetzt unabhängig vom Leistungsprinzip, ohne Rücksicht auf die allgemeine Steuerpraxis. Einfach als Ausnahme (wobei je nach Kanton die Ausnahmen zahlreich sind). Der Pauschalierte schafft Einkommen für die nahe Umgebung, Einkommen für den Liegenschaften Händler, den Bauunternehmer, den Gärtner, den Bäcker, den Metzger …(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wollen zwei Interessenten eine Liegenschaft in „Luftig“ erwerben, ein Schweizer Steuerpflichtiger und ein steuerflüchtiger Ausländer, sind die finanziellen Spiesse krass ungleich. Der Ausländer wird den Schweizer Steuerpflichtigen krass überbieten können, ein Superreicher kann gemessen an der Steuerersparnis jeden Kaufpreis aufbringen. Dafür sorgt die Schweiz (mit kantonalen Ausnahmen), sie benachteiligt den hier unbegrenzt Steuerpflichtigen und bevorzugt den zuziehenden Ausländer. Ganze Gebiete werden für steuerpflichtige Inländer unbezahlbar. Die schönsten Aussichten den Pauschalierten. Die Gemeinde wird zur Schlafstätte, Schulen ohne Kinder, Infrastrukturausgaben für Spitzenzeiten und noch schlimmer: die Gemeinden werden von den Pauschalierten abhängig. Sie kennen die Argumente aus der Zweitwohnungsinitiative.

Zeigen sich die Pauschalierten noch grosszügig (und unterstützen Tourniere, sanieren Bergbahnen, errichten Stiftungen) erhalten sie die besondere Zuneigung vom Gemeindepräsidenten, der Bauunternehmer lobt sie, die Gemeindemitglieder grüssen sie auf der Strasse, ehrfurchtsvoll. Der Schweizer Grossverdiener und Grosssteuerzahler vor Ort muss sich indessen gegen eine weitere Erhöhung des Eigenmietwerts wehren. Die Gemeinde zeigt sich erstaunt. Der Gemeindepräsident von „Luftig“ erstattet ihm keinen Besuch zu seinem runden Geburtstag (die Steuererträge gehen überwiegend an die Wohnsitzgemeinde im Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und nicht an die Gemeinde „Luftig“).

Ein Schlitzohr von Staat, der seine eigenen guten Steuerzahler bedrängt, den steuerflüchtigen Ausländer aber auf Händen trägt. Ist das nicht billig, unwürdig? Und was ist mit Herrn Schweizer, der darüber abstimmen durfte und es mehrheitlich zuliess? Es wurde ihm gesagt, es entlaste seine Steuern.

Szenenwechsel: Max Wolle, ein alternatives Lebensmodell

Glas Klar trifft ihn zu später Stunde in einer Berner Altstadtbar. Es geht um Gott und die Welt, um die Sinngebung in einer sinnlosen Zeit, um all das, was für Glas Klar, den Informatiker, bisher eher unwichtig war. Max Wolle, Landschaftsgärtner von Beruf, lebt mit seiner Partnerin in einer subventionierten Altstadtwohnung direkt unter dem Bellevue mit wunderbarer Sicht auf die Aare und den Hausberg von Bern. Er kennt sich in der Berner Szene aus, trifft überall Freunde und Bekannte, hat immer Zeit für ein gescheites Gespräch, weiss viel, sieht erst noch gut aus, geht regelmässig „isele“ (in die Eisen), kurz: Max Wolle überzeugt Männlein und Weiblein. Dem introvertierten Glas Klar öffnet er eine neue Welt.

Max Wolle hat ein paar Semester Volkswirtschaft studiert an der Uni Bern, dann aber das Studium abgebrochen. Zuviel Mathe, zu abstrakte makroökonometrische Modelle, zu wenig Bezug zum wahren Leben. Nicht sein Ding. Er will etwas schaffen das man sieht am Ende des Tages, seine Hände benutzen, draussen sein, im Wetter stehen. Er will sein Leben, von Gott geschenkt, richtig leben. Seine Partnerin sieht es ähnlich, sie arbeitet im Auftragsverhältnis für Fernsehen und Theater (Kulissenbau, Aussenbau, Modellbau). Beide wollen keine Kinder, unabhängig bleiben, keine unnötigen Verpflichtungen eingehen. Max Wolle arbeitet Teilzeit, gerade so viel, dass er dieses Leben führen kann. Mit einer Teilzeitarbeit von 50% und gelegentlicher Schwarzarbeit für seine zahlreichen Freunde und Bekannten kann er sein steuerbares Einkommen minimieren auf wenige Tausend Franken pro Jahr.

Eigentlich stösst er mit diesem Leben auf grosses Verständnis. Er macht nicht mit in dieser hirnlosen Leistungsgesellschaft, in dieser ewigen Tretmühle. Vernetzt bei den Linksalternativen kämpft er für den weiteren Ausbau des Sozialstaates.

Darf man Fragen stellen die niemand beantworten will, für die niemand zuständig ist

oder ist schon die Frage an sich unerhört, der Fragesteller politisch unkorrekt, vom rechten Spektrum?

  • Wieso kann Herr Jedermann sein Einkommen so weit minimieren, dass keine Steuern mehr anfallen?
  • Wieso darf Max Wolle die Leistungsgesellschaft, von der er lebt, unkommentiert kritisieren?
  • Wie sähe Max Wolle’s Schweiz aus?

Einschub: Die Höhe der Steuerbelastung richtet sich nach der Leistungsfähigkeit. Wobei der Begriff  „Leistungsfähigkeit“ beinhaltet, dass jeder nach Massgabe seiner individuellen ökonomischen Voraussetzungen zur Finanzierung der Staatsaufgaben (inklusive der Sozialaufgaben) beiträgt. Max Wolle ist zwar leistungsfähig, aber nur teilweise leistungswillig. Er nutzt die Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates (wie die universitäre Ausbildung), hilft aber nicht, diese zu finanzieren. Das sollen jene tun, die es gerne machen, die Freude an der Arbeit haben, seiner Meinung nach die Mehrheit. In diesem Sinne war er auch aktiv in der Initiative für bedingungsloses Grundeinkommen.

Der Vielarbeiter, der Leistungsträger dieser Gesellschaft, verzichtet auf vieles, vor allem aber auf die Freizeit. Max Wolle hat sie. Ist diese Freizeit ein Konsumgut, das man besteuern sollte? Absurd? Doch: wer früher in Pension geht, zahlt weiterhin AHV, auch ohne Erwerbseinkommen (auf dem Vermögen und der kapitalisierten Rente).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zugegeben, dass wissen viele nicht und merken es erst kurz vor der vorzeitigen Pensionierung. Dass der Höchstbetrag für diese AHV (Steuer) vor kurzem massiv angehoben wurde, wissen sie erst recht nicht. Alle haben geschwiegen, auch die Presse, und die Politiker haben es kommentarlos „durchgewunken“. Wieder eine Minderheit, die sich schutzlos und unorganisiert melken lässt!

Konsumieren, was andere finanzieren

Wieso erhält der Bünzli, der zwar nicht freiwillig, aber eben doch massiv Steuern bezahlt, nie ein Dankeschön (von der Regierung, vom Nachbar, vom Parteigegner?). Ist nicht das Gegenteil der Fall? Je mehr Steuern er bezahlt, je mehr wird er kritisiert. Bedauern hat niemand. Alle würden gerne mit ihm tauschen, Hauptsache, sie erhalten sein Einkommen. Er könnte sogar noch mehr bezahlen, eigentlich. Und um Gottes Willen keine „Steuergeschenke“ für solche Typen.

Was ist das für eine irre Welt, die nicht mehr zur Kenntnis nimmt, wer diesen Wohlstand möglich macht, die nicht mehr weiss, wer die Staatsaufgaben finanziert. Es ist unsere Welt. Der Vorschlag, die Freizeit zu besteuern, ist politisch ausgeschlossen. Aber darüber nachzudenken, vor dem Einschlafen, würde niemanden schaden.

„Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“

Sind wir schon so weit oder besteht noch Hoffnung? Wer die berühmte Extrameile rennt muss mehr Anerkennung erhalten. Und es gibt sie, diese Leistungsträger, in der Unternehmung, in der Verwaltung, in der Politik, in Ihrer Nähe. Und eigentlich kennen wir sie, jeder in seiner Umgebung. Nicht immer lockere Sympathieträger wie Max Wolle. Wir brauchen sie um wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu erhalten. Zum Überleben im Wohlfahrtsstaat Schweiz.

Als Denkanstoss das Steuerreform-Paket EL’FE, demnächst Logo_ImVisier312.04.2017/zb