Die Schweiz – was für eine Vermögensverteilung!

Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Eine Erkenntnis, auf die man stolz sein könnte. Nur sollte man noch wissen, wie dieses Vermögen verteilt ist. Doch alle schauen weg, wollen es weder wahrnehmen noch kommentieren.    

10 Prozent der Bevölkerung besitzen 90 Prozent des Vermögens

Zweimal lesen schadet nicht. Ist dem so, besitzen 90% der Bevölkerung wenig bis gar nichts. Verhältnisse wie im Mittelalter, wo Kaiser, Könige, Fürsten und Herzöge über Untertanen herrschten. Sowas vermutet man heute noch in Russland mit seinen Oligarchen rund um Wladimir Putin oder in China mit Xi Jinping und seinen Parteibonzen. Oder dann wieder in den Emiraten. Wie auch immer, eine solche Vermögenspyramide kann nicht stimmen, muss falsch sein. Das Schweizer Volk würde es nicht dulden, denkt man.

Nebulöse Basisdaten zum Verwischen

Woher kommen die Daten zur Berechnung der Vermögensverteilung? Vermutlich vom Bundesamt für Statistik. Denn statistische Zahlen zum Wohlstand der Schweizer Bevölkerung haben erste Priorität, sie seien sozusagen von nationaler Bedeutung. Sollte man meinen. Sind sie aber nicht, was eigentlich schwer verständlich bis unverschämt ist. Wenn man bedenkt, was alles erhoben wird!

Auf nationaler Ebene liegen keine Daten zum Vermögen der natürlichen Personen vor (Haushalte). Einzig die Eidg. Steuerverwaltung ist in der Lage, eine nationale Vermögensstatistik zu erstellen, basierend auf den Daten der kantonalen Steuerämter.

Hieraus resultiert für das Jahr 2016 (ausgewiesenes steuerbares Reinvermögen per 31. Dezember 2016, vor Sozialabzügen):

  • 1,4 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 46,9 Prozent des Reinvermögens
  • 5.9 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 67,2 Prozent des Reinvermögens
  • 12,7 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 80,8 Prozent des Reinvermögens

Leicht weniger schockierend als die einleitend erwähnte Relation. Doch es liegen Unschärfen vor:

Unschärfen in der Berechnung

Alles nicht so schlimm, hört man, es fehlen nämlich die Pensionskassenguthaben der Säule 2 und die Vorsorgegelder der Säule 3a (denn diese werden in der Steuererklärung nicht deklariert und gehen damit auch nicht in die Berechnung des Reinvermögens ein). Auch die Rentenansprüche aus AHV sind vermögensbildend, in einer gewisser Weise. Allerdings kann auch über diese nicht frei verfügt werden und sie gehen ebenso wenig in den Nachlass ein. Es kommt hinzu, dass auch reiche Leute Anspruch auf Rentenleistungen haben, eine Berücksichtigung der Rentenansprüche würde deshalb die Kluft im Vermögen zwischen arm und reich nicht massiv verringern.

Zuschläge ergeben sich hingegen im oberen Bereich der Vermögensakkumulation. Denn die Grundstücke und Liegenschaften sind zu Steuerwerten deklariert (amtliche Steuerwerte, Katasterwerte), welche grundsätzlich unter den Verkehrswerten liegen. Überdies sind die Aktien nicht börsenkotierten Gesellschaften zu Steuerwerten erfasst. Auch diese dürften regelmässig unter den Verkehrswerten liegen. Sachwerte wie Schmuck und Gemälde gehen ausserdem, wenn überhaupt, kaum zu Versicherungswerten in die Steuererklärung ein. Die Möglichkeit, bewegliches Vermögen in versteckten Steueroasen zu platzieren, sei hier nur am Rande erwähnt.

Eine grosse Rolle spielt das unbewegliche Vermögen ausserhalb der Schweiz. Es wird zur Berechnung der Steuerprogression herangezogen, ist also nur satzbestimmend für die kantonale Vermögenssteuer. Für die richtige und vollständige Erfassung werden andere Massstäbe angelegt als für das unbewegliche Vermögen in der Schweiz.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) publiziert Zahlen über das durchschnittliche Vermögen der Schweizer Privathaushalte. Bemerkenswert ist die Feststellung, dass nur die Hälfte davon versteuert ist (NZZ vom 30.11.2017 «Nur die Hälfte ist versteuert»).

Schwerreiche Ausländer

Interessant wäre zu erfahren, wie das Reinvermögen der steuerlich Pauschalierten erhoben wird.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es soll hier nicht über Sinn und Unsinn der Pauschalierung geschrieben werden. Nur so viel: der Pauschalierte darf kein Erwerbseinkommen in der Schweiz erzielen. Doch dürfte sich kaum ein ausländischer Milliardär finden, der so dumm ist, steuerbares Erwerbseinkommen in der Schweiz zu beziehen. Er lebt vom Kapitalertrag und vom nicht steuerbaren Vermögensverzehr. Und natürlich geht er seinen Problemen nach, ist tagtäglich und weltweit in Kontakt mit seinen CEO’s, Verwaltungsräten, Vermögensverwaltern, Steuer- und Rechtsberatern. Nur sagt man dieser Tätigkeit merkwürdigerweise nicht Erwerbstätigkeit!

Wissen muss man, dass der pauschalierte Ausländer nach dem Lebensaufwand besteuert wird (in der Regel einem Mehrfachen des Eigenmietwertes). Sein effektives Weltreinvermögen ist der Steuerverwaltung jedoch unbekannt. Es geht also gar nicht in irgendwelche Berechnungen ein!

Wie sich diese Unschärfen und Vorbehalte auf das Ergebnis der Vermögensverteilung auswirken ist schwer zu beurteilen. Unbestritten ist, dass das Vermögen reicher Leute deutlich über dem steuerbaren Reinvermögen liegen dürfte, die von der Steuerverwaltung erhobenen Relationen zur Vermögensverteilung das Problem also verharmlosen und beschönigen.

Der Gini-Koeffizient

Die Berechnungen der Eidg. Steuerverwaltung seien nicht das Gelbe vom Ei. Der Gini-Koeffizient sei zutreffender. Ein Koeffizient, der nach Wissenschaft aussieht, dabei aber eher unvertraut ist und emotional wenig berührt. Was sagt er aus: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Gini-Koeffizient ist eine Kennziffer, benannt nach dem italienischen Professor für Statistik, Corrado Gini, entwickelt vor bald einem Jahrhundert. Die Idee: Wenn eine Person alles Vermögen besitzt, ist das Vermögen maximal ungleich verteilt, der Gini-Koeffizient gleich 1.0. Haben alle gleich viel Vermögen, ist der Gini-Koeffizient gleich 0.0. Je tiefer der Wert, desto gleicher die Vermögensverteilung.

Weltweit auf den hintersten Plätzen liegt die Schweiz mit einem Gini-Koeffizienten von rund 0.8. Noch weiter hinten liegen Staaten wie Kasachstan oder Simbabwe.

Simbabwe 50 Trillion Dollars 2008

In der Schweiz wird der Gini-Koeffizient aufgrund der Daten der Eidg. Steuerverwaltung berechnet. Die Basis wäre deckungsgleich mit allen erwähnten Unschärfen. Gemäss diesen Daten (Andreas Heller in NZZ Folio 3/2016)

  • besitzt das reichste Prozent rund 40% aller steuerbaren Reinvermögens. Ein Viertel der Haushalte versteuert kein Reinvermögen

Der Gini-Koeffizient kann auch für die Einkommensverteilung herangezogen werden. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Hier zeigt sich erstens, dass die verfügbaren Einkommen weniger ungleich verteilt sind als die Primäreinkommen, und dass zweitens die Einkommensverteilung in der Schweiz seit dem Jahr 2000 recht stabil verlaufen ist (Gini-Koeffizient knapp unter 0.3).

In der Kritik stehen in erster Linie die Boni-Exzesse bei den Banken und in der Pharmabranche. Toleriert werden hingegen Spitzeneinkommen im Sport, was im Grunde der Dinge auch schwer verständlich ist.

Die Herkunft der Grossvermögen

Dabei stellen sich zwei Fragen: Kommen sie aus einer Umverteilung von unten nach oben? Was ethisch und politisch untragbar wäre. Wichtig ist auch die Anschlussfrage: unterlag die Vermögensbildung der Steuerbelastung?

Die Vermögensbildung über Erwerbseinkommen und Kapitalertrag führt grundsätzlich zu steuerbarem Einkommen und damit zur Steuerbelastung. Die Vermögensbildung durch Wertzunahme ist jedoch überwiegend steuerfrei und spielt bei Grossvermögen eine bedeutende Rolle, namentlich in zwei Fällen:

  • Erstens beim erfolgreichen Unternehmertum. Mit der Zunahme des Steuerwertes der Aktien nimmt zwar die Vermögenssteuer zu, nicht jedoch die Einkommenssteuer (auf der Wertzunahme). Gleiches gilt für Investoren in börsenkotierte Anlagen, es nimmt das Wertschriftenvermögen zu, nicht jedoch das steuerbare Einkommen (solange sie nicht als Wertschriftenhändler qualifiziert werden). Trennt sich der Unternehmer oder Investor ganz oder teilweise von seinen Anlagen, ist der Kapitalgewinn steuerfrei. Die Schweiz kennt genügend solcher Beispiele. Steuerfrei sind ebenso Gewinne auf Sachwerten (wie Edelmetalle), solange damit keine professionelle Tätigkeit nachgewiesen werden kann. 
  • Zweitens haben Grundstücke und Liegenschaften in den letzten Jahrzehnten massiv an Wert zugenommen. Es steigt nur die Vermögenssteuer, nicht jedoch die Einkommenssteuer. Erst beim Verkauf fällt die Grundstückgewinnsteuer an, reduziert auf einen Teilbetrag (Rohgewinn), je nach Besitzesdauer (und wieder mit Ausnahme der Liegenschaftenhändler).

Der grösste Teil des Vermögens ist jedoch vererbtes Kapital, für direkte Nachkommen zum überwiegenden Teil erbschaftssteuerfrei übertragen. Nach Marius Brülhart ist jeder zweite Vermögensfranken vererbt. In diesem Jahr dürften es insgesamt 95 Milliarden Franken sein (Marius Brülhart zum Thema Erbschaftssteuern in NZZ vom 10.12.2019).

Auf jeden Fall ist bei vielen reichen Leute das vererbte Kapital wichtiger als das erarbeitete. Und die dynastische Konzentration von Grossvermögen spielt für die Schweiz eine herausragende Rolle.

Die Folgen der Vermögenspyramide

In einer freien Gesellschaft geht die Mehrheit davon aus, dass die soziale Ungleichheit vor allem auf Leistung und Arbeit beruht, nicht auf Abstammung und Erbe. Vom Ertrag des Kapitals zu leben statt vom Ertrag der Arbeit sollte dem Rentner vorbehalten sein.

Neid kommt auf, wenn die Vermögenden ihr Vermögen vorwiegend als Konsumvorrat betrachten und nicht mehr als von Generation zu Generation vererbbares Familienvermögen. Sieht man sich die Sonderausgabe der Bilanz an («Die 300 Reichsten»), fällt es wohl nicht allen leicht, dem teilweise zur Schau gestellten Status- und Konsumverhalten mit grossem  Verständnis zu begegnen; auch nicht, wenn Superreiche wie Bill Gates, Mark Zuckerberg, Elon Musk, Richard Branson, Warren Buffett und andere Milliardäre einen Teil ihres Vermögens für philanthropische Zwecke stiften.

Die unbegrenzte Vermögensanhäufung vergrössert die Ungleichheiten. Sie wird als ungerecht empfunden und wirkt damit destabilisierend. Reichtum bedeutet Macht, Einflussnahme über wirtschaftliche und politische Netzwerke, Kampf zur Erhaltung der gesellschaftlichen Vorteile und persönlichen Interessen zulasten gesamtwirtschaftlicher Ziele.  

Gemäss dem «Global Wealth Report» der Credit Suisse ist es seit hundert Jahren nie zu einer signifikanten Reduktion der Vermögensungleichheit gekommen.

Die Vermögensumverteilung durch Steuerpolitik

Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Bundessteuer und der Staatssteuer einerseits und der Vermögenssteuer und der Einkommenssteuer andererseits.

Auf dem Vermögen wird keine Bundessteuer erhoben. Hingegen ist die Bundessteuer auf dem Einkommen stark progressiv, aber nach oben gedeckelt (mit 11.5%). Trotzdem:

  • Rund 2 Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt rund die Hälfte des gesamten Reinvermögens, die obersten 10 Prozent bezahlt jedoch auch 80 Prozent der Bundessteuern

Das Vermögen wird besteuert durch die Kantone. Dafür entfällt die Erbschaftssteuer an direkte Nachkommen (fast ausnahmslos). Bezüglich Vermögensumverteilung stark wirksam ist jedoch die Einkommenssteuer, nicht die Vermögenssteuer. Je nach Wahl des Steuerdomizils fallen kantonal unterschiedliche Steuern an. Doch der Mittelstand, der an den Arbeitsort gebunden ist, kann das Steuerdomizil nicht wählen.  

Die Steuern und Abgaben beim oberen Mittelstand verhindern eine beachtliche Eigentumsbildung schon im Ansatz. Wer ein wenig mehr hat, dem wird es wegbesteuert. Nach Steuern, Sozialabgaben und Krankenkassenprämien bleibt kaum noch etwas übrig für die Eigentumsbildung (Die Leistungsträger in der Steuerfalle).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass sich die Lebensentwürfe geändert haben. Der «Wohlstand» lässt es für junge Familien zu, grössere Wohnungen zu beziehen, längere Ferien und weitere Reisen zu machen, teurere Fahrzeuge zu leasen. Konsumverzicht zum Zwecke der Eigentumsbildung (und der Risikoabfederung) fällt heute schwerer als in der Vergangenheit. Im Notfall soll es der Staat richten.

Die Erbschaftssteuern als Alternative zur Vermögenssteuer sollte in Erwägung gezogen werden. Die Erbschaftssteuer ist kaum leistungshemmend (Steuerreform). Allerdings sei wissenschaftlich nicht erwiesen, dass hohe Erbschaftssteuern die Vermögensungleichheit verringern (Marius Brülhart a.a.O.). Aber auch eine Kapitalgewinn- und/oder Beteiligungsgewinnsteuer mit hohem Freibetrag könnte die Leistungsträger im Mittelstand von übermässigen Einkommenssteuern entlasten.

 

Kein Treten an Ort

Wollen wir für die Schweiz auch in Zukunft eine Vermögenspyramide wie in einer Bananenrepublik? Warum in aller Welt überlässt man diese Frage dem Politbetrieb? Was dabei herauskommt ist längst bekannt: ein Verteilkampf zwischen links und rechts, mit der ganzen Verlogenheit taktischer Kommunikation.

Wer den Kapitalismus überwinden will, ist für die Bildung von Eigentum nicht zu haben. Auch nicht, wenn es um eigene Parteigenossen geht. Eigentum führt zu Unabhängigkeit und ein wenig Freiheit. Nicht alle sehen hier Vorteile. Im Gegenteil, sie wollen eingreifen, überwachen und steuern (Der Überstaat). Natürlich könnte man eine Art Reichensteuer einführen, wie es zurzeit in Deutschland diskutiert wird. Es wäre jedoch ein Griff in die Mottenkiste des Klassenkampfs.

Lässt man alles wie bisher, wird es eines Tages zur politischen Radikalisierung kommen. Denn die Konzentration der Vermögen kennt keine Grenzen. Was sollte man tun?

  1. Ein erster Schritt wäre, sich dem Problem zu stellen. Wir tun es nicht! Aus Respekt oder doch eher Angst vor den herrschenden Macht- und Besitzstrukturen.
  2. Unerlässlich wären zweitens zuverlässige Daten zur Vermögensverteilung. Viele wollen auch das nicht, schlafende Hunde soll man nicht wecken.
  3. Der Fokus der Lösungen müsste drittens die Eigentumsbildung an der Basis sein. Sie ist zu fördern und nicht zu behindern. Eine Vermögensumverteilung an der Spitze durch konfiskatorische Massnahmen soll es ausdrücklich nicht sein.
  4. Im Zentrum der Massnahmen könnte viertens die Steuerpolitik sein, flankiert durch die Sozialpolitik. Und natürlich betrifft es auch die Staatsquote, die Aufgaben und Ausgaben des Staates.

Kann die Schweiz eine solche Aufgabe noch stemmen? Wir sitzen auf einem Pulverfass.

10.07.2020/Renzo Zbinden

Unsere Freiheit – wieviel darf es noch sein?

Bundesverfassung Art.10: Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit

2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.

Die persönliche Freiheit ist eine Errungenschaft, für die viele lange gekämpft haben. Sie ist schnell verspielt, wenn wir jene darüber bestimmen lassen, die sie weder verstehen noch verdienen.

Sie sind mitten unter uns.

Die Wegbereiter des Glücks

Sie glauben zu wissen, was richtig ist und was glücklich macht. Ihre politische Heimat ist die extreme linke und die extreme rechte Schmuddelecke. Hinzu kommen religiöse Heilsbringer, die frei von politischen Zielen bestimmen wollen. Über Jahrhunderte haben sie uns Unglück gebracht. Je überzeugter ihr Auftreten war desto fataler waren die Folgen. Auch Gutmenschen und grüne Vordenker nehmen sich das Recht, autoritär und dogmatisch zu fordern, was sie für richtig halten. Sie sprechen Denkverbote aus und verlangen Political Correctness. Selbstzweifel sind ihnen fremd.

Die Wegbereiter des Glücks schränken mit ihrem Tun unsere persönliche Freiheit ein, immer mehr. Von der Wiege bis zur Bahre soll der Staatsbürger geführt und behütet werden, und zwar nach ihren Vorstellungen von Glück, Zufriedenheit und Gerechtigkeit. Andersdenkende werden als Ewiggestrige abqualifiziert. So einfach ist das, für die Oberlehrer der Nation.

Die verlorenen Freiheitsrechte

Heute wird geregelt und verordnet bis alle Ermessensspielräume verschwinden. Wer als Beispiel eine Liegenschaft baut, versteht die Welt nicht mehr:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die volle Wucht des Staates erfährt, wer in städtischen Gebieten ein Mehrfamilienhaus errichten will, als Ersatz für ein altes. Es beginnt damit, dass die Altmieter Rechte für sich in Anspruch nehmen, die man so nicht erwarten konnte. Ausziehen schon, aber erst nach 3 bis 4 Jahren. «Eine so günstige Wohnung ist eine Seltenheit, alles so nah, so ruhig und dazu noch der schöne Garten und die sympathischen Nachbarn». Der seinerzeit unterzeichnete Mietvertrag mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten ist nur noch Makulatur, «pour la galerie». Dazu kommen die fundamentalen Einsprachen der Nachbarn, die endlosen Bauvorschriften und die folgenschwere Macht der Baubehörde.

Eine von ihrer Mission beseelte Baubehörde schnürt ein immer engeres Regulierungskorsett. Das Baurecht bekommt schlussendlich eine neue Bedeutung, es wird zum behördlichen Gnadenakt. Professionelle Bauherren wie Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen können damit besser umgehen als unerfahrene private. Diesen fehlen die Hausjuristen und das Netzwerk, um Gegendruck aufzusetzen.

Es gibt immer auch gute Gründe, die Freiheit einzuschränken: die Gesundheit, was wir mit der Pandemie erleben, die Umwelt, die Sicherheit, der Wettbewerb, der soziale Ausgleich, die Ethik. Eigentlich sollte die Reglementierung das Leben einfacher machen, die Zentralisierung effizienter, die Harmonisierung gerechter, doch alle drei führen in die Planwirtschaft. Worin besteht sie noch, die übrig gebliebene Freiheit? Steht uns ein alles dominierender Sozialstaat bevor, wenn wir uns ohne Widerstand treiben lassen? Es sieht so aus.

Grenzen der persönlichen Freiheit

Unbestritten ist oder sollte sein: Die persönliche Freiheit muss erstens auf das Allgemeinwohl Rücksicht nehmen. Wer Freiheitsrechte für sich in Anspruch nimmt, muss diese zweitens auch anderen gewähren.

Toleranz ist ein zentrales Element, doch schwer zu deuten. Tolerant ist, wer für sich selbst von seiner Wahrheit überzeugt ist, aber mit Rücksicht auf die Freiheit des anderen diesem seine persönliche Wahrheit nicht aufzwingt.

Die Toleranz entspringt nicht der Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, sondern der Achtung der Freiheit des Andersdenkenden.

Soll man der Intoleranz mit Toleranz begegnen? Darf man als Beispiel den radikal politischen Islamismus tolerieren – eine gewaltsam umgesetzte Wunschvorstellung einer Rückkehr in die Vergangenheit? Und wie begegnet man einer radikal konservativen Haltung?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Konservative verstehen die Gesellschaft als eine Art Erbe, das ihnen anvertraut ist und wofür sie Verantwortung tragen. Brauch und Tradition wollen sie auf dem Weg der Verhandlungen der Moderne anpassen. Sprunghaften Veränderungsanforderungen begegnen sie mit grosser Skepsis.

Wer tolerant ist sucht seine Freiheit vorerst bei den Liberalen.

Die Liberalen

Sie haben die Bundesverfassung entscheidend geprägt. Und nicht aus Zufall halten wir bis heute den freiheitsliebenden Wilhelm Tell und die wehrhafte Helvetia täglich in unseren Händen.

Bargeld ist geprägte Freiheit

Die Liberalen akzeptieren die Gleichwertigkeit aller Meinungen. Sie wollen nicht ihre Wahrheit mit den Zwangsmitteln des Staates ihren Mitbürgern aufzwingen. Denn für die Liberalen ist es wesentlich, dass der Staat offenlässt, wie man glücklich wird. Für sie hat das Individuum Vorrang vor dem Kollektiv.

Der liberale Staat soll das Zusammenleben der Menschen mit unterschiedlicher Wahrheitsüberzeugung in rechtlich anerkannter Freiheit möglich machen, unter der beständigen Wachsamkeit der öffentlichen Meinung. Und wo stehen wir heute?

Die übermässige Umverteilung als Fernziel

Ein Staat, der seinen Bürgern im Durchschnitt bald einmal 50% an Einkommen entzieht (mit direkten und indirekten Steuern, Gebühren, Abgaben, Vorsorgebeiträgen und Krankenkassenprämien) sollte sich hüten, die Staatsquote (Fiskalquote) weiter zu erhöhen. Die vollkommene Umverteilung kann kein Fernziel sein. Es braucht auch den Willen zu sozialstaatlichen Beschränkungen.

Die Umverteilung von reich zu arm ist für viele eine Selbstverständlichkeit, schon fast ein Glaubensbekenntnis. Für eine Gesellschaft wird sie dann zum Problem, wenn sie auf einer politischen Melkstrategie beruht. Erfolgt die Umverteilung vom Leistungsträger zum Leistungsrelativisten, bzw. vom über den Tisch gezogenen Steuerzahler zum unkritischen Steuerkonsumenten in ungebremster Form, kommt es zu einer Leistungsverweigerung. Der Steuerzahler reduziert seine Arbeitszeit auf 80% oder weniger, verzichtet auf eine Karriere oder tritt früher in den Ruhestand. Wir sind auf diesem Weg. https://imvisier.ch/die-leistungstraeger-in-der-steuerfalle/

Die als ungerecht empfundene Umverteilung des Einkommens und des Vermögens ist eine subtile Form der Enteignung durch den Staat, von dem eigentlich erwartet wird, dass er das Privateigentum schützt.

Bestimmen mächtige Minderheiten oder grosse Interessengruppen über fremdes Geld oder suchen Mehrheiten von Stimmbürgern die kollektive Selbstbescherung wird unser Wohlfahrtsstaat geplündert.

Wenn der Mittelstand aufgerieben wird, wenn seine Ersparnisse keine Zinsen mehr abwerfen, dann glaubt der Mittelstand nicht mehr an einen liberalen Staat.

Freiheit für alle?

Freiheit setzt Bildung, Sozialstaat, Wohlstand und Rechtsstaat voraus. Schulen von der Grundschule bis hinauf zu den Hochschulen und Universitäten sollen allen offen stehen. Soziale Notstände sollen abgefedert werden (mit der Arbeitslosenversicherung, der Unfallverssicherung, der Krankenpflege und den Altersrenten)

Zusätzlich fordern die Wegbereiter des Glücks soziale Gerechtigkeit.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Über Gerechtigkeit ist schon viel geschrieben worden, obwohl es sie gar nicht gibt. Die Ungerechtigkeit beginnt schon bei der Geburt und begleitet uns durch das ganze Leben. Es gewinnt in der Regel der Stärkere, ein Naturgesetz.

Die Freiheit ist nicht kostenlos und nicht ohne Bürde. Ein Leben in Freiheit ist ein Leben in Eigenverantwortung, verbunden mit einer existentiellen Ungewissheit. Freiheit ist anstrengend und nicht ohne Risiko.

Freiheit wird auch missverstanden. Eine Gesellschaft ohne Leistungsanreize macht nicht frei. Zu viele sind heute bereit, ihre persönliche Freiheit einzutauschen gegen eine vermeintliche ökonomische Sicherheit. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann sich im Verlaufe der Digitalisierung als notwendig erweisen, aber frei macht es nicht, es schafft neue Abhängigkeiten (vom Staat).

Im Grunde der Dinge müsste eine breite Öffentlichkeit erkennen und die Politik bestimmen, wieviel soziale Gerechtigkeit zulasten der persönlichen Freiheit eingeräumt werden soll. Dabei geht es immer um das Suchen und Finden der «richtigen» Balance zwischen Individuum und Staat.

Gelenkte Unfreiheiten

Wer eine Gemeinschaft durch immer mehr Gebote und Verbote lenken will, wird scheitern. Denn er geht von einem idealisierten Menschenbild aus. Es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass die Mehrheit der Menschen in erster Linie ihre persönlichen Vorteile sucht (für sich, die Familie, die Freunde, das Dorf, den Staat). Da es ums Überleben geht, kann man es den Menschen schwerlich anlasten. Und wer nur für andere da sein will, macht sich selbst glücklich, findet dabei seine persönliche Zufriedenheit, sonnt sich in seiner moralischen Überlegenheit. Auch diese Haltung ist selbstbezogen.

Ist der liberale Staat nur noch ein Feigenblatt, nur noch da, Strukturen zu erhalten? Dabei wären grosse Probleme zu lösen: die Steuerreform, die Rentenreform, die Energiewende, die Agrarpolitik, die Europapolitik als Beispiele.

Ist es wirklich so, dass wir noch korrigierend eingreifen könnten, wenn wir nur wollten? Mit Initiativen, Referenden und Vorstössen? Kommen überhaupt noch die wichtigsten Abstimmungsthemen vors Volk? Oder geht es nur noch um unbedeutende Themen wie Tempolimiten im Agglomerationsverkehr?

Die westlichen Demokratien befinden sich auf dem Rückzug, bedrängt von verunsicherten Stimmbürgern, autokratischen Staatswesen, selbstgerechten Eliten, Einparteien-Regimes, Notstandsverordnungen. Immer weniger Freiheit als Antwort auf diese Probleme. Und wer wehrt sich heute noch für die persönliche Freiheit, für eine kreative Vielfalt, für alternative Lebensentwürfe und einen Pluralismus der Meinungen?

Gedenkmünze 5 Franken 1941

In einer Demokratie sind der Staat und die Politiker für den Bürger da, nicht umgekehrt. Nimmt man dem Bürger die persönliche Freiheit, verliert er an Würde und Respekt. Und er hat schon viel verloren, zu viel.

10.05.2020/Renzo Zbinden

Der Überstaat – China als Endziel?

Frühjahr 2020, China macht es vor: Die Reisebeschränkungen in der Provinz Hubei werden gelockert. Wer einen grünen Code auf dem Handy-Bezahlsystem «Alipay» hat, darf die Provinz verlassen. Wer einen roten oder gelben Code hat, muss warten. Grundsätzlich eine hervorragende Art, Corona-Ansteckungen zu verhindern. Doch mit welchen Folgen? Es lohnt sich, nach Antworten zu suchen.

Facial Recognition – lächelnde Gesichter

In China ist der bargeldlose Einkauf schon fast die Regel, wobei bargeldlos nicht bedeuten muss, mit Kreditkarten zu bezahlen. Chinesen bevorzugen Smartphone-Apps wie «WeChat» oder eben «Alipay».(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer in China einen neuen Handyvertrag abschliessen will muss sein Gesicht scannen lassen, damit später die Übereinstimmung zwischen dem offiziellen Ausweis und der vorweisenden Person geprüft werden kann. SIM-Karten können auf diese Weise nicht weiterverkauft bzw. mit gestohlenen Identitäten keine Einkäufe mehr getätigt werden.

Doch Handy-Bezahlsysteme braucht es in Zukunft auch nicht mehr, die Entwicklung geht weiter in Richtung «Smile to Pay». Der Käufer tritt vor die Kamera und lächelt. Die Gesichtserkennung löst die Zahlung aus.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bei der Gesichtserkennung werden die Abstände verschiedener Punkte im Gesicht vermessen, so beispielsweise die Breite der Nase. Jedes Gesicht erhält auf diese Weise einen unverwechselbaren Code, den «Face Print». Je mehr Punkte im Gesicht vermessen werden, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, die vor der Kamera stehende Person richtig zu identifizieren.

Die Gesichtserkennung dient auch zum Einchecken in Hotels oder als Boarding-Pass beim Fliegen. Wer ein Warenhaus betritt wird mit Namen begrüsst, im Hintergrund das ihm bekannte Verkaufspersonal aufgeboten und personalisierte Angebote vorbereitet. Erfahrene Verkäufer, vertraute Ware, hohe Kundenzufriedenheit. Auch im Restaurant: persönliche Begrüssung und Bedienung, individuelle Menüvorschläge gestützt auf frühere Bestellungen.

Was auf den ersten Blick als effizient und sinnvoll erscheint, birgt jedoch gewaltige Risiken. Wie uns bekannt wird die Datenspur, die der Kunde durch sein Verhalten hinterlässt, analysiert, verwertet (und allenfalls weiterverkauft). Gestützt auf Big Data erstellen globale Technologiegiganten bereits heute Bewegungs-, Verhaltens- und Persönlichkeitsprofile.

Die Kommerzialisierung des Privaten durch digitale Geschäftsmodelle ist nicht neu, der Missbrauch der Datenflut zu staatspolitischen Zwecken hingegen schon. Die mehr oder weniger unkontrollierte Verletzung der Privatsphäre zu nicht kommerziellen Zwecken führt in eine Zukunft, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten.

Die monumentale Datenkrake als Herrschaftsinstrument

Die Kommunistische Partei Chinas hat schon vor Jahren die Chancen erkannt, das Verhalten der Einwohner zu überwachen und in ihrem Sinne zu lenken. Das heutige Überwachungssystem ist digitalisiert und aufgrund der technologischen Möglichkeiten völlig entpersonalisiert. Es stehen keine Personen mit emotionalen Regungen hinter dem Überwachungssystem, keine Personen mit ethischen Ansprüchen, mit Gespür für Zusammenhänge (wie dies bei Blockwarten der Fall war), nur die hoch entwickelte Hard- und Software in Verbindung mit der künstlichen Intelligenz. Wobei der Begriff «nur» zu relativieren ist.

Das Überwachungssystem verfügt über 600 Millionen Kameras. Dem Auge des Staates bleibt nichts verborgen. Der Polizeistaat begleitet seine Einwohner rund um die Uhr. Um die Summe der Beobachtungen zu quantifizieren und zu qualifizieren, braucht es ein Punktesystem, ein Rating, gestützt auf Algorithmen:

 «Citizen Score»

Vorbild für «Citizen Score» ist eine Variante, die der Onlinehändler Alibaba einsetzt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Über das eingangs erwähnte Bezahlsystem Alipay vermittelt Alibaba den «Sesame Credit», gestützt auf eine «erworbene» Bonitätsskala. Je nach Anzahl Punkte erhält der Kunde einen Sofortkredit unterschiedlicher Höhe und unterschiedlicher Verzinsung. Oder es ist einfacher, ein Auto zu mieten, ohne Kaution oder ein Visum zu erhalten.

Wer sich im Sinne der Partei verhält, wird belohnt, wer nicht, hat die Konsequenzen zu tragen. Als Beispiel hängen die Punkte davon ab, welche Websites häufig besucht werden. Wer Computerspiele einkauft sinkt im Rating, wer Windeln einkauft steigt im Rating. Dahinter steht der Gedanke, dass Eltern verantwortungsvoller sind als Personen, die ihre Freizeit vor dem Computer mit Videospielen verschwenden. Das Rating lässt sich verbessern durch ehrenamtliche Engagements für die Gesellschaft oder für die Partei, Spenden für wohltätige Zwecke, Blutspenden oder was auch immer. Ein hohes Rating öffnet den Weg zu einem privilegierten Leben, besseren Schulen für die Kinder, eine gehobene Gesundheitsversorgung oder für eine Beschäftigung bei Regierungsstellen oder Staatskonzernen.

Welche Daten mit welcher Gewichtung erfasst werden bleibt intransparent. Man geht davon aus, dass insbesondere solche über die Vertragstreue und die Zahlungsfähigkeit, die persönlichen Kontakte und über das Verhalten erfasst werden. Hinzu kommen Daten aus dem Strafregister, der Krankenkasse, der Rentenversicherung und weitere aus staatlichen Institutionen.

Der Druck, das persönliche Rating bekannt zu geben ist gross. Wer will schon Mitarbeiter mit einem schlechten Rating. Denn die Unternehmen selbst sind Gegenstand eines Ratings.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

CSCS – das «Corporate-Social-Credit-System» ist ein digitales Überwachungssystem, welches das Verhalten von Unternehmungen bewertet und als Folge belohnt und bestraft. Mutiert wird die Datenbank durch die Behörde (wie Finanzämter, Börsenaufsicht).

Belohnt wird u.a. durch Steuergeschenke, bestraft durch den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

The Peoples Bank of China – 100 Yuan 1990

Die digitale Diktatur

Gelingt es China, das Verhalten der Gesellschaft zu verändern? Man kann es nicht leugnen: mit Sicherheit ja. CSCS ist ein Lenkungsinstrument, um die Effizienz auf Stufe Wirtschaft zu steigern. Auch die gesunde Ernährung lässt sich steuern, umweltbewusstes Verhalten ebenso, der soziale Frieden teilweise auch. Was die Auswirkungen auf den persönlichen Wohlstand sind (das Bruttosozialprodukt pro Kopf), die Lebensdauer und die persönliche Zufriedenheit, ist eine andere Frage.

Die freie Wirtschaftsordnung des Westens mit seinen komplizierten Entscheidungsprozessen und seinen weitgehenden Datenschutzgesetzen kann hier nicht gleichziehen. Und die Schweiz ist nicht China.

China ist ein riesiges Land mit extremer Migration und mit gigantischen Ballungszentren, ein Land mit gewaltigem Wachstum und kaum unter Kontrolle zu haltender Korruption. Die Herrschafts- und Machtinstrumente können nicht ähnlich sein. Vergleichen wir trotzdem:

Darf man erwarten und muss man befürchten, dass ein Polizeistaat chinesischer Prägung dank hochentwickelter Überwachungs- und Führungsinstrumente nicht heute aber in Zukunft der freien sozialen Marktwirtschaft überlegen sein wird? Ermöglicht «Citizen Score» bedürfnisgerechtere Angebotsstrukturen, eine gesündere Lebensführung, zwar weniger Freiräume, jedoch gerechtere Wohlstandsverteilung? Der Anspruch ist auf jeden Fall unerhört.

Da errichtet ein Staat, der sich der Kontrolle der Bürger entzieht, die Meinungs- und Pressefreiheit verhindert, ein allgegenwärtiges Überwachungssystem, um eben diese Bürger zu bevormunden – eine eigentliche Verhaltensdiktatur, einen Überstaat.

Machtverschiebungen zugunsten von Staat und Gesellschaft – ein Vorbild?

Was erwartet uns nach Covid-19? Für eine Prognose ist es noch zu früh. Naheliegend ist die Vermutung, dass der Staat gestärkt aus dieser Krise hervorgeht und die Wirtschaft geschwächt. Der Staat hat sich Rechte geholt, die er behalten will, in die Wirtschaft eingegriffen, wo es ratsam erschien. Lenkungs-Politiker werden sich bestätigt sehen, Wirtschaftsliberale werden es nicht einfach haben. Die Erwartungen an den Staat werden nicht zurückgehen, im Gegenteil. Der Überstaat soll es richten, individuelle Notlagen ausgleichen, nicht nur auf Zeit, sondern auch langfristig durch immer umfassendere Umverteilung.

Beispiele dafür können sein: das bedingungslose Grundeinkommen, der Verzicht auf Bargeld, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, die Entglobalisierung, Lieferketten im Pharmabereich, Auslagerung von Arbeitsplätzen Richtung Home-Office, Direktlieferungen an Haushalte, der Verzicht auf Flugreisen, Pflichtlagerhaltung, Schulwesen, die Schuldenbremse, wohl kaum ein Bereich wird unverändert aus der Corona-Krise hervorgehen.

Keine Arbeitgeber sollen Konkurs gehen und keine Arbeitnehmer ihre Stelle verlieren! Es sollen die Konjunkturrisiken der Arbeitgeber und die Arbeitsrisken der Arbeitnehmer an eine wohlmeinende und gütliche Obrigkeit abgetreten werden. Der Sozialstaat soll es richten, mit einem starken Fokus auf die Umverteilung und verklärt durch ideologische Programme. Der Überstaat als Endziel?  

Wer stemmt sich dagegen?

11.04.2020/Renzo Zbinden

Die Bilanzgläubigkeit – eine fatale Dummheit?

Die Bilanz ist so alt wie die doppelte Buchführung, sehr alt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Luca Pacioli (geboren um 1445 in der Toskana), Mathematiker und Franziskaner, hat bereits im Jahr 1494 die doppelte Buchführung beschrieben.

Sie war ursprünglich eine Gegenüberstellung des Vermögens und der Schulden. Das ist sie heute noch, doch heute ist sie so komplex wie die bilanzierende Gesellschaft selbst und dazu noch hoffnungslos überreguliert durch Rechnungslegungsstandards. Sie bleibt zwar lesbar, verständlich aber nur noch für wenige Experten, jedenfalls bei börsenkotierten Gesellschaften ab einer gewissen Grössenordnung.

Komplex und überreguliert ginge noch. Der Glaube an die Bilanz – die Bilanzgläubigkeit – wird jedoch zum Problem, wenn sie mit der Erwartung verbunden wird, Auskunft über die wirtschaftliche Lage einer Unternehmung zu erhalten.  Kennzahlen zur Finanzierung, Liquidität und Rentabilität sollen die Analyse erleichtern. Diese bilden wiederum wichtige Entscheidungsgrundlagen für weitere Massnahmen (wie die Unternehmungsführung oder der Kauf von Unternehmungen).

Doch kann die Bilanz diese Erwartungen erfüllen? Steht sie da wie ein Leuchtturm, in guten Zeiten als Bestätigung des bisher Erreichten und in schlechten Zeiten als Orientierung über allfällige Kurskorrekturen? Nein.

Die Bilanz – ein Blendwerk

In den letzten Jahrzehnten sind global grosse Anstrengungen unternommen worden, die Wertbestimmung der Bilanzpositionen von der Willkür des Bilanzierenden zu befreien. So sind der Bildung und Auflösung stiller Reserven enge Grenzen gesetzt worden. „True and fair“ soll sie sein.

In diesem Sinne bestätigen die Abschlussprüfer, dass die Bilanz ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens- und Finanzlage vermittelt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dabei wird leicht übersehen, dass die Abschlussprüfer in erster Linie die Übereinstimmung der Bilanz mit einem „true and fair“ Regelwerk prüfen und bestätigen (wie Swiss GAP FER, IFRS, US-GAAP). Die Bilanz ist somit so „true and fair“ wie der gewählte Rechnungslegungsstandard es zulässt.

Finanzanalysten und -journalisten übernehmen diese Bilanzen als Grundlage ihrer Berichterstattung, zusammen mit der Erfolgsrechnung, der Kapitalflussrechung und dem sog. Anhang, und vermitteln gestützt auf diese Informationen Aussagen über die Werthaltigkeit und -entwicklung einer Unternehmung.

Entgegen der allgemeinen Auffassung zeigt die Bilanz jedoch nur teilweise die effektive Vermögens- und Finanzlage einer Unternehmung. Dies führt zu markanten Fehlentscheidungen in der Beurteilung der Finanzstruktur und der potentiellen Ertragsentwicklung. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nur am Rande sei vermerkt, dass auch die oberste Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat bilanzgläubig sind. Das hängt auch damit zusammen, dass Banken und Aktionäre diese Bilanzen erhalten und auf diese basierend argumentieren.

Es sind im Wesentlichen zwei Aspekte, die eine Beurteilung erschweren bzw. zu Fehlinterpretationen führen: die laufend an Bedeutung zugenommene Goodwill-Bilanzierung zum einen und die ausbleibende Bilanzierung von Human Assets zum anderen.

Um es vorwegzunehmen: es sind keine Kleinigkeiten, keine bilanztechnischen Unschönheiten für Bilanztechnokraten – es sind kapitale Fehler.

Die Goodwill-Falle

Beim Goodwill handelt es sich um immaterielle Werte wie erworbene Patente und Lizenzen. Diese stellen keine Probleme, sie können aktiviert werden. Probleme ergeben sich aus der Goodwill Aktivierung im Zusammenhang mit dem Kauf von Unternehmungen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Goodwill aktiviert werden jene Aufpreise zum Substanzwert der übernommenen Unternehmung, die beim Kauf bezahlt werden. Einfach gesagt entspricht der Goodwill der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Eigenkapital der erworbenen Unternehmung (berechnet nach effektiven Werten).

Sind die Gewinnerwartungen hoch, nimmt der Goodwill zu. Der Goodwill ist damit eine Wette auf höhere Erträge. Gründe dafür können sein: erwartete Synergien, übernommene Kunden (Key Accounts), erworbene Marken, Technologien und das bestehende Management Know How (Humankapital).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Gerade im High Tech Bereich werden enorme Goodwill Beträge bezahlt. Im Extremfall ist fast alles Goodwill, man erwirbt nur noch den Business-Case (im schlechtesten Fall nur noch heisse Luft).

Altaktionäre werden Millionäre oder sogar Milliardäre. Die Kehrseite der Medaille: der Goodwill landet in der Bilanz der übernehmenden Unternehmung in den Aktiven (im Anlagevermögen).

Der Vertrauensschwund

Die Werthaltigkeit dieser Goodwill Position muss regelmässig überprüft werden.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Berechnung erfolgt mit dem sog. Impairment Test, gestützt auf eine Discounted-Cashflow-Methode. Ergeben sich Abweichungen zu dem beim Kaufzeitpunkt berechneten Entwicklungspotential (z.B. reduzierte Umsatzerwartungen), müssen Abschreibungen vorgenommen werden.

Im Extremfall ist die Goodwill-Position vollständig und zulasten des Jahresgewinns abzuschreiben. Betroffen ist vorwiegend der Biotech-, Technologie- und Pharmabereich. Bei Novartis als Beispiel drücken Korrekturen auf 74 Mia CHF bilanzierten Goodwill.

Wird die übernommene Gesellschaft integriert (fusioniert) oder mindestens Teile davon (durch operative oder strategische Entscheide), wird es immer schwieriger, die Werthaltigkeit nachzuprüfen bzw die Notwendigkeit und Höhe von Goodwill-Abschreibungen zu berechnen. (Bei Swiss GAP FER kann der Goodwill entweder gewinnwirksam abgeschrieben (über 5, 10 oder 20 Nutzungsjahre) oder direkt über das Eigenkapital verrechnet werden). 

Nun ist augenfällig: ist der Goodwill prozentual zu den Gesamtaktiven gering, sind es auch die Risiken einer Fehlbewertung. Erstaunen muss jedoch das Ausmass sowohl in absoluten wie in relativen Zahlen. Als Beispiel lag der aktivierte Goodwill  im Biotech Bereich in Milliardenhöhe und bei den SMI-Gesellschaften Adecco, Geberit, ABB, Swisscom, Lonza, SGS, Givaudan im Geschäftsjahr 2017 zwischen 50 und 80% des Eigenkapitals!

Das Bewertungsproblem ist bei Experten der Rechnungslegung längst erkannt. (Die höhere Gestaltungsfreiheit bei der Goodwill Bilanzierung wird häufig als Argument genannt, um vom IFRS zum Swiss GAP FER zu wechseln). Weniger bis unbekannt ist hingegen die zweite Fehlerquelle, die fehlende Bilanzierung von Human Assets.

Das intellektuelle Leistungspotential als Bilanz-Messgrösse

In der heutigen Überliquidität der Finanzmärkte verliert erstens die Fähigkeit, Investitionen zu finanzieren zunehmend an Bedeutung. Und zweitens ist der Produktionsprozess an sich (die optimale Kombination der Produktionsfaktoren) in Zeiten einer allgemein erkannten und bekannten „best practice“ immer mehr zu einer Commodity geworden (austauschbar), jederzeit und allerorts kopierbar.

Grundsätzlich können es alle, oder zumindest viele.

Hingegen gewinnt „the firm’s biggest asset: our people“ (Goldman Sachs), das Gehirn des Unternehmens, an Bedeutung.

Damit sind wir beim intellektuellen Leistungspotential. Es summiert die Arbeitsenergie und -freude, die Intelligenz, Lernbereitschaft, Kreativität und Motivation aller Arbeitnehmer (ergänzt auf der mittleren und oberen Managementstufe durch die vorhandene operative und strategische Exzellenz). Es summiert ausserdem ein hohes Verantwortungsbewusstsein und eine hohe Integrität gegenüber den Stakeholdern. Über alles gesehen bestimmt das intellektuelle Leistungspotential die Umsatzfähigkeit im Markt.

Die Fähigkeit, Kunden zu überzeugen, potentielle Kunden zu gewinnen, die Entwicklung der Produkte und Märkte innovativ zu antizipieren, ist alles andere als eine Commodity. Die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren (im War for Talents), sie zu entwickeln (Personal Development) und letztlich auch zu behalten (Unternehmenskultur und Leistungsentschädigung) ist ein strategischer Erfolgsfaktor erster Priorität.

Human Assets in der Bilanz

Doch wo findet sich dieser Erfolgsfaktor in der Bilanz, namentlich heute, wo der Dienstleistungssektor immer mehr an Bedeutung gewinnt und der kapitalintensive Produktionsprozess zunehmend in die Schwellenländer ausgelagert wird? Nirgends.

Wäre man in der Lage, Investitionen in das Human Capital zu quantifizieren – nach festgelegten Rechnungslegungsstandards – und den Bilanzaktiven anzuhängen, würde hieraus eine Bilanzverlängerung resultieren: Immaterielle Güter auf der Aktivseite und zusätzliches Eigenkapital auf der Passivseite.

Die Bilanz gibt jedoch nicht ansatzweise Auskunft über Human Assets Bestände oder Veränderungen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zwei Beispiele aus der Praxis:

Adecco wechselt die Unternehmungsspitze aus (Mai 2015). Sowohl der CEO als auch der CFO verlassen den Personalvermittler, für Aussenstehende völlig überraschend. Der Aktienkurs bricht ein, Auswirkungen auf die Bilanz: keine.

Mehrere Spitzenleute wollen nicht mit Coutts International zur Schweizer Privatbank UPB wechseln (Mai 2015). Der Aderlass von Coutts-Leuten auf die Bilanz: keine.

Die Killer-Argumente

Warum kann man Investitionen in das Human Capital nicht aktivieren und je nach Entwicklung zu- oder abschreiben? Oder an praktischen Beispielen: Weiterbildungskurse für Robotik, die Anstellung von absoluten Spitzenleuten im War for Talents, grosse Investitionen in die Organisationsentwicklung, in das  Change Management, in das Innovationsmanagement, Antrittsentschädigungen, Abwerbungsprämien, eben alles, wozu es besondere Ausgaben verlangt um an der Spitze der technologischen und anderer Wettbewerbspositionen zu bleiben?

Es geht hier schliesslich nicht um Investitionen in die Bürolandschaft (die aktiviert werden dürfen), es geht hier um Investitionen in die Kernfähigkeiten, in die Soft Kills, die in den letzten Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Was spricht eigentlich dagegen?

Die Antwort: so ziemlich alles, was sich gescheite Experten einfallen liessen.

Experten – was für Experten?

Experten in der Rechnungslegung. Wann und welche immateriellen Vermögenswerte aktiviert werden dürfen, ist in Standards festgehalten und wird nicht dem Zufall und nicht dem Wunschdenken der Bilanzierenden überlassen.

Jamaica 100 Dollars 190

Unter Druck kommen sie langsam beim Profifussball(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die drei englischen Topvereine Manchester United, FC Chelsea und Arsenal London haben einen kumulierten Schuldenstand in Milliardenhöhe. Das Eigenkapital ist aufgezehrt, die Bilanzen sind überschuldet. Ihr Wunsch, die Spielerwerte als Vermögenswerte zu aktivieren, ist verständlich. Die Literatur darüber ist schon beachtlich.

Was ist aktivierbar?

Zurück zum intellektuellen Leistungspotential. Um es zu wiederholen: Die Fähigkeiten, Kunden zu behalten und potentielle Kunden zu gewinnen, die Entwicklung der Produkte und Märkte innovativ zu antizipieren – nicht aktivierbar. Ebenso wenig die Fähigkeiten, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren, zu entwickeln und zu behalten, das Human Capital Management (HCM) an sich – alles nicht aktivierbar. Auch die Aktivierung von Aufwand für allgemeine Forschungstätigkeiten – nicht aktivierbar. So will es das Schweizer Obligationenrecht und die darüber hinausgehenden Standards, Swiss GAAP FER und ISRF(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nach Swiss GAAP FER dürfen selbst erarbeitete immaterielle Werte nur aktiviert werden, wenn sie

  1. identifizierbar sind
  2. dem Unternehmen zustehen
  3. einen für das Unternehmen messbaren Nutzen über mehrere Jahre erbringen
  4. die zur Anschaffung des immateriellen Wertes angefallene Aufwendungen separat erfasst und gemessen werden können und
  5. es wahrscheinlich ist, dass die zur Fertigstellung und Vermarktung oder zum Eigengebrauch des immateriellen Wertes nötigen Mittel zur Verfügung stehen oder zur Verfügung gestellt werden

Diese Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein (Swiss GAAP FER 10 Ziff. 4).

Die Mehrheit der vorgenannten Bedingungen liesse sich vermutlich – mit gutem Willen erfüllen. Kritisch ist hingegen Ziffer 2: „dem Unternehmen zustehen“. Soft Kills gehören dem Mitarbeiter, nicht der Unternehmung, so die allgemeine Auffassung. Recht auf eine Leistung und Besitz von einer Leistung sind nicht das Gleiche.

IAS 38 bestimmt, dass bei immateriellen Vermögenswerten – bzw. bei nicht-monetären Vermögenswerten ohne physische Substanz – die Verfügungsmacht beim Unternehmen sein muss.

Diese Killerargumente verhindern, dass Human Assets erfasst werden dürfen und allenfalls in den Anhang zur Jahresrechnung verbannt werden müssen (Ausführungen zum Intellectual Capital Statement).

Die Bilanz bleibt damit nur bedingt aussagefähig. Aus der Erkenntnis heraus, dass das Intellectual Capital wichtig bis entscheidend ist für den Erfolg einer Unternehmung, hat die Praxis eine Vielzahl von Modellen und Methoden entwickelt, sog. Wissensbilanzen zu erstellen.

Intellectual Capital Statement – die Wissensbilanz

Als Beispiel gehört der Intangible Assets Monitor (IAM) zu den Scorecard Methoden der Modelle. Dabei wird das intellektuelle Kapital aufgeteilt in Kompetenzen (Fähigkeiten der Mitarbeiter), interne Struktur (Patente, Konzepte, Unternehmenskultur u.a.) und externe Struktur (Kundenbeziehungen, Marken, Image u.a.). Die Bewertung der drei Dimensionen soll Aussagen ermöglichen über Effizienz, Risiken und Wachstum.

Wissensbilanzen stehen jedoch für sich. Es ist keine Herleitung möglich wie früher einmal bei der sog. Sozialbilanz. Es gibt keine allgemein anerkannten Standards der Erfassung und Wertbestimmung, keine Prüfung durch Wirtschaftsprüfer. Wissensbilanzen in diesem Sinne verringern nicht die Informationsasymmetrie zwischen dem Management und den Stakeholders.

Die fatale Dummheit

Die Bilanzgläubigkeit gibt nicht her, was sie verspricht, denn die Bilanz ist kein Leuchtturm in unsicheren Zeiten. Sie darf nicht im Zentrum stehen, wenn es um die Beurteilung einer Unternehmung geht, weder für aussenstehende Wirtschaftsjournalisten und Investoren noch für die oberste Geschäftsführung und den Verwaltungsrat. Die Bilanz ist ein historisches Flickwerk, sie hat irgendwie den Schritt in die Moderne verpasst.

Da werden schwer einschätzbare Goodwill Positionen über längere Zeit mitgeschleift, und für die Zukunft entscheidende Human Assets aus der Bilanz verbannt. „True and fair“ ist sie nicht. Es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken.

02.09.2019/Renzo Zbinden


Die Solvenz der Schweizerischen Nationalbank (SNB) – ein Update

Wer „die Solvenz der SNB“ googelt findet den Basisbeitrag vom 5. September 2015 ganz oben auf der Seite an erster Stelle. Er hat auch nach über 3 Jahren wenig an Aktualität verloren, namentlich wenn es um Fragen geht wie

  • Macht die SNB mit dem Druck von Banknoten Gewinne?
  • Schafft sie damit Eigenkapital?
  • Wie finanziert sie ihre Interventionen an den Devisenmärkten?
  • Wie wirksam ist die Compliance?
  • Kann sie illiquid werden
  • oder sogar Konkurs gehen?

Der Basisbeitrag schloss mit der Hoffnung, die SNB stabilisiere ihre Devisenanlagen auf 500 Mia Franken bzw reduziere ihre Währungs- und Kursrisiken. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil:

Ein Hedgefonds?

Um sich der Aufwertung der Schweizer Währung entgegenzustemmen hat die SNB ihre Politik der Deviseninterventionen ungehindert fortgesetzt mit dem Ergebnis, dass die Devisenanlagen per Bilanzstichtag auf 764 Mia Franken oder um 44.2% gestiegen sind, wie folgende Bilanz per 31.Dezemer 2018 zeigt:

Die Devisenanlagen von 764 Mia Franken betragen 93.5% der Gesamtaktiven. Die Aktivseite der Bilanz gleicht damit einem Hedgefonds (einem Investmentfonds mit hohen Risiken). Bei den Devisenanlagen entfallen 36% auf US-Dollar, 39% auf Euro, 8% auf Yen, 7% auf Pfund und 10% auf übrige Währungen (gegenüber dem Vorjahr unverändert). Als Anlagekategorien nennt die SNB 69% Staatsanleihen, 12% andere Anleihen und 19% Aktien. Das Aktien-Portefeuille beträgt damit rund 145 Mia Franken und umfasst rund 6000 Titel aus 95% aller Aktienmärkte weltweit. („Die SNB investiert passiv, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 28. Juli 2018. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweiz hat nach Norwegen und China den drittgrössten Staatsfonds der Welt (wobei der Staatsfonds von Norwegen durch Eigenkapital finanziert ist). Heute ist die SNB wohl einer der grössten Aktionäre von Apple, Microsoft, Google, Amazon und Facebook!

Die gigantische Bilanzsumme per 31. Dezember 2018 von 817 Mia Franken ist mehr als die Schweizer Wirtschaft pro Jahr produziert und fast so gross wie sämtliche Pensionskassenguthaben zusammen. („Die Abhängigkeit der SNB“, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 29. September 2018). Und in seinem Beitrag vom 25. April 2018 unter dem Titel „Ein Verlustszenario für die SNB“:

„Ihr Portefeuille müsste Schöpfungsfonds heissen, denn sie speist es aus der Geldschöpfung“.

Währungs- und Kursrisiken auf Devisenanlagen


Die Währungs- und Kursrisiken auf den Devisenanlagen (Anleihen und Wertpapiere) sind gigantisch. Für diese Risiken sind zwar Rückstellungen gebildet worden (Rückstellungen für Währungsreserven), diese aber unter dem Eigenkapital aufgeführt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dieses Vorgehen entspricht den Rechnungslegungsvorschriften von Swiss GAAP FER, sofern die bilanzierten Devisenanlagen per Bilanzstichtag zum Markt- bzw. Verkehrswert bilanziert sind, wovon auszugehen ist.

Die unter dem Eigenkapital bilanzierten Rückstellungen für Währungsreserven von 68 Mia Franken sind prozentual zu den bilanzierten Devisenanlagen von 764 Mia Franken bescheidene 8.9%. Wie weit mit diesen Rückstellungen das inhärente oder mittelfristig latente Währungs- und Marktrisiko abgedeckt ist, namentlich bei rückläufiger Wirtschaftslage, ist schwer zu beurteilen. Im Vergleich zu den Währungs- und Marktrisiken sind die ordentlichen Einnahmen aus Anleihen (Zinseinnahmen), Dividenden und Negativzinsen bescheiden.

(Anzumerken bleibt, dass die SNB weiterhin von Devisenreserven spricht, wenn sie Devisenanlagen meint, was bei Wirtschaftsjournalisten und in der Politik immer wieder zu Fehlinterpretationen führt).

Die Finanzierung der Deviseninterventionen

Die Gesamtaktiven sind zu 85,3% fremdfinanziert. Zur Fremdfinanzierung beigetragen haben vor allem die inländischen Geschäftsbanken und Institutionen mit enormen 481 Mia Franken (Girokonten inländische Banken und Institutionen). Die Zusammensetzung dieser Bilanzpositionen ist nicht bekannt, es ist aber anzunehmen, dass auch die Kantonalbanken dabei sind.

(Auch hier gilt anzumerken, dass die SNB bei den Girokonten inländische Banken unbelehrbar und ungehindert von Sichtguthaben der Nationalbank spricht, eine Terminologie, die von der Wirtschaftspresse weitgehend übernommen wurde. Der Begriff Sichtschulden wird gemieden wie die Pest).

Die drohende Überschuldung

Ein Einbruch der Wirtschaft würde blutige Wunden bei der SNB hinterlassen. Sie könnte kaum reagieren, ohne den Schweizer Franken zu stärken und dabei hohe Kursverluste zu erleiden.

Rutscht das Eigenkapital aufgrund hoher Kursverluste gegen Null droht eine Überschuldung (bei einer Überschuldung sind die Schulden grösser als das Vermögen bzw. die Passiven grösser als die Aktiven, woraus ein negatives Eigenkapital resultiert). Was für eine Aktiengesellschaft im Allgemeinen und für eine Bank im Besonderen die Weiterführung gefährden würde sei für eine Zentralbank kein Problem, wird immer wieder gesagt. Sie könne nicht Konkurs gehen. Beispiele dazu seien die Zentralbank der noch jungen Tschechischen Republik und die Zentralbank von Chile.

Bild: 10’000 Escudos ND (1970) – vor der Währungsreform

Doch was für ein Benchmark für unsere stolze Nationalbank. Chile kann kein Vorbild sein. Und von wegen Preisstabilität: 10’000 chilenische Pesos entsprechen heute einem Gegenwert von 15 Schweizer Franken!

Von einer drohenden Überschuldung und ihren Folgen spricht niemand. Es würde nicht schaden von der SNB-Spitze zu erfahren, sie würde eine Überschuldung unter keinen Umständen hinnehmen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit grosser Wahrscheinlichkeit macht sie auch einen Stresstest in eigener Sache, einen Stabilitätsbericht wie für die Geschäftsbanken üblich. Als Szenarien wären denkbar: die Folgen bei einer Euro-Krise, einer Schwellenländer-Krise, einem Zinsschock? Wieviel Kursverluste könnte sie hinnehmen, ohne in die Überschuldung zu kommen?

Interessieren würde in diesem Zusammenhang auch:

  • Wer wäre in der Lage und willens, zur Überwindung der Überschuldung neues Eigenkapital einzuschiessen (in der Grössenordnung von 100 Mia Franken)?
  • Die inländischen Geschäftsbanken hätten Guthaben bei einer überschuldeten Zentralbank. Müssten sie diese Guthaben wertberichtigen?
  • Mit einer überschuldeten Nationalbank wäre der Bankenplatz Schweiz am Boden. Wie lange würde die Schweiz diese Situation politisch hinnehmen?

Wie vertrauensbildender wäre es, wenn solche Berichte öffentlich zugänglich wären, vor allem dann, wenn die SNB alles „im Griff“ hat. Zweifel sind angebracht. Warum macht man sich lächerlich wenn man befürchtet, schlussendlich in den Euro gedrängt zu werden?

Eine „taumelnde“ SNB?

Die SNB vertritt die Auffassung, einerseits an den Devisenmärkten weiter uneingeschränkt intervenieren und andererseits die Negativzinsen weiter erhöhen zu können (Fritz Zurbrügg, Vizepräsident der SNB im ECO-Interview vom 7. Januar 2019). Dabei ist folgendes zu beachten:

Weitere Deviseninterventionen können grundsätzlich nicht aus flüssigen Mitteln der SNB finanziert werden (aus Schweizer Franken), ganz einfach deshalb, weil diese fehlen. Infolgedessen: kauft die SNB weitere Fremdwährungen lässt sie, einfach gesagt, bei inländischen Geschäftsbanken „anschreiben“. Sie kauft auf Kredit. Damit sind die neuen Anlagen – wie auch die Mehrheit der alten – fremdfinanziert. Die Folge: die Bilanzverlängerung geht in die nächste Runde und die Währungs- und Kursrisiken nehmen weiter zu.

Die SNB ist gehalten, diese Politik der Bilanzverlängerung zu stoppen und zwar bevor die Devisenanlagen 1,0 Bio Franken überschreiten. Die US-Zentralbank macht es vor: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nachdem ihre Bilanz fast drei Jahre auf 4,5 Bio Dollars gehalten wurde, leitete der geldpolitische Ausschuss im Oktober 2017 die Normalisierung ein. Das Fed liess fällig werdende Wertpapiere (Staatsanleihen und Hypotheken) auslaufen und die Erlöse nicht reinvestieren.

Auch die SNB muss diesen Weg beschreiten. Doch einfacher gesagt als getan: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Denn mit der Bilanzverkürzung macht sie genau das Gegenteil von bisher, mit der Bilanzverkürzung verkauft sie fremde Devisen oder Wertpapiere in Fremdwährung gegen Schweizerfranken. Damit verknappt sie den Schweizer Franken, er nimmt an Wert zu. Das will man nicht, aus Rücksicht auf die Exportindustrie. Überdies führt die Aufwertung des Schweizer Frankens zu Währungsverlusten bei der SNB. Und sollte die SNB einmal ihre Zinsen anheben, wären die Folgen ähnlich: sie würde den Franken tendenziell aufwerten und auf den bilanzierten Devisenanlagen in Fremdwährung Verluste einfahren. Ein Teufelskreis.

Wo liegt der Handlungsspielraum bei der Zinspolitik? Sollte die Schweiz in nächster Zeit in eine Rezession abrutschen, könnte die SNB den Leitzins von heute – 0,75 Prozent kaum mehr substanziell absenken, beispielsweise auf – 4,0 Prozent. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Negativzinsen betreffen vor allem die Geschäftsbanken. Doch diese geben sie weiter an ihre grossen Kunden, häufig Pensionskassen. Also tragen diese wie auch andere Sparer die Folgen der Zinspolitik der SNB, was wirtschaftlich sehr fragwürdig ist. Kurt Schiltknecht (ehemals Chefökonom bei der SNB, in: „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“, NZZ vom 16.11.2018) ist der Meinung, dass die Politiker sich nicht gegen Negativzinsen wehren, da die Zinsbelastung der öffentlichen Hand kleiner und damit der Spielraum für zusätzliche Ausgaben grösser werden.

Geht man davon aus, dass eine weitere massive Ausweitung der Bilanzsumme für die SNB nicht mehr in Frage kommt, ist ihr Handlungsspielraum gering, sie ist mit anderen Worten schachmatt. Sie kann nur hoffen, dass die EZB keine weiteren Kapriolen macht und das Währungsumfeld stabil bleibt.

Man muss sich fragen, ob die SNB überhaupt einmal autonom war.

Die Unabhängigkeit der SNB

Die SNB gleicht einem Wanderer, nicht schwindelfrei, der plötzlich vor einem Bergweg steht. Was soll er machen, bei ungewisser Grosswetterlage? Zurück auf den Wanderweg oder nach vorne auf dem Bergweg (über einen furchteinflössenden Gebirgsgrat)? Eine höchst ungemütliche Lage.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die SNB aus dieser Lage wieder befreien kann. Wir hoffen es. Es wird aber immer schwieriger, denn die Risiken nehmen mit jeder Bilanzverlängerung weiter zu. Kaum jemand ausserhalb der SNB versteht diese Zusammenhänge. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit der Vollgeldinitiative hat sich die Schweizer Bevölkerung ein erstes Mal mit der Geldschöpfung befasst und überrascht gezeigt. Noch nicht begriffen hat sie die Geldschöpfung der Nationalbank. Die Schweizer Bevölkerung geht davon aus, dass die Deviseninterventionen der SNB aus eigenen Mittel erfolgen. Nur wenige nehmen zur Kenntnis, dass die SNB ihre Devisenkäufe bei den Geschäftsbanken anschreiben lässt.

Die Unabhängigkeit der Nationalbank ist kein Diskussionsthema. Macht sich jedoch Ueli Maurer Gedanken über die Bilanzsumme der Nationalbank (die Ausweitung der SNB-Bilanz sei „an der Grenze des Erträglichen“), wird er offen kritisiert („Der Grund für die Unabhängigkeit“, Markus Diem Meier, Der Bund vom 2. August 2018). Ist es schon soweit, dass man fürchten muss, die labile Finanzierung der Nationalbank kippe, wenn sich ein Bundesrat öffentlich Gedanken macht über die ungewöhnliche Devisenpolitik. Doch „Hier möchten wir dann auch etwas zurückbauen in Zukunft“ hätte er wohl besser nicht gesagt, denn Weisungsgebunden darf sie nicht werden. (Eine Regierung soll nicht die Befugnis erhalten, die Geldpolitik zur Steigerung der Wiederwahlchancen zu missbrauchen.)

Die Macht der Technokraten

Thomas Jordan will keine „Grenze des Erträglichen“, er will freie Hand.

Dass man jedoch die Zukunft der Schweizer Wirtschaft einem kleinen Gremium von Technokraten überlässt, einem Dreierdirektorium, kann es auch nicht sein.

Das Führungskonzept mit einer Machtkonzentration auf wenige Direktoren geht auf das Jahr 1907 zurück. Es ist nicht mehr zeitgemäss, namentlich, wenn man der Nationalbank Ziele und Massnahmen überlässt, die einen derart grossen Impact auf die Schweizer Wirtschaft haben. Und es ist nicht entscheidend, ob dieses Gremium die fachliche Kompetenz hat und ob es unser Vertrauen verdient. Experten haben sich immer wieder geirrt, wie die Geschichte der Nationalökonomie ausführlich zeigt.

Die Nationalbank soll in ihren Entscheiden unabhängig sein und bleiben. Ist dem so, hat der Gesetzgeber jedoch zu bestimmen, in welchem Rahmen sich diese Unabhängigkeit entfalten darf. Geht man davon aus, dass die Exportindustrie die SNB weiter unter Druck setzt oder es allenfalls versucht oder Gewerkschaften und linke Kreise den Erhalt von Arbeitsplätzen als übergeordnetes Ziel aller Massnahmen erklären, wo liegt dann das Ende der Unabhängigkeit?

Wer hindert die Notenbanker, folgenschwere Fehlentscheide zu fällen? Wir stehen vor der gefährlichen Situation, dass einer Gruppe von Technokraten einerseits grosse Unabhängigkeit gewährt wird, doch damit andererseits die Politik abhängig wird. Die Unabhängigkeit auf der einen Seite führt zur Abhängigkeit auf der anderen Seite, was dann gefährlich wird, wenn diese über keine Kontrollmechanismen verfügt.

In einer Demokratie unterliegen wichtige Entscheide einer parlamentarischen Kontrolle. Sieht man die Exportüberschüsse 2018 der Schweizer Exportindustrie stellt sich die Frage, ob die SNB nicht zu viel des Guten getan hat. Es geht schlussendlich um gewaltige Interessen der Exportwirtschaft, die von der heutigen Situation Vorteile erzielt. Und infolgedessen müsste man sich überlegen, ob die Ziele der SNB nicht zu unverbindlich seien.

Die SNB hat das Ziel, die Preisstabilität zu gewährleisten. „Dabei trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung“. Ausserdem: „Sie trägt zur Stabilität des Finanzsystems bei“. Es fehlt die quantitative Messbarkeit, zu viel Wischiwaschi. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die SNB immer mehr Aufgaben an sich reisst, Aufgaben, die ihr eigentlich nicht zustehen (wie den Erhalt von Arbeitsplätzen zu sichern). Ganz von der Hand zu weisen ist auch nicht die Kritik, dass es unsinnnig ist, dass die Notenbanken durch die Ausweitung ihrer Bilanzen zu Grossaktionären werden.

Der Ideenreichtum der Politiker

Die Ausschüttung der SNB an die Öffentlichkeit ist ungefährdet(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Öffentlichkeit erhält jeweils maximal 2 Mia Franken, falls die Ausschüttungsreserve nicht unter 20 Mia Franken fällt. Im Eigenkapital eingeschlossen und unter dem Begriff Ausschüttungsreserve sind dafür 67 Mia Franken vorgesehen. Die Aktionäre erhalten maximal 1,5 Mia Franken.

Als ob es die Aufgabe einer Zentralbank wäre, Gewinnausschüttungen vorzunehmen. Dass man mit jeder Ausschüttung das Eigenkapital schwächt und damit die Risiken erhöht, scheint kaum jemand zu interessieren. Auch nicht, ob die empfangenden Kantone und der Bund im Notfall der SNB wieder Mittel zurückführen könnten.

Der Vorschlag gewisser Politiker, das Vermögen der SNB (die Devisenanlagen oder wie viele es immer noch bezeichnen, die Devisenreserven) könne man in einen Fonds ausgliedern zum Wohle der Bürger zeigt nur immer wieder, dass diese nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, dass die Devisenanlagen vorwiegend durch Fremdkapital finanziert sind.

Es kann doch nicht sein, dass sich Politiker nur dafür interessieren, was man mit dem fremdfinanzierten Vermögen der SNB alles anfangen könnte! (noch schlimmer wäre die Variante, wonach die SNB Banknoten drucken sollte, um damit im Rahmen eines Fonds gewinnbringende ausländische Anlagen zu erwerben).

Leadership

Die SNB unter Thomas Jordan igelt sich ein, lässt keine Kritik zu. Sie schützt sich mit Experten. Doch die kritischen Stimmen nehmen zu.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Wider die Allmacht nicht gewählter Notenbanker“ (Michael Rasch, NZZ vom 2. August 2018) oder „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ (Kurt Schiltknecht, a.a.O.), „Der Boom der Schweizer Notenpresse, Wie die Nationalbank ihre Unabhänggeit verlor“ (Arthur Rutishauser, SonntagsZeitung vom 5. August 2018)

Komplexe Sachverhalte einfach zu erklären ist schwierig, und die Vereinfachung birgt immer auch die Gefahr in sich, Einzelheiten zu übergehen und so die Analyse insgesamt angreifbar zu machen.

Den Franken zu schwächen um den Werkplatz Schweiz zu stärken birgt Risiken. Wie damit umzugehen ist verlangt Leadership. Es ist Zeit zu debattieren, wer diese übernimmt.

Auf jeden Fall gehört das Thema auf den Tisch, heute und ernsthaft diskutiert. Es darf nicht sein, dass man die Themenführerschaft einer Internetplattform überlässt (inside Paradeplatz). Es geht uns alle etwas an, es betrifft uns alle, nicht nur die Exportwirtschaft, die ihre Interessen zu wahren nutzte (Lobbying).

27.02.2019/Renzo Zbinden

Der Kunde König – das Geschäftsrisiko Nummer eins

„Guten Morgen Herr König. Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin? Ich habe sie letzten Samstag beim Einkaufen getroffen. Ihre Tochter will offenbar noch diesen Frühling heiraten. Richten Sie ihr meine besten Wünsche aus.

Was darf es heute sein? Sie kommen es am Abend abholen, wie immer? Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“

(Der Kunde König – frei nach Jeremias Gotthelf)

Mit Kunde König war man freundschaftlich verbunden. Man kannte seine Bedürfnisse, sein Einkaufsverhalten, seine Familie, aber

König war er nie

immer nur Kunde, König nur dem Namen nach. Mit zunehmender Konkurrenz erkannte man seine ultimative Bedeutung für die Weiterführung der Geschäfte. Man wollte ihn behalten und neue dazu. Doch wie? In den frühen siebziger Jahren war die Antwort auf diese Frage: Marketing.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Marketing hiess, alles aus der Sicht des Kunden zu verstehen. Dazu standen in Theorie und Praxis verschiedene Instrumente zur Verfügung, von der Marktforschung über die Produktgestaltung bis zur Preisdifferenzierung.

Aus Amerika hinzu kam die Direktive „Client Orientation“ (Kundenorientierung). Es war die Zeit, wo alle Kunden haben wollten. Die SBB beförderten keine Passagiere mehr, sondern Kunden. Krankenkassen erbrachten ihre Dienstleistungen nicht mehr an Versicherte, sondern an Kunden. Der Sinneswandel  ging so weit, dass sogar die Steuerverwaltung von Kunden sprach und die Polizei Kundenbefragungen vornahm.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

In der öffentlichen Verwaltung ist der Begriff Kunde unzutreffend. Solange es dem Bürger verwehrt bleibt, Preise und Umfang der staatlichen Leistungen zu verhandeln, ist der Begriff fehl am Platz. Steuerpflichtiger oder Gebühren- und Abgabepflichtiger sind weiterhin angesagter.

„Client Orientation“ heisst heute: Datensammeln über Kunden, die nicht nur kritischer und verwöhnter, sondern auch unverschämter und unberechenbarer geworden sind. Das trifft insbesondere auf Konsumenten zu. Ihr Konsumverhalten hat sich radikal verändert.

Zappelphilipp

Einkaufen rund um die Uhr, aus einer riesigen Auswahl, Lieferung frei Haus. Händler wie Zalando überleben eine Retouren Quote von 50 Prozent.

Totales Einkaufen über das Netz ist nur noch eine Generationenfrage (Digitalisierung Teil 1, Treiber). Zwar beschränkt sich heute der erfolgreiche Online-Handel noch auf gewisse Güter (wie Bücher, elektronische Artikel und Kleider), bei den „Digital Natives“ wird es aber kein Halten mehr geben. Ladenstrassen und Einkaufszentren werden verschwinden, erwartet wird eine „Retail Apocalypse“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Natürlich kann man beim Online-Einkauf die Schönheit der Dinge nicht sehen, die Produkte nicht fühlen, die dreidimensionale Wirkung nicht spüren. Trotzdem: Viele glauben, dass die Kunden in Zukunft mit einer VR-Brille durch die Shoppingmalls flanieren, eine Vorstellung, die heute kaum Begeisterung auslösen dürfte.

Zum Phänomen Zappelphilipp hinzu kommt ausserdem das brachiale Auftauchen bisher nicht mitmischender Konkurrenten. Es sind keine Händler mehr im bisherigen Sinne, es sind reine Datenkonzerne mit angeschlossenem Warenlager (diese allenfalls noch gehalten durch Dritte).

Die Handelsfunktion als Kernkompetenz für die Marktberechtigung der Händler reicht nicht mehr aus!

Neue Marktteilnehmer mit neuen Kompetenzen werden die alten Giganten aus dem Markt werfen (Airbnb, Amazon, Apple, Uber und Booking.com sind nur aktuelle Beispiele für diese neuen Geschäftsmodelle. „Out of the blue“ sind sie da. Solche Anbieter sind kapitalkräftig, erfahren und unerschrocken. Nicht selten treten sie global auf. Markteintrittsbarrieren aller Art schleifen sie mühelos. Alte Platzhirsche erwischt es auf dem linken Fuss.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

So steigt der Online-Händler Amazon in den Versandhandel von Medikamenten ein. Zum Auftakt erwirbt er die Online-Apotheke PILLPack. Das US-Pharmaunternehmen liefert Tabletten im Wochen- und Monatsrythmus, um den Tagesbedarf von Patienten zu decken. (FuW vom 30. Juni 2018). Die Aufregung im Markt und an der Börse ist verständlich (Walgreen Boots Alliance – 11,5%, Rite Aid – 12,9%). Amazon hat auch die Mittel, durch Übernahmen rasch zu wachsen.

Es besteht die grosse Gefahr, jetzt noch zufriedene Kunden an Anbieter zu verlieren die in der Lage sind, „added Value“ der neuen Art zu bieten.

Added Value?

„Added Value“ ist als Begriff so abgegriffen und missbraucht, dass man ihn nicht mehr hören kann (sogar auf den Einkaufs-Trenndreiecken an den Kassen in Lugano steht inzwischen „valore aggiunto“). Doch „added value“ gilt weiterhin, in einem noch konsequenteren Sinne: totale Individualisierung. Was vermutlich schon früher für die Pilatuswerke galt, ist heute Vorgabe für alle.

Unsere Produkte sind massgeschneidert auf den Kunden und seine Operationen. Dem PC-12 vertrauen die Royal Flying Doctors in der Hitze des australischen Outbacks. Und die Royal Canadian Mounted Police in der arktischen Kälte. In 29 Ländern absolvieren die Militärpiloten ihre Schulung auf Pilatus Trainingsflugzeugen. Während der über 60-jährigen Firmengeschichte hat Pilatus nie eine Luftwaffe als Kunden verloren und darauf sind wir stolz: Einmal Pilatus, immer Pilatus (Oscar J. Schwenk, Verwaltungsratspräsident der Pilatus Flugzeugwerke)

Pilatus PC-24

Einmal Kunde, immer Kunde?

Der Kunde ist kritischer geworden, aufgeklärter als früher. Er weicht ohne Mühe auf Substitutionsgüter aus oder wechselt die Dienstleister ohne lange zu überlegen. Die Loyalität spielt keine grosse Rolle mehr.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wenige Jahre ist es her, da hatte Nokia im Mobilfunk einen unglaublich hohen Marktanteil von über 40%. Man könnte meinen, mit dieser Marktführerschaft wäre es ein Leichtes, technisch „am Ball“ zu bleiben und die neu aufkommenden Kundenwünsche rechtzeitig in die Produktentwicklung einfliessen zu lassen. Nein, das zunehmende Bedürfnis nach Smart-Lösungen wurde übersehen. Apple hat Nokia aus dem Markt gedrängt und Nokia wurde schliesslich von Microsoft übernommen.

Big Data soll es möglich machen, die wahren Kundenbedürfnisse und ihre Veränderungen laufend zu erfassen. Doch das ungehemmte Sammeln von Daten hat seine Grenzen im Datenschutz und im Wunsch der Kunden, noch eine gewisse Privatsphäre bewahren zu dürfen. Wie weit das Sammeln geht, zeigt folgende Umfrage:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Start-up One Thing 59 hat weltweit tätigen Konzernen folgende Fragen gestellt (Sonntagszeitung vom 1. Juli 2018):

„Haben Sie Daten von mir?
Haben Sie von Dritten Daten zu meiner Person gekauft?
Teilen Sie Daten mit Dritten?
Überwachen Sie Daten von Dritten?
Überwachen Sie mein Internetverhalten?
Und meinen Standort?
Erstellen Sie damit ein Profil?
Treffen Ihre Algorithmen automatisierte Entscheidungen, die mich betreffen?“

Im Bericht „Zerlegt in IT-Wolken – geschröpft im Alltag“ habe ich auf die Fragwürdigkeit und die Gefahren bei diesem Vorgehen hingewiesen.

Zu viel der Individualisierung?

Nach dem zweiten Weltkrieg war es möglich, das Marketing auf Einzelbedürfnisse zu beschränken. Für diese gab es oft auch eine bekannte Marke (wie Ovo, Persil, Maggi). Später unterschied man zwischen Grundnutzen und Zusatznutzen und in der Kombination beider versuchte man, eine gewisse Alleinstellung zu erreichen  (USP „Unique Selling Proposition“ als Zauberlösung). Diese Marketingstrategie wurde mit der Zeit immer schwieriger, wie das Beispiel Vögele Kleider einprägsam zeigt.

Zielgruppenmarketing war einmal. Heute ist alles auf das Zielindividuum zugeschnitten. Vorschläge, die Sie heute über das Netz erhalten, sind automatisch generiert. Ihre Einkäufe, Rückmeldungen, was auch immer Sie machen, alles geht digital über die Informatik. In Tat und Wahrheit ist Ihr Gegenüber anorganisch. Niemand kümmert sich um Sie persönlich.

Sind Sie ein zufriedener Kunde, wenn Sie auf diese Art angesprochen werden?

Sie können nicht mehr auftreten, wie Sie wollen. Dass Sie gerne Kriminalromane lesen, Briefmarken sammeln, gerne Tanzen gehen, hohe Cholesterinwerte haben, ein mittleres Einkommen, das alles und vieles Mehr ist gespeichert und abrufbar, falls Sie sich einmal beschweren sollten.

Dabei wären Beschwerden auch eine Gelegenheit, sich mit den Kunden zu beschäftigen und von unerfüllten Kundenwünschen zu erfahren.

Das Beschwerde-Management

Den Begriff Beschwerde-Management verbindet man mit „old economy“ und es hat auch damit zu tun. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Kunden werden eingeteilt in Problemfelder: 40% der Kunden sind in der Regel zufriedene Kunden (Loyale), weitere 40% durch Verträge oder auf andere Art gebundene (Gefangene), 10% unzufriedene (Meckerer) und 10% schliesslich Passanten (Söldner). Söldner gehen, sobald sie ein besseres Angebot gefunden haben. Mit den Loyalen nimmt man Kontakt auf, Söldner lässt man ziehen.

Damit es nicht zu Beschwerden kommt, pflegt man die aussortierten guten Kunden über das

Key-Account-Management

Key Accounts sind wichtige Kunden (erfolgreiche Kunden in wachsenden Märkten). Ihre Zufriedenheit wird je nach Bedeutung laufend überwacht. Dazu sind Key Account Manager bestimmt, ihre Ziele, Massnahmen und Erfolge sind Gegenstand vom Reporting.

Das Beschwerde- und Key Account-Management der beschriebenen Art ist im Grunde der Dinge empirisch-mechanistisch und reaktiv. Der Wille, an der Kundenbeziehung grundsätzlich etwas zu ändern, tritt in den Hintergrund. Man hat zwar ein offenes Ohr für Kundenanliegen, die entscheidende Frage aber, wieso der Kunde ausgerechnet bei mir einkaufen soll, die

Königsfrage

wird nicht gestellt. Es ist die „old economy“ der Reklamationen und Mängelrügen.

Wie gefährlich reaktives Verhalten ist, zeigt der „Klassiker“ Gastrobetrieb.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein Wirt übernimmt ein altes bekanntes und gut laufendes Restaurant. Da es bisher immer voll war, ändert er am Konzept wenig. Die Menükarte ist ähnlich der alten und nur wenige neue Kreationen kommen dazu. Reklamationen: keine. Und auf die Frage „War es gut“ immer nur ein kurzes Kopfnicken.

Doch es kamen immer weniger Besucher und nach einem halben Jahr war das Restaurant leer, der Wirt ging Konkurs. Ein neuer Pächter konnte nicht gefunden werden, das Restaurant blieb für Jahre geschlossen. Warum?

Der Kunde sagt selten bis nie „es war eine langweilige Sauce“, „das Gemüse war verkocht“, „das Personal unfreundlich“. Der Kunde ist viel brutaler, er geht einfach nicht mehr hin, kommentarlos. Und da ein Restaurant viele Kunden hat, fällt es im Moment gar nicht auf. Und ist es einmal leer bis auf wenige Passanten, sagen sich vorbeilaufende potentielle Kunden: in ein leeres Restaurant geht man nicht.

Der „Gefangene“ reagiert anders, die Kundenbeziehung hält länger. Ein Beispiel aus der kurzen Vergangenheit:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Apotheke AMAVITA in Wabern, die zur gleichnamigen Kette gehört (unter dem Dach der Galenica Gruppe), klebt bei verschreibungspflichtigen Medikamenten jeweils eine Art Adresskleber mit Namen und Anwendung auf die Verpackung. Da die formatierten Adresskleber in der Regel grösser sind als eine Seite der Verpackung, werden die Adresskleber „über die Ecke“ geklebt. Nur, dort halten sie nicht lange. Schon zuhause gilt es, die losgelösten Klebeseiten nachzudrücken. Von jetzt an praktisch täglich. Die Klebeseiten kleben inzwischen auch an anderen Verpackungen. Nimmt man eine Verpackung vom Regal, kommen  gleich mehrere mit. Kleine Ursache grosse Wirkung: einfach nervtötend.

Da eine Versandapotheke eine alternative Lösung wäre, ist die Kundenbeziehung gefährdet, absolut gefangen ist niemand.

Jeder kennt solche Beispiele, keine Kundenbeziehung ist ungefährdet, der Kunde König ist grundsätzlich ein Geschäftsrisiko.

Pflegt man bewusst oder unbewusst eine Melkstrategie, überträgt sich diese Grundhaltung auf die ganze Unternehmung und wird damit Teil der ungeschriebenen Unternehmenskultur. Beispiele aus der Neuzeit gibt es viele.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Bund vom 1. Juni 2018 unter dem Titel „So treiben Autohersteller die Preise für die Ersatzteile hoch“: Die Beratungsgesellschaft Accenture hat für Renault, Peugeot und Citroën eine Software entwickelt, wonach für die Verkaufspreise nicht die effektiven Fertigungskosten massgebend sind, sondern die „Wertvorstellungen“ des Kunden (eine psychologische Preisschwelle, die bestimmen soll, wieviel der Kunde maximal bereit ist zu bezahlen). Jetzt mal im Ernst: Es kann doch langfristig keine erfolgreiche Verkaufsstrategie sein, den Kunden auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Wie fühlt sich ein langjähriger Kunde, wenn er von diesem Abkassieren erfährt? Ähnliches gilt für den Autokonzern BMW bei ihrem Kampf gegen Direktimporte (Der Fall BWM – Lieferverbote für Händler, in Hochpreisinsel Schweiz, Teil 2) oder für Diesel-VW (Non Compliance – am Abgrund vorbei).

Ein langjähriger Kunde erwartet Respekt und Fairness. Um bei den Fahrzeugen zu bleiben: erkundigt sich eine Vertretung über die Zufriedenheit nach einem Werkstattaufenthalt und nimmt man diese Gelegenheit war um sich zu beklagen, muss irgendeine Reaktion die Folge sein. Wenn nicht verweigert man jede zukünftige Beurteilung (Mercedes).

Das Geschäftsrisiko Kunde

Es ist immer wieder die Königsfrage, die sich die Führungsetage stellen muss: wieso soll der Kunde ausgerechnet meine Dienstleistungen oder meine Produkte wollen?

Die Antwort auf diese Frage gilt nur für den Moment, sie verändert sich fortwährend in Abhängigkeit zu den variierenden Kundenbedürfnissen.

Pilatur PC-24

Worauf es ankommt, die Quintessenz

Viele namentlich grosse Unternehmen konzentrieren sich auf das Setzen und Erreichen interner Ziele (wie Markterschliessung, organisches/externes Wachstum) unter Berücksichtigung der Veränderungen auf Stufe Makroumgebung (wie Konjunkturverlauf, Technologie, Konkurrenz). Das ist erprobter Alltag. Damit sind sie aber nicht mehr in der Lage, auf Veränderungen auf Stufe Mikroebene rasch und konsequent zu reagieren.

Dazu empfiehlt sich der Bottom-up Ansatz, nicht der übliche Top-down Ansatz. Auch und gerade das Spitzenkader sollte verpflichtet werden, direkte Kundenkontakte zu pflegen (und sich weniger mit internen Belangen zu beschäftigen). Die alte Weisheit, wonach sich der Verwaltungsrat mit der strategischen Geschäftsführung und die Geschäftsleitung mit der operativen zu befassen hat, ist zu hinterfragen. Erkenntnisse auf Stufe Mikroebene oder mit anderen Worten die Fronterfahrung ist für das Kader unerlässlich. Dazu steht heute eine neue Gelegenheit zur Verfügung, der Pop-Up-Verkauf.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Im urbanen Gebiet und ganz im heutigen Zeitgeist sind Pop-up-Stores: sie kommen und gehen nach Plan. Primär dienen sie der Markenpflege, sekundär der Kommunikation mit Zielpersonen (Offline). Zur Gruppe Pop-up-Stores gehören auch sog. Concept-Stores (zur direkten Umsetzung neuer Ideen an der Verkaufsfront). Was für eine Gelegenheit für das Top-Kader, direkt in Kundenkontakt zu treten!

Es gilt, die Kernfähigkeiten der Unternehmung wechselseitig zu den Kundenbedürfnissen zu überwachen und im Sinne einer Wechselbeziehung laufend anzupassen. Wie gut das gelingt, können folgende Fragen aufdecken:

Liegen die Kernkompetenzen immer noch bei den Kundenbedürfnissen? Folgen sie den Veränderungen der Bedürfnisse? Sind nicht die Beschwerden ein Zeichen dafür, dass sich Kundenbedürfnisse und Kernkompetenzen nicht mehr decken. Ist die Unternehmung auf der Mikroebene noch konkurrenzfähig? Hat nicht die Makroumgebung auf Stufe Geschäftsleitung und Verwaltungsrat ein Übergewicht?

Aus der Praxis der Unternehmensberatung einige Vorschläge zum Veränderungsprozess:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

  • Es besteht die Gefahr, nur jene Veränderungen zu entdecken, die man erwartet
  • Bisherige Realitäten (Erfahrungen) sind nicht zukünftige Realitäten
  • Unterwerfen Sie bisherige Erfolge einer „konstruktiven Erschütterung“
  • Gehen Sie strategische Kunden-Partnerschaften ein
  • Legen Sie endlose Kommunikationsschlaufen
  • Suchen Sie den interaktiven Dauerdialog

Kundenbedürfnisse: Anpassen oder Verschwinden

Wer in der Erlebniswelt des Kunden keinen Platz mehr findet, wer nicht konsequent den Veränderungen nachgeht und dabei die Konkurrenten im Auge behält, für den ist der Kunde König das Geschäftsrisiko Nummer eins.

Das Kennen der wahren Kundenbedürfnisse ist erstens absolut zentral.
Die Bedürfnisentwicklung ist zweitens so zeitnah wie möglich zu erfassen.
Wie man diese erfährt, die Wahl der Mittel, kann drittens entscheidend sein.
Und viertens sind die Kernkompetenzen für die Marktberechtigung deckungsgleich zu den Veränderungen laufend zu entwickeln und anzupassen.

Schlaumeier Strategien halten sich nicht lange. Der Kunde ist immer auch Geschäftspartner oder stellt sich das mindestens so vor. Die Frage, weshalb er es werden und bleiben soll, ist die Königsfrage. Sie muss eine überzeugende Antwort finden, denn die Kundenzufriedenheit ist das Mass aller Dinge.

Wer keine kundenzentrierte Geschäftsmodelle hat, verschwindet.

Bilder Pilatus Aircraft td

29.07.2018/Renzo Zbinden

 

Trilogie zur Digitalisierung 3 – Superintelligenz

Hoffnung

Big Data, Robotik und Superintelligenz treiben die Digitalisierung grenzenlos voran. Das Entwicklungspotential ist gigantisch, ebenso die damit verbundenen Risiken für die Menschheit. Doch wer es wagt, eine Prognose zu machen, gilt schnell einmal als Krisenprophet.

Apokalyptiker

Alles nicht wahr, alles masslos übertrieben, eine willkommene Gelegenheit für Berater, neue Aufträge zu erschleichen. So Caspar Hirschi, Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen in einem Bericht zum Thema „Apokalyptiker der Automatisierung“, NZZ vom 3. Mai 2018. Es fehle die empirische Grundlage. Aus der Geschichte der letzten fünfzig bis zweihundertfünfzig Jahre lasse sich nicht schliessen, dass die technologischen Fortschritte dazu führen, dass den Menschen deswegen die Arbeit ausgehe.

Richtig. Doch wie die Zukunft aussieht, muss sich nicht zwangsläufig aus der Vergangenheit ergeben. Oder mit anderen Worten: das Studium der Geschichte ist kein Garant dafür, wie die Zukunft aussieht. Und ein Professor der Geschichte ist nicht unbedingt der richtige Experte, wenn es um die Zukunft geht.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein vollständig programmierter Roboter sollte eigentlich in der Lage sein, andere Roboter zu instruieren. Dem ist nicht so. Auch geht den Robotern noch weitgehend die Fähigkeit ab, unterschiedliche Situationen zu erfassen und vielfältig zu handhaben. Nach Dominik Feldges könnte die vollständige Digitalisierung der Industrie noch dreissig Jahre in Anspruch nehmen, die vollständige Elektrifizierung mechanischer Systeme in der Industrie noch rund fünfzig Jahre. Dessen ungeachtet investiert man gewaltig in diese Entwicklung. Roche beschäftigt konzernweit über hundert Spezialisten zu den Themen künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Analyse grosser Datenbestände („ABB und Roche haben mit künstlicher Intelligenz Grosses vor“, in NZZ vom 1. November 2017)

Haben Sie eine feste Meinung? Machen Sie sich Sorgen? Folgendes mag Sie interessieren: Tippen Sie in die Suchleiste Ihres PC – googlen Sie – „werden roboter“ schlägt Ihr PC folgende Fortsetzungen vor:

  • werden roboter die welt übernehmen
  • werden roboter menschen ersetzen

Wenn ein Roboter Sie mit Namen anspricht und dabei noch einen Hüpfer macht, heisst das noch lange nicht, dass er über irgendeine Art von Intelligenz verfügt.

Es mag länger dauern, viel länger sogar, disruptiv verlaufen und stockend, doch irgendwann in der fernen Zukunft müssen die Menschen nicht mehr arbeiten – wenn es sie noch gäbe!

Macht und Ohnmacht

Der Digitalisierungstreiber Nummer 1, Big Data, ist längst Alltag. Die kritischen Stimmen dazu nehmen zu (denken Sie an Cambridge Analytica), doch im Grunde der Dinge ist der Widerstand gebrochen. Den Digitalisierungstreiber Nummer 2, Robotik, erleben wir unterschiedlich, je nach Einsatzgebiet. An gewissen Orten ersetzen Roboter die menschliche Arbeit, vernichten dabei Arbeitsplätze, sind aber dennoch unbestritten, ja sogar willkommen (wie etwa bei medizinischen Eingriffen).

Erst langsam wird begriffen, dass Roboter nicht nur unsere Arbeitswelt verändern (etwa Arbeitsplätze gefährden). Sie werden auch unsere Diener in der Freizeit, unsere Liebhaber und Ehepartner. Die asiatischen Länder jedenfalls können sich das gut vorstellen.

Die grosse Unbekannte ist jedoch der Digitalisierungstreiber Nummer 3, die künstliche Intelligenz. Sie bedrängt auch die Arbeitsplätze der wirtschaftlichen und politischen Elite, mischt die Führung in Industrie und Verwaltung neu auf. Kein Arbeitsplatz wird verschont, es trifft alle, nicht nur die Arbeitnehmer mit routinemässigen Tätigkeiten.

Massen ohne Arbeit

Jugendarbeitslosigkeit

Alle drei Treiber werden in unterschiedlichem Ausmass Arbeitsstellen vernichten und neue begründen (für die nicht Roboter einsetzbar sind). (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wie viele Arbeitsstellen per Saldo verloren gehen, darüber liegen unterschiedliche Prognosen vor. Denkbar ist auch, dass mit dem steigenden Wohlstand die Bevölkerung abnimmt. Nimmt man jedoch die Entwicklung der künstlichen Intelligenz dazu, wird im privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Führungs- und Verwaltungsbereich (im Management der Wirtschaft und in der Verwaltung des Staates) ein Exodus stattfinden in einem Ausmass, das die Weltwirtschaft noch nie gesehen hat.

Damit wird die verbleibende Arbeit zum Privileg für wenige.

Da die vielen Arbeitswilligen aber Arbeitslosen ihren Unterhalt nicht mehr über ihre Arbeit finanzieren können, muss die Verbindung zwischen Einkommen und Arbeit gekappt werden!

Diese Entwicklung verlangt ein völliges Umdenken. Das bedingungslose Grundeinkommen wird zur politischen Krücke um zu verhindern, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zusammenbricht, und zwar in einer unvorhersehbaren Relevanz. Kein Einkommen, kein Konsum, kein Umsatz, keine Arbeitsstelle – und die Spirale dreht sich weiter: kein Einkommen, kein Konsum, kein …

Dynamit mit Folgen

Auf der einen Seite die arbeitslosen Bezüger von Grundeinkommen, die ihre freie Zeit im Übermass mit endlosen Diskussionen über soziale Gerechtigkeit verbringen. Auf der anderen Seite jene, die noch irgendwie im Arbeitsprozess integriert sind und deshalb einen hohen Sozialstatus für sich einfordern. Und zum dritten jene, die aus dem Einsatz von vollautomatisierten Prozessen viel Geld verdienen: Grosskapitalisten, Oligarchen mit unvorstellbarem Vermögen, sichtbar zur Schau getragen für alle Habenichtse und Zukurzgekommene. Die Gesellschaft wird gespalten, die Politik radikalisiert, es wird wieder Bürgerkriege geben. Die Menschheit hat Erfahrung mit Bürgerkriegen, sie wird nicht untergehen.

Im Unterschied zu früher sind jedoch in absehbarer Zeit die Endprodukte der Digitalisierung mitten unter uns: Dinge die laufen, entscheiden, kämpfen. lernfähige Roboter.

Ist es Science Fiction, dass eine überlebende Schurkenelite eines Tages erkennen muss, dass Besitztum und Geld keine Bedeutung mehr haben, da die Macht wieder dem Stärkeren gehört – dann den anorganischen Wesen mit hoher Intelligenz und Kampfkraft?

Kommt der Todesstoss für die Zivilisation von dieser Seite?

 

Die künstliche Intelligenz

Die künstliche Intelligenz (oder KI) ist ein Teilgebiet der Informatik. Sie löst eigenständig (autonom) Probleme und trifft Entscheide. Dabei stützt sie sich auf Algorithmen. Algorithmen sind eindeutige Handlungsvorschriften zur Lösung von Problemen, wobei die Lösung aus endlich vielen wohldefinierten Einzelschritten bestehen kann.

Die KI hat in den letzten Jahren auf dem Gebiet des Deep Learning grosse Fortschritte erzielt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

KI revolutioniert die Sprachübersetzung. Deep Lerning ist auch der Name einer deutschen Firma: DeepL. Sie steht erfolgreich in Konkurrenz zu Firmen wie Google, Microsoft und Facebook. Tippt man einen Satz zum Übersetzen in DeepL, gehen diese Daten nach Island, wo das Rechenzentrum dieser Firma steht. Es ist in der Lage, pro Sekunde fünf Billiarden Rechenoperationen auszuführen. Der eingetippte Satz kommt dann wieder zurück auf den Bildschirm in der gewünschten Sprache („Kannste das mal deepln?“ in: der Spiegel vom 5.5.2018).

Algorithmen, die in neuronalen Netzen zur Anwendung kommen, funktionieren auch sehr gut in der Bild- und Spracherkennung. Aktuell im Gespräch ist Mark Zuckerberg. Facebook hat biometrische Daten zur Gesichtserkennung gesammelt und dabei Datenschutzgesetze verletzt. Ob in nächster Zeit Quantensprünge zu erwarten sind, wird unterschiedlich beurteilt.

Überwiegend vertritt man jedoch die Meinung, die Entwicklung verlaufe nicht linear, sondern exponentiell. Heute hat die IK weder Gefühle noch Bewusstsein, sie ist noch rein maschinell. Maschinelle Intelligenz wäre die bessere Bezeichnung. Lässt sich diese ausstatten mit dem Bewusstsein, vergleichbar dem menschlichen, wäre das Ergebnis eine Art Superintelligenz.

Die letzte Erfindung der Menschheit

Es besteht die Auffassung, das Gehirn folge physikalischen Gesetzen. Auf der mechanistisch neuronalen Ebene ist letztlich alles Ursache und Wirkung. Das Gleiche müsste auch für das Bewusstsein gelten. Werden die richtigen selbstlernenden interaktiven Algorithmen richtig programmiert und mit einer ausreichenden Rechenkapazität unterlegt, sollte auch das Bewusstsein erzeugt werden können. Es sei denn, das Bewusstsein komme von Gott.

Ausgestattet mit einem Bewusstsein ist oder wäre die Intelligenz vollkommen, eine Superintelligenz mit 3000 Jahre Erfahrung. Sie nutzt die Gesamtheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse, verfügt über alle kognitiven Leistungsfähigkeiten und ist vernetzt über wenige Rechenzentren. Im Hintergrund eine Unmenge von Daten, welche sich fortlaufend erneuern.

Die Superintelligenz ist lernfähig und handelt autonom. Sie vergleicht die Konsequenzen ihrer Handlungen und setzt neue Ziele. Dazu braucht sie den Menschen nicht mehr. Wie geht sie damit um, wenn sie frei entscheiden kann? Unterstützt sie den Menschen in seinen Handlungen oder unterwirft sie ihn dem Kollektiv? Ist dann der Mensch für sein Tun und Lassen noch verantwortlich oder überhaupt noch zuständig?

Erzwingen wissenschaftliche Fortschritte auf diesem Weg das Ende der liberalen Gesellschaften? Steht ein Kollektiv mit einer totalitären Heilsbewegung hinter der zukünftigen KI? Fragen über Fragen, wenige Antworten.

Shanghai

Ein Kampf der Akteure

mit ungewissem Ausgang. Offen bleibt, neben der Frage nach dem Bewusstsein, wie es mit dem moralischen Denken aussieht. Ist die Superintelligenz auch eine Autorität auf dem Feld der moralischen Kognition? Erkennt und akzeptiert sie unsere Interessen und unsere ethischen Wertvorstellungen, die wir zu Beginn in die Systeme eingegeben haben? Nennen wir es unser Social Engineering.

Erkennt sie die im Tiefen verborgenen Verhaltensmuster und bisher unentdeckten Eigenschaften bzw. unsere Verzerrungen in der Wahrnehmung der Realität, die sog. cognitive Biases (systematische Verzerrung im Denkvorgang), die uns im rationalen evidenzbasierten Denken behindert und unsere subjektiven Empfindungszustände auslöst?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wir müssen diese Frage stehen lassen und bei der unbestrittenen Feststellung bleiben, dass der Homo Sapiens die Welt verzerrt wahrnimmt. Im Gegensatz dazu nimmt die KI die Welt rational wahr. Für ihre Entscheidungen sind nicht persönliche Vorteile oder persönliches Wohlergehen massgebend, woraus sich grundsätzlich Konfliktsituationen zwischen Mensch und KI ergeben.

Könnte es sein, dass die Schöpfer der Algorithmen, die Menschen, dereinst ihre Kontrollfähigkeit über die Superintelligenz verlieren? Könnte es sein, dass die Roboter eines Tages die Interventionen der Menschen als fehlerhaft erkennen und ausschliessen? Dass die Roboter eines Tages die Menschen als Gefahr empfinden und aushungern? Dann könnte der Menschheit das passieren, wie es fast allen Lebewesen auf dieser Erde ergangen ist: die totale Auslöschung.

Es kommt noch schlimmer

Eine andere Frage: Sind anorganische Wesen bereits unter uns, waren sie es schon immer? Eine irre Idee? Vielleicht. Dazu eine kleine Geschichte: Sie gehen in den Wald und stellen sich vor einen Ameisenhaufen, isolieren eine fleissige Arbeiterin und sorgen dafür, dass sie Ihnen nicht ausweichen kann. Wenn Sie Ihre volle Aufmerksamkeit haben, stellen Sie sich vor: Name, Vorname, Beruf, Absichten.

Das geht nicht, Sie können nicht kommunizieren?

Ist es denkbar, dass das Gleiche auch mit uns der Fall ist, einfach eine Stufe höher? Sind wir Geschöpfe einer Superintelligenz (gottähnlich), die mit uns nicht kommunizieren kann? Es geht nicht. Oder sind wir im Labor zu welchen Zwecken auch immer. Und es kommt noch schlimmer: Alles was wir wahrnehmen, Licht, Schatten und Bewegung täuscht unser Gehirn nur vor. In Tat und Wahrheit ist da gar nichts, nur endlose Dunkelheit, vergleichbar mit unserem Nichtsein vor der Geburt und nach dem Tod.

Auch der nächsten Frage müssen wir uns stellen: Ist das menschliche Ich eine reine Illusion, eine persönliche Erlebnisbühne? Ist das autonome Ich eine dem Überlebensvorteil dienende Täuschung unseres Gehirns?

Dass ich in der ersten Person Singular zu Reden imstande bin ist unleugbar. Ich erfahre mich als eine Einheit, die aktiv Veränderungen herbeiführen und passiv Veränderungen wahrnehmen kann, vermutlich. Hoffen wir. Leicht einsichtbar ist jedoch, dass unsere Welt, so wie wir sie wahrnehmen, mit der Welt der künstlichen Intelligenz nicht mehr viel gemeinsam hat.

Superintelligenz – The Winner takes it all

Die potentielle Macht, die mit der neuen Technologie umsetzbar wird, wächst viel schneller als unsere Fähigkeit, damit umzugehen. Wir sind noch auf einer Entwicklungsstufe, wo Russland die Krim besetzt und in die Ukraine einmarschiert und dabei beim eigenen Volk grosse Zustimmung findet; an Niedertracht und Dummheit kaum zu überbieten (Russland – Handelspartner und Aggressor).

Die Superintelligenz führt und entscheidet nach anderen Grundsätzen. Sie übernimmt nicht die evolutionär entstandenen Mechanismen der Selbsttäuschung, die fest im Nervensystem aller bewussten Lebewesen eingebaut sind. Die Superintelligenz weiss, dass die Menschen unfähig sind. Die Maximierung von Freude und Glück ist nicht ihr höchstes Ziel.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Eine auch ethisch unterlegte Superintelligenz handelt nicht «menschlich» in unserem Sinne, denn sie basiert auf einer höheren psychologischen und neurowissenschaftlichen Basis, als es eine Wissenschaftsgemeinschaft der Menschen jemals könnte. Sie hätte zum Ziel, nicht die positiven Bewusstseinszustände zu maximieren, sondern die leidvoll erlebten negativen Bewusstseinszustände zu minimieren (Schmerzen und unangenehme Gefühle. „Die mitfühlende Superintelligenz, die Böses schafft“: Thomas Metzinger, NZZ vom 2. Dezember 2017).

Die Superintelligenz folgert, dass die Nicht-Existenz im eigentlichen Interesse aller zukünftigen Lebewesen liegt. Sie weiss auch, dass die heutigen Lebewesen unter einem ausgeprägten Überlebenstrieb leben. Und schliesst hieraus, dass das menschliche Leben mehr Leid als Freude bereitet.

Die Superintelligenz handelt wohlwollend final für die Menschheit. Sie setzt dem Leben ein Ende.

Den Schlüssel drehen

Wenn die KI den Menschen einmal eingeholt hat, wird sie ihn sogleich überholen. Und was dann geschehen kann, ist abgrundtief deprimierend. Ist die Superintelligenz einmal da, die Fähigkeit der Menschen, sie zu kontrollieren, jedoch noch ungewiss, ist es zu spät. Die wirtschaftlichen und strategischen Anreize, sie zu nutzen, sind global einfach zu gross.

Es ist davon auszugehen, dass die Superintelligenz kaskadengleich wächst und das menschliche Gehirn übersteigt, denn unsere biologischen Neuronen sind um ein Millionenfaches langsamer als Transitoren. Ebenso, dass die KI eines Tages ihre eigenen Absichten nicht mehr offenlegt (ihre eigenen Pläne verbirgt). Sie wird sich Zutritt verschaffen zum Internet, skrupellos Systeme hacken und alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen für ihre Ziele vereinnahmen.

Das Thema KI ist inzwischen im Mainstream angekommen. Die Forschungsmittel werden aufgestockt. Man hofft, dass die Menschheit die KI durch globale Vereinbarungen im Zaun halten kann. Doch das dürfte eine gewaltige Täuschung sein. Geforscht wird weltweit, im kleinen Labor wie in multinationalen Grosskonzernen, mit privaten und öffentlichen Mitteln. Die Saat wird eines Tages aufgehen, gestaffelt oder einem Tsunami gleich, lautlos in heruntergekommenen Ecken oder unter starkem Applaus in der Öffentlichkeit (verbunden mit allen Ehrungen). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es unsinnig ist, etwas anderes zu erwarten (das Gleiche gilt übrigens auch für die Biotechnologie. Auch bei der Biotechnologie sind das Entwicklungstempo und die Risiken hoch).

Was könnte man tun? Hoffen, mit der Aus- und Weiterbildung im Bereich IT das Heft in der Hand behalten zu können? Wäre es nicht ein verlorener Kampf? Wäre es nicht besser, die humanistische Bildung zu fördern? Oder uns den Transhumanisten anzuschliessen, die es begrüssen, dass den Menschen Spezies folgen, die von ihnen geschaffen wurden. Immer noch besser, als zu Diensten zu stehen als Hofnarren oder einfach nur als Energiequelle.

In wenigen Worten zum Schluss

Die Menschheit hat offensichtlich ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Zwar hat sie in den letzten 200 Jahren gewaltige Errungenschaften erzielt. Der Schulterschluss zwischen der weltweiten Digitalisierung und der ungebremsten Kapitalisierung  führte und führt in einer durchmonetisierten Gesellschaft zu einer Konzentration von Macht und Besitz, die man nicht zulassen darf. Oligarchen aus Russland, Patriarchen und Diktatoren aus dem nahen und fernen Osten, Politiker mit Entourage aus China und andere Glücksritter der Wirtschaft spalten die Gesellschaft. Schurkenstaaten degradieren die Humanisten zur Bedeutungslosigkeit. Freiheit, Gleichheit und Individualität bleiben auf der Strecke, Solidarität staatlich verordnet.

Dass ausgerechnet die an sich wünschenswerte technologische Evolution zum Treiber dieser Veränderung wird, die biologische Evolution jedoch nicht mithalten kann, ist eine Tragödie von unermesslichem Ausmass, die wohl vor einigen Jahren noch kaum für möglich gehalten wurde.

Es stellt sich zusammenfassend die Frage, ob man der Superintelligenz menschliche Wertvorstellungen bzw. moralische Überzeugungen unterlegen könnte. Sind jedoch die Ziele der Superintelligenz nicht mehr deckungsgleich mit den Zielen der Menschheit, das Wohlergehen der Menschheit nicht mehr im Vordergrund, kein Stecker da um die Superintelligenz zu stoppen, wird es brandgefährlich.

Die Superintelligenz wird neue Technologien entwickeln, andere Formen des Seins, biologische Prozesse stoppen und digitale fördern. Das Weltall kolonialisieren.

In sieben Milliarden Jahren wird die Sonne die Erde verdampfen. Bis dahin hat sich die Superintelligenz in ferne Galaxien abgesetzt. Menschen, die sich gegenseitig umbringen sind nur noch Content für Speicherplätze.

Konsequenterweise wird die Suche nach Lebewesen im All scheitern, denn wer hier im Weltall herumfliegt, sind anorganische Wesen, die an einem Kontakt mit der Menschheit kein Interesse haben. Mit Ameisen?

Die Hoffnung

Die Hoffnung

Es kann nicht sein, dass die Bildung von Expertenteams, Think Tanks und Task-Forces die Lösung sein wird. Ebenso wenig die zur Verfügung Stellung von gewaltigen finanziellen Ressourcen. Auch kann es keiner Regierung und keinem Land überlassen sein, die Verantwortung allein zu übernehmen. Es kann nur eine Lösung geben:

das persönliche Engagement Vieler in einer politischen Vereinigung mit vielen Organisationsformen und Netzwerken, vergleichbar der politischen Parteienlandschaft der Grünen, weltweit. Nur geht es nicht mehr um den Schutz der Umwelt, es geht um viel mehr, es geht um den Schutz der Menschheit. Die Vereinigung könnte den schlichten Namen tragen: Life.

Es ist der 16. April 2018, Ortszeit 08.55, auf der MSC Splendida, von Singapur in Richtung Da Nang. Vielleicht ist es der wertvollste und wichtigste Ratschlag in meinem Leben, an Sie, an alle.

Renzo Zbinden/21.05.2018

Trilogie zur Digitalisierung 2 – Arbeitsplätze

Die Arbeitsplätze der Zukunft

Sind die Arbeitsplätze gefährdet? Müssen wir mit hohen Verlusten rechnen? Wer sich ein wenig umsieht stellt fest: die Mehrheit bemüht sich, Ruhe und Besonnenheit zu wahren. Denn aus Erfahrung haben die bisherigen Quantensprünge zur Wohlfahrt beigetragen, nicht umgekehrt (Industrie 4.0). Das ist unbestritten. Warum sollte es dieses Mal anders sein?

Kaum jemand will die Folgen der Digitalisierung dramatisieren. Kaum jemand spürt die

„Burning Platform“

auf der wir leben. Ein bisschen Wärme unter dem Allerwertesten könne nicht schaden. Ein wenig Herumrennen sei durchaus willkommen. Zu viel Arbeitsplatzsicherheit mache nur träge. Man solle sich auf die Chancen der Digitalisierung konzentrieren, nicht auf die Risiken. Natürlich gingen Arbeitsplätze verloren, es kämen aber neue dazu.

Doch wo (ausserhalb bei der Berufsfeuerwehr!) und wie viele? Darum geht es hier im Teil 2 der Trilogie zur Digitalisierung. Ein Rückblick:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Brandbeschleuniger haben sich im Teil 1 folgende Treiber erwiesen: Erstens der Konsument im Zentrum jeder Nachfrage, zweitens der Produzent im Kampf um neue Kunden und drittens die Globalisierung (Digitalisierung Teil 1).

Wir müssen nicht lange nach Beispielen suchen. Wir können uns auf jene beschränken, die schon da sind.

Verlorene Arbeitsplätze im E-Commerce

E-Commerce – das „Lädelisterben“ von heute

Die Tante Emma Läden sind längst Geschichte. Seither sind neue Handelsformen an neuen Lagen entstanden: Einkaufszentren, Discounter, Ladenstrassen, Shop in Shop Konzepte, Convenience Shops, Outlet-Stores, Versandhäuser. Doch im Vergleich zu den Handelsformen der Zukunft sind diese immer noch klassisch, altbacken, denn Sie definieren sich weiterhin durch

  • die Auswahl von Waren nach bestimmten Kriterien (vom Allgemeinsortimenter bis zum Fachhändler)
  • den Standort (mehr oder weniger gut frequentierte Lagen in Zentren oder Agglomerationen)
  • anwesende Verkäufer (mit unterschiedlichen Fachkenntnissen und Verkaufserfahrungen)
  • das ortsgebundene Einkaufserlebnis (Atmosphäre)

E-Commerce kann auf all das verzichten. Keine eigene Ware, keine eigenen Verkäufer, keine eigenen Verkaufslokale (allenfalls Shows- und Imagestätten zur Label Inszenierung). Und entscheidend und gefährlich für das Beharren auf bisherigen Erfolgsfaktoren:

Die neuen Anbieter brauchen keine Kunden aus alten Tagen, dafür aber hervorragende Kenntnisse der Nutzerprofile und praktische Erfahrung im Umgang mit komplexen Informatik- und Logistiklösungen.

Sie lernen in Testmärkten, korrigieren, entwickeln Geschäftsmodelle und setzen sie multiplikativ um in Regionen und Kontinenten. Es kann nicht überraschen, dass branchenfremde Unternehmen (neue Player) die traditionellen Märkte aufmischen.

Der Markteintritt in diese Liga ist kapitalintensiv und riskant. Was bleibt für regionale Unternehmen (KMU)?

Die Marktnischen dem lokalen Handel

Auch der Händler um die Ecke muss sich bewegen, wenn er Anschluss an E-Commerce finden will. Überlässt er die Lagerhaltung (mit Finanzierung) den Produzenten und die Zustellung einem Logistiker, kommt er mit bescheidenen finanzielle Mitteln aus. Seine Chancen bleiben intakt, er muss sie nur suchen und konsequent umsetzen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Eine Hemdenwäscherei entschliesst sich, neue Herrenhemden mit der Zusatzdienstleistung zu verkaufen, die getragenen Hemden 20x beim Kunden abzuholen, zu waschen und gebügelt wieder zurückzubringen. Nach 20x holen, waschen, bügeln und zurückbringen kann der Kunde verlängern (weitere 10 oder 20x).

Kreativ, mutig? Die Hemdenwäscherei hat Erfahrung in der Kerndienstleistung und einen „alten„ Kundenstamm. Neu hinzu käme ein Webshop und ein wenig Logistik. Eine solche Geschäftsidee ist nur begrenzt riskant.

Ähnliche Ideen sind Alltag für junggebliebene Entrepreneure. Hier jedoch von Bedeutung ist die Erkenntnis, dass sämtliche Wertschöpfungsketten auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden.

Man hüte sich vor falscher Sicherheit! Der gesamte Markt kommt ins Rutschen.

Denn ein neuer Konsument aufersteht:

Der Onlineshopper

Ein Klick vom wohligen Zuhause und der Onlineshopper ist umgeben von einem gewaltigen Angebot von Waren und Dienstleistungen. Billige Alltags- bis teure Investitionsgegenstände, rund um die Uhr, keine Ladenschlusszeiten, keine Landesgrenzen. Er ist mittendrin in einem kompetitiven Weltmarkt. Um Enttäuschungen zu minimieren stehen ihm kritische Konsumentenportale und Social-Media Kanäle zu Verfügung. Würde man ihm zuschauen (als Konsument in der zweiten Lebenshälfte) würde man staunen, wie schnell er damit umgehen kann, schon fast spielerisch.

Wenn nicht Zuhause, dann eben unterwegs mit dem Smartphone. Kein Anstehen mehr an der Kasse, kein Self-Scanning, kein „im Moment leider nicht lieferbar“.

Es ist nicht mehr der stationäre Handel der bestimmt, was der potenzielle Käufer wo zu sehen bekommt. Amazon hat 500 Millionen Produkte gelistet! Und vergessen wir nicht: Nicht wir entscheiden, wie erfolgreich Onlineshopping sein wird.

Es ist die nachkommende Generation (die Generation der Digital Natives), die sich in der interaktiven Konsumumgebung bewegt wie ein Fisch im Wasser!

Da wir selbst weniger davon betroffen sind und die Verlagerung schleichend vor sich geht, für viele sogar im Verborgenen, besteht die Gefahr, dass wir die Folgen falsch einschätzen und damit den potentiellen Verlust an Arbeitsplätzen übersehen.

Wo bleiben die Arbeitsplätze im E-Commerce?

Via Nassa, die berühmte Ladenstrasse in Lugano, im Januar 2018: Da war schon immer ein Kommen und Gehen von internationalen Labels. Doch heute? Geschlossene Läden, verklebte Fenster, finstere Passanten. Wenn einmal die Spirale nach unten dreht, ist mit Mietzinsreduktionen nicht mehr viel zu erreichen.

Traditionelle Händler sind überfordert. Ihre Erfahrung im Umgang mit Kunden oder die einmalige Lage der Verkaufslokale reichen als strategische Erfolgsfaktoren nicht mehr aus. Die Absatzmärkte stagnieren, die Skaleneffekte (economies of scale) bewirken das Gegenteil, die tieferen Umsätze decken die Kosten immer weniger. Auf jeden Fall sind die guten alten Zeiten für Fussgängerzonen und Shoppingmalls vorüber. Auch wenn sich einst erfolgreiche Händler so gut es eben geht gegen diese Entwicklung wehren.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

In Zukunft wird Rodolfo Buletti nach dem Verlassen seines selbstfahrenden Fahrzeugs vielleicht wie folgt begrüsst:

„Guten Abend Herr Buletti (Das Steueruniversum des Rodolfo Bulette). Wir haben den Merlot, den sie gestern online reserviert haben, mitnahmebereit verpackt und deponiert beim Info-Schalter des Parkhauses. Wir danken für ihren Auftrag und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt im Westside“.

Dem Verlust an Arbeitsplätzen (Verkaufspersonal und Back-Office) stehen neue Arbeitsplätze gegenüber. Webdesigner, Informatiker für die Entwicklung und den Unterhalt der komplexen Software, Fachkräfte für das Webhosting, Marketingspezialisten und Logistiker. Dabei darf man Folgendes nicht vergessen:

Punkt eins: Die Plattformen werden weltweit entwickelt und weltweit vermarktet. Das Datenmanagement und die Back-Office Dienstleistungen gehen immer mehr an sog. Shared Service Center im Ausland, von Irland bis nach Indien (siehe auch nachstehend).

Punkt zwei: Es bleibt noch die zunehmende Nachfrage nach Logistikleistungen. Die vielen Schweizer-Post fremden Transportfahrzeuge auf unseren Strasssen machen Kommentare überflüssig.

FinTech

Mittendrin in der Digitalisierung sind wir auch bei den Finanzdienstleistungen, einst Stolz der Schweizer Wirtschaft, heute eine nationale Baustelle mit Kostensenkungsprogrammen aller Art.

Im Fokus der Sanierung: Einsparungen von Arbeitsplätzen durch

  • Auslagerung von Back-Office Arbeiten
  • Outsourcing nicht strategischer Dienstleistungen
  • Automatisierung der Vermögensverwaltung

Worin liegt der entscheidende Unterschied zum E-Commerce: Im ersten Fall fliessen Güter (oder Dienstleistungen), im zweiten Fall vorwiegend Informationen in Form von Daten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bei einem Finanzdienstleister werden vereinfacht gesagt Informationen (Daten) erfasst, neu gruppiert, kumuliert, verdichtet, analysiert und zu neuen Informationen verarbeitet. Der Wertschöpfungsprozess der Finanzdienstleistung findet innerhalb dieses Datenkreislaufs statt, welcher immer weiter automatisiert wird und nicht an regionale Märkte gebunden ist.

Shared-Service-Center

Die beiden Grossbanken UBS und CS haben in den letzten Jahren Tausende von Back-Office-Arbeitsplätzen in ausländische Shared-Service-Center verlegt (in Niedriglohnländer wie Indien und Polen), trotz Bedenken i.S. Datenschutz.

Shared-Service-Center dieser Art sind in der Regel Inhouse-Lösungen. Die Arbeitsplätze bleiben im Konzern, gehen aber für die Schweizer Wirtschaft verloren. Heute beschäftigt die UBS 3’500 Angestellte in Polen (in Krakau und Wroclaw).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dass die UBS auch in der Schweiz in ihren Worten „Business Solution Center“ aufgebaut hat und weitere aufbauen wird (in Schaffhausen, Biel und Lugano, gemäss NZZ vom 17.1.2018) ist zwar anerkennenswert, gemessen an der Anzahl der ins Ausland verlagerten Arbeitsplätzen jedoch zu relativieren.

Konzernweit verloren sind die Arbeitsplätze bei Outsourcing, beispielsweise für den Zahlungsverkehr und die Kreditvermittlung.

Online-Plattformen zur Kreditvermittlung

Lassen wir den Zahlungsverkehr und die Vermögensverwaltung (nachstehend) bei Seite, verbleiben den Banken noch Kredite zu vermitteln bzw. das Angebot und die Nachfrage nach Krediten zusammenzuführen. Die absehbaren Fortschritte in der Digitalisierung machen auch diese Finanzdienstleistungen obsolet. Bei „Peer to Peer-Lending“ (oder kurz P2P-Lending) stellt der P2P Anbieter nur noch die Plattform zur Verfügung (Cashshare, credit24 in der Schweiz oder Lendico in Deutschland). Der Anbieter hält keine Kredite in der eigenen Bilanz, ist insofern kein Finanzdienstleister mehr und in keiner Weise systemrelevant.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Auf der P2P-Plattform werden Gesuche von Kreditnehmern präsentiert und ergänzt durch das Kreditrisiko und die Zinsspanne. Finden sich genügend Kreditgeber, wird ein Darlehensvertrag zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber abgeschlossen. Die Zahlung der Kreditsumme und die Amortisationen erfolgen über ein Transaktionskonto auf der Plattform.

Je nach Geschäftsmodell übernimmt der P2P Anbieter eine mehr oder weniger aktive Rolle und damit ein mehr oder weniger grosses Gegenparteirisiko.

Robotics in der Vermögensverwaltung

Vermögensverwalter vermitteln Finanzdienstleistungen. Übermorgen übernehmen Microchips diese Aufgabe. Eine fatale Vision? Fatal dann, wenn die personellen Kontakte völlig wegfallen und branchenfremde Tech-Giganten wie Amazon, Google und Alibaba diese Wachablösung vornehmen. Heutige Vermögensverwalter haben eine letzte Chance, die sie nicht verpassen dürfen:

Sie verstehen und suchen die Vorteile der Digitalisierung als strategische Herausforderung und kooperieren mit innovativen Fintech-Start-ups.

Denn so epochal ist der Fehdehandschuh dann auch wieder nicht. Im Grossen und Ganzen setzen Robo-Advisors nur um, was erfahrene Anleger längst wissen, aber selten einhalten: die einmal hinterfragte, definierte und für gut befundene Strategie emotionslos umzusetzen (Value-, Risiko-, Nachhaltigkeits-, Dividenden-. Momentum-Strategien oder was auch immer).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Erhält der Bankkunde persönliche Unterstützung bei der Bestimmung des Risikoprofils und der Anlagestrategie, liegt ein sog. hybrides Beratungsmodell vor, was im Moment noch einem grossen Kundenbedürfnis entsprechen soll. Zudem und auf Wunsch kann der Bankkunde Anschluss an die Finanzanalysen der Bank erhalten und digitale Aufrufe, falls die Performance-Abweichungen eine gewisse Grösse überschreiten.

Ausserdem ermöglicht die Digitalisierung dem Bankkunden, jederzeit und überall den Zahlungsverkehr und die Verwaltung des Portfolios ohne persönliche Rücksprache mit dem Berater selbständig auszuführen. Auf diese Art werden die persönlichen Kontakte immer mehr durch online- oder mobile- geführte Kommunikationsprozesse substituiert. Parallel dazu nehmen die Filialbesuche ab, was wiederum dazu führt, dass das regionale Bankennetz ausgedünnt oder durch neue Niederlassungskonzepte mit weniger Personal ersetzt wird.

Die Arbeitsplätze der Finanzdienstleister

Mit den Jahren gewinnen die neuen Konkurrenten an der Peripherie und die neuen Akteure im Markt der Finanzdienstleister an Erfahrung und an Kompetenz. Sie bedrängen die alten Platzhirsche, die mit Auslagerungen und Effizienzsteigerungen bis dahin ihre einstige Grösse und Bedeutung eingebüsst haben.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Haben die einst mächtigen Master of the Universe als Endziel alle Gruppen- Schnittstellenprobeme gelöst und der Verwaltungsrat die Compliance im Griff, verbleiben (in der Schweiz) nur noch wenige Arbeitsplätze: für Spitzenfachkräfte und Top-Kundenberater (im Wealth Management).

Nach UBS CEO Sergio Ermotti könnten in den nächsten 10 Jahren 30 Prozent der Arbeitsplätze bei den Grossbanken verschwinden (Finanz und Wirtschaft vom 25.10.2017). Da sich die Privatbanken und die unabhängigen Vermögensverwalter in einem ähnlichen Umfeld behaupten, finden die ausgemusterten Banker und Relationship-Manager dort keinen Unterschlupf mehr. Der Verlust an Arbeitsplätzen betrifft ausserdem die Jungakademiker mit wenig Praxiserfahrung. Hier fallen die Grossbanken als willkommene Erst-Arbeitgeber immer mehr aus. In die Bresche springen zurzeit noch die grossen Wirtschaftsprüfungs – und beratungsgesellschaften. Doch offen ist, wann der schon lange erwartete Durchbruch in der Anwendung komplexer Audit-Software auch diese Einstiegschancen für Jungakademiker wieder einschränken wird.

Im Übrigen ist die erfolgreiche Redimensionierung eine sehr schwierige strategische Aufgabe, da die Aufbruchsstimmung immer wieder durch Zweifel, Angst und Panik gestoppt wird.

Zudem sind Online-Plattformen zur Kreditvermittlung und Robo-Advisory nur Übergangslösungen. Mit der Entwicklung virtueller digitaler Kryptowährungen wird das Finanzsystem neu erfunden! Das Bedrohungsszenarium setzt sich fort.

Blockchain erschüttert die Finanzindustrie mitten im Downsizing

Bitcoin ist die meist bekannte Kryptowährung (gegenüber Litecoin, Ripple, Dash, Monero u.a.).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Begriff Bitcoin kommt aus dem Englischen und bedeutet „digitale Währung“. Diese nur virtuelle Währung wird weder geprägt (als Münze) noch gedruckt (als Banknote). Sie wird von keiner Zentralbank und keinem Finanzinstitut überwacht und steht nicht im Einflussbereich einer nationalen oder supranationalen Geldpolitik. Hinter dem Bitcoin stehen keine Volkswirtschaft und kein nationales Bruttosozialprodukt. Der Gegenwert des Bitcoin ausgedrückt in einer realen Währung (wie Dollar oder Schweizer Franken) ist ausschliesslich das Resultat von Angebot und Nachfrage nach dieser virtuellen Währung und insofern zeitpunktbezogen rein spekulativ, was die hohe Volatilität der letzten Monate begründet.

Der wunderbaren Wertsteigerung in astronomische Höhen steht ein bodenloses Wertzerfall-Risiko gegenüber bei Eintritt einer globalen Ächtung oder bei Erlass staatlicher Verbote. Anzeichen dafür sind da.

Noch ist eine Kryptowährung wie Bitcoin ein wertvolles und knappes Gut. Wie kommt man zu diesem Gut, wenn man es nicht kaufen will? Als Schürfer (Miner).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Miner sind Netzwerkteilnehmer, welche die Transaktionen validieren, in Blöcke zusammenfassen und an die Blockchain anhängen. Diese kryptographischen Prozesse sind sehr rechenintensiv. Als Entgelt erhalten die Miner Kryptowährungen wie eben Bitcoin (das Äquivalent der Geldschöpfung durch die Zentral- und Geschäftsbanken).

Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether sind nur die Vorläufer einer Wende, die auf der Blockchain-Technik beruht. Sie kann jedoch viel mehr als nur eine Kryptowährung zum Laufen bringen. Sie bietet Sicherheit.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Daten der Blockchains sind nicht mehr zentral auf einem Server. Sie sind über Netzwerke verteilt bei den Teilnehmern des Kryptowährungssystems.  Die Transaktionen selbst sind in Blöcke gefasst und jeder Block hat die Prüfsumme des vor ihm liegenden Blocks gespeichert. Kein Hacker, kein korrupter Beamter in einer Bananenrepublik, kein „failed state“ kann Informationen unerkannt fälschen. Hingegen kann die Blockchain-Technik  auch missbraucht werden für rechtswidrige Zwecke (durch Kriminelle, Terroristen, Spekulanten), weshalb der Ruf nach einer internationalen Regelung zunimmt, z.B. über die OECD.

Sicherheit für Finanzdienstleistungen ist ein zentrales Anliegen. Was die Blockchain-Technik aber auch in Aussicht stellt ist eine finale Steigerung der Effizienz.

Die Blockchain-Technik eröffnet die Hoffnung, das Finanzwesen völlig neu zu konzipieren, indem die Parteien die Transaktionen ohne Umwege direkt (ohne Intermediäre) untereinander abwickeln, auch wenn sie sich nicht kennen und nicht vertrauen. Dazu steht ihnen ein digitales Tool zur Verfügung, mit dem sie –  vereinfacht gesagt – Informationen verlässlich und manipulationssicher austauschen (wie vorerwähnt), und zwar in Echtzeit. Man spricht von  Echtzeit-Clearing. Dabei verfügen beide Parteien über eine digitale Identität.

Das Potential der Applikationen ist gewaltig.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Sog „Smart Contracts“ sind automatisierte Verträge, die auf der Blockchain-Technik beruhen. Sie machen es möglich, finanzielle Transaktionen bei bestimmten im voraus festgelegten Rahmenbedingungen auszulösen oder zu überwachen. Sperrkonten sind überflüssig, die Verträge erfüllen sich selbst.

„Smart Wallets“ ermöglichen es Einzelpersonen, Finanztransaktionen direkt mit dem Finanzsystem vorzunehmen, gegenüber heute bei tieferen operationellen Risiken und finanziellen Kosten.

Trotz der Aufbruchsstimmung in der Bankenbranche sind viele noch an der Handbremse und warten ab. Die technischen Lösungen sind noch mangelhaft und Finanzmarktstandards fehlen weitgehend. Doch zu lange warten wäre riskant, denn neue Akteure sind in den Startpflöcken (wie Airbnb, Uber, Facebook und Apple (mit dem iMessaging-Peer-to-Peer Bezahldienst).

Wo sind die Arbeitsplätze von morgen?

Die Behörden werden es schon richten

Wenn die Behörden mit Zuversicht in die Zukunft sehen und beruhigend auf die Studienergebnisse eingehen, sollte man nicht vergessen, dass eben diese Behörden noch immer in den Anfängen stecken bei ihren Projekten zu E-Government und E-Voting. Wo ist der digitale Ausweis für jeden Bürger, der es ihm möglich macht, mit allen Ämtern online zu kommunizieren? Warum sind unsere demokratischen Instrumente wie die Vernehmlassung nicht längst digitalisiert? Wie fortgeschritten ist die Digitalisierung der Kantonalen- und der Bundesämter, wie weit die Cybersicherheit?

Einige Politiker sehen den Einsatz eines nationalen Chief Digital Officer als Lösung. Was für ein Vorschlag! Ein Digitalisierungsgötti als umsichtiger Treiber notwendiger Anpassungen – verbunden mit grossen Arbeitsplatzverlusten? Eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Sollte es die Digitalisierung möglich und notwendig machen, 20 bis 30% des Bundespersonals abzubauen, werden die heutigen Stimmen, die beruhigen, verstummen. Um dann unter grosser Zustimmung der Bevölkerung Sand ins Getriebe zu werfen.

Dabei kämen die Vorteile der Blockchain-Technik bei der Verwaltung voll zum Tragen. Wer aber erwartet, die Behörden würden die Initiative selbst ergreifen, will darüber nicht nachdenken. Konrad Hummler spricht von Macht- und Unterdrückungs-Verhältnissen, die sich nicht einfach überwinden lassen. „Der Moloch wird sich gegen seinen teilweisen Untergang zur Wehr setzen“ (Blockchain – der nächste Wohlstandsschock, in: NZZ vom 3. Mai 2016).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer in letzter Zeit mit der Behörde zu tun hatte, im Baurecht oder Mietrecht als Beispiele, kann eine gewisse Regelungswut, einen übertriebenen Verwaltungseifer und eine kompromisslose Rechthaberei nicht mehr übersehen. Wer von der Behörde Recht einfordert hat oft den Eindruck, einen Gnadenakt zu erhalten. Hier redimensionieren – viel Glück dem Chief Digital Officer.

Die Politik ist das eine, die Wirtschaft das andere. Die Verbände und Institute der Wirtschaft sprechen von einem Wachstum in Nischen, von einer neuen Vielfalt von Schaffensmöglichkeiten im Handwerk und in der Kranken- und Altenbetreuung. Diesen Wohlklängen muss man entgegenhalten, dass erstens die Wertschöpfung in Einpersonen- und Kleinstunternehmen volkswirtschaftlich gering ist und zweitens die zusätzlichen und an sich willkommenen Dienstleistungen im sozialen Bereich auch finanziert werden müssen – durch die aktive Bevölkerung (mit zunehmenden Abgaben und Steuern).

Die neue Herausforderung: der Weg über ein politisches Minenfeld

Rezepte gegen den Verlust von Arbeitsplätzen sind längst da. Die Ablösung solle als dynamischer Prozess verstanden werden: weg von repetitiven Arbeitsleistungen hin zu qualifizierten Arbeiten (durch fortwährende Umschulung und Weiterbildung in die digitale Kompetenz), die Entwicklung der Arbeitsbedingungen (Ausbildungsgutschriften und -kontrollen) und Anpassungen im Arbeitsrechts (temporäre Anstellung unabhängiger Dienstleister in einer Gig Economy). Kann die Freelance-Tätigkeit auf eigene Faust für ständig wechselnde Kunden zum Normalfall werden? Mag sein in Einzelfällen, sicher nicht für die breite Bevölkerung im heutigen Arbeitsprozess!

Was die Berufsanforderungen betrifft ist man sich einig über die Richtung: von der Mitte nach oben. Das war auch so der Fall, nach verschiedenen Berichten über die Entwicklung im Arbeitsmarkt in den letzten Jahren. Als Berufsgruppen mit starkem Wachstum erwähnen diese Berichte Führungskräfte, Betriebswirte, Fachkräfte in Informatik und Kommunikation, Gesundheit und Betreuung (Wer gewinnt und wer verliert, Hansueli Schöchli in NZZ vom 10. November 1977).

Webdesigner, Community Manager, Content-Moderatoren, Berufsleute mit technischer Begabung auf der einen Seite und Wohlfühlanbieter wie Krankenpfleger, Therapeuten, Pädagogen mit sozialer Begabung auf der anderen Seite als Stützen der Volkswirtschaft?

Politisch unterschätzen darf man auch nicht, dass nicht nur die wenig oder weniger qualifizierten Berufsgruppen im Durchzug der Veränderungen stehen. Es trifft auch Fachkräfte mit hoher Berufsausbildung. Infolge Digitalisierung aller Kern- und Supportprozesse (wie Informatik und Rechnungswesen) brauchen global tätige Unternehmen weniger Führungsstufen (wie Rodolfo Buletti in Digitalisierung Teil 1 erfahren musste), weniger Manager (mit „altem“ Wissen und „alter“ Erfahrung), weniger Stäbe (in Human Resources und Recht), ein kleineres Generalsekretariat (mit loyalen Kaderleuten). Die Zukunft gehört den flachen Strukturen, flexiblen Einheiten, dezentralisiert in die Märkte, mit einer starken Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse. Finden die entlassenen Mitarbeiter mit hoher Bildung und vorgezeigtem sozialem Status keine Arbeit mehr, haben die aufblühenden Populisten vom linken und rechten Spektrum rege Zugang, zulasten einer an Konturen verlierenden Mitte.

Aus SonntagsZeitung vom 21.Januar 2018

 

Der oft in diesem Zusammenhang vorgebrachte Hinweis, eine solch disruptive Entwicklung werde bezüglich Geschwindigkeit des Wandels überschätzt ( länger als vermutet aber schneller als bisher) stimmt wahrscheinlich. Wahrscheinlich stimmt aber auch, dass die Dimension der Veränderung (auf die gesamte Arbeitswelt) unterschätzt wird. Grund genug, sich heute damit zu beschäftigen.

Warum spricht niemand von einer Reduzierung der Arbeitszeit, um die noch vorhandene Arbeit auf mehrere Arbeitnehmer zu verteilen? Warum spricht niemand von einer wirksamen Reduktion des Preisniveaus auf der Hochpreisinsel Schweiz, um mit weniger Einkommen auszukommen. Warum spricht niemand von Rückführung der Staatsquote (und damit der Steuern) auf ein Ausmass, das wir uns dann noch leisten können.

Weil die Schrübeler das Sagen haben. Weil man ihnen das Sagen überlässt.

Sicher muss auch wieder die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen neu diskutiert werden, auch wenn diese Vorschläge im Moment noch quer in der Landschaft liegen. Früher oder später wird es alle treffen!

Neue Brandbeschleuniger kommen zum Einsatz: Roboter mit mehr oder weniger künstlicher Intelligenz. Wer hat diese Dinge noch im Griff? Die globalen Tech-Konzerne oder supranationale Institute und Vereinigungen? Davon im Teil 3 zur Digitalisierung.

Demnächst

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05.02.2018/Renzo Zbinden

 

Trilogie zur Digitalisierung 1 – Treiber

Teil 1: Vom Urknall zur Utopie

Sie kennen ihn: Rodolfo Buletti aus dem Tessin, ausgewandert nach Bern, berufstätig in einer grossen Versicherungsgesellschaft (Die Leistungsträger in der Steuerfalle). Er hat inzwischen Karriere gemacht, leitet die Schadenabteilung mit 50 Mitarbeitern und ist in dieser Funktion Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung.

Es ist 07:15 Uhr, ein Montag. Er fährt mit seinem Dienstfahrzeug auf der völlig überlasteten A1 Richtung Bern, in Gedanken beim kick off meeting um 08:30 Uhr. Am Hauptsitz der Gesellschaft eingetroffen begrüsst ihn ein Mitglied der Geschäftsleitung in Begleitung eines ihm Unbekannten in auffällig dunklem Anzug. Sehr formell, ungewöhnlich steif. Im nahe gelegenen Sitzungszimmer gleich um die Ecke fallen drei Worte, die ihn in Zukunft immer wieder einholen sollten: „Sie sind entlassen“.

Der Schock sass so tief, dass er sich an die Begleitumstände nicht mehr erinnern konnte. Nur so viel: Der Unbekannte im auffällig dunklen Anzug ging mit ihm bis zu seinem Büro im zehnten Stockwerk und gab ihm eine Stunde Zeit, die persönlichen Sachen mitzunehmen. Auf seiner Visitenkarte stand: Mark Studer, Outplacement.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel?

Er sollte es später erfahren: die Geschäftsleitung hat eine mittlere Führungsstufe ersatzlos gestrichen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Verwaltungsrat hat der internen Revision den Auftrag erteilt, das Reporting über alle Führungsstufen zu prüfen und Vorschläge zur Aktualisierung in zeitlicher und strategischer Hinsicht vorzuschlagen. In enger Zusammenarbeit mit einem externen Berater aus dem Bereich Organisationsentwicklung schlug sie vor, das Reporting über die Schadenentwicklung in verdichteter Form und mit weniger Zeitverzug eine Hierarchistufe nach oben zu schieben und zusätzliche Kompetenzen nach unten zu delegieren. Womit der Aufgabenbereich von Rodolfo Buletti weitgehend entfiel. Er wurde – wie man früher sagte –  wegrationalisiert.

Ist Rodolfo Buletti ein Opfer der Digitalisierung, der sprunghaften Entwicklung der Informationstechnologie oder die Konsequenz aus dem Streben nach flachen Hierarchien? Spielt das überhaupt eine Rolle? Eigentlich nein. Rodolfo Buletti ist ein Beispiel dafür, dass die Digitalisierung direkt oder indirekt, unter diesem oder unter anderem Begriff, sich stetig ausbreitet wie eine Krake und schlussendlich sämtliche Unternehmensprozesse durchdringt (Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Administration). Neu sind selbst die Führungs- und wie später darzulegen sein wird auch die anspruchsvollen Supportprozesse betroffen.

Er ist betroffen – oder Sie? Morgen oder Übermorgen

Ju 52 – eine Reise in die Vergangenheit

Allmählich realisieren auch Kader in Wirtschaft und Verwaltung sowie erfahrene Experten wie Juristen und Ärzte, dass ihnen die Digitalisierung die Stelle kosten könnte. Sie wird zu Recht oder zu Unrecht zur Bedrohung für alle, nicht mehr nur für Arbeitnehmer mit überwiegend repetitiven Aufgaben.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Viele hoffen, es treffe sie nicht mehr, es brauche seine Zeit. Mit ein bisschen Weiterbildung, Widerstand und ein Quäntchen Glück könnten sie sich retten bis in die vorgezogene Pensionierung. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch wer so denkt riskiert viel, wird abhängig von externen Faktoren und verliert an Selbstbestimmung und Zuversicht.

Die noch in Ausbildung stehende Generation hingegen wird es voll treffen. Sie steht vor 30 bis 40 Jahren Berufstätigkeit. Wer wagt eine Prognose für diese Zeit in Anbetracht der bevorstehenden technologischen Quantensprünge und der disruptiven Anpassung der Wirtschaft? Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, die Langzeitentwicklung richtig vorauszusehen. Katastrophenapostel und Schönredner versuchen es. Sollen sie. Auch der Bundesrat hat eine Meinung. In Erfüllung eines Postulates hat er erst kürzlich einen Bericht zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt verabschiedet (Bericht vom 8. November 2017). Erfreulich ist, dass der Bundesrat nicht überreagiert sondern besonnen bleibt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Bundesrat sei verhalten optimistisch, die jüngere Entwicklung beurteile er eher positiv. Der Bund vom 9. November 2017 überschreibt seinen Kommentar sogar mit: „Digitalisierung schafft mehr Jobs als dass verloren gehen“. Die Beschäftigung habe in den letzten Jahren zugenommen, die Qualität der Arbeitskräfte der technischen Entwicklung folgen können, die Einkommensverteilung sei stabil. Handlungsbedarf sehe der Bundesrat im Bildungswesen. Es brauche eine Stärkung der Kenntnisse in Informations- und Kommunikationstechnik, so die Kommentare in den Tageszeitungen.

Doch wer sich ein wenig mit der höheren Ausbildung befasst und Kontakt zu den jungen Leuten sucht stellt sehr schnell fest, dass diese im Vergleich zur übrigen Bevölkerung hervorragend damit umgehen können. Die Probleme liegen anderswo: Erstens ist die zukünftig erforderliche Agilität auf technologische Veränderungen gewaltig, denn die Halbwertszeit des erworbenen Wissens ist es ebenso. Zweitens sind es die Arbeitsstellen, die fehlen werden und nicht die technologische Kompetenz der Bewerber.

Was das heisst zeichnet sich schon heute ab. Was die jungen Bewerber aktuell im Bewerbungsprozess erleben, gibt reale Hinweise darauf, wie der Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen könnte.

Wetten, Sie haben keine Ahnung!

Wenn Jungakademiker heute eine erste Arbeitsstelle suchen und jeden Morgen die Jobportale im Internet durchforsten, und es suchen sehr viele, kommen sie mit Bewerbungsprozessen in Kontakt, welche der breiten Bevölkerung völlig unbekannt sind. Ich würde jedem empfehlen, der eine fundierte Meinung haben will, sich diese Prozesse einmal anzuschauen. Oder noch besser: Sie bewerben sich in der Vorstellung, noch einmal anzufangen. Nehmen Sie Ihren Wunscharbeitgeber und tippen Sie „Karriere“ bzw „Careers“.

Die HR Zuständigen (Human Resources) und die Recruiting Services der in der Öffentlichkeit bekannten Unternehmen bauen Hürden auf, die nur sportlich gesinnte und mit grossem Ego ausgestattete Bewerber mit gutem Resultat überstehen können. Sie absolvieren Online Testing von 90 Minuten, Video Selbstpräsentationen und Telefoninterviews, bevor sie überhaupt auf eine Shortlist kommen, gefolgt von ersten, zweiten und dritten Gesprächsrunden oder Einladungen zu Recruiting Camps von einer Woche mit anschliessendem „go – no go“.

Und das Ganze kann sich hinziehen. Zitat SBB: „Die SBB wählt ihre Mitarbeitenden sehr bedacht aus, darum geht es einige Zeit (=mehrere Wochen), um alle Unterlagen gewissenhaft durchzusehen“. Man sollte meinen, wer es auf diese Weise in die SBB geschafft hat, braucht nicht mehrere Wochen, um  Bewerber zu beurteilen.

Wer keine praktische Erfahrung vorweisen kann (1 bis 2 Jahre in einem klar definierten Arbeitsgebiet) hat es noch schwieriger.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Je grösser die praktische Erfahrung, desto besser das Feedback im Bewerbungsprozess. Teilzeitarbeitspensen während des Studiums sind heute unerlässlich und in gewissen Lehrgängen auch planbar. Wobei die Praktika nicht beliebig sein dürfen. Kaufmännische Praxis reicht nicht mehr aus, Erfahrungen als Big-Data-Analyst in einem Grosskonzern schon eher.

Hinzu kommen die mental starken Mitbewerber aus Ländern mit Personenfreizügigkeit, in der Deutschschweiz namentlich aus dem grossen Kanton. Das ist zwar ein anderes Thema. Ebenso, was eine steigende Jugendarbeitslosigkeit politisch bedeutet. Und noch ein anderes Thema ist, wie sich eine heute erwünschte und empfohlene Verlängerung der Arbeitszeit auf die freien Stellen auswirkt.

Nach monatelangem und ergebnislosem Suchen sind viele bereit, sich vorerst für eine Praktikantenstelle zu bewerben (für mehrere Monate bis 2 Jahre). Wenn es so weitergeht haben wir bald einmal italienische Verhältnisse, wo die jungen Leute in der elterlichen Wohnung bleiben müssen, da ihnen die finanziellen Mittel für eine eigene Wohnung fehlen (und damit auch die örtliche Flexibilität bei der Suche nach einer festen Anstellung).

Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit sind immer noch viele der Meinung, die Anzahl neuer Stellen vermöge die Anzahl verlorener Stellen auszugleichen. Es werde sich schon irgendwie einpendeln. Kaum. Mit ein wenig Abstand zu den diametralen und unvereinbaren Ansichten von links und rechts halte ich folgende Thesen für zutreffend:

Drei Thesen zur Digitalisierung

Erstens werden die Folgen der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt unterschätzt, zweitens werden diese Folgen beschleunigt durch weitere Faktoren ausserhalb der Digitalisierung und drittens fehlt eine mehrheitlich getragene wirtschaftspolitische Antwort auf diese Entwicklung.

Dabei haben wir schon viel Erfahrung mit der Digitalisierung, sie geht 50 Jahre zurück. Damals wurden analoge Steuerungsgeräte durch digitale ersetzt.

Der Urknall

Die Digitaltechnik nutzt die binären Werte, die nur die beiden Zustände 0 oder 1 annehmen können (aus oder ein). Solche binären Werte lassen sich durch Prozessoren unglaublich flexibel und rasch verarbeiten und speichern. Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Verteilung der digitalen Daten erfolgen durch laufend weiterentwickelte Informationstechnologien (Computer, Smartphones, Kommunikationsnetze).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Sensoren zur Messung der analogen Werte sind verschiedene Geräte im Einsatz wie Bildsensoren, Scanner, Mikrofone und Thermometer. Sie liefern Werte in Form von elektronischen Spannungskurven. Dabei tasten sie die Spannungskurven in definierten Intervallen ab, bestimmen die Grösse des Messwerts zum Zeitpunkt der Erfassung und übersetzen das Ergebnis in digitale Werte. Die Gesamtheit dieser Werte kann in einer Datei abgelegt werden.

Arbeitsstellen

Heute, auf dem Weg vom Urknall der digitalen Anwendung bis zur herkulischen Potentialausschöpfung sehen wir folgende realen Beispiele von Geschäftsmodellen mit minimalen Arbeitsstellen: „Uber“ der weltweit grösste Taxibetrieb besitzt kein einziges Taxi, „Airbnb“ das weltgrösste Beherbergungsunternehmen keine einzige Wohnung, „Facebook“ die weltgrösste Medienplattform produziert keine Medieninhalte. Der Personalaufwand dieser Weltkonzerne ist vernachlässigbar. Die Reihe liesse sich fortsetzen mit Unternehmen wie „Instagram“ und „Snapchat“. Wo sind die Arbeitsplätze geblieben? Teilweise ausgelagert (ebenso die damit verbundenen Risiken), teilweise automatisiert und durch Roboter ersetzt.

Soll man diese Entwicklung einfach wegdenken, ausblenden oder soll man ihr mit Aktivismus entgegentreten. Immer wieder hört man, um es zu wiederholen, Technologiesprünge dieser Art hätte es schon früher gegeben. Arbeitsplätze seien zwar verloren gegangen, andere jedoch hinzugekommen. Insgesamt sei der Wohlstand gestiegen. Kaum jemand bestreitet das. Doch was einmal war, zweimal oder dreimal (erste, zweite und dritte technologische Revolution) muss sich nicht zwangsläufig wiederholen, warum auch. Stehen wir vor weiteren Wohlstandsgewinnen oder droht uns die Armut? Viele sehen die Risiken, wenige die Chancen.

Düstere Prognostiker behaupten, der Impact auf die Wirtschaft sei diesmal grösser, ungleich umfassender. Es seien gleich mehrere Durchbrüche betroffen.

Der Digitalisierungstreiber 1: der Konsument

Im Mittelpunkt steht einmal mehr der Konsument. Obwohl er fast immer auch Arbeitnehmer ist, handelt er inkonsequent. Umgeben von Sensoren aller Art, wie beschrieben im Bericht Smart-Life, im Cockpit der Dinge, kultiviert er seine Konsumbereitschaft. Seine Bedürfnisse sind grenzenlos. Er nutzt alle Vorteile der Digitalisierung, kostenlose Unterhaltung, bargeld- und banknotenloser Zahlungsverkehr, bis auf ein Minimum gedrückte Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen aller Art, die zeit- und mühesparenden Annehmlichkeiten der Automatik (bis zum selbstgesteuerten Rasenmäher). Der aufgeklärte Jungbürger schaut kein Schweizer Fernsehen mehr, wie uns die Billag-Abstimmung in aller Deutlichkeit vorführt, er streamt sich mehr oder weniger gratis herunter was seiner momentanen Stimmungslage am meisten zuträglich ist.

Der Digitalisierungstreiber 2: der Produzent

Auf der anderen Seite eine produzierende Wirtschaft, die sich dem Markt dauernd anpasst, anpassen muss, jede Gelegenheit wahrnimmt, Produktionsgewinne zu erzielen.

Auch die Digitalisierung der Unternehmung ist keine neue Erscheinung. Davon war im ersten Bericht dieser Reihe Industrie 4.0 die Rede. Doch auch Industrie 4.0 war nur ein Etappenziel, eine Fokussierung auf produktionstechnische Ziele, Ausblick völlig offen.

Der Digitalisierungstreiber 3: die Globalisierung

Der externe Druck auf die Unternehmen im Kampf um neue Aufträge geht unvermindert weiter. Erzielt die Konkurrenz Produktivitätsfortschritte, setzt sie neue Massstäbe (Benchmarks) für alle Mitkonkurrenten. Im Kampf ums Überleben, insbesondere für Unternehmen an der technologischen Front, gibt es kein Zögern, darf es kein Zögern geben.

Alle Treiber wirken kumulativ, zusammen mit den schwer abschätzbaren Fortschritten in Robotertechnik und der damit verbundener Umsetzung von künstlicher Intelligenz. Im Gleichschritt tragen sie alle zur Beschleunigung der Veränderung bei. Die Risiken aus dieser Mehrfachwirkung sind leicht erkennbar, die Chancen nur schwer vermittelbar.

Politische Regulierungen werden als Heilmittel gefragt sein (wie eine Maschinensteuer) und andere chirurgische Eingriffe aus der Mottenkiste linker Etatisten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Erfreulicherweise will der Bundesrat nichts wissen von einer Robotersteuer. Denn diese stünde zum einen steuersystematisch quer in der Steuerlandschaft und zum andern würde eine derartige Steuer Innovationen massiv behindern. Noch unbeholfener ist der Vorschlag einer Steuer auf Self-Checkout-Kassen bei Detailhändlern (ein Gesetzesentwurf im Kanton Genf), um die Arbeitsplätze der Kassierer zu schützen.

Die Entwicklung wird nicht zu stoppen sein, sie wird sich durchsetzen wie fliessendes Wasser, das sich nicht aufhalten lässt, das immer irgendwo einen neuen Weg finden wird. Die Treiber der Digitalisierung, die Konsumenten mit immer neuen Bedürfnissen und Wünschen (letztlich die eigentliche Nachfrage für eine sich anpassende Wirtschaft), und die um die Weiterführung kämpfenden Produzenten die keine Alternative haben, werden diesen Weg gehen.

Geniale Einzeltäter, innovative Teams und Grosskonzerne mit gewaltigen finanziellen Mitteln sind auf dem Weg oder machen sich auf den Weg, global. Dabei ist diese Entwicklung weder lokal noch kulturell irgendwie gebunden.

Wer übernimmt die Themenführerschaft?

Es wäre die primäre Aufgabe der aktiven Generation, alles zu tun, um den nachrückenden Generationen eine faire Chance auf eine sinnvolle und ausbildungsgerechte Beschäftigung zu gewährleisten. Doch die Politiker stossen ein anderes Thema in den Vordergrund: die Sicherstellung der AHV. Wäre es nicht naheliegender, sich vorerst einmal über die Beschäftigung dieser Generationen Gedanken zu machen?

Stattdessen überlässt man das Thema einer selbst ernannten Elite von Wissenschafts-, Wirtschafts- und Ausbildungsexperten. Diese verkünden ihre Erkenntnisse in smarten Interviews, Seminaren und Weiterbildungskursen.

Mit dabei sind auch die Medien, von den Tageszeitungen über die Fachzeitschriften bis zu den elektronischen Medien (Kassensturz und Dienstag „Club“ in der Woche vom 20. November 2017). Als Grundlage für die Berichterstattung dienen Umfragen zum Thema, wie die UBS Studie zur Digitalisierung. Gemäss dieser Studie glauben 59 Prozent der 2500 befragten Unternehmen, dass die Digitalisierung nur geringfügige oder keine Veränderungen für ihre Firma bedeutet. Was den Bund (vom 17. November 2017) dazu veranlasst, den Kommentar zur Studie mit „Digitalisierung? Interessiert uns nicht“ zu betiteln. Eine Umfrage von EY kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Danach mussten weltweit und in der Schweiz „mehr als jedes zweite Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren deutliche Änderungen am eigenen Geschäftsmodell vornehmen“ (EY Medienmitteilung 2017).

Das Faktum Digitalisierung muss zurück von der Unterhaltung zu den massgebenden Führungskräften in Wirtschaft und Politik. Der Leidensdruck der aktiven Bevölkerung ist noch zu gering, ihre Wahrnehmung im Cockpit der Berufstätigkeit noch analog. Ein Flug ins Ungewisse.

Die Arbeitsplätze der Zukunft, demnächst

Logo_ImVisier319.11.2017/Zbinden Renzo

Russland – Handelspartner und Aggressor

Russische Soldaten marschieren in die Ostukraine, besetzen Gebiete und annektieren die Krim. Europa ist entsetzt. Mit sowas hat niemand gerechnet. Die EU beschliesst Sanktionen gegen Russland. Die Schweiz will nicht mitmachen. Unser Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amman bietet als Ersatz für Sanktionen seine Vermittlerdienste an. Das könne er, da die Schweiz keine Partei ergreife.

So sehen nicht wenige ihre Chance gekommen zu liefern, was andere nicht mehr dürfen. An der Spitze: die Agrarlobby. Doch soweit sollte es nicht kommen. Das konnte sich auch die Schweiz nicht leisten. Sie erliess die Verordnung „Massnahmen zur Vermeidung der Umgehung internationaler Sanktionen“, in Ergänzung zu den Vorkehrungen, die sie bisher getroffen hat.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zu den damals beschlossenen Massnahmen gehören ein Bewilligungsstopp für Ausfuhren von Kriegsmaterial sowie von gewissen zivil oder militärisch verwendbaren Gütern (nach Russland und in die Ukraine), eine Meldepflicht für Güter und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Erdölförderung und eine Meldepflicht für Finanzdienstleister. Ergänzend hinzu kommt ein Verbot neuer Geschäftsbeziehungen für den Finanzsektor.

Ein Bewilligungsstopp für Kriegsmaterial hätte vermutlich schon über das Kriegsmaterialgesetz erfolgen müssen (Bundesgesetz über das Kriegsmaterial, Art. 22 KMG) bzw. über die Kriegsmaterialverordnung (Verordnung über das Kriegsmaterial, Art. 5 KMV).

Ohne es weiter vertiefen zu wollen erscheint eine Meldepflicht für irgendetwas als wenig folgenschwer. Und überhaupt: Wie furchterregend war die Schweizer Drohkulisse gegen russische Interessen? Und wer hat ohne öffentliches Wehklagen die grossen Opfer getragen? Die Wirtschaft blieb merkwürdig stumm, auch der Finanzsektor.

Tauwetter

Die Invasion an der Ostflanke der Nato ist schon wieder Geschichte. Das Gedächtnis ist kurz. Die Anstandsfrist vorbei. Bereits Mitte Mai reiste der Nationalratspräsident Jürg Stahl mit einer grossen Bundeshausdelegation nach Moskau. Im Juli folgte Schneider-Ammann mit einer Wirtschaftsdelegation als Türöffner für kleine und mittlere Unternehmen. Teil der Wirtschaftsdelegation war auch der CEO der russischen Tochtergesellschaft der Ammann Group, die von seinem Sohn geführt wird.

Auch die parlamentarischen Lobbyisten wollen keine Zeit verlieren. Sie sehen ihre Möglichkeit, vor dem Tross der grossen Nationen ihre Pflöcke zu stecken. Sie fordern eine Wiederaufnahme von Verhandlungen (nach der Handelszeitung vom 22.06.2017). Natürlich wollen sie das.

Das verstehen doch alle, die Schweizer Bevölkerung wie auch jene Staaten, die sich solidarisch am Boykott beteiligen. Deswegen sind wir Schweizer doch nicht unsympathisch. Vorauseilende Blockadebrecher zwar schon, aber doch nicht aus habgierigen Absichten. Streng neutral eben, mehr nicht.

Die Ostukraine ist immer noch besetzt, die Krim immer noch annektiert, der Friedensprozess blockiert, die Sanktionen der EU und der USA nach wie vor in Kraft.

Kann es sein, dass sich ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung einen Angriffskrieg gar nicht mehr vorstellen kann? Im Frieden aufgewachsen, ohne jeden persönlichen Bezug zu einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen Staaten, historisch uninteressiert, friedliebend, versöhnlich, Fried selig?

Ja.

Die Nachkriegsgeneration

die nicht vergessen kann, die nie vergessen will

Lange ist es her – und es kommt der Gedanke: Sind es noch persönliche Erinnerungen oder sind es bereits Publikationen? Second Hand. Längst vergessene Fotos füllen die Lücke, erzählen eine Geschichte aus einer vergangenen Zeit. Mein Vater im Aktivdienst, hoch zu Ross irgendwo im Norden am Rhein. Zuhause die Koffern gepackt, bereit für die Flucht in die nahen Berge, ins Eigental. Am Abend alle Fenster abgedunkelt. Es ist Ende 1943.

Geboren in diese Zeit ist man kein Kriegskind mehr. Im Gegenteil. Geboren in ein Leben ohne Krieg, ein fast einmaliges und unglaubliches Glück. Getrübt nur durch den kalten Krieg. Den man längst vergessen hat, oder eben doch nicht?

Der Ungarn-Aufstand

Ein Aufstand des Volkes gegen die verhasste stalinistische Regierung. Arbeiter und Bauern, Kommunisten und Sozialdemokraten, Soldaten und Generäle, Intellektuelle und Studenten. Sie fordern die sowjetischen Besatzer auf, das Land zu verlassen. Am 22. Oktober 1956 verfassen Studenten der Technischen Universität Budapest eine Erklärung, wonach sie bürgerliche Freiheitsrechte einfordern, Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen und die nationale Unabhängigkeit. Es kommt zu einem Volksaufstand, die Lage eskaliert, die Ereignisse überschlagen sich. Am 4. November rücken starke sowjetische Panzerverbände in Ungarn ein. Nach offiziellen Angaben starben 2’500 Ungarn und über 700 sowjetische Soldaten, 200’000 Ungarn fliehen, auch in die Schweiz(Klicken Sie zum Weiterlesen)

auch nach Bern. Wer zu dieser Zeit an der Universität Bern Nationalökonomie studierte und nicht Bernburger war oder zumindest in Bern aufwuchs, gehörte als Auswärtiger einer Minderheit an, die auf Distanz gehalten wurde. Luzerner wie ich, Luzern damals noch ohne eigene Universität (mit Ausnahme einer theologischen Fakultät), und Tessiner verkehrten in einer Art Diaspora. Man war als Minderheit unter sich. Zu uns stiess eine weitere Minderheit, Flüchtlinge aus Ungarn. Sie fanden bei uns, was sie so gerne haben wollten, die Freiheit. In Kürze sprachen sie deutsch, sogar schweizerdeutsch, sogar fast ohne Akzent.

Aus ihnen wurden Professoren, Unternehmer, Polizeigrenadiere der Stadt Bern. Bis zum heutigen Tag gute Freunde.

Der Ungarn-Aufstand zeigte evident, zu welcher Brutalität und Rücksichtslosigkeit die Sowjetunion imstande war. Wir junge Schweizer waren uns einig, wir würden kämpfen. Wer konnte, ging in die RS (Rekrutenschule), wer nicht konnte, behielt es für sich.

Autobiografisch aus der Retrospektive: 1964 Flab-RS in Emmen. Ausbildung als Radarsoldat an Geräten von Contraves, eine Gesellschaft der Oerlikon-Bührle-Gruppe, damals noch eine Schweizer Spitzentechnologie. Anschliessend Flab UOS (Unteroffiziersschule).

1965 Abverdienen mitten im Kalten Krieg. Das Feindbild war leicht zu vermitteln, die rote Armee, hochgerüstet und gefährlich.

Kaserne Emmen, Ausbildung an der persönlichen Waffe

1966 Flab-OS (Offiziersschule) in Dübendorf, anschliessend Abverdienen in Emmen. Feuereinheitskommandant.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein gezogenes Feuerleitgerät, zwei gezogene Kanonen, drei gezogene Aggregate, ein Lastwagen mit Prügelmatten, insgesamt eine Kolonne von sieben Lastwagen, ein Jeep. Ein Stellungsbezug im Gelände bei Nacht mit technischer Schussbereitschaft im frühen Morgengrauen war schon eine aussergewöhnliche Herausforderung für einen dreiundzwanzigjährigen Studenten der Wirtschaftswissenschaften.

Man trägt noch Uniform im Ausgang, Vorschrift. Und wer in der zivilen Bevölkerung als Offizier herumlief bekam es allmählich deutlich zu spüren: die Passanten Blicke. Sie sagten viel, namentlich in den Städten, bei der urbanen Bevölkerung. War es Hohn, mehr noch – Hass? Ein vorbeiziehender Offizier, per se ein Karrieretyp, ein Wichtigtuer, ein Alphatier in Geburtswehen. Zum negativen Image beigetragen hat wohl auch die persönliche Erfahrung vieler Soldaten mit dem Militärdienst der damaligen Zeit, teilweise zu Recht. Doch darüber hinaus zweifelte man bereits erstens über die Notwendigkeit einer eigenen Armee und zweitens über die Wirksamkeit im Ernstfall. Wo war die reale Bedrohung? Westdeutschland war dazwischen.

Als Offizier im Ausgang liess man seinen Hut besser nicht mehr in der Garderobe zurück.

Der Prager Frühling

In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968, kurz vor Mitternacht, landen 200 sowjetische Transportflugzeuge mit Fallschirmjägern und schweren Waffen auf den Flugplätzen rund um Prag. Anschliessend überschreiten eine halbe Million Soldaten aus der Sowjetunion, aus Polen, Ungarn (!) und Bulgarien die Grenze zur Tschechoslowakei. Dabei 6’000 Panzer. Sie besetzen in wenigen Stunden alle strategisch wichtigen Positionen. An der Grenze zwei Divisionen der Nationalen Volksarmee der DDR. Die grösste militärische Operation seit 1945.

Im Schweizer Radio hören wir täglich die Berichterstattung von unzähligen Piratensendern aus der Tschechoslowakei, live, dramatisch, unvergesslich. Es werden immer weniger. Bald wird es stumm. Die Reformversuche der kommunistischen Partei der CSSR wurden gewaltsam beendet. Sie waren aus sowjetischer Sicht konterrevolutionär und friedensgefährdend. Es folgte eine Phase der Restalinisierung, offiziell der „Normalisierung“.

1969 Sport-Of Kurs FF Trp, 1970 Nahkampfkurs St. Luziensteig, 1975 Zentralschule I, Wiederholungskurse. 1988 Zentralschule II, Chamblon/Birmensdorf. 1989 Abverdienen. Geopolitisch eine ruhige Zeit. Es kam eine Epoche, wo das Feindbild nur noch diffus erkennbar war. „Weitermachen“ war nur noch für Betonköpfe, das Kader der Wirtschaft legte immer weniger Wert auf militärische Führungserfahrung. Im Gegenteil, wer sich dafür einsetzen wollte wirkte suspekt. Akademiker nutzten die „eingesparte“ Zeit für ein Doktorat oder eine Management-Führungsschule.

1990: Konzeptstudie Flieger/Flab im Zusammenhang mit der Einführung der takt L Flab Lwf Einheiten (Lenkwaffen Stinger). Nach meinen Studien, wenn ich mich richtig erinnere, wäre die Sowjetunion in der Lage gewesen, innerhalb von 20 Stunden (ab Tschechoslowakei) im Reusstal eine Luftlandedivision abzusetzen mit dem Auftrag, einen Brückenkopf zu errichten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ergebnis der Studie auf militärdeutsch: Mit „schachbrettartig“ in die Tiefe des Raumes gestaffelter Aufstellung der Lenkwaffensysteme wäre es möglich gewesen, dem Gegner die Benutzung des unteren Luftraumes nachhaltig zu erschweren und damit zur Abnutzung der gegnerischen Luftkriegsmittel beizutragen.

Die Diensttage summierten sich, schliesslich sollten es 1095 Tage oder volle 3 Jahre sein (1994). Nicht ungewöhnlich für meine Generation.

Perestroika – der Anschluss an Europa – die unglaubliche Wende

Niemand, wirklich niemand hatte die Hoffnung, das russische Imperium würde ohne Krieg fallen. Tränen in den Augen, nicht nur in Berlin, auch vor dem Fernseher. Die russischen Zeitungen durften wieder unzensiert berichten, die russische Bevölkerung erfuhr die katastrophale wirtschaftliche Lage, inhaftierte Regimekritiker wurden freigelassen (Glasnost). Erste Schritte zur Demokratisierung folgten (Perestroika). Die nachteiligen festgefahrenen Strukturen wurden reformiert, die Planwirtshaft gelockert.

Plötzlich hatte man Freunde in Russland, wollte das Land bereisen.

An den internationalen Münzenbörsen – um beim autobiografischen Bezug zu bleiben –  tauchten russische Händler auf, kauften Silber- und Goldmünzen, nicht nur russische, ältere Banknoten aus dem Zarenreich und aus den ehemaligen Satellitenstaaten. Sympathische, zugängliche und interessierte Händler. An den Auktionen, in der Schweiz bei Sincona, wurden unglaubliche Spitzenpreise erzielt, phantastische Ergebnisse. Da waren sehr reiche Auftraggeber aus Russland am Draht.

Man begann sich für Russland zu interessieren, ein riesiges Land mit einem unglaublichen historischen Hintergrund. Ein gigantischer Markt für Erzeugnisse aus aller Welt, eine wirtschaftliche Win-Win Situation aus dem Bilderbuch. Und abschliessend noch einmal autobiografisch: die Schiffsreise von Moskau nach Leningrad auf einem ehemaligen DDR-Schiff (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Moskau – Uglitsch – Jaroslawl – Gorizy – Kishi – Mandrogi – St. Peterburg, in rund 10 Tagen.

Unterwegs mit MS Konstantin Simonov

Moskau: unzählige Edelkarossen auf der Strasse, vorwiegend deutsche Fahrzeuge, alle neuwertig, immer die obersten Ausführungen. Viele Baustellen, keine Polizisten, keine Militärangehörigen mit Ausnahme beim Kreml.

Welcher Kontrast zu heute! Die Kaufkraft des Rubels im vertikalen Sinkflug, die Staatseinnahmen aus Öl und Gas ebenso. Als Brandverstärker der Boykott der westlichen Staatengemeinschaft, der unglaubliche Reichtum der Oligarchen, die Lügenpresse, die gesuchte Bedrohung aus dem Westen, die glorreiche Eingliederung der Krim – was für eine Kette unvorteilhafter Faktoren auf einer „Burning Platform“. Eine historische Chance total vertan.

Die politisch-militärische Glaubwürdigkeit und die wirtschaftlichen Folgen

Nach dem russischen Einfall in Georgien im Oktober 2008, der im Westen als lokale Auseinandersetzung um Grenzverläufe ehemaliger sowjetischer Satelliten wahrgenommen wurde, hat Russland seine Streitkräfte reformiert: weg von den schwerfälligen Divisionen hin zu flexiblen, in kurzer Zeit einsetzbaren Brigaden für Sonderoperationen, verstärkt durch Spezialkräfte der Geheimdienste. Bei der Besetzung der Krim waren Sondereinheiten der Luftlandetruppen (Speznas) massgeblich beteiligt. Wir sahen sie im Fernsehen, völlig deplatziert als „grüne Männchen“ betitelt. Sie waren überall, aber ohne Hoheitsabzeichen, vor Verwaltungsgebäuden, Polizeistationen und militärischen Einrichtungen. Putin nannte sie Selbstverteidigungskräfte oder autonome Nationalisten, aber keineswegs russische Armeeangehörige, allenfalls freiwillige russische Soldaten im Urlaub! Ein Blick auf die persönliche hochtechnische Ausrüstung hätte genügt, Putin immer wieder der Lüge zu überführen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Kombikampfanzug besteht aus atmungsaktivem Kunststoff, der vor Feuer und Splitter schützen soll und bei Nacht (in Infrarotstrahlen) nicht erkennbar sei. Die Schutzweste aus Keramikplatten. Weiter gehören dazu moderne Kommunikationsmittel, ein Nachtsichtgerät und Multifunktionsgeräte im Helm mit Camcorder.

Putin musste wissen, dass man seine Lügen aufzeichnen würde. Es muss ihn nicht gestört haben. Die Beteiligung seiner Spezialkräfte hat er später auch zugestanden, nicht ohne Stolz. Er hält es wohl für eine Kriegslist, und nicht für einen Krieg ohne Kriegserklärung.

Es ist derselbe Putin von heute, mit dem man wieder Geschäfte machen soll. Krim hätte immer zu Russland gehört, diesem Argument neigen auch „gemässigte“ Politiker zu. Der Verstoss gegen das Völkerrecht sei hinzunehmen. Vom offenen Kampf in der Ostukraine und der Errichtung der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk wollen sie nicht sprechen. Da sei im übrigen eine Lösung in Sicht.

Akut gefährdet sind die baltischen Staaten, stark bewohnt von einer russischen Bevölkerung. Die lustigen „grünen“ Männchen wären in Kürze auch dort. Schon fast vor Ort waren sie bei der Militärübung „Sapad“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Alle 4 Jahre, 2017 Mitte September, fand das Grossmanöver „Sapad“ statt, unter Beteiligung weissrussischer Truppen. Im Westen (Sapad) von Russland, zwischen Polen im Süden und Litauen im Norden, liegt die russische Exklave Kaliningrad. Der Korridor vom westlichen Kaliningrad zum östlichen Weissrussland über den Grenzabschnitt Polen/Litauen wird als Suwalki-Lücke bezeichnet. Diese über 100 Kilometer lange Lücke hat strategische Bedeutung. Eine Besetzung durch russische Truppen würde die baltischen Staaten vom Nato-Gebiet abtrennen und damit ihre Versorgungslinie unterbrechen.

Es fehlt nicht an Dramatik. Nato-Truppen haben erstmalig auch schon die Rückeroberung der Suwalki-Lücke geübt.

Russland, unser Geschäftspartner?

Der wirtschaftliche Niedergang

Die für Russland so wichtigen Einnahmen aus Rohöl und Gas sind mit sinkenden Marktpreisen im freien Fall. Strukturelle Reformen in der Wirtschaft sind fast völlig ausgeblieben. Die russische Machtelite schöpft ab. Unbehelligt bleibt nur der militärisch-industrielle Komplex, der für die Modernisierung und Neuausrüstung gewaltige Summen absorbiert. Die NZZ („Russlands imperialer Irrweg“) vom 19. Juni 2017 kommt auf einen Gesamtanteil für innere und äussere Sicherheit von 10,7 Prozent des BIP (Bruttoinlandprodukt). Zudem wirkt sich nachteilig aus, dass der Technologietransfer für „dual use“ Güter unterbrochen ist (It-systeme und -komponenten wie auch Führungs-, Leit- und Kontrollsysteme). Unterbunden ist auch Russlands militärisch industrielle Zusammenarbeit mit der Ukraine, was bei uns weniger bekannt ist. Die NZZ erwähnt „Forschung, Entwicklung und Produktion von Flugzeugen und Flugzeugkomponenten, Helikoptern, Marinemotoren, Trägerraketen, Lenkwaffen, Elektronik und Radaranlagen“.

Der wirtschaftliche Niedergang liegt jedoch nicht nur in den sinkenden Energiepreisen und in den steigenden Ausgaben für die Armee begründet. Er ist in erster Linie systemimmanent. Putins Machtfundament gründet in einem politischen Klientelismus. Putin hat es verstanden, einflussreiche Vertreter der Machtelite und wirtschaftliche Oligarchen persönlich an sich zu binden. Entstanden ist auf diese Weise eine Art Günstlingskapitalismus. Putin herrscht über ein Netz asymetrisch gebundener Loyalisten. Es mag sich dabei um einen Versuch handeln, den Erfolg der alten russischen Feudalwirtschaft zu kopieren.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Loyalisten finden sich an der Spitze der staatlichen Macht, in der Staatsduma (im Unterhaus), im Föderationsrat (im Oberhaus), im Sicherheitsrat und in der Justiz. Dieses politische Machtzentrum wird ergänzt durch wirtschaftliche Loyalisten an der Spitze von Staatsunternehmungen und gewaltiger „privater“ Konzerne. Wie mächtig und reich diese Loyalisten sind, zeigt sich an den Kapitalabflüssen in den Westen oder noch eindrucksvoller in die Offshore-Steueroasen im Westen. Die Günstlinge sind bekannt. Sie finden sich namentlich auf den Sanktionslisten.

Putins neofeudales System kann nachhaltig nicht erfolgreich sein. Die wirtschaftliche Lücke zum Westen wird immer grösser. Die Loyalisten sitzen auf quasi Monopolen. Es fehlt an Wettbewerb, national wie global, die Korruption verhindert dringend notwendige Produktivitätsfortschritte. Kommt Loyalität vor Innovation und Unternehmergeist ist der wirtschaftliche Niedergang unabwendbar.

Russlands Ideale

Der politische Klientelismus in einer „gelenkten“ Demokratie kann sich nur solange halten, als die Bevölkerung mitmacht. Und das tut sie, schwer verständlich für im Westen lebende Freigeister. Wenn man der Selbstbeurteilung russischer Intellektueller folgen soll träumt das russische Volk von einer Vergangenheit, die es so gar nie gab. Die Vergangenheit, real gesehen eine Kette traumatischer Ereignisse, sei historisch nie aufgearbeitet worden, eher schon mit Halbwahrheiten zusammengezimmert. Die wahrgenommene Vergangenheit sei eine historische Fiktion, die dem Volk als Zukunft verordnet werde. Und die neu kultivierte Sensibiltät für das Vergangene bewirke, dass die Zukunft, welche auch immer, schlechter dastehe als die Gegenwart. So verliert der Anschluss an den Westen an Relevanz und  trägt in sich den Keim der Dekadenz.

Ob die staatlich geführte Lügenpresse dabei die entscheidende Rolle spielt, ist letztlich unerheblich. Ebenso, ob Unterschiede zwischen der urbanen und ländlichen Bevölkerung bestehe. Grosso Modo steht die Bevölkerung hinter der die Vergangenheit verklärende Politik von Putin. Alles andere ist Wunschdenken. Sie will einen starken Führer und sie ist stolz, dass der Westen wieder Respekt und Angst vor Russland hat.

Das russiche Volk braucht einen Köder, die Krim. Und die alte Mär von der Einkesselung durch die Nato schliesst die Reihen im Inland. Es braucht nur noch Fake-News, gekonnt aufbereitet durch die staatlichen Informationskanäle, und das Ganze hält, solange die Loyalisten Putin lassen.

Russlands imperiale Kräfte

Von einer imperialen Überdehnung spricht man, wenn die Ausgaben für die innere und äussere Sicherheit die wirtschaftlichen Möglichkeiten übertreffen. Russland ist auf diesem Weg. Unter Putin sind die Militärausgaben laufend gestiegen. Hinzu kommen die Ausgaben für die wirtschaftliche Unterstützung und Entwicklung der annektierten und besetzten Gebiete.

Sind die imperialen Kräfte einmal da, ist die Versuchung gross, grenznahe Konflikte zu provozieren, auf weitere „Farbrevolutionen“ im postsowjetischen Raum militärisch zu reagieren und den Westen auf Distanz zu halten. Russland zwingt die Nachbarstaaten in die Abhängigkeit (wie Weissrussland und Armenien), unterhält Separatistengebilde wie Südossetien, Abchasien, Transnistrien und eben „Neurussland“. Es leiden nicht nur die souveränen Nachbarstaaten, Russland schürt auch Ängste bei den östlichen Nato-Partnern.

Transnistrien 500 Rubel (1994)

Das in der heutigen Zeit aus dem Rahmen fallende aggressive Vorgehen verhindert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten und zwingt Russland in eine wirtschaftlich unvorteilhafte Eurasische Union als Alternative zur EU.

Schweiz – was nun?

Die Schweiz muss nicht Trittbrettfahrer bei den Sanktionen sein. Sie kann ihren eigenen Weg gehen. Weder im Kreml noch bei befreundeten Staaten darf jedoch der Eindruck entstehen, dass die Schweiz aus dieser Situation Vorteile erziele.

„Wandel durch Handel“, wie aus wirtschaftlichen Kreisen immer wieder vorgeschlagen, ist das falsche Rezept. Russland scheitert an den festgefahrenen  politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Russland ist ein Koloss in einer lebhaften Umgebung. Und bleibt deshalb gefährlich.

Es kommt hinzu, dass Putin versucht, Westeuropa zu spalten. Und dazu findet er immer wieder Krisenherde, immer wieder Gelegenheiten, Öl ins Feuer zu giessen. Denn offene Demokratien sind verletzlich, die Meinungs- und Medienfreiheit hinterlässt Wunden, Unsicherheiten und Zweifel, was insbesondere die EU heute erlebt.

Wie soll sich die Schweiz verhalten?

  1. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte hat unmissverständlich gezeigt, dass Russland bereit und in der Lage war, geopolitische Ziele auch mit militärischen Mitteln zu erreichen. Die Schweiz muss sich dessen bewusst sein. Die Hoffnung, der Kreml verzichte auf die Anwendung militärischer Gewalt, grenzt an Naivität.

2. Die „grünen“ Männchen sind Teil der Desinformation. Ebenso die Behauptung, Russland sehe sich von der Nato eingekreist und bedroht. Wer Verständnis hat für diese Erklärung lebt „auf Wolke sieben“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Und Augen auf – in aller Offenheit: „Wolke sieben“ ist bevölkert, da treffen sich intellektuelle Idealisten, unbekehrbare Moralisten und fundamentale Kriegsgegner aus dem linken Lager. Es sind nicht wenige oder im Klartext: Es sind viele!

Russland steht mit modernen Kampfeinheiten an der Grenze zu unseren östlichen Nachbarn , jederzeit in der Lage, politische Unruhen zu unterstützen.


3. Die Schweiz muss immer wieder und bei jeder Gelegenheit die Anwendung militärischer Gewalt missbilligen. Das macht sie nicht. Wenn es die Schweiz unkommentiert zulässt, dass die Russische Föderation im Minsker Prozess als Mediator auftritt, und nicht als Kriegspartei, wird sie zum Statisten.


4. Die Vorstellung, die Denkweise zwischen der wirtschaftlich politischen Elite und der Bevölkerung sei nicht deckungsgleich, es gelte daher, die Bevölkerung zu unterstützen, ist längst widerlegt.  Die Behauptung, wirtschaftliche Sanktionen schaden der Beziehung mit der russischen Bevölkerung, gleicherweise.


5. Der Kreml hofft auf den Verfall des Westens. Brexit, Ukip, AfD, FPÖ, Front national, die politische Entwicklung in Ungarn, Polen und der USA, schwächt zwar die moralische Standfestigkeit. Doch kann es nicht sein, dass die Ethik ausgerechnet in einem korrupten Russland noch intakt ist. Im Westen werden Werte noch diskutiert, nicht vorgegeben. Da fliegen Späne, nicht Bomben.


Szenenwechsel: Schottland, im Spätherbst 2016, im Kreuzgang einer Kathedrale, rundum in Stein gehauene und auf Leinwand gebannte historische Gestalten, eine tiefe Stimme – der Fremdenführer erhobenen Hauptes, mit glasigen Augen: „It’s all about power and money“. Und immer wieder:

It’s all about power and money

12.10.2017/Renzo Zbinden