Die Bilanzgläubigkeit – eine fatale Dummheit?

Die Bilanz ist so alt wie die doppelte Buchführung, sehr alt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Luca Pacioli (geboren um 1445 in der Toskana), Mathematiker und Franziskaner, hat bereits im Jahr 1494 die doppelte Buchführung beschrieben.

Sie war ursprünglich eine Gegenüberstellung des Vermögens und der Schulden. Das ist sie heute noch, doch heute ist sie so komplex wie die bilanzierende Gesellschaft selbst und dazu noch hoffnungslos überreguliert durch Rechnungslegungsstandards. Sie bleibt zwar lesbar, verständlich aber nur noch für wenige Experten, jedenfalls bei börsenkotierten Gesellschaften ab einer gewissen Grössenordnung.

Komplex und überreguliert ginge noch. Der Glaube an die Bilanz – die Bilanzgläubigkeit – wird jedoch zum Problem, wenn sie mit der Erwartung verbunden wird, Auskunft über die wirtschaftliche Lage einer Unternehmung zu erhalten.  Kennzahlen zur Finanzierung, Liquidität und Rentabilität sollen die Analyse erleichtern. Diese bilden wiederum wichtige Entscheidungsgrundlagen für weitere Massnahmen (wie die Unternehmungsführung oder der Kauf von Unternehmungen).

Doch kann die Bilanz diese Erwartungen erfüllen? Steht sie da wie ein Leuchtturm, in guten Zeiten als Bestätigung des bisher Erreichten und in schlechten Zeiten als Orientierung über allfällige Kurskorrekturen? Nein.

Die Bilanz – ein Blendwerk

In den letzten Jahrzehnten sind global grosse Anstrengungen unternommen worden, die Wertbestimmung der Bilanzpositionen von der Willkür des Bilanzierenden zu befreien. So sind der Bildung und Auflösung stiller Reserven enge Grenzen gesetzt worden. „True and fair“ soll sie sein.

In diesem Sinne bestätigen die Abschlussprüfer, dass die Bilanz ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens- und Finanzlage vermittelt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dabei wird leicht übersehen, dass die Abschlussprüfer in erster Linie die Übereinstimmung der Bilanz mit einem „true and fair“ Regelwerk prüfen und bestätigen (wie Swiss GAP FER, IFRS, US-GAAP). Die Bilanz ist somit so „true and fair“ wie der gewählte Rechnungslegungsstandard es zulässt.

Finanzanalysten und -journalisten übernehmen diese Bilanzen als Grundlage ihrer Berichterstattung, zusammen mit der Erfolgsrechnung, der Kapitalflussrechung und dem sog. Anhang, und vermitteln gestützt auf diese Informationen Aussagen über die Werthaltigkeit und -entwicklung einer Unternehmung.

Entgegen der allgemeinen Auffassung zeigt die Bilanz jedoch nur teilweise die effektive Vermögens- und Finanzlage einer Unternehmung. Dies führt zu markanten Fehlentscheidungen in der Beurteilung der Finanzstruktur und der potentiellen Ertragsentwicklung. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nur am Rande sei vermerkt, dass auch die oberste Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat bilanzgläubig sind. Das hängt auch damit zusammen, dass Banken und Aktionäre diese Bilanzen erhalten und auf diese basierend argumentieren.

Es sind im Wesentlichen zwei Aspekte, die eine Beurteilung erschweren bzw. zu Fehlinterpretationen führen: die laufend an Bedeutung zugenommene Goodwill-Bilanzierung zum einen und die ausbleibende Bilanzierung von Human Assets zum anderen.

Um es vorwegzunehmen: es sind keine Kleinigkeiten, keine bilanztechnischen Unschönheiten für Bilanztechnokraten – es sind kapitale Fehler.

Die Goodwill-Falle

Beim Goodwill handelt es sich um immaterielle Werte wie erworbene Patente und Lizenzen. Diese stellen keine Probleme, sie können aktiviert werden. Probleme ergeben sich aus der Goodwill Aktivierung im Zusammenhang mit dem Kauf von Unternehmungen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Goodwill aktiviert werden jene Aufpreise zum Substanzwert der übernommenen Unternehmung, die beim Kauf bezahlt werden. Einfach gesagt entspricht der Goodwill der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Eigenkapital der erworbenen Unternehmung (berechnet nach effektiven Werten).

Sind die Gewinnerwartungen hoch, nimmt der Goodwill zu. Der Goodwill ist damit eine Wette auf höhere Erträge. Gründe dafür können sein: erwartete Synergien, übernommene Kunden (Key Accounts), erworbene Marken, Technologien und das bestehende Management Know How (Humankapital).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Gerade im High Tech Bereich werden enorme Goodwill Beträge bezahlt. Im Extremfall ist fast alles Goodwill, man erwirbt nur noch den Business-Case (im schlechtesten Fall nur noch heisse Luft).

Altaktionäre werden Millionäre oder sogar Milliardäre. Die Kehrseite der Medaille: der Goodwill landet in der Bilanz der übernehmenden Unternehmung in den Aktiven (im Anlagevermögen).

Der Vertrauensschwund

Die Werthaltigkeit dieser Goodwill Position muss regelmässig überprüft werden.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Berechnung erfolgt mit dem sog. Impairment Test, gestützt auf eine Discounted-Cashflow-Methode. Ergeben sich Abweichungen zu dem beim Kaufzeitpunkt berechneten Entwicklungspotential (z.B. reduzierte Umsatzerwartungen), müssen Abschreibungen vorgenommen werden.

Im Extremfall ist die Goodwill-Position vollständig und zulasten des Jahresgewinns abzuschreiben. Betroffen ist vorwiegend der Biotech-, Technologie- und Pharmabereich. Bei Novartis als Beispiel drücken Korrekturen auf 74 Mia CHF bilanzierten Goodwill.

Wird die übernommene Gesellschaft integriert (fusioniert) oder mindestens Teile davon (durch operative oder strategische Entscheide), wird es immer schwieriger, die Werthaltigkeit nachzuprüfen bzw die Notwendigkeit und Höhe von Goodwill-Abschreibungen zu berechnen. (Bei Swiss GAP FER kann der Goodwill entweder gewinnwirksam abgeschrieben (über 5, 10 oder 20 Nutzungsjahre) oder direkt über das Eigenkapital verrechnet werden). 

Nun ist augenfällig: ist der Goodwill prozentual zu den Gesamtaktiven gering, sind es auch die Risiken einer Fehlbewertung. Erstaunen muss jedoch das Ausmass sowohl in absoluten wie in relativen Zahlen. Als Beispiel lag der aktivierte Goodwill  im Biotech Bereich in Milliardenhöhe und bei den SMI-Gesellschaften Adecco, Geberit, ABB, Swisscom, Lonza, SGS, Givaudan im Geschäftsjahr 2017 zwischen 50 und 80% des Eigenkapitals!

Das Bewertungsproblem ist bei Experten der Rechnungslegung längst erkannt. (Die höhere Gestaltungsfreiheit bei der Goodwill Bilanzierung wird häufig als Argument genannt, um vom IFRS zum Swiss GAP FER zu wechseln). Weniger bis unbekannt ist hingegen die zweite Fehlerquelle, die fehlende Bilanzierung von Human Assets.

Das intellektuelle Leistungspotential als Bilanz-Messgrösse

In der heutigen Überliquidität der Finanzmärkte verliert erstens die Fähigkeit, Investitionen zu finanzieren zunehmend an Bedeutung. Und zweitens ist der Produktionsprozess an sich (die optimale Kombination der Produktionsfaktoren) in Zeiten einer allgemein erkannten und bekannten „best practice“ immer mehr zu einer Commodity geworden (austauschbar), jederzeit und allerorts kopierbar.

Grundsätzlich können es alle, oder zumindest viele.

Hingegen gewinnt „the firm’s biggest asset: our people“ (Goldman Sachs), das Gehirn des Unternehmens, an Bedeutung.

Damit sind wir beim intellektuellen Leistungspotential. Es summiert die Arbeitsenergie und -freude, die Intelligenz, Lernbereitschaft, Kreativität und Motivation aller Arbeitnehmer (ergänzt auf der mittleren und oberen Managementstufe durch die vorhandene operative und strategische Exzellenz). Es summiert ausserdem ein hohes Verantwortungsbewusstsein und eine hohe Integrität gegenüber den Stakeholdern. Über alles gesehen bestimmt das intellektuelle Leistungspotential die Umsatzfähigkeit im Markt.

Die Fähigkeit, Kunden zu überzeugen, potentielle Kunden zu gewinnen, die Entwicklung der Produkte und Märkte innovativ zu antizipieren, ist alles andere als eine Commodity. Die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren (im War for Talents), sie zu entwickeln (Personal Development) und letztlich auch zu behalten (Unternehmenskultur und Leistungsentschädigung) ist ein strategischer Erfolgsfaktor erster Priorität.

Human Assets in der Bilanz

Doch wo findet sich dieser Erfolgsfaktor in der Bilanz, namentlich heute, wo der Dienstleistungssektor immer mehr an Bedeutung gewinnt und der kapitalintensive Produktionsprozess zunehmend in die Schwellenländer ausgelagert wird? Nirgends.

Wäre man in der Lage, Investitionen in das Human Capital zu quantifizieren – nach festgelegten Rechnungslegungsstandards – und den Bilanzaktiven anzuhängen, würde hieraus eine Bilanzverlängerung resultieren: Immaterielle Güter auf der Aktivseite und zusätzliches Eigenkapital auf der Passivseite.

Die Bilanz gibt jedoch nicht ansatzweise Auskunft über Human Assets Bestände oder Veränderungen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zwei Beispiele aus der Praxis:

Adecco wechselt die Unternehmungsspitze aus (Mai 2015). Sowohl der CEO als auch der CFO verlassen den Personalvermittler, für Aussenstehende völlig überraschend. Der Aktienkurs bricht ein, Auswirkungen auf die Bilanz: keine.

Mehrere Spitzenleute wollen nicht mit Coutts International zur Schweizer Privatbank UPB wechseln (Mai 2015). Der Aderlass von Coutts-Leuten auf die Bilanz: keine.

Die Killer-Argumente

Warum kann man Investitionen in das Human Capital nicht aktivieren und je nach Entwicklung zu- oder abschreiben? Oder an praktischen Beispielen: Weiterbildungskurse für Robotik, die Anstellung von absoluten Spitzenleuten im War for Talents, grosse Investitionen in die Organisationsentwicklung, in das  Change Management, in das Innovationsmanagement, Antrittsentschädigungen, Abwerbungsprämien, eben alles, wozu es besondere Ausgaben verlangt um an der Spitze der technologischen und anderer Wettbewerbspositionen zu bleiben?

Es geht hier schliesslich nicht um Investitionen in die Bürolandschaft (die aktiviert werden dürfen), es geht hier um Investitionen in die Kernfähigkeiten, in die Soft Kills, die in den letzten Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Was spricht eigentlich dagegen?

Die Antwort: so ziemlich alles, was sich gescheite Experten einfallen liessen.

Experten – was für Experten?

Experten in der Rechnungslegung. Wann und welche immateriellen Vermögenswerte aktiviert werden dürfen, ist in Standards festgehalten und wird nicht dem Zufall und nicht dem Wunschdenken der Bilanzierenden überlassen.

Jamaica 100 Dollars 190

Unter Druck kommen sie langsam beim Profifussball(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die drei englischen Topvereine Manchester United, FC Chelsea und Arsenal London haben einen kumulierten Schuldenstand in Milliardenhöhe. Das Eigenkapital ist aufgezehrt, die Bilanzen sind überschuldet. Ihr Wunsch, die Spielerwerte als Vermögenswerte zu aktivieren, ist verständlich. Die Literatur darüber ist schon beachtlich.

Was ist aktivierbar?

Zurück zum intellektuellen Leistungspotential. Um es zu wiederholen: Die Fähigkeiten, Kunden zu behalten und potentielle Kunden zu gewinnen, die Entwicklung der Produkte und Märkte innovativ zu antizipieren – nicht aktivierbar. Ebenso wenig die Fähigkeiten, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren, zu entwickeln und zu behalten, das Human Capital Management (HCM) an sich – alles nicht aktivierbar. Auch die Aktivierung von Aufwand für allgemeine Forschungstätigkeiten – nicht aktivierbar. So will es das Schweizer Obligationenrecht und die darüber hinausgehenden Standards, Swiss GAAP FER und ISRF(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nach Swiss GAAP FER dürfen selbst erarbeitete immaterielle Werte nur aktiviert werden, wenn sie

  1. identifizierbar sind
  2. dem Unternehmen zustehen
  3. einen für das Unternehmen messbaren Nutzen über mehrere Jahre erbringen
  4. die zur Anschaffung des immateriellen Wertes angefallene Aufwendungen separat erfasst und gemessen werden können und
  5. es wahrscheinlich ist, dass die zur Fertigstellung und Vermarktung oder zum Eigengebrauch des immateriellen Wertes nötigen Mittel zur Verfügung stehen oder zur Verfügung gestellt werden

Diese Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein (Swiss GAAP FER 10 Ziff. 4).

Die Mehrheit der vorgenannten Bedingungen liesse sich vermutlich – mit gutem Willen erfüllen. Kritisch ist hingegen Ziffer 2: „dem Unternehmen zustehen“. Soft Kills gehören dem Mitarbeiter, nicht der Unternehmung, so die allgemeine Auffassung. Recht auf eine Leistung und Besitz von einer Leistung sind nicht das Gleiche.

IAS 38 bestimmt, dass bei immateriellen Vermögenswerten – bzw. bei nicht-monetären Vermögenswerten ohne physische Substanz – die Verfügungsmacht beim Unternehmen sein muss.

Diese Killerargumente verhindern, dass Human Assets erfasst werden dürfen und allenfalls in den Anhang zur Jahresrechnung verbannt werden müssen (Ausführungen zum Intellectual Capital Statement).

Die Bilanz bleibt damit nur bedingt aussagefähig. Aus der Erkenntnis heraus, dass das Intellectual Capital wichtig bis entscheidend ist für den Erfolg einer Unternehmung, hat die Praxis eine Vielzahl von Modellen und Methoden entwickelt, sog. Wissensbilanzen zu erstellen.

Intellectual Capital Statement – die Wissensbilanz

Als Beispiel gehört der Intangible Assets Monitor (IAM) zu den Scorecard Methoden der Modelle. Dabei wird das intellektuelle Kapital aufgeteilt in Kompetenzen (Fähigkeiten der Mitarbeiter), interne Struktur (Patente, Konzepte, Unternehmenskultur u.a.) und externe Struktur (Kundenbeziehungen, Marken, Image u.a.). Die Bewertung der drei Dimensionen soll Aussagen ermöglichen über Effizienz, Risiken und Wachstum.

Wissensbilanzen stehen jedoch für sich. Es ist keine Herleitung möglich wie früher einmal bei der sog. Sozialbilanz. Es gibt keine allgemein anerkannten Standards der Erfassung und Wertbestimmung, keine Prüfung durch Wirtschaftsprüfer. Wissensbilanzen in diesem Sinne verringern nicht die Informationsasymmetrie zwischen dem Management und den Stakeholders.

Die fatale Dummheit

Die Bilanzgläubigkeit gibt nicht her, was sie verspricht, denn die Bilanz ist kein Leuchtturm in unsicheren Zeiten. Sie darf nicht im Zentrum stehen, wenn es um die Beurteilung einer Unternehmung geht, weder für aussenstehende Wirtschaftsjournalisten und Investoren noch für die oberste Geschäftsführung und den Verwaltungsrat. Die Bilanz ist ein historisches Flickwerk, sie hat irgendwie den Schritt in die Moderne verpasst.

Da werden schwer einschätzbare Goodwill Positionen über längere Zeit mitgeschleift, und für die Zukunft entscheidende Human Assets aus der Bilanz verbannt. „True and fair“ ist sie nicht. Es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken.

02.09.2019/Renzo Zbinden


Die Solvenz der Schweizerischen Nationalbank (SNB) – ein Update

Wer „die Solvenz der SNB“ googelt findet den Basisbeitrag vom 5. September 2015 ganz oben auf der Seite an erster Stelle. Er hat auch nach über 3 Jahren wenig an Aktualität verloren, namentlich wenn es um Fragen geht wie

  • Macht die SNB mit dem Druck von Banknoten Gewinne?
  • Schafft sie damit Eigenkapital?
  • Wie finanziert sie ihre Interventionen an den Devisenmärkten?
  • Wie wirksam ist die Compliance?
  • Kann sie illiquid werden
  • oder sogar Konkurs gehen?

Der Basisbeitrag schloss mit der Hoffnung, die SNB stabilisiere ihre Devisenanlagen auf 500 Mia Franken bzw reduziere ihre Währungs- und Kursrisiken. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil:

Ein Hedgefonds?

Um sich der Aufwertung der Schweizer Währung entgegenzustemmen hat die SNB ihre Politik der Deviseninterventionen ungehindert fortgesetzt mit dem Ergebnis, dass die Devisenanlagen per Bilanzstichtag auf 764 Mia Franken oder um 44.2% gestiegen sind, wie folgende Bilanz per 31.Dezemer 2018 zeigt:

Die Devisenanlagen von 764 Mia Franken betragen 93.5% der Gesamtaktiven. Die Aktivseite der Bilanz gleicht damit einem Hedgefonds (einem Investmentfonds mit hohen Risiken). Bei den Devisenanlagen entfallen 36% auf US-Dollar, 39% auf Euro, 8% auf Yen, 7% auf Pfund und 10% auf übrige Währungen (gegenüber dem Vorjahr unverändert). Als Anlagekategorien nennt die SNB 69% Staatsanleihen, 12% andere Anleihen und 19% Aktien. Das Aktien-Portefeuille beträgt damit rund 145 Mia Franken und umfasst rund 6000 Titel aus 95% aller Aktienmärkte weltweit. („Die SNB investiert passiv, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 28. Juli 2018. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweiz hat nach Norwegen und China den drittgrössten Staatsfonds der Welt (wobei der Staatsfonds von Norwegen durch Eigenkapital finanziert ist). Heute ist die SNB wohl einer der grössten Aktionäre von Apple, Microsoft, Google, Amazon und Facebook!

Die gigantische Bilanzsumme per 31. Dezember 2018 von 817 Mia Franken ist mehr als die Schweizer Wirtschaft pro Jahr produziert und fast so gross wie sämtliche Pensionskassenguthaben zusammen. („Die Abhängigkeit der SNB“, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 29. September 2018). Und in seinem Beitrag vom 25. April 2018 unter dem Titel „Ein Verlustszenario für die SNB“:

„Ihr Portefeuille müsste Schöpfungsfonds heissen, denn sie speist es aus der Geldschöpfung“.

Währungs- und Kursrisiken auf Devisenanlagen


Die Währungs- und Kursrisiken auf den Devisenanlagen (Anleihen und Wertpapiere) sind gigantisch. Für diese Risiken sind zwar Rückstellungen gebildet worden (Rückstellungen für Währungsreserven), diese aber unter dem Eigenkapital aufgeführt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dieses Vorgehen entspricht den Rechnungslegungsvorschriften von Swiss GAAP FER, sofern die bilanzierten Devisenanlagen per Bilanzstichtag zum Markt- bzw. Verkehrswert bilanziert sind, wovon auszugehen ist.

Die unter dem Eigenkapital bilanzierten Rückstellungen für Währungsreserven von 68 Mia Franken sind prozentual zu den bilanzierten Devisenanlagen von 764 Mia Franken bescheidene 8.9%. Wie weit mit diesen Rückstellungen das inhärente oder mittelfristig latente Währungs- und Marktrisiko abgedeckt ist, namentlich bei rückläufiger Wirtschaftslage, ist schwer zu beurteilen. Im Vergleich zu den Währungs- und Marktrisiken sind die ordentlichen Einnahmen aus Anleihen (Zinseinnahmen), Dividenden und Negativzinsen bescheiden.

(Anzumerken bleibt, dass die SNB weiterhin von Devisenreserven spricht, wenn sie Devisenanlagen meint, was bei Wirtschaftsjournalisten und in der Politik immer wieder zu Fehlinterpretationen führt).

Die Finanzierung der Deviseninterventionen

Die Gesamtaktiven sind zu 85,3% fremdfinanziert. Zur Fremdfinanzierung beigetragen haben vor allem die inländischen Geschäftsbanken und Institutionen mit enormen 481 Mia Franken (Girokonten inländische Banken und Institutionen). Die Zusammensetzung dieser Bilanzpositionen ist nicht bekannt, es ist aber anzunehmen, dass auch die Kantonalbanken dabei sind.

(Auch hier gilt anzumerken, dass die SNB bei den Girokonten inländische Banken unbelehrbar und ungehindert von Sichtguthaben der Nationalbank spricht, eine Terminologie, die von der Wirtschaftspresse weitgehend übernommen wurde. Der Begriff Sichtschulden wird gemieden wie die Pest).

Die drohende Überschuldung

Ein Einbruch der Wirtschaft würde blutige Wunden bei der SNB hinterlassen. Sie könnte kaum reagieren, ohne den Schweizer Franken zu stärken und dabei hohe Kursverluste zu erleiden.

Rutscht das Eigenkapital aufgrund hoher Kursverluste gegen Null droht eine Überschuldung (bei einer Überschuldung sind die Schulden grösser als das Vermögen bzw. die Passiven grösser als die Aktiven, woraus ein negatives Eigenkapital resultiert). Was für eine Aktiengesellschaft im Allgemeinen und für eine Bank im Besonderen die Weiterführung gefährden würde sei für eine Zentralbank kein Problem, wird immer wieder gesagt. Sie könne nicht Konkurs gehen. Beispiele dazu seien die Zentralbank der noch jungen Tschechischen Republik und die Zentralbank von Chile.

Bild: 10’000 Escudos ND (1970) – vor der Währungsreform

Doch was für ein Benchmark für unsere stolze Nationalbank. Chile kann kein Vorbild sein. Und von wegen Preisstabilität: 10’000 chilenische Pesos entsprechen heute einem Gegenwert von 15 Schweizer Franken!

Von einer drohenden Überschuldung und ihren Folgen spricht niemand. Es würde nicht schaden von der SNB-Spitze zu erfahren, sie würde eine Überschuldung unter keinen Umständen hinnehmen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit grosser Wahrscheinlichkeit macht sie auch einen Stresstest in eigener Sache, einen Stabilitätsbericht wie für die Geschäftsbanken üblich. Als Szenarien wären denkbar: die Folgen bei einer Euro-Krise, einer Schwellenländer-Krise, einem Zinsschock? Wieviel Kursverluste könnte sie hinnehmen, ohne in die Überschuldung zu kommen?

Interessieren würde in diesem Zusammenhang auch:

  • Wer wäre in der Lage und willens, zur Überwindung der Überschuldung neues Eigenkapital einzuschiessen (in der Grössenordnung von 100 Mia Franken)?
  • Die inländischen Geschäftsbanken hätten Guthaben bei einer überschuldeten Zentralbank. Müssten sie diese Guthaben wertberichtigen?
  • Mit einer überschuldeten Nationalbank wäre der Bankenplatz Schweiz am Boden. Wie lange würde die Schweiz diese Situation politisch hinnehmen?

Wie vertrauensbildender wäre es, wenn solche Berichte öffentlich zugänglich wären, vor allem dann, wenn die SNB alles „im Griff“ hat. Zweifel sind angebracht. Warum macht man sich lächerlich wenn man befürchtet, schlussendlich in den Euro gedrängt zu werden?

Eine „taumelnde“ SNB?

Die SNB vertritt die Auffassung, einerseits an den Devisenmärkten weiter uneingeschränkt intervenieren und andererseits die Negativzinsen weiter erhöhen zu können (Fritz Zurbrügg, Vizepräsident der SNB im ECO-Interview vom 7. Januar 2019). Dabei ist folgendes zu beachten:

Weitere Deviseninterventionen können grundsätzlich nicht aus flüssigen Mitteln der SNB finanziert werden (aus Schweizer Franken), ganz einfach deshalb, weil diese fehlen. Infolgedessen: kauft die SNB weitere Fremdwährungen lässt sie, einfach gesagt, bei inländischen Geschäftsbanken „anschreiben“. Sie kauft auf Kredit. Damit sind die neuen Anlagen – wie auch die Mehrheit der alten – fremdfinanziert. Die Folge: die Bilanzverlängerung geht in die nächste Runde und die Währungs- und Kursrisiken nehmen weiter zu.

Die SNB ist gehalten, diese Politik der Bilanzverlängerung zu stoppen und zwar bevor die Devisenanlagen 1,0 Bio Franken überschreiten. Die US-Zentralbank macht es vor: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nachdem ihre Bilanz fast drei Jahre auf 4,5 Bio Dollars gehalten wurde, leitete der geldpolitische Ausschuss im Oktober 2017 die Normalisierung ein. Das Fed liess fällig werdende Wertpapiere (Staatsanleihen und Hypotheken) auslaufen und die Erlöse nicht reinvestieren.

Auch die SNB muss diesen Weg beschreiten. Doch einfacher gesagt als getan: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Denn mit der Bilanzverkürzung macht sie genau das Gegenteil von bisher, mit der Bilanzverkürzung verkauft sie fremde Devisen oder Wertpapiere in Fremdwährung gegen Schweizerfranken. Damit verknappt sie den Schweizer Franken, er nimmt an Wert zu. Das will man nicht, aus Rücksicht auf die Exportindustrie. Überdies führt die Aufwertung des Schweizer Frankens zu Währungsverlusten bei der SNB. Und sollte die SNB einmal ihre Zinsen anheben, wären die Folgen ähnlich: sie würde den Franken tendenziell aufwerten und auf den bilanzierten Devisenanlagen in Fremdwährung Verluste einfahren. Ein Teufelskreis.

Wo liegt der Handlungsspielraum bei der Zinspolitik? Sollte die Schweiz in nächster Zeit in eine Rezession abrutschen, könnte die SNB den Leitzins von heute – 0,75 Prozent kaum mehr substanziell absenken, beispielsweise auf – 4,0 Prozent. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Negativzinsen betreffen vor allem die Geschäftsbanken. Doch diese geben sie weiter an ihre grossen Kunden, häufig Pensionskassen. Also tragen diese wie auch andere Sparer die Folgen der Zinspolitik der SNB, was wirtschaftlich sehr fragwürdig ist. Kurt Schiltknecht (ehemals Chefökonom bei der SNB, in: „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“, NZZ vom 16.11.2018) ist der Meinung, dass die Politiker sich nicht gegen Negativzinsen wehren, da die Zinsbelastung der öffentlichen Hand kleiner und damit der Spielraum für zusätzliche Ausgaben grösser werden.

Geht man davon aus, dass eine weitere massive Ausweitung der Bilanzsumme für die SNB nicht mehr in Frage kommt, ist ihr Handlungsspielraum gering, sie ist mit anderen Worten schachmatt. Sie kann nur hoffen, dass die EZB keine weiteren Kapriolen macht und das Währungsumfeld stabil bleibt.

Man muss sich fragen, ob die SNB überhaupt einmal autonom war.

Die Unabhängigkeit der SNB

Die SNB gleicht einem Wanderer, nicht schwindelfrei, der plötzlich vor einem Bergweg steht. Was soll er machen, bei ungewisser Grosswetterlage? Zurück auf den Wanderweg oder nach vorne auf dem Bergweg (über einen furchteinflössenden Gebirgsgrat)? Eine höchst ungemütliche Lage.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die SNB aus dieser Lage wieder befreien kann. Wir hoffen es. Es wird aber immer schwieriger, denn die Risiken nehmen mit jeder Bilanzverlängerung weiter zu. Kaum jemand ausserhalb der SNB versteht diese Zusammenhänge. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit der Vollgeldinitiative hat sich die Schweizer Bevölkerung ein erstes Mal mit der Geldschöpfung befasst und überrascht gezeigt. Noch nicht begriffen hat sie die Geldschöpfung der Nationalbank. Die Schweizer Bevölkerung geht davon aus, dass die Deviseninterventionen der SNB aus eigenen Mittel erfolgen. Nur wenige nehmen zur Kenntnis, dass die SNB ihre Devisenkäufe bei den Geschäftsbanken anschreiben lässt.

Die Unabhängigkeit der Nationalbank ist kein Diskussionsthema. Macht sich jedoch Ueli Maurer Gedanken über die Bilanzsumme der Nationalbank (die Ausweitung der SNB-Bilanz sei „an der Grenze des Erträglichen“), wird er offen kritisiert („Der Grund für die Unabhängigkeit“, Markus Diem Meier, Der Bund vom 2. August 2018). Ist es schon soweit, dass man fürchten muss, die labile Finanzierung der Nationalbank kippe, wenn sich ein Bundesrat öffentlich Gedanken macht über die ungewöhnliche Devisenpolitik. Doch „Hier möchten wir dann auch etwas zurückbauen in Zukunft“ hätte er wohl besser nicht gesagt, denn Weisungsgebunden darf sie nicht werden. (Eine Regierung soll nicht die Befugnis erhalten, die Geldpolitik zur Steigerung der Wiederwahlchancen zu missbrauchen.)

Die Macht der Technokraten

Thomas Jordan will keine „Grenze des Erträglichen“, er will freie Hand.

Dass man jedoch die Zukunft der Schweizer Wirtschaft einem kleinen Gremium von Technokraten überlässt, einem Dreierdirektorium, kann es auch nicht sein.

Das Führungskonzept mit einer Machtkonzentration auf wenige Direktoren geht auf das Jahr 1907 zurück. Es ist nicht mehr zeitgemäss, namentlich, wenn man der Nationalbank Ziele und Massnahmen überlässt, die einen derart grossen Impact auf die Schweizer Wirtschaft haben. Und es ist nicht entscheidend, ob dieses Gremium die fachliche Kompetenz hat und ob es unser Vertrauen verdient. Experten haben sich immer wieder geirrt, wie die Geschichte der Nationalökonomie ausführlich zeigt.

Die Nationalbank soll in ihren Entscheiden unabhängig sein und bleiben. Ist dem so, hat der Gesetzgeber jedoch zu bestimmen, in welchem Rahmen sich diese Unabhängigkeit entfalten darf. Geht man davon aus, dass die Exportindustrie die SNB weiter unter Druck setzt oder es allenfalls versucht oder Gewerkschaften und linke Kreise den Erhalt von Arbeitsplätzen als übergeordnetes Ziel aller Massnahmen erklären, wo liegt dann das Ende der Unabhängigkeit?

Wer hindert die Notenbanker, folgenschwere Fehlentscheide zu fällen? Wir stehen vor der gefährlichen Situation, dass einer Gruppe von Technokraten einerseits grosse Unabhängigkeit gewährt wird, doch damit andererseits die Politik abhängig wird. Die Unabhängigkeit auf der einen Seite führt zur Abhängigkeit auf der anderen Seite, was dann gefährlich wird, wenn diese über keine Kontrollmechanismen verfügt.

In einer Demokratie unterliegen wichtige Entscheide einer parlamentarischen Kontrolle. Sieht man die Exportüberschüsse 2018 der Schweizer Exportindustrie stellt sich die Frage, ob die SNB nicht zu viel des Guten getan hat. Es geht schlussendlich um gewaltige Interessen der Exportwirtschaft, die von der heutigen Situation Vorteile erzielt. Und infolgedessen müsste man sich überlegen, ob die Ziele der SNB nicht zu unverbindlich seien.

Die SNB hat das Ziel, die Preisstabilität zu gewährleisten. „Dabei trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung“. Ausserdem: „Sie trägt zur Stabilität des Finanzsystems bei“. Es fehlt die quantitative Messbarkeit, zu viel Wischiwaschi. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die SNB immer mehr Aufgaben an sich reisst, Aufgaben, die ihr eigentlich nicht zustehen (wie den Erhalt von Arbeitsplätzen zu sichern). Ganz von der Hand zu weisen ist auch nicht die Kritik, dass es unsinnnig ist, dass die Notenbanken durch die Ausweitung ihrer Bilanzen zu Grossaktionären werden.

Der Ideenreichtum der Politiker

Die Ausschüttung der SNB an die Öffentlichkeit ist ungefährdet(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Öffentlichkeit erhält jeweils maximal 2 Mia Franken, falls die Ausschüttungsreserve nicht unter 20 Mia Franken fällt. Im Eigenkapital eingeschlossen und unter dem Begriff Ausschüttungsreserve sind dafür 67 Mia Franken vorgesehen. Die Aktionäre erhalten maximal 1,5 Mia Franken.

Als ob es die Aufgabe einer Zentralbank wäre, Gewinnausschüttungen vorzunehmen. Dass man mit jeder Ausschüttung das Eigenkapital schwächt und damit die Risiken erhöht, scheint kaum jemand zu interessieren. Auch nicht, ob die empfangenden Kantone und der Bund im Notfall der SNB wieder Mittel zurückführen könnten.

Der Vorschlag gewisser Politiker, das Vermögen der SNB (die Devisenanlagen oder wie viele es immer noch bezeichnen, die Devisenreserven) könne man in einen Fonds ausgliedern zum Wohle der Bürger zeigt nur immer wieder, dass diese nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, dass die Devisenanlagen vorwiegend durch Fremdkapital finanziert sind.

Es kann doch nicht sein, dass sich Politiker nur dafür interessieren, was man mit dem fremdfinanzierten Vermögen der SNB alles anfangen könnte! (noch schlimmer wäre die Variante, wonach die SNB Banknoten drucken sollte, um damit im Rahmen eines Fonds gewinnbringende ausländische Anlagen zu erwerben).

Leadership

Die SNB unter Thomas Jordan igelt sich ein, lässt keine Kritik zu. Sie schützt sich mit Experten. Doch die kritischen Stimmen nehmen zu.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Wider die Allmacht nicht gewählter Notenbanker“ (Michael Rasch, NZZ vom 2. August 2018) oder „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ (Kurt Schiltknecht, a.a.O.), „Der Boom der Schweizer Notenpresse, Wie die Nationalbank ihre Unabhänggeit verlor“ (Arthur Rutishauser, SonntagsZeitung vom 5. August 2018)

Komplexe Sachverhalte einfach zu erklären ist schwierig, und die Vereinfachung birgt immer auch die Gefahr in sich, Einzelheiten zu übergehen und so die Analyse insgesamt angreifbar zu machen.

Den Franken zu schwächen um den Werkplatz Schweiz zu stärken birgt Risiken. Wie damit umzugehen ist verlangt Leadership. Es ist Zeit zu debattieren, wer diese übernimmt.

Auf jeden Fall gehört das Thema auf den Tisch, heute und ernsthaft diskutiert. Es darf nicht sein, dass man die Themenführerschaft einer Internetplattform überlässt (inside Paradeplatz). Es geht uns alle etwas an, es betrifft uns alle, nicht nur die Exportwirtschaft, die ihre Interessen zu wahren nutzte (Lobbying).

27.02.2019/Renzo Zbinden

Das Steueruniversum des Rodolfo Buletti

Steuern Schweiz Teil 1: Das Steueruniversum

Die Steuer ist eine Geldleistung einer natürlichen (oder juristischen) steuerpflichtigen Person ohne Anspruch auf eine individuelle Gegenleistung, die ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen erhebt. Die Kompetenz Steuern zu erheben liegt in der Schweiz beim Bund, den Kantonen und den Gemeinden. Steuerobjekt ist der Tatbestand, der die Steuer auslöst. Steuersubjet ist u.a.

“ Herr Buletti, etwas stimmt nicht!“

Rodolfo Buletti aus Magliaso ist Ihnen bekannt aus dem Beitrag „Bürger Glas Klar“. Die Steuerveranlagungsbehörde hat ihn beim Versuch ertappt, unversteuertes „schwarzes“ Vermögen über die Steuererklärung „weiss“ zu waschen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der IT-generierte Vermögensnachweis der Veranlagungsbehörde über die letzten zwei Jahresendstichtage (31. Dezember) hat einen Vermögenszugang von 300’000 Franken ergeben, den Rodolfo Buletti mit seinem deklarierten Einkommen nicht erklären konnte. Die Steuerbehörde hat ein Verfahren eröffnet.

Es war immer der grosse Traum von Rodolfo Buletti ein eigenes Haus zu bauen – spätestens dann, wenn sein zweiter Traum in Erfüllung ging, Kinder zu haben. Nun war es soweit, Zwillinge, und Rodolfo Buletti machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück. Im Norden von Lugano in der Nähe von Cadro fand er ein wunderbares Grundstück „da vendere“. Er sah sich schon auf der eigenen Terrasse stehen mit einem Glas Merlot bianco in der Hand, die Kinder im Garten auf dem Trampolin, den Sonnenuntergang über dem Monte San Salvatore. Dieses Grundstück musste es sein, kein anderes, und zwar subito.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Familie Buletti hat hart gearbeitet, Stella Buletti gab privaten Italienischunterricht für Deutschschweizer, Rodolfo am späten Abend und über das Wochenende Rechtsberatung für Kunden einer Immobilienverwaltung. Alles unversteuert, so ähnlich wie es ihre Freunde und Freundinnen auch taten. Auf diese Weise summierten sich über wenige Jahre 300’000 Franken auf „schwarzen“ Konten, das Grundkapital für das neue Eigenheim.

Die Schweiz kennt kein steuerbegünstigtes Ansparen für Eigenheime. Rodolfo Buletti wusste, dass bei einem deklarierten Nebenerwerb von 300’000 Franken schon einmal 20 bis 30 Prozent Steuern fällig würden. Sein Pech war, dass er übersehen hat, dass die Veranlagungsbehörde regelmässig oder in Stichproben einen Vermögensabgleich mit dem Vorjahr vornimmt. Er war überhaupt, trotz seiner Ausbildung als Rechtsanwalt, schlecht informiert, welche weiteren Steuertatbestände er als angehender Hausbesitzer noch auslösen sollte.

Die Milchkuh Eigenheim – Erstwohnsitz

Der Schweizer Eigenheimbesitzer fällt in eine tiefe Steuergrube. Was einem Ausländer fast nicht zu erklären ist – versuchen Sie es einmal, es fallen ihm fast die Augen aus dem Kopf: Das mehrheitlich über Schulden finanzierte Eigenheim wirkt sich auf die Einkommenssteuersituation des Besitzers aus wie eine massive Lohnerhöhung. Doch davon später. Vorerst einmal kassiert der Fiskus während der Bauzeit

  • die Handänderungsabgabe auf dem Grundstück (vom Verkäufer überwälzt)
  • die Mehrwertsteuern auf den Baukosten
  • Gebühren (wie Baubewilligung, Anschlussgebühren u.a.)

Einmal sesshaft dreht sich das Gebührenkarussel weiter: Gebühren für die Kehricht- und Abwasserentsorgung, für die Strassenbeleuchtung und -reinigung, für den Strassen- und Schwellenunterhalt, Grundgebühren für Wasser und Strom, Kehrichtsackgebühren u.a. Dazu kommen

  • die Vermögenssteuer auf dem „amtlichen“ Wert
  • die Liegenschaftssteuer auf dem „amtlichen“ Wert (nur in gewissen Kantonen – von der Bemessungsgrundlage her eine Doppelbesteuerung)

und die erwähnten Einkommenssteuern auf dem Eigenmietwert.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dafür darf der stolze Wohnbesitzer die heute bescheidenen Hypothekarzinsen vom Einkommen abziehen (nicht aber die Bauzinsen während der Bauzeit), sowie die pauschalen  Unterhaltskosten im Rahmen von 10 bis 20% vom Eigenmietwert (in den ersten Jahren fallen kaum zusätzliche Unterhaltskosten an, die später als effektive Kosten abzugsfähig sind). Sollte er einmal verkaufen wollen oder müssen, fallen zusätzlich die Grundstückgewinnsteuern an (ohne Ersatzbeschaffung).

Die Abschaffung des Eigenmietwerts steht schon seit Jahren in jeder politischen Agenda. Bisherige Versuche sind kläglich gescheitert(Klicken Sie zum Weiterlesen)

in erster Linie deshalb, weil die politischen Vorstösse überladen waren (die Abzugsfähigkeit der Unterhaltskosten sollte weiter möglich sein). Was hingegen wissentlich oder unwissentlich übergangen wird ist die Absicht der Politiker, den Eigenmietwert auf dem Zweitwohnsitz zu belassen und nicht zu streichen. Und nicht nur das, es zeichnet sich eine brachiale neue Tendenz ab. Der Kanton Tessin als Beispiel besteuert den Zweitwohnsitz (sekundäres Steuerdomizil) über die Bewertungsprinzipien höher als den Erstwohnsitz. Dazu wurde für Zweitwohnbesitzer per Dekret vom 9. Dezember 2009 der Eigenmietwert (bisher rund 70% der mutmasslichen Miete) umgerechnet auf 100%. Das entspricht einer Eigenmietwerterhöhung von 42,9%, ohne formelle Eröffnung und Rechtsmittelbelehrung und erst noch rückwirkend. Da nur über die Veranlagungsverfügung sichtbar (bzw. die Steuerausscheidung) haben es viele gar nicht gemerkt! Und die Erstwohnbesitzer haben sich erst noch gefreut, dass die Steuererhöhung nur „Ausländer“ betraf. Ein Vorbild für andere Kantone?

Zweitwohnsitz

Erfüllt sich ein sparsamer Rentner mit Hausbesitz seinen Traum, am Lebensabend eine Zweitwohnung in der Sonnenstube der Schweiz oder im Berner Oberland zu besitzen, auch er mit einem Glas Rotwein auf der Veranda, wird ihm kaum jemand sagen, dass der summierte Eigenmietwert über zwei Objekte schnell einmal 50’000 Franken überschreiten könnte. Nicht nur sind zusätzliche „Einkommenssteuern“ auf diesen 50’000 Franken fällig (abzüglich Zinsen und Unterhaltskosten), seine Rente wird auch noch höher besteuert als bisher, da der Eigenmietwert kantonsüberschreitend zur Steuersatzbestimmung herangezogen wird.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es rechnet sich kaum noch. Die Steuererhöhung bei der stark progressiven Bundessteuer überrascht. Doch sagen Sie es nicht weiter, lassen Sie ihm seinen Traum.

Der Steuerpflichtige darf ungestraft in Kunstsammlungen investieren, einen Wagenpark unterhalten, Schiffe und Flugzeuge erwerben (oder sich anderswie verlustieren), Einkommenssteuern ohne Einkommen löst nur Wohnbesitz aus. Eigentlich sollte der Staat ein Interesse daran haben, dass möglichts viele Einwohner Wohnbesitz erwerben. Zukünftiger Wohnbesitz fördert den Sparwillen, Wohnbesitz begünstigt die Eigenverantwortung, bindet den Eigentümer an den Staat und verzögert am Lebensende den Gang in die subventionierten Altersheime. Doch die Schweizer Neidkultur verhindert eine steuerlich bevorzugte Stellung der Wohnbesitzer. Sie werden im Gegenteil zur Milchkuh der Nation.

Satzbestimmend

Der Eigenmietwert erhöht ausserdem den Steuersatz auf dem übrigen Einkommen, wie erwähnt am Beispiel der Rente. Über mehrere Jahre aufsummiert ergeben sich auf diese Weise beeindruckende Steuerlasten. Ausserdem wird der Eigenmietwert der Marktentwicklung laufend angepasst (am einfachsten über einen Index, erspart die Berechnung im Einzelfall) und zwar auch dann noch, wenn der Wohnbesitzeigentümer längst in Pension und sein Ersatzeinkommen „eingefroren“ ist. Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Art. 127 Abs. 2 BV) wird dann zur Makulatur.

Doch für die Steuersituation des Rodolfo Buletti sind weitere steuerrelevante Faktoren massgeblich:

Die gedeckelte AHV

Rodolfo Buletti ist Rechtsberater in einem mittelgrossen Versicherungskonzern. Sein Gehalt unterliegt der Einkommenssteuer. Vom Bruttogehalt abgezogen werden ihm die AHV-Beiträge (Arbeitnehmeranteil). Soweit diese Beiträge seine zukünftigen AHV-Ansprüche übersteigen bzw. nicht mehr rentenbildend sind, entsprechen diese einer ergänzenden Einkommenssteuer.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass bei Spitzenlöhnen im Top-Management dieser Anteil bedeutend ist. Noch weniger bekannt, dass in vielen Fällen der Arbeitgeber die volle AHV übernimmt, also auch den Arbeitnehmeranteil. Hat ein CEO einer börsenkotierten Gesellschaft ein Gehalt plus Bonus von 20 Mio Franken, gehen rund 2 Mio Franken an die AHV-Ausgleichskasse, der rentenbildende Anteil dabei wäre gering.

Die Auswirkungen der Steuerprogression

Der Grenzsteuersatz entspricht dem Steuersatz, mit dem die nächste Einheit der Steuerbemessungsgrundlage belastet wird. Der Grenzsteuersatz drückt mit anderen Worten aus, welcher Anteil eines zusätzlich verdienten Frankens als Steuer abgeführt wird. Bei Gutverdienenden gehen inklusive AHV im Kantonshauptort Zürich für einen Franken Mehrverdienst rund 50 Rappen an den Fiskus.

Erhält Rodolfo Buletti eine Gehaltserhöhung, kommt je nach Ausmass ein höherer Steuersatz zur Anwendung, der als Folge auch die Steuerbelastung auf dem bisherigen Gehalt erhöht (Auswirkungen wie beim Erwerb von Wohnbesitz). Dient die Gehaltserhöhung dem Ausgleich der Teuerung, verbleibt ihm real und nach Abzug der Steuern weniger als vor der Gehaltserhöhung.

Die Folgen der kalten Progression

Primär betroffen sind Beiträge an die Krankenkasse. Wer sich noch an die sechziger und siebziger Jahre erinnert: die Limite für den Abzug der Prämien lag meistens über den tatsächlich bezahlten Beiträgen. Doch heute liegen die Limiten krass unter den bezahlten Beiträgen. Der Steuerpflichtige hat weniger zur Verfügung, das steuerbare Einkommen nimmt jedoch nicht proportional dazu ab.

Ähnliches gilt für alle abzugsberechtigten Ausgaben und alle persönlichen und sozialen Abzüge die nicht voll der Teuerung angepasst werden. Zieht man die Teuerung der letzten 20 Jahren in Erwägung (Hochpreisinsel Schweiz) wird unmissverständlich sichtbar, dass die kalte Progression über all die Jahre zu einer massiven Steuererhöhung führte.

Zu den erwähnten direkten Steuern (Einkommens- und Vermögenssteuer, Erbschafts- und Schenkungssteuer, Grundstückgewinnsteuer) hinzu kommen noch die Kirchensteuer, die Wehrpflichtersatzabgabe, die Verrechnungssteuer und die Besteuerung von Wertschriften und Versicherungen, die Motorfahrzeugsteuer, die Hundesteuer sowie die indirekten Verbrauchssteuern des Bundes wie die Mehrwertsteuer, die Biersteuer und die Steuer auf Spirituosen (Alkoholsteuer), die Tabaksteuer, die Mineralölsteuer (Benzinsteuer), die Zölle …Im Steueruniversum des Rodolfo Buletti hat es auch noch Platz für zukünftige Strafsteuern. Sie tragen moderate Begriffe wie Mobility Pricing oder Energie-Lenkungsabgaben. Hier nicht in Erwähnung kommen die Steuern der Unternehmer wie die Liquidationssteuer.

Steuern, nichts als Steuern. Sie sorgen dafür, dass die Schweizer die Bodenhaftung behalten. Doch merkwürdig: alle sagen, im Vergleich zum Ausland sei die Schweiz noch ein Steuerparadies! Dabei wird Wesentliches verschwiegen.

 

Wussten Sie,

dass viele Nachbarstaaten keine Vermögenssteuer erheben

Als junger Hausbesitzer mit Familie ist das Nettovermögen von Rodolfo Buletti gering. Die Vermögenssteuern sind für ihn noch eine „quantité négligeable“. Das wird sich ändern. Er macht Karriere und erspart sich ein für seine Verhältnisse grosses Wertschriftenportefeuille, nicht zuletzt auch deshalb, weil im oberen Kader des Versicherungskonzerns „hire and fire“ zur Tagesordnung gehören. Sein Erspartes ist für ihn seine Sicherheit bei einem allfälligen Verlust der Arbeitsstelle.

Bei einem konstanten Vermögen wird das Vermögen jedes Jahr von neuem besteuert, immer wieder. Bei einer angenommenen Vermögenssteuer von 1 Prozent und einer Lebenserwartung von 85 Jahren wird ein grosser Teil seines Vermögens wegbesteuert. Denn die Vermögenssteuer wird auch erhoben falls keine Rendite oder kein Vermögensgewinn erzielt werden konnte. Kurz: die Vermögenssteuer zehrt an der Substanz und untergräbt den Sparwillen.

Dafür entfällt bei den meisten Kantonen die Erbschaftssteuer an die direkten Nachkommen (und nur an diese).

Viele OECD-Staaten verzichten auf eine Vermögenssteuer und erheben stattdessen eine Erbschaftssteuer. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Schweiz in naher Zukunft wieder beides hat (der Abstimmungskampf über die Initiative für die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer ist in Sichtweite).

Die Vermögenssteuer wird in allen Kantonen erhoben und brachte dem Fiskus im Jahr 2013 5,7 Milliarden Franken (Eine Schweizer Besonderheit mit hoher Bedeutung: Der Bund vom 26. Mai 2015).

Eine Übersicht über die Nachbarstaaten zeigt eindrucksvoll, wie wenige Staaten in Europa eine Vermögenssteuer erheben. Die Politiker mit Umverteilungszielen verschweigen es einfach. Schauen Sie es an: Vermögenssteuer

viele OECD-Staaten ganz auf die Besteuerung der Vermögenserträge verzichten oder diese reduziert besteuern

In der Schweiz werden die Vermögenserträge ungekürzt in das steuerbare Einkommen übernommen. Die Verrechnungssteuer sorgt dafür, dass schwarze Vermögenserträge mit 35% besteuert werden.

Einige OECD-Staaten verzichten nicht nur auf die Besteuerung des Vermögens sondern auch auf die Besteuerung der Vermögenserträge. Wieder andere Staaten besteuern die Vermögenserträge nur in etwa halb so hoch wie das Erwerbseinkommen. Im Grunde der Dinge kompensieren die Vermögenserträge ganz oder teilweise die Entwertung des Vermögens als Folge der Inflation. Die volle Besteuerung in inflationären Zeiten enteignet die Steuersubjekte.

Dividenden von Aktiengesellschaften doppelt besteuert werden

Die Schweiz ist einer der letzten OECD-Staaten mit Doppelbesteuerung. Was heisst das? Der Reingewinn der Aktiengesellschaften wird ein erstes Mal bei der Gesellschaft besteuert und dann ein zweites Mal beim Aktionär.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Von der gekürzten Besteuerung bei sog. qualifizierten Beteiligungen – die im übrigen stark umstritten ist und in nächster Zeit vermutlich gestrichen wird – können nur wenige Aktionäre Nutzen ziehen (u.a. Grossaktionäre von KMU’s).

Viele Staaten kennen die Steueranrechnung und vermeiden auf diese Weise die Doppelbesteuerung.

Rodolfo Buletti wird auch einmal in Rente gehen.

das Renteneinkommen (Ersatzeinkommen) voll erfasst wird

Junge Steuerpflichtige werden sich fragen, weshalb beim Ersatzeinkommen (Renten und Pensionen) die Frage zu beantworten ist, ob diese zu 100% oder zu tieferen Prozenten steuerbar sei. Noch vor wenigen Jahren war das Renteneinkommen gekürzt steuerpflichtig. Und ältere Steuerpflichtige können noch heute die direkte Bundessteuer mit 80% des steuerbaren Einkommens versteuern.

Viele Nachbarstaaten erfassen das Ersatzeinkommen reduziert, auch wenn eine Tendenz dazu besteht, diese Steuerwohltat zu kürzen.

Die Schweiz – ein üppiges Steueruniversum

Wer bei der Schweiz von einem Steuerparadies spricht, hat entweder ein niedriges Einkommen (viele zahlen praktisch keine Steuern), ist sog. pauschaliert steuerpflichtig, wohnt in einem Kanton mit tiefen Steuersätzen oder sieht die Zusammenhänge nicht. Dem weniger Informierten sei hier noch einmal gesagt, dass

  • die Eigenmietwertbesteuerung in dieser Form einmalig ist
  • die AHV für Gutverdienende zur Ergänzungssteuer wird
  • der Teuerungsausgleich den Steuersatz laufend erhöht
  • die Berufsausgaben und die persönlichen und sozialen Abzüge nur teilweise der Teuerung angeglichen werden (kalte Progression)
  • viele Nachbarstaaten keine Vermögenssteuern erheben
  • viele OECD-Staaten die Vermögenserträge nicht oder nur teilweise besteuern
  • nur noch wenige OECD-Staaten die Doppelbesteuerung bei Dividenden kennen
  • viele OECD-Staaten Renteneinkommen ermässigt besteuern

Ein Vergleich zwischen den Staaten sollte natürlich auch noch beinhalten, was der Staat dem Steuersubjekt als Entgelt zukommen lässt, namentlich im Bereich des Gesundheitswesens (Arztkosten und Spitalaufenthalte) und der Ausbildung.

Wer im oberen Mittelstand steuerpflichtig ist erlebt bei zunehmendem Einkommen eines der progessivsten Steuersysteme Europas. Nur die Mehrwertsteuer sieht noch bescheiden aus. Hier gilt jedoch anzumerken, dass in vielen Staaten das Erheben von direkten Steuern schwierig ist (Griechenland als Beispiel, oder Italien, Spanien) und der Fokus bei diesen Ländern auf den indirekten Steuern (Mehrwertsteuern u.a.) liegen muss.

Das hier aufgezeigte Steueruniversum bildet die Bemessungsgrundlage zur Erhebung der Steuern. Wer überhaupt und wieviel Steuern bezahlt ist Gegenstand von Steuern Schweiz Teil 2: Die Leistungsträger in der Steuerfalle

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Hochpreisinsel Schweiz Teil 3: Der Staat – Regisseur und Kulissenschieber an vorderster Preisfront

Wir wähnen uns in einer offenen und freien Marktwirtschaft – gehütet von und gebettet in einer sozialen Wirtschaftsordnung. Die Preisfindung findet am Markt statt, wo sich Angebot und Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen treffen – bei weitgehender Gewerbefreiheit. Drängt sich eine Unternehmung vor und strebt nach Marktbeherrschung, wird sie im Rahmen der Wettbewerbspolitik zurückgebunden.

Ziemlich einfältig diese Vorstellung. Viele bis sehr viele Verkaufspreise sind nicht das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Und immer öfter legt der Staat selbst Hand an und administriert die Preisfindung und -bildung aus  unterschiedlichen „staatspolitischen“ Motiven.

In seiner Funktion als marktmächtiger Anbieter (und Preisbilder) von Gütern und Dienstleistungen bestimmt der Staat über die Sozial-, Steuer- und Wirtschaftspolitik die Preise und beeinflusst auf diese Weise die Ausgaben der Haushalte (und deren Vermögensbildung) auf massivste Weise. Die Konsumenten merken es nicht oder kaum. Sie suchen die Schuldigen in der Privatwirtschaft und enervieren sich an Einzelbeispielen (wie an den überhöhten Preisen bei Kosmetika und Zeitschriften) und rufen nach dem Preisüberwacher.

Es fehlt der Blick aufs Ganze, der Überblick. Das ist vielen recht so. Das Tun oder Lassen des Staates, seine Verantwortung in Bezug auf das Hochpreisniveau Schweiz wird von mächtigen politischen und wirtschaftlichen Kreisen mit Erfolg totgeschwiegen. Ein ausführliches Beispiel dazu: die preistreibende asymmetrische Interessendurchsetzung zugunsten der Bauern.

Der Mythos Bauern – eine nostalgische Verklärung

Ein Berner Bauernhof geschmückt mit rosaroten Geranien auf einer sattgrünen Wiese, umgeben von einem Gewürz- und Gemüsegarten, im Hintergrund ein Steinbrunnen vor dunkelgrünem Wald, kontrastreich zum Dunkelblau der fernen Berge. Eine Wegkrümmung im Vordergrund, Kuhglocken, sonst absolute Stille, frische Luft. Ein Naherholungsgebiet für Städter die über das Wochenende das gesunde Landleben suchen, noch einmal auftanken vor einer intensiven Arbeitswoche.

Die Schweiz und seine Bauern – eine Liebesbeziehung?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Waren wir nicht alle einmal Bauern? Haben nicht die Bauern die Urschweiz errichtet und mit ihrem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit den Grundstein für unsere heutige Staatsform gelegt? Wir brauchen kein Königshaus, keinen repräsentierenden Staatspräsidenten, keine regierungsführende Partei, wir sehen uns als Fortsetzung der selbständigen, unabhängigen, unbequemen und unternehmerisch auftretenden Altbauern.

Das Schweizer Volk hat immer wieder bewiesen, dass es dem Bauernstand wohlwollend gesinnt ist. Es darf schon etwas kosten. Wieviel? Die finanziellen direkten und erst recht die Folgekosten will niemand so richtig zur Kenntnis nehmen. Und die Bauern von heute haben es verstanden der Schweizer Bevölkerung einzureden, dass die staatliche Förderung unerlässlich sei für die Qualitätssicherheit (die Schweizer Bevölkerung soll vor minderwertigen ausländischen Erzeugnissen geschützt werden). Bei der Versorgungssicherheit ist der Nachweis schon etwas schwieriger, bei der Erhaltung der Kulturlandschaft sind sich dann wieder alle einig: keine Abstriche. Der Wunsch nach dezentraler Besiedelung und „Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen“ ist sogar in der Bundesverfassung verankert (Art. 104). Auch der Tierschutz ist ein grosses Anliegen.

Darf es etwas mehr sein?

Die Beiträge für die Landwirtschaft erbringt die Schweizer Bevölkerung zum einen über den Konsum landwirtschaftlicher Produkte und zum andern als Steuerzahler. Und das ist nicht wenig und nicht ohne Folgen. Was die Haushalte für Nahrungsmittel ausgeben kürzt ihre übrigen Ausgaben, was an Steuern in die Landwirtschaft fliesst fehlt an anderer Stelle (zum Beispiel für die Unterstützung und Entwicklung anderer Berufstätigkeiten und Industriezweige). An dieser Stelle darf nicht fehlen hervorzuheben, dass die Landwirtschaft (im Rahmen des primären Sektors) bisher stark und weiter in Zukunft an Bedeutung verloren hat bzw. verlieren wird, was an sich alle wissen und niemanden überrascht. Weniger bekannt sind jedoch die harten Fakten und Relationen, die von unabhängigen Dritten erhoben wurden(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Aus dem OECD-Länderbericht 2015 zur Schweizer Landwirtschaft geht hervor, dass

  • ihr Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) auf unter 1 Prozent geschrumpft ist
  • ihr Beschäftigungsanteil in etwa 3-4 Prozent beträgt
  • über 60% des landwirtschaftlichen Einkommens vom Staat kommt
  • die Verkaufspreise ihrer Güter rund 40% über dem Weltmarktniveau liegen

Konkret: Rund 53’000 Bauern erhalten 2,8 Mia Franken an Direktzahlungen (um die Vernebelung weiter zu begünstigen nennt man diese neu unverfänglich „Beiträge für Versorgungssicherheit“. Gemäss OECD Bericht kommen hinzu über 2 Mia Franken für den „Grenzschutz“ (der landwirtschaftlichen Güter). Und weiter: der Staat gewährt massgeschneiderte Privilegien für die Landwirtschaft bezüglich:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

  • Eigenmietwert: Aufgrund eines Bundesgerichtsentscheids aus dem Jahre 1993 erhalten die Bauern einen tieferen Eigenmietwert, sie nennen es „Vorzugsmietwert“
  • Mehrwertsteuer: Bauern sind beim Verkauf ihrer eigenen Produkte mehrwertsteuerbefreit (auch bei Einnahmen über CHF 100’000)
  • Mineralölsteuer: Bauern erhalten Rückvergütungen auf der Besteuerung der Treibstoffe
  • Grundstückgewinne: Baulandbauern erhalten Steuerprivilegien auf Grundstückgewinnen
  • Familienzulagen: Für die Bauern werden diese von der öffentlichen Hand finanziert (im Gegensatz zu den nichtlandwirtschaftlichen Betrieben)

Ist es richtig, in einen an Bedeutung abnehmenden Berufsstand Mittel im bisherigen Ausmass zu investieren, die für die Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze fehlen?

Unter Heimatschutz: Wie weit darf die asymmetrische Mittelzuwendung gehen?

Die schweizerische Agrarpolitik bezweckt in erster Linie das Existenzrecht der Bauern zu sichern. Je nach statistischen Angaben und weiteren Annahmen liegen die Kosten für diese Strukturpoltik ingesamt zwischen 6 und 7 Mia Franken pro Jahr. Zusätzlich zu diesen Kosten fallen Kosten an als Kollateralschäden der Agrarpolitik, die empirisch nicht erhoben werden aber beeindruckend und aussergewöhnlich sein sollten (Klicken Sie zum Weiterlesen)

  • in der benachbarten Agrar- und Nahrungsmittelindustrie: sie übernimmt überhöhte Kosten auf inländische Rohstoffe, was sie im Export benachteiligt
  • im Tourismus und im Gastgewerbe: überteuerte Nahrungsmittel sind namentlich in Grenzgebieten verhängnisvoll
  • im Detailhandel: enormer Kaufkraftabfluss ins Ausland für Geschäfte in Grenznähe
  • bei den Freihandelsabkommen: im vornherein torpediert ohne Rücksicht auf industrielle Vorteile (Beispiele das abgebrochene Freihandelsabkommen mit den USA und die zur Zeit laufende Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP)

Als Ausgleich für die agrarprotektionistisch überteuerten Milch- und Getreiderohstoffe erhalten die Schweizer Konzerne Nestlé, Emmi, Lindt & Sprüngli  Exportsubventionen in Millionenhöhe (Schoggigesetz). Und es ist nicht lange her, da wollten 109 von 200 Nationalräten das schwer erkämpfte Cassis-de-Dijon Prinzip bodigen. Oder man verfolge aktuell die Vorstösse der Bauernlobby im Zusammenhang mit dem Stabilisierungsprogramm 2017 – 2019. Gemeinsam mit Norwegen, Südkorea und Japan ist die Schweiz in der Spitzengruppe der Agrarprotektionisten anzutreffen. Wer tut etwas dagegen? Auch die Grossverteiler Migros und Coop halten sich bedeckt und setzen sich wenig wahrnehmbar zugunsten ihrer Kunden ein. Höhere Margen auf ihren Produkten liegen ihnen wohl näher.

Das Paralleluniversum der Bauernlobby

Die Macht der Bauern ist gewaltig, der Zorn der Bauern furchtbar. Wer sich ihnen entgegenstellt, hat eigentlich schon verloren. Das wissen die Parlamentarier. Keine Partei wagt es, gegen die mächtigen Interessenorganisationen anzutreten. Und der Agrarsektor in Bund und Kanton beschäftigt inzwischen ein ganzes Heer von Mitarbeitern. Sie werden sich hüten, die Finanzströme zu kappen. Im Gegenteil, ihre Regulierungsliebe ist grenzenlos:

So erhalten die Bauern sog. Landschaftsqualitätsbeiträge, erarbeitet vom Bundesamt für Landwirtschaft in enger Zusammenarbeit mit der Vereinigung Agridea, hinter welcher der Schweizer Bauernverband (SBV), kantonale Landwirtschaftsämter und die Forschungsanstalt Agroscope stehen sollen. Nach dem Beobachter 20/2016 schrieben sie „schon 2010 ein Drehbuch, wie die Bauern dereinst solche Gelder abholen könnten“. Doch es blieb nicht bei den Landschaftsqualitätsbeiträgen. Hinzu kommen Beiträge für Biodiversität (zur Förderung der Artenvielfalt und der Lebensräume) und Beiträge zur Pflege der Kulturlandschaft, wenn sie (wieder nach dem Beobachter 20/2016) das Land nicht verwalden und das Vieh auf die Alp lassen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

3 Franken pro Jahr gibts für jeden grösseren Zürcher Steinhaufen. Ein Findling bringt jährlich 100 Franken ein. 67 Eichen pflanzen – und innert fünf Jahren rund 30’000 Franken ernten

Weitere Beiträge fliessen für besondere naturnahe, umwelt- und tiergerechte Produktion. Dabei gibt es den typischen Bauern gar nicht. Gemüsebauer, Milchwirtschaftsbauer, Bio-Bauer, Bergbauer, sie haben unterschiedliche Probleme zu lösen. Doch in der politischen Öffentlichkeit treten sie mit einer Stimme auf, fordern mit viel Druck. Das Lobbying der Bauern ist erschreckend professionell. Ein Fünftel aller National- und Ständeräte hat eine Verbindung zur Landwirtschaft. Lobbygruppen befassen sich mit Futtermittel, Geflügelzucht, Viehwirtschaft, Milchwirtschaft, Obstwirtschaft, Weinbau/Bier/Spirituosen, Produktion/Handel, Promotion/Marketing, Wald und Holzwirtschaft, Kleinbauern.

National- und Ständebauern: Wer mit wem und wie und was – der Beobachter 20/2016 hat ergründet und enthüllt (interaktive Infografic des Beobachter). – Klicken Sie auf „START“, um das Netzwerk der Parlamentarier zur Landwirtschaft kennen zu lernen.

Agrarprotektionisten: Powerplay versus Rücksicht und Verständnis

Das Selbstverständnis der Ansprüche ist erschreckend. Dabei sind nicht alle Bauern Subventionsempfänger in gleicher Weise, es sind in erster Linie grosse Landwirtschaftsbetriebe in Tal- und Hügelgebieten und nicht Kleinbauern im Alpenraum. Doch mit ihrem Powerplay riskieren die Bauern insgesamt ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Von „Ausbeuten“ ist schon die Rede. Die vom Bauernverband und der SVP lancierte Volksinitiative „Für Ernährungssicherheit“ zeigt aktuell, wie unerbittlich die Anspruchshaltung daherkommt und wie biegsam sich die Räte in der grossen Kammer verhalten. Man kann es drehen wie man will: es geht um die krude Besitzstandswahrung.

Alle wissen, über alle Generationen und Besitzstände hinweg, dass die Schweiz vor enormen wirtschaftlichen Veränderungen steht und diese bewältigen muss. Das Lädelisterben war nicht aufzuhalten, Bankfilialen wurden ausgedünnt, Postfilialen ebenso. In diesen schwierigen Zeiten muss der Staat mithelfen, Übergangslösungen zu finanzieren. Diesen Anspruch hatten und dürfen auch die Bauern haben, und zwar als Überbrückungsmassnahme, nicht zur Strukturerhaltung. Angehende Jungbauern müssen ihr wirtschaftliches Umfeld kennen, den Markt für ihre Produkte und Dienstleistungen, wie andere Jungunternehmer auch. Die Perspektive mag rosig erscheinen, ein allfälliges Scheitern aber in Erwägung gezogen werden.

Durch die Industrie 4.00 werden in den nächsten Jahren je nach Schätzung eine grosse bis sehr grosse Anzahl von Arbeitsstellen im administrativen Sektor verloren gehen. Die Bauern werden nicht helfen können. Und was sind die Massnahmen und wo sind die Mittel bei einer zukünftigen Jugendarbeitslosigkeit.

Es sei hier in keiner Weise angedeutet, die Bauern seien die Hauptschuldigen für die Hochpreisinsel Schweiz. Das sind sie nicht. In gewissen Bereichen sind sie selbst betroffen von den hohen Preisen, bei den importierten Futtermitteln beispielsweise, oder bei Düngemittel und beim Maschinenpark. Der Agrarfreihandel ist nicht die Lösung, es geht aber um das tragbare Mass der Anpassungskosten an neue Strukturen. Dass die Bauern um ihre Existenz kämpfen ist ihr gutes Recht. Verschwiegen und unterdrückt werden darf aber nicht die Konsequenz der heutigen Agrarpolitik auf die Hochpreisinsel Schweiz: bei den landwirtschaftlichen Nahrungsmitteln werden

zulasten der Konsumenten und Steuerzahler

Angebot und Nachfrage übersteuert durch staatliche Regulierungen: die inländische Produktion wird gefördert durch offene und versteckte Subventionen, der Import ausländischer Produkte gebremst durch Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse.

Der Staat marschiert an vorderster Preisfront

bewaffnet mit einer gewaltigen Agrarbürokratie, die sich selbst nicht abschaffen will, die im Gegenteil immer mehr zum Trabanten der Agrarlobby wird, immer mehr gemeinsame Interessen hat. Geregelt und kontrolliert wird bis ins kleinste Detail, wie vorige Beispiele zeigen. Man stelle sich einmal vor, wieviel Verwaltungsaufwand und -kosten hinter jeder Transferleistung liegen! Wer setzt hier den Massstab, sorgt für Kosteneffizienz, legt Rechenschaft ab gegenüber wem? Darf man sagen: das interessiert keine Sau?

Die landwirtschaftlichen Nahrungsmittel sind nur ein (wichtiges) Beispiel für die vom Staat beeinflusste (administrierte) Preisbildung. Aufsehenerregend am Beispiel ist, auf welche Weise fernab von Angebot und Nachfrage die Preisbildung erfolgt. Andere Beispiele finden sich im Gesundheitswesen (Arzneimittelpreise und Krankenkassenprämien), im öffentlichen Verkehr, im Energiesektor. Und wenn wir beim Staat bleiben, wie sieht es aus bei der Entwicklung der Steuerbelastung?

Die Steuern sind für die meisten Haushalte die grösste Ausgabe des Jahres (in gewissen Fällen mit Ausnahme der Miete oder der Krankenkassenbeiträge). Im Grunde genommen sind die Steuern nichts anderes als das Entgelt für die Dienstleistungen des Staates, die je nach Einwohner mehr oder weniger in Anspruch genommen werden. Bei den Gebühren sind die Zusammenhänge direkter, beim SBB-Ticket unmittelbar. Praxis und Literatur erwähnen, dass die staatlichen Dienstleistungen viel stärker überteuert sind als die privaten. Wo sind die Studien, welche die Preis- bzw. Kostenentwicklung aufzeigen beispielsweise für die öffentliche Sicherheit, den Umweltschutz oder die Verwaltung? Welche Verantwortung für das hohe Preisniveau übernehmen die Politiker, die Parlamentarier, die Stimmbürger? Wissen sie, welche Priorität das relative Preisniveau zum Ausland für die Arbeitsplätze der Zukunft hat? Und wenn ja, wie sehen Ziele und Massnahmen aus, um das hohe Preisniveau zu reduzieren?

Nehmen wir abschliessend den Haushalt von Bürger Glas Klar, um die Relevanz des Staates am Einzelbeispiel offen zu legen:

Erstens: Wieviel seiner Ausgaben bestimmen administrierte Preise wie Steuern, Gebühren, Abgaben, Krankenkassenprämien, öffentlicher Verkehr, Ausbildung, Energie, Nahrungsmittel – und wie sieht hier die Preisentwicklung in den letzten 20 Jahren aus! Sind die Preise stark gestiegen, und sie sind – preisbestimmend oder preisduldend war der Staat, nicht die Privatwirtschaft.

Preistreiber Nummer eins ist der Staat, mehr oder weniger ungehindert durch die Wettbewerbsbehörde.

Zweitens: Nehmen wir nur die Steuern, Gebühren und Abgaben, wieviel des Bruttoeinkommens geht direkt zurück an den Staat? Zum einen Sack hinein, zum andern Sack hinaus. Wir sind bei der Staatsquote.

Ist die Schweiz nun ein Steuerparadies oder eine Steuerhölle? Demnächst

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Hochpreisinsel Schweiz Teil 2: Stellvertreterkrieg im Parlament

Aus den Überschriften der letzten Wochen:

„Regulierungswut auf der Hochpreisinsel“ – „Eine eingebildete Krankheit“  „Liberale Politiker auf dem Holzweg“

Kartellexperten, Patentanwälte und Politiker profilieren sich. Seiten werden bezogen, Claims gesteckt und Wagenburgen geschlossen. Es geht um viel Geld in einem lukrativen Markt für Berater und Lobbyisten.

Die Kunst der Professionalität gebietet, den Sachverhalt zu komplizieren, von allen Seiten zu beleuchten, denkbare Vor- und Nachteile in allen Schattierungen zu würdigen. Doch so schwierig ist es eigentlich nicht. Ein kurzer Refresher zum Thema Kartellabsprachen:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Preisdifferenzierung ist ein altes und bewährtes Instrument im Marketing-Mix. Dazu stehen verschiedene Kriterien zur Verfügung, wie die Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Lieferung (saisonale Preisunterschiede) oder die Differenzierung nach der Menge (Rückvergütungen und Rabatte). Bei der räumlichen Preisdifferenzierung (Gebietsabsprachen) verkaufen ausländische Produzenten (in gewissen Fällen auch inländische) ihre Erzeugnisse in der Schweiz mit einem Zuschlag, sei es über Tochtergesellschaften oder über unabhängige Importeure. Man spricht dabei von vertikalen Kartellabsprachen (dem Absatzkanal entlang) im Unterschied zu den horizontalen Kartellabsprachen (unter Konkurrenten).

Die bisherige Praxis

Nach der alten Bundesverfassung waren vertikale und horizontale Kartellabsprachen erlaubt, soweit sie nicht schädlich für das Gemeinwohl waren (Missbrauchsgesetzgebung). Um den Missbrauch zulasten der Konsumenten zu begrenzen, wurde 1995 das Kartellgesetz verabschiedet (Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen vom 6. Oktober 1995, KG).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das KG bezweckt nach Art. 1: „volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern und damit den Wettbewerb im Interesse einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung zu fördern“.

Der Geltungsbereich wird in Art. 2 wie folgt definiert: „Das Gesetz gilt für Unternehmen des privaten und öffentlichen Rechts, die Kartell- oder andere Wettbewerbsabreden treffen, Marktmacht ausüben oder sich an Unternehmenszusammenschlüssen beteiligen“(Abs. 1).

Im Jahre 2004 wurden einige Revisionen sowie die Verordnung über die Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft gesetzt.

Die Wettbewerbsbehörde

Die Wettbewerbskommission (Weko) trifft die Entscheide, erlässt die Verfügungen und gibt Empfehlungen, Stellungnahmen und Gutachten an die politischen Behörden (KG Art. 18 Abs. 3). Die Zusammenarbeit mit dem Preisüberwacher geht aus Art. 3 hervor: „Verfahren zur Beurteilung von Wettbewerbsbeschränkungen nach diesem Gesetz gehen Verfahren nach dem Preisüberwachungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (PüG) vor, es sei denn, die Wettbewerbskommission und der Preisüberwacher treffen gemeinsam eine gegenteilige Regelung“ (Abs. 3). Gemäss PüG(Klicken Sie zum Weiterlesen)

beobachtet der Preisüberwacher „die Preisentwicklung (Art. 4 Abs. 1), „verhindert oder beseitigt die missbräuchliche Erhöhung“ (Abs. 2) und „orientiert die Öffentlichkeit“ (Abs. 3). Art. 5 regelt die Zusammenarbeit mit der Wettbewerbskommission. Nach Art. 12 Abs. 1 liegt ein Preismissbrauch dann vor, „wenn die Preise auf dem betreffenden Markt nicht das Ergebnis wirksamen Wettbewerbs sind“.

Und hier sind wir beim Thema und vor den Beispielen. Das KG führt Verhaltensweisen auf, bei denen vermutet wird, dass diese volkswirtschaftliche oder soziale Schäden verursachen. Verkaufen beispielsweise alle Tankstellen einer Region ihre Produkte zu denselben Preisen (horizontale Preisabsprache) wird vermutet, der Wettbewerb sei eingeschränkt. Desgleichen: wenn ein Produzent einer Ware allen ausländischen Händlern verbietet, in die Schweiz zu liefern (vertikale Gebietsabsprache). Es gibt keine „Per-se“-Erheblichkeit und der Nachweis der schädlichen Beeinträchtigung obliegt der verantwortlichen Behörde. Was das heisst und wie schwierig die griffige Durchsetzung sein kann, zeigt das Beispiel der Buchpreisbindung in aller Dramatik:

Die Buchpreisbindung – gemeinsam voll auf die Bremse

Leicht gekürzt immer noch eindrücklich:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Weko eröffnete am 28. September 1998 eine Untersuchung über die Preisbindung für deutschsprachige Bücher. Einbezogen waren der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV) sowie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. Die Weko befand die horizontal koordinierte vertikale Wettbewerbsabrede über die direkte oder indirekte Festsetzung der Verkaufspreise als kartellrechtlich unzulässig. Auf eine Beschwerde hin vom 21. Mai 2001 bestätigte die Rekurskommission für Wettbewerbsfragen diesen Entscheid. Dagegen haben die beiden Verbände am 21. Juni 2001 Verwaltungsgerichtsbeschwerden eingereicht u.a. mit dem Antrag, den Beschwerdeentscheid der Rekurskommission aufzuheben. Die Weko wiederum hat erwartungsgemäss den Antrag gestellt, diese Beschwerden abzuweisen. Nun konnte nur noch die Politik weiterhelfen.

Aus den Argumenten der Lobbyisten in Richtung Parlamentarier: es bestehe die Gefahr, dass die Kultur unseres Landes aus ökonomischen Interessen verschachert und schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Schweizer Literatur erfolgen würden. Eine wissenschaftliche Studie „Buchmarkt und Buchpreisbindung in der Schweiz“ im Auftrag des Bundesamtes für Kultur in Verbindung mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft sollte die letzten Kulturbanausen in die Knie zwingen, mit Erfolg: das Bundesgericht hiess die Beschwerden teilweise gut und wies die Anträge zur erneuten Beurteilung an die Weko zurück.

Vier Jahre nach Abschaffung der Buchpreisbindung nahm das Parlament im Frühling 2011 das „Bundesgesetz über die Buchpreisbindung“ an und die Buchpreisbindung fand ihre Wiedergeburt. Dagegen hatten die Jungparteien SVP und FDP erfolgreich das Referendum ergriffen. Am 11 März 2011 entschieden sich die Stimmbürger mit 56,1% gegen die Wiedereinführung der Buchpreisbindung.

Einfach nur peinlich

Eine unglaubliche Zwängerei und ein trübes Beispiel, wie sich die Parlamentarier herumschieben lassen. Eine Strukturerhaltungspolitik, die völlig an der Marktentwicklung und an den Konsumenteninteressen vorbei aufrechterhalten werden sollte. Heute findet der Vertrieb weitgehend ohne Verkaufsflächen statt, grenzüberschreitend über Internetplattformen. Immer mehr Leser verzichten auf ein Print-Produkt und greifen zum E-Book. Standort-Buchhandlungen im bisherigen Sinn (Fach-und Allgemeinsortimenter) können sich nur noch als Ketten oder in Nischen behaupten. Was für ein Kampf für Vertriebswege von gestern!

Früher war die Schweiz der typische Testmarkt für ausländische Produzenten. Heute ist die Schweiz der typische Abschöpfungsmarkt zur Aufmischung der Gewinne.

Die reichen Schweizer und die Hochpreisstrategie der internationalen Markenartikelkonzerne

Ausländische Produzenten verlangen von ihren Schweizer Kunden höhere Preise als für ihre Kunden in Nachbarländern. Preisdifferenzen von 20, 30 und 50% sind dokumentiert. Als Rechtfertigungsgründe werden die hohen Lohn- und Raumkosten genannt, eher selten die höhere Kaufkraft. Noch gut in Erinnerung bleibt das Beharrungsvermögen, als es darum ging, die Währungsgewinne aus der Wechselkursdifferenz Franken/Euro an die Endkunden weiterzugeben. Inzwischen liegen aufsehenerregende Weko-Entscheide vor, darunter:

Der Fall Elmex – vertikale Absprachen

Denner hatte im Jahre 2005 versucht, die Zahnpasta Elmex billig aus Österreich zu beziehen, am Hersteller vorbei parallel zu importieren und dann in der Schweiz billiger zu verkaufen (als Coop und Migros). Eine klassische Wettbewerbsstrategie. Doch Elmex konnte es verhindern. Busse 4.8 Mio Franken. Vor Bundesgericht hängig.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das Bundesverwaltungsgericht sah es als erwiesen an, dass der Hersteller der Zahnpasta Elmex (vormals GABA, die heutige Firma Colgate-Palmotive) den Preiswettbewerb zu verhindern versuchte (Entscheid vom Dezember 2013).

Für Kartellgegner ein gefährlicher Muster-Entscheid. Die liberale NZZ veröffentlichte vor Kurzem mehrere Artikel mit der Grundhaltung, das Bundesgericht sei über das Ziel hinausgeschossen und habe faktisch ein Verbot für vertikale Absprachen zwischen Hersteller und Händler ausgesprochen. Das Parlament habe indessen vertikale Absprachen nie verbieten wollen.

Der Fall BMW – Lieferverbote für Händler

Der Autohersteller BMW hatte seinen Händlern aus dem europäischen Wirtschaftsraum untersagt, Fahrzeuge an Schweizer Kunden zu verkaufen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Hier nicht relevant und doch ausgesprochen werden soll: Müsste es für die Schweizer Reputation des Autoherstellers BMW nicht abträglich gewesen sein, wenn in aller Offenheit darüber diskutiert wird, dass der Schweizer Konsument mit einem Schweiz-Zuschlag (von bis zu 33% gegenüber Deutschland) abgezockt werden soll und man an dieser Praxis festhalten wolle. Müsste sich ein potentieller Schweizer Käufer nicht als düpiert, veräppelt und verkaspert vorkommen?

Die Weko hat BMW mit einer Busse von 154 Mio Franken bestraft, wogegen BMW Beschwerde erhob. Das Bundesverwaltungsgericht kam im November 2015 zum Schluss, dass Gebietsschutzklauseln automatisch als erhebliche Wettbewerbsabreden zu gelten haben. Vor Bundesgericht hängig.

Die rätselhaften Vertriebswege der Sanitär-Grosshändler

Das jetzt abgeschlossene Verfahren erfolgte auf Hinweise der Bevölkerung (2011). Wer einmal mit der Sanitärbranche zu tun hatte kann sich sicher noch gut erinnern, was für merkwürdige und aussergewöhnliche Vertriebswege sie antrafen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Weko büsste den Schweizer Grosshandelsverband und 8 Gesellschaften (darunter Sanitas Troesch und die Sabag-Gruppe) mit insgesamt rund 80 Mio Franken. Die Weko wirft den Gesellschaften vor, über den Verband preisbestimmende Faktoren wie Margen und Rabatte vereinbart zu haben. Gesellschaften, die ihre Produkte nicht über den Grosshandel verkaufen wollten, seien am Markteintritt gehindert worden.

Geschädigt nach Weko seien die Konsumenten und einzelne Sanitärinstallateure. Die detaillierte Begründung ist noch ausstehend. Danach wollen die betroffenen Gesellschaften die Busse rechtlich bestreiten.

Die Argumente: Pros und Cons

BundeshausTeilansichtKeine Lösung hat nur Vorteile, immer sind auch Nachteile hinzunehmen. Für rechtsliberale Kreise sind vertikale Absprachen sinnvoll, da der Wettbewerb in vielen Fällen nicht behindert werde, dies umso mehr, als Bagatellfälle vermieden und unschädliche Formen der Koordination zugelassen werden sollen. Die höhere Marge mache es ausserdem möglich, in Beratung,  Imagepflege, Innovation und Expansion zu investieren. Beispiele aus Theorie und Praxis untermauern die positiven Aspekte der vertikalen Absprachen aus ihrer Sicht. Unwidersprochen: was für Importeure gilt, gilt auch für Schweizer Exporteure. Auch sie nehmen Preisdifferenzierungen vor. Auch ihnen kann es an den Kragen gehen, von inländischen und ausländischen Kartellbehörden.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es kann sein, dass der Schweizer Konsument für das inländische Produkt mehr bezahlen muss als der Konsument im Ausland für das gleiche Schweizer Produkt. Nicht zur Freude der Schweizer Konsumenten, doch zum Wohle der Schweizer Produzenten. Wer über die Grenze Schweizer Pharmaprodukte einkauft, und das tun viele, kennt die Preisdifferenzen aus eigener Erfahrung.

Die Argumente der Kartellgesetzgegner lassen dann erstaunen, wenn von Nachteilen für die Schweizer Konsumenten die Rede ist. Behauptet ein Autor in allem Ernst, fallende Importpreise (fallender Schweiz Zuschlag) führten zu tieferen Löhnen sollte fairerweise anfügen, dass mit sinkenden Löhnen auch sinkende Einkommenssteuern verbunden wären.

Und wer die auf die Spitze getriebene Vereinfachung trommelt: Wohlstandsinseln sind Hochlohninseln sind Hochpreisinseln – nuschelt leicht dümmlich. Was ansatzweise für autarke Volkswirtschaften richtig sein könnte, gilt sicher nicht für exportorientierte Volkswirtschaften (wie die Schweiz) und sicher nicht für grenznahe Regionen. Hinterfragt man indessen die berufliche Herkunft und Ausrichtung vieler Kartellbefürworter kann man zum Schluss kommen: alleiniger Zweck der Vorstösse ist die Beweishürde für die Wettbewerbsbehörde möglichst hoch zu halten. Das gibt Spielraum für die Berater(-honorare).

Revision – zurück zum Start

Im Parlament wurde eine Reihe von Vorstössen eingereicht, die kritische Punkte der gescheiterten Revision von 2014 wieder aufgreifen.

Das zu revidierende Kartellgesetz sollte nach gewissen Vorstellungen die preisliche Meistbegünstigung der Schweiz festschreiben. Schweizer Kunden sollten zu den jeweils weltweit tiefsten Preisen beliefert werden. Dass man ausländischen Lieferanten die Preise nicht vorschreiben kann (und wer soll diese Preise festlegen), ist unschwer erkennbar. Interventionen dieser Art sind rechtlich auch gar nicht durchsetzbar. Andere Vorschläge, wie das Kriterium Marktbeherrschung auf die relative Marktmacht auszuweiten, finden im politischen Machtkampf keine ausreichende Unterstützung.

Weko-Präsident Vincent Martenet fordert eine Revision in vier Punkten: Striktere Fusionskontrolle, Zulassung von Zivilklagen, Bussenrabatte bei wirksamer interner Kontrolle, stärkeres Widerspruchsverfahren (Der Bund, 29.04.2016).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wünschenswert wäre auch, dass die guten Erfahrungen unserer Nachbarn im Sinne einer Best Practice vermehrt in die Überlegungen einbezogen würden. Das deutsche Bundeskartellamt hat beispielsweise erste Erfahrungen gesammelt mit einem elektronischen Hinweisgebersystem für anonyme Eingaben. Ein solches System mag an sich als unsympathisch und unschweizerisch empfunden werden, steigert aber mit grosser Sicherheit das unternehmerische Bewusstsein für die Kartellrechtsproblematik. Und dieses Bewusstsein fehlt noch weitgehend, historisch begründet im Umgang mit Kartellabsprachen in den letzten 50 Jahren.

Die Schweizer Exportindustrie riskiert zunehmend auch global in Kartellverfahren verwickelt zu werden, die Finanzindustrie allen voran (die Manipulationen der Devisenkurse sind letztendlich Absprachen unter Grossbanken zur Schädigung der Bankkunden). Die ausländischen Wettbewerbsbehörden treten immer aggressiver auf, eine Eskalation der Bussgeldentscheide und -volumen ist zu vermuten. In diesem Sinne wäre es sicher empfehlenswert, Überlegungen zur Kartellrechtsproblematik in das Risk-Management bzw. in die Compliance der Unternehmung aufzunehmen.

Doch in der Schweiz wird unverdrossen weitergemauert unter der Maxime, die Handels- und Gewerbefreiheit (zeitgemässer: die unternehmerische Freiheit) dürfe nicht eingeschränkt werden. Was aus Sicht der Einzelunternehmung (mikroökonomisch) noch verständlich sein könnte, ist volkswirtschaftlich (makroökonomisch) weitgehend unbestritten falsch. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen die fatalen Folgen auf lange Sicht (Diskussionsvorschlag für Biertischliberale: das Schweizer Bierkartell und das Ende der überregionalen Bierproduzenten).

Die Schlacht im Bundeshaus – der Stellvertreterkrieg

In der Arena stehen nicht Unternehmer und Konsumenten. Gefightet wird über Stellvertreter. Doch dieser Kampf ist ungleich. Einer produzierenden Wirtschaft (teilorganisiert über Verbände) mit einem gewaltigen Potential an finanziellen Mitteln und einem auf Abruf bereiten Heer von Rechtsberatern und Lobbyisten stehen wenige Konsumentenschutzorganisationen mit bescheidenen Mitteln und eine unendlich grosse Schar unorganisierter Konsumenten entgegen, die kollektiv (noch) nicht klagen können. Kommt dazu, dass die Gewerkschaften die Lösung immer noch im Lohnausgleich sehen. So werden die Schweizer Konsumenten weiter über den Tisch gezogen, von ausländischen wie auch von inländischen Produzenten. Und wie es aussieht, verhindern (die vom Schweizer Volk gewählten) Politiker in der Mehrheit eine starke Wettbewerbsbehörde nach ausländischem Vorbild.

Eine weitere Volksinitiative?

Es muss einmal mehr das Schweizer Stimmvolk über die nächste Revision des Kartellrechts entscheiden.

Demnächst Teil 3 der Trilogie zur Hochpreisinsel Schweiz: der grösste Preistreiber

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15.09.2016/Renzo Zbinden

 

Non Compliance – am Abgrund vorbei

In der Betriebswirtschafts – und Managementlehre ist es beliebt, fundamentale Zusammenhänge in gut dokumentierten Fallstudien (Business Case Studies) zu analysieren und hieraus funktionsbezogene praktische Lösungen zu erarbeiten und zu diskutieren. Zum Thema Non Compliance wird der Weltkonzern VW lange Zeit ein dankbares Beispiel abgeben.

Der blanke Wahnsinn

Um es zu rekapitulieren: VW rüstet seit Jahren Dieselfahrzeuge mit einer Software aus, die beim Emissionstest auf dem Rollenprüfstand weniger Abgase erzeugt als im Strassenverkehr. Wie geht das?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Software erkennt den Prüfzyklus aufgrund der Lenkradposition (Fahrt ohne Lenkbewegungen), der Reifenumdrehung (nur zwei von vier Rädern drehen) und der Motorenelektronik. Im Prüfzyklus wird über die Software auf das Abgaskontrollsystem eingewirkt, beispielsweise mittels Harnstoffeinspritzung über eine Dosierleitung in das Abgassystem.

Auf diese Weise erreichten die Fahrzeuge Abgas-Grenzwerte, mit denen sie die Zulassung in den USA erhielten. Weltweit sind rund 11 Mio. Fahrzeuge davon betroffen.

Der immense Schaden

VwDem einst so mächtigen Konzern drohen gewaltige Kosten, es geht um Milliarden: Rückkäufe, Entschädigungen, Schadenersatzforderungen, Strafen, Umsatzeinbrüche. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz – DSW – will durch einen unabhängigen Sonderprüfer abklären lassen, ob die per Ende Vorjahr bilanzierten Rückstellungen von 16.2 Mrd Euro ausreichen. Zukünftige Kosten fallen an für eine weltweite und schwierige Öffentlichkeitsarbeit gegen den eingetretenen Verlust an Reputation und Kundenvertrauen.

Durch den Kurssturz haben die VW-Aktionäre viel Geld verloren, sie wollen klagen: Grossaktionäre wie amerikanische Pension-Funds und Kleinaktionäre, diese im Verbund über Sammelklagen. Nur das Land Niedersachsen mit 20% der Stammanteile wird sich diplomatisch verhalten müssen. Es leiden auch die vielen Zulieferbetriebe.

Die russige Dieselwelt made in Germany

Wo ein Räuchlein ist, da brennt ein Feuer. Unter Generalverdacht stehen inzwischen fast alle deutschen Autokonzerne(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Spiegel (Nr. 20 vom 14.05.2016) öffnet ein neues Kapital zur Dieselgate unter dem Titel: „Die Diesel Lüge – erst VW, jetzt Opel: Eine deutsche Industrie-Affäre“. Bei einer Anhörung sollen Opel-Mitarbeiter erwähnt haben, das Abschalten der Abgasreinigung erfolge nur bei bestimmten Temperaturen (Thermofenster) und diene dem Schutz wichtiger Bauteile. Doch Recherchen sollen ergeben haben, dass die Software nicht nur bei bestimmten Temperaturen wirksam wird, sondern auch in anderen Situationen, häufig.

Nicht nur Fahrzeuginhaber wollen klagen, klagen wollen auch jene, die ihren Lungenkrebs auf den zu hohen Stickoxidausstoss der Dieselmotoren zurückführen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Rund 480’000 Dieselfahrzeuge verstossen in den USA gegen die Umweltstandards. Wegen manipulierten Abgasemissionen sind per Ende April über 500 zivilrechtliche Klagen eingereicht worden. Zur Behebung von Umweltschäden soll ausserdem ein Fonds errichtet werden. Volkswagen hat im April 2016 eine Grundsatzvereinbarung getroffen mit dem Justizdepartement (Umweltabteilung), der Umweltbehörde EPA und der kalifornischen Luftreinhaltebehörde (Carb) unter Beteiligung der Federal Trade Commission (FTC). Was dies materiell zur Folge hat, ist noch unbekannt.

Doch zurück zur Modellpolitik: Durch Umrüstungen und Modellanpassungen verändern sich auch die ursprünglich erzielten (und verkauften) Leistungswerte wie Drehmoment und Höchstgeschwindigkeit. Dass die Konkurrenz es hochspielen will, ist zu erwarten.

Auf einen Schlag ist alles zerstört, was seit Jahren aufgebaut wurde. Die Weltmarke VW ist schwer geschädigt, im Kampf um die Spitze um Jahre zurückgeworfen.

„Wolfsburger, go to begin!“

Den VW Konzern trifft es in einer schwierigen Phase mitten im industriellen Umbruch: das rollende selbstfahrende Eigenheim kurz vor dem Markteintritt mit Technologieführer aus dem Silicon Valley wie Google und Apple als Konkurrenten. Statt die gesparten Milliarden in diesen Kampf werfen zu können wird VW Altlasten bereinigen müssen. Wie konnte das nur passieren, wer ging solche Risiken ein, wer hat alles geschwiegen? Was für eine Führungskultur!

Grössenwahn? Vorstandschef Martin Winterkorn hatte seinem Konzern das Ziel gesetzt, weltweit die Nummer 1 zu werden, mehr Autos zu bauen als Toyota. Man kennt diese offensive Zielsetzung sonst nur von amerikanischen Weltkonzernen, nun war es ein deutscher.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Um die Nummer 1 zu werden musste man die amerikanischen Autofahrer erst einmal davon überzeugen, ihre Dreckschleudern zu ersetzten durch saubere Diesel-Pkw’s aus Deutschland. Doch die ursprünglich für den europäischen Markt entwickelten Dieselmotoren erfüllten die strengeren Stickoxid-Grenzwerte der USA nicht. Und von kostspieligen Zusatzinvestitionen wollte man absehen. Zusätzlich setzte Vorstandschef Martin Winterkorn seine Mitarbeiter unter Zeitdruck, so die vorherrschende Meinung. Das Ergebnis: manipulierte Stickoxid-Messungen auf dem Prüfstand. Ein Betrug, wie peinlich!

Managementfehler auf oberster Stufe

Eine alte Binsenwahrheit sagt, dass das Aufdecken eines Betrugs zunimmt mit jeder zusätzlichen Person, die daran beteiligt oder Mitwisser ist. Und es waren nicht wenige. Damit war es nur eine Frage der Zeit, bis das Ganze aufflog. Es musste auffliegen. Zwar war es der amerikanische Staat, der die Sache ins Rollen brachte. Es hätte aber ebenso ein Mitarbeiter von VW oder von einem Vertragsunternehmen sein können, der aus Unzufriedenheit oder aus finanziellen Interessen die Initiative ergriffen hätte.

Es waren nicht ein paar skrupellose Mitarbeiter mit verschwommenen Zielsetzungen und Moralvorstellungen, es war die oberste Managementstufe, die wegschaute. Möglich war es, weil eine wirksame Compliance fehlte. Hinzu kommt noch die unprofessionelle Kommunikationspolitik nach Aufdecken des Fehlverhaltens: vertuschen, verharmlosen, Zeit gewinnen. VW ein Einzelfall (neben Siemens und der Deutschen Bank)? In der Schweiz undenkbar? Doch wie war das mit Swissair, oder wie ist das aktuell mit der BSI, der Fifa, den Grossbanken? In allen Fällen stellt sich die gleiche Frage: Wo war die

Compliance?

Der Begriff Compliance beinhaltet die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, regulatorischer Massnahmen und die Erfüllung weiterer, wesentlicher und in der Regel von Unternehmen selbst gesetzter interner Standards und Richtlinien. Die Gesamtheit der Grundsätze, Prozesse und Massnahmen zur Einhaltung der Compliance wird als „Compliance Management System (CSM)“ bezeichnet.

Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) hat folgende Grundelemente eines CSM identifiziert: Compliance-Kultur, -Ziele, -Risiken, – Programme, -Organisation, -Kommunikation und -Verbesserung. Wichtig sind ebenso die Empfehlungen des Wirtschaftsdachverbands Economiesusse im „Swiss Code“ (Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance) sowie für Emittenten von primär- oder hauptkotierten Beteiligungsrechten die Offenlegungspflichten aus den Richtlinien Corporate Governance (RLCG) nach dem umfassenden Grundsatz „comply or explain“. Compliance hat ausserdem die Schnittstellen zu Risk Management, Controlling, interner Revision und external Audit zu berücksichtigen. In solcher Ausführlichkeit ist Compliance eine grosse Herausforderung verbunden mit erheblichen einmaligen und wiederkehrenden Kosten.

Jerome7Compliance in diesem umfassenden Sinn findet man bei Unternehmen mit hohen Compliance-Risiken, allen voran in der Finanzindustrie (Libor- und Wechselkursmanipulationen, Devisenmarktabsprachen, Hypothekenverbriefungen, Gehilfenschaft bei Steuerbetrug, Geldwäscherei, oder im persönlichen Bereich bei Conflict of Interest, Insider Information and Trading) und in der Pharmaindustrie.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Basler Pharmakonzern Novartis startete eine Folge mehrjähriger Initiativen um das ethisches Fehlverhalten zu unterbinden. Mitarbeitende können Fälle von Fehlverhalten einem Business Practices Office (BPO) melden. Im Berichtsjahr 2015 untersuchte das BPO 1299 Fälle, wobei bei 58% der Fälle Fehlverhalten festgestellt werden musste, welches in 343 Fällen zu Austritten oder Entlassungen führte. Die Mehrzahl der Fälle betraf falsche Spesenabrechnungen oder Verstösse gegen die Berufspraxis (aus dem Geschäftsbericht 2015).

Die Pharmaindustrie sah sich ausserdem in der Defensive bei Schmiergeldzahlungen, Kartellabsprachen und Preismanipulationen. Auch andere Industrien und Gesellschaften verfügen über eine ausgebaute Compliance-Abteilung (wie ABB, Sulzer, Migros). Doch müssten sich auch mittelgrosse Unternehmen mit diesem Thema beschäftigen. Schon die Frage an sich

wo liegen die Compliance-Risiken mit welchen Konsequenzen

öffnet einen Gedankenprozess, der zu erstaunlichen Ergebnissen führen kann. Beispiele: Der Einkaufsprozess mit Rückerstattungen in schwarze Kassen, der Verkaufsprozess mit Überfakturierungen und Kick-Back-Zahlungen auf persönliche Inlandkonten, aggressive Provisions- und Lohnanreizsysteme usw. In der Praxis findet sich alles.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nicht selten gehen bei KMU’s  Einkaufs-Umsatzrückvergütungen gestaffelt nach Umsatzzielen auf ausserbuchhalterische Konten oder Kassen. Diese Kassen stehen dann wieder zur Verfügung für Schmiergelder oder Zahlungen, die beim Empfänger steuerfrei eintreffen. Da sie im Rechnungswesen keine Spuren hinterlassen, sind sie über den Audit-Prozess schwierig zu erkennen.

Wer noch kein CSM einführen bzw. dieses in kleinen Schritten über Jahre realisieren will, hat grundsätzlich die Möglichkeit, die wesentlichen Ziele als Initial- und Softmassnahme in einem

Code of Conduct

festzuhalten. Der Code of Conduct enthält unternehmensspezifische Richtlinien bzw. einen Verhaltenskodex, auch „Mission Statement“ genannt in Übereinstimmung bzw. Konkretisierung des Unternehmensleitbildes. Natürlich muss dieser Code of Conduct verständlich und praxisnah verfasst sein. „Wir wollen professionell und ethisch verantwortungsvoll handeln“  oder „Wir wollen für unsere Kunden ein proaktiver, prinzipienstarker Partner sein“ (aus dem Code of Conduct Credit Suisse) gibt eigentlich nichts her. Schon ausführlicher erscheint der Code of Conduct Novartis. Allumfassende Compliance hat auch eine Kehrseite: wer durch bestimmte Verhaltensweisen auffällt, gerät auf das Radar der Compliance-Zuständigen. Wer zum Beispiel keine Ferien bezieht, lange Überstunden macht, privat viel Geld ausgibt – macht sich verdächtig. Seine E-Mails werden nun plötzlich überwacht. Solche Massnahmen gefährden die Mitarbeiterzufriedenheit und dürfen nicht im Vordergrund stehen. Es ist auch zu befürchten, dass die Angehörigen der Compliance-Abteilungen nicht immer richtig damit umgehen können und damit die Unternehmenskultur trüben (in Richtung Überwachungs- und Angstkultur). Und es darf bei allem guten Willen nicht übersehen werden, dass Non Compliance erst auf oberster Führungsstufe zu dramatischen Konsequenzen führt (wie eben bei VW oder früher bei Enron und WorldCom).

Non Compliance Verstösse verfolgen vor allem die amerikanischen Behörden (Panalpina, Credit Suisse, UBS u.a.). Als Folge beschäftigen sich immer mehr globale Unternehmungen mit Compliance, ihre Compliance-Abteilungen werden ausgebaut, Chief Compliance Officers eingestellt, Ethik-Botschaften in Unternehmensleitbild, -kultur und -berichterstattung aufgenommen. Entscheidend für die Wirksamkeit ist jedoch in vielen Fällen wie man mit Whistleblowers umgeht. Betrachtet man sie in erster Linie als Verräter, die man irgendwie auffangen muss um Schlimmeres zu verhüten, wird es nicht funktionieren. Entscheidend kann auch sein, wo die Whistleblower-Hotline hinführt. Als Empfänger falsch wäre die Rechts-, Finanz- oder Personalabteilung. Bei kotierten Gesellschaften ideal wäre der Präsident des Audit-Committee, in Einzelfällen der Präsident des Verwaltungsrats.

0408035Compliance als Thema ist im Aufwind, eine eigentliche Compliance-Industrie macht sich breit, Beratungsunternehmen und Universitätsinstitute entdecken die neue Nachfrage und sind mit Analysen, Strategien, Compliance-Programmen und -konserven im Markt. Doch wichtige Meilensteine kann man selbst erreichen, vieles hat mit Ethik zu tun und mit der Vorstellung, wie man mit Kunden umgehen will. Ist es richtig, dass Retourflüge der Swiss ab Zürich gebucht teurer sind als umgekehrt? Als Beispiel kostet Zürich-Malaga-Zürich volle 56% mehr als Malaga-Zürich-Malaga (SonntagsBlick vom 29.05.2015).

Und dabei sind wir beim nächsten Thema: Hochpreisinsel Schweiz – die grosse Abzocke. Demnächst Logo_ImVisier3

08.06.2016/Renzo Zbinden