Die Schweiz – was für eine Vermögensverteilung!

Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Eine Erkenntnis, auf die man stolz sein könnte. Nur sollte man noch wissen, wie dieses Vermögen verteilt ist. Doch alle schauen weg, wollen es weder wahrnehmen noch kommentieren.    

10 Prozent der Bevölkerung besitzen 90 Prozent des Vermögens

Zweimal lesen schadet nicht. Ist dem so, besitzen 90% der Bevölkerung wenig bis gar nichts. Verhältnisse wie im Mittelalter, wo Kaiser, Könige, Fürsten und Herzöge über Untertanen herrschten. Sowas vermutet man heute noch in Russland mit seinen Oligarchen rund um Wladimir Putin oder in China mit Xi Jinping und seinen Parteibonzen. Oder dann wieder in den Emiraten. Wie auch immer, eine solche Vermögenspyramide kann nicht stimmen, muss falsch sein. Das Schweizer Volk würde es nicht dulden, denkt man.

Nebulöse Basisdaten zum Verwischen

Woher kommen die Daten zur Berechnung der Vermögensverteilung? Vermutlich vom Bundesamt für Statistik. Denn statistische Zahlen zum Wohlstand der Schweizer Bevölkerung haben erste Priorität, sie seien sozusagen von nationaler Bedeutung. Sollte man meinen. Sind sie aber nicht, was eigentlich schwer verständlich bis unverschämt ist. Wenn man bedenkt, was alles erhoben wird!

Auf nationaler Ebene liegen keine Daten zum Vermögen der natürlichen Personen vor (Haushalte). Einzig die Eidg. Steuerverwaltung ist in der Lage, eine nationale Vermögensstatistik zu erstellen, basierend auf den Daten der kantonalen Steuerämter.

Hieraus resultiert für das Jahr 2016 (ausgewiesenes steuerbares Reinvermögen per 31. Dezember 2016, vor Sozialabzügen):

  • 1,4 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 46,9 Prozent des Reinvermögens
  • 5.9 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 67,2 Prozent des Reinvermögens
  • 12,7 Prozent der Steuerpflichtigen verfügen über 80,8 Prozent des Reinvermögens

Leicht weniger schockierend als die einleitend erwähnte Relation. Doch es liegen Unschärfen vor:

Unschärfen in der Berechnung

Alles nicht so schlimm, hört man, es fehlen nämlich die Pensionskassenguthaben der Säule 2 und die Vorsorgegelder der Säule 3a (denn diese werden in der Steuererklärung nicht deklariert und gehen damit auch nicht in die Berechnung des Reinvermögens ein). Auch die Rentenansprüche aus AHV sind vermögensbildend, in einer gewisser Weise. Allerdings kann auch über diese nicht frei verfügt werden und sie gehen ebenso wenig in den Nachlass ein. Es kommt hinzu, dass auch reiche Leute Anspruch auf Rentenleistungen haben, eine Berücksichtigung der Rentenansprüche würde deshalb die Kluft im Vermögen zwischen arm und reich nicht massiv verringern.

Zuschläge ergeben sich hingegen im oberen Bereich der Vermögensakkumulation. Denn die Grundstücke und Liegenschaften sind zu Steuerwerten deklariert (amtliche Steuerwerte, Katasterwerte), welche grundsätzlich unter den Verkehrswerten liegen. Überdies sind die Aktien nicht börsenkotierten Gesellschaften zu Steuerwerten erfasst. Auch diese dürften regelmässig unter den Verkehrswerten liegen. Sachwerte wie Schmuck und Gemälde gehen ausserdem, wenn überhaupt, kaum zu Versicherungswerten in die Steuererklärung ein. Die Möglichkeit, bewegliches Vermögen in versteckten Steueroasen zu platzieren, sei hier nur am Rande erwähnt.

Eine grosse Rolle spielt das unbewegliche Vermögen ausserhalb der Schweiz. Es wird zur Berechnung der Steuerprogression herangezogen, ist also nur satzbestimmend für die kantonale Vermögenssteuer. Für die richtige und vollständige Erfassung werden andere Massstäbe angelegt als für das unbewegliche Vermögen in der Schweiz.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) publiziert Zahlen über das durchschnittliche Vermögen der Schweizer Privathaushalte. Bemerkenswert ist die Feststellung, dass nur die Hälfte davon versteuert ist (NZZ vom 30.11.2017 «Nur die Hälfte ist versteuert»).

Schwerreiche Ausländer

Interessant wäre zu erfahren, wie das Reinvermögen der steuerlich Pauschalierten erhoben wird.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es soll hier nicht über Sinn und Unsinn der Pauschalierung geschrieben werden. Nur so viel: der Pauschalierte darf kein Erwerbseinkommen in der Schweiz erzielen. Doch dürfte sich kaum ein ausländischer Milliardär finden, der so dumm ist, steuerbares Erwerbseinkommen in der Schweiz zu beziehen. Er lebt vom Kapitalertrag und vom nicht steuerbaren Vermögensverzehr. Und natürlich geht er seinen Problemen nach, ist tagtäglich und weltweit in Kontakt mit seinen CEO’s, Verwaltungsräten, Vermögensverwaltern, Steuer- und Rechtsberatern. Nur sagt man dieser Tätigkeit merkwürdigerweise nicht Erwerbstätigkeit!

Wissen muss man, dass der pauschalierte Ausländer nach dem Lebensaufwand besteuert wird (in der Regel einem Mehrfachen des Eigenmietwertes). Sein effektives Weltreinvermögen ist der Steuerverwaltung jedoch unbekannt. Es geht also gar nicht in irgendwelche Berechnungen ein!

Wie sich diese Unschärfen und Vorbehalte auf das Ergebnis der Vermögensverteilung auswirken ist schwer zu beurteilen. Unbestritten ist, dass das Vermögen reicher Leute deutlich über dem steuerbaren Reinvermögen liegen dürfte, die von der Steuerverwaltung erhobenen Relationen zur Vermögensverteilung das Problem also verharmlosen und beschönigen.

Der Gini-Koeffizient

Die Berechnungen der Eidg. Steuerverwaltung seien nicht das Gelbe vom Ei. Der Gini-Koeffizient sei zutreffender. Ein Koeffizient, der nach Wissenschaft aussieht, dabei aber eher unvertraut ist und emotional wenig berührt. Was sagt er aus: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Gini-Koeffizient ist eine Kennziffer, benannt nach dem italienischen Professor für Statistik, Corrado Gini, entwickelt vor bald einem Jahrhundert. Die Idee: Wenn eine Person alles Vermögen besitzt, ist das Vermögen maximal ungleich verteilt, der Gini-Koeffizient gleich 1.0. Haben alle gleich viel Vermögen, ist der Gini-Koeffizient gleich 0.0. Je tiefer der Wert, desto gleicher die Vermögensverteilung.

Weltweit auf den hintersten Plätzen liegt die Schweiz mit einem Gini-Koeffizienten von rund 0.8. Noch weiter hinten liegen Staaten wie Kasachstan oder Simbabwe.

Simbabwe 50 Trillion Dollars 2008

In der Schweiz wird der Gini-Koeffizient aufgrund der Daten der Eidg. Steuerverwaltung berechnet. Die Basis wäre deckungsgleich mit allen erwähnten Unschärfen. Gemäss diesen Daten (Andreas Heller in NZZ Folio 3/2016)

  • besitzt das reichste Prozent rund 40% aller steuerbaren Reinvermögens. Ein Viertel der Haushalte versteuert kein Reinvermögen

Der Gini-Koeffizient kann auch für die Einkommensverteilung herangezogen werden. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Hier zeigt sich erstens, dass die verfügbaren Einkommen weniger ungleich verteilt sind als die Primäreinkommen, und dass zweitens die Einkommensverteilung in der Schweiz seit dem Jahr 2000 recht stabil verlaufen ist (Gini-Koeffizient knapp unter 0.3).

In der Kritik stehen in erster Linie die Boni-Exzesse bei den Banken und in der Pharmabranche. Toleriert werden hingegen Spitzeneinkommen im Sport, was im Grunde der Dinge auch schwer verständlich ist.

Die Herkunft der Grossvermögen

Dabei stellen sich zwei Fragen: Kommen sie aus einer Umverteilung von unten nach oben? Was ethisch und politisch untragbar wäre. Wichtig ist auch die Anschlussfrage: unterlag die Vermögensbildung der Steuerbelastung?

Die Vermögensbildung über Erwerbseinkommen und Kapitalertrag führt grundsätzlich zu steuerbarem Einkommen und damit zur Steuerbelastung. Die Vermögensbildung durch Wertzunahme ist jedoch überwiegend steuerfrei und spielt bei Grossvermögen eine bedeutende Rolle, namentlich in zwei Fällen:

  • Erstens beim erfolgreichen Unternehmertum. Mit der Zunahme des Steuerwertes der Aktien nimmt zwar die Vermögenssteuer zu, nicht jedoch die Einkommenssteuer (auf der Wertzunahme). Gleiches gilt für Investoren in börsenkotierte Anlagen, es nimmt das Wertschriftenvermögen zu, nicht jedoch das steuerbare Einkommen (solange sie nicht als Wertschriftenhändler qualifiziert werden). Trennt sich der Unternehmer oder Investor ganz oder teilweise von seinen Anlagen, ist der Kapitalgewinn steuerfrei. Die Schweiz kennt genügend solcher Beispiele. Steuerfrei sind ebenso Gewinne auf Sachwerten (wie Edelmetalle), solange damit keine professionelle Tätigkeit nachgewiesen werden kann. 
  • Zweitens haben Grundstücke und Liegenschaften in den letzten Jahrzehnten massiv an Wert zugenommen. Es steigt nur die Vermögenssteuer, nicht jedoch die Einkommenssteuer. Erst beim Verkauf fällt die Grundstückgewinnsteuer an, reduziert auf einen Teilbetrag (Rohgewinn), je nach Besitzesdauer (und wieder mit Ausnahme der Liegenschaftenhändler).

Der grösste Teil des Vermögens ist jedoch vererbtes Kapital, für direkte Nachkommen zum überwiegenden Teil erbschaftssteuerfrei übertragen. Nach Marius Brülhart ist jeder zweite Vermögensfranken vererbt. In diesem Jahr dürften es insgesamt 95 Milliarden Franken sein (Marius Brülhart zum Thema Erbschaftssteuern in NZZ vom 10.12.2019).

Auf jeden Fall ist bei vielen reichen Leute das vererbte Kapital wichtiger als das erarbeitete. Und die dynastische Konzentration von Grossvermögen spielt für die Schweiz eine herausragende Rolle.

Die Folgen der Vermögenspyramide

In einer freien Gesellschaft geht die Mehrheit davon aus, dass die soziale Ungleichheit vor allem auf Leistung und Arbeit beruht, nicht auf Abstammung und Erbe. Vom Ertrag des Kapitals zu leben statt vom Ertrag der Arbeit sollte dem Rentner vorbehalten sein.

Neid kommt auf, wenn die Vermögenden ihr Vermögen vorwiegend als Konsumvorrat betrachten und nicht mehr als von Generation zu Generation vererbbares Familienvermögen. Sieht man sich die Sonderausgabe der Bilanz an («Die 300 Reichsten»), fällt es wohl nicht allen leicht, dem teilweise zur Schau gestellten Status- und Konsumverhalten mit grossem  Verständnis zu begegnen; auch nicht, wenn Superreiche wie Bill Gates, Mark Zuckerberg, Elon Musk, Richard Branson, Warren Buffett und andere Milliardäre einen Teil ihres Vermögens für philanthropische Zwecke stiften.

Die unbegrenzte Vermögensanhäufung vergrössert die Ungleichheiten. Sie wird als ungerecht empfunden und wirkt damit destabilisierend. Reichtum bedeutet Macht, Einflussnahme über wirtschaftliche und politische Netzwerke, Kampf zur Erhaltung der gesellschaftlichen Vorteile und persönlichen Interessen zulasten gesamtwirtschaftlicher Ziele.  

Gemäss dem «Global Wealth Report» der Credit Suisse ist es seit hundert Jahren nie zu einer signifikanten Reduktion der Vermögensungleichheit gekommen.

Die Vermögensumverteilung durch Steuerpolitik

Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Bundessteuer und der Staatssteuer einerseits und der Vermögenssteuer und der Einkommenssteuer andererseits.

Auf dem Vermögen wird keine Bundessteuer erhoben. Hingegen ist die Bundessteuer auf dem Einkommen stark progressiv, aber nach oben gedeckelt (mit 11.5%). Trotzdem:

  • Rund 2 Prozent der Schweizer Bevölkerung besitzt rund die Hälfte des gesamten Reinvermögens, die obersten 10 Prozent bezahlt jedoch auch 80 Prozent der Bundessteuern

Das Vermögen wird besteuert durch die Kantone. Dafür entfällt die Erbschaftssteuer an direkte Nachkommen (fast ausnahmslos). Bezüglich Vermögensumverteilung stark wirksam ist jedoch die Einkommenssteuer, nicht die Vermögenssteuer. Je nach Wahl des Steuerdomizils fallen kantonal unterschiedliche Steuern an. Doch der Mittelstand, der an den Arbeitsort gebunden ist, kann das Steuerdomizil nicht wählen.  

Die Steuern und Abgaben beim oberen Mittelstand verhindern eine beachtliche Eigentumsbildung schon im Ansatz. Wer ein wenig mehr hat, dem wird es wegbesteuert. Nach Steuern, Sozialabgaben und Krankenkassenprämien bleibt kaum noch etwas übrig für die Eigentumsbildung (Die Leistungsträger in der Steuerfalle).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass sich die Lebensentwürfe geändert haben. Der «Wohlstand» lässt es für junge Familien zu, grössere Wohnungen zu beziehen, längere Ferien und weitere Reisen zu machen, teurere Fahrzeuge zu leasen. Konsumverzicht zum Zwecke der Eigentumsbildung (und der Risikoabfederung) fällt heute schwerer als in der Vergangenheit. Im Notfall soll es der Staat richten.

Die Erbschaftssteuern als Alternative zur Vermögenssteuer sollte in Erwägung gezogen werden. Die Erbschaftssteuer ist kaum leistungshemmend (Steuerreform). Allerdings sei wissenschaftlich nicht erwiesen, dass hohe Erbschaftssteuern die Vermögensungleichheit verringern (Marius Brülhart a.a.O.). Aber auch eine Kapitalgewinn- und/oder Beteiligungsgewinnsteuer mit hohem Freibetrag könnte die Leistungsträger im Mittelstand von übermässigen Einkommenssteuern entlasten.

 

Kein Treten an Ort

Wollen wir für die Schweiz auch in Zukunft eine Vermögenspyramide wie in einer Bananenrepublik? Warum in aller Welt überlässt man diese Frage dem Politbetrieb? Was dabei herauskommt ist längst bekannt: ein Verteilkampf zwischen links und rechts, mit der ganzen Verlogenheit taktischer Kommunikation.

Wer den Kapitalismus überwinden will, ist für die Bildung von Eigentum nicht zu haben. Auch nicht, wenn es um eigene Parteigenossen geht. Eigentum führt zu Unabhängigkeit und ein wenig Freiheit. Nicht alle sehen hier Vorteile. Im Gegenteil, sie wollen eingreifen, überwachen und steuern (Der Überstaat). Natürlich könnte man eine Art Reichensteuer einführen, wie es zurzeit in Deutschland diskutiert wird. Es wäre jedoch ein Griff in die Mottenkiste des Klassenkampfs.

Lässt man alles wie bisher, wird es eines Tages zur politischen Radikalisierung kommen. Denn die Konzentration der Vermögen kennt keine Grenzen. Was sollte man tun?

  1. Ein erster Schritt wäre, sich dem Problem zu stellen. Wir tun es nicht! Aus Respekt oder doch eher Angst vor den herrschenden Macht- und Besitzstrukturen.
  2. Unerlässlich wären zweitens zuverlässige Daten zur Vermögensverteilung. Viele wollen auch das nicht, schlafende Hunde soll man nicht wecken.
  3. Der Fokus der Lösungen müsste drittens die Eigentumsbildung an der Basis sein. Sie ist zu fördern und nicht zu behindern. Eine Vermögensumverteilung an der Spitze durch konfiskatorische Massnahmen soll es ausdrücklich nicht sein.
  4. Im Zentrum der Massnahmen könnte viertens die Steuerpolitik sein, flankiert durch die Sozialpolitik. Und natürlich betrifft es auch die Staatsquote, die Aufgaben und Ausgaben des Staates.

Kann die Schweiz eine solche Aufgabe noch stemmen? Wir sitzen auf einem Pulverfass.

10.07.2020/Renzo Zbinden

Unsere Freiheit – wieviel darf es noch sein?

Bundesverfassung Art.10: Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit

2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.

Die persönliche Freiheit ist eine Errungenschaft, für die viele lange gekämpft haben. Sie ist schnell verspielt, wenn wir jene darüber bestimmen lassen, die sie weder verstehen noch verdienen.

Sie sind mitten unter uns.

Die Wegbereiter des Glücks

Sie glauben zu wissen, was richtig ist und was glücklich macht. Ihre politische Heimat ist die extreme linke und die extreme rechte Schmuddelecke. Hinzu kommen religiöse Heilsbringer, die frei von politischen Zielen bestimmen wollen. Über Jahrhunderte haben sie uns Unglück gebracht. Je überzeugter ihr Auftreten war desto fataler waren die Folgen. Auch Gutmenschen und grüne Vordenker nehmen sich das Recht, autoritär und dogmatisch zu fordern, was sie für richtig halten. Sie sprechen Denkverbote aus und verlangen Political Correctness. Selbstzweifel sind ihnen fremd.

Die Wegbereiter des Glücks schränken mit ihrem Tun unsere persönliche Freiheit ein, immer mehr. Von der Wiege bis zur Bahre soll der Staatsbürger geführt und behütet werden, und zwar nach ihren Vorstellungen von Glück, Zufriedenheit und Gerechtigkeit. Andersdenkende werden als Ewiggestrige abqualifiziert. So einfach ist das, für die Oberlehrer der Nation.

Die verlorenen Freiheitsrechte

Heute wird geregelt und verordnet bis alle Ermessensspielräume verschwinden. Wer als Beispiel eine Liegenschaft baut, versteht die Welt nicht mehr:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die volle Wucht des Staates erfährt, wer in städtischen Gebieten ein Mehrfamilienhaus errichten will, als Ersatz für ein altes. Es beginnt damit, dass die Altmieter Rechte für sich in Anspruch nehmen, die man so nicht erwarten konnte. Ausziehen schon, aber erst nach 3 bis 4 Jahren. «Eine so günstige Wohnung ist eine Seltenheit, alles so nah, so ruhig und dazu noch der schöne Garten und die sympathischen Nachbarn». Der seinerzeit unterzeichnete Mietvertrag mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten ist nur noch Makulatur, «pour la galerie». Dazu kommen die fundamentalen Einsprachen der Nachbarn, die endlosen Bauvorschriften und die folgenschwere Macht der Baubehörde.

Eine von ihrer Mission beseelte Baubehörde schnürt ein immer engeres Regulierungskorsett. Das Baurecht bekommt schlussendlich eine neue Bedeutung, es wird zum behördlichen Gnadenakt. Professionelle Bauherren wie Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen können damit besser umgehen als unerfahrene private. Diesen fehlen die Hausjuristen und das Netzwerk, um Gegendruck aufzusetzen.

Es gibt immer auch gute Gründe, die Freiheit einzuschränken: die Gesundheit, was wir mit der Pandemie erleben, die Umwelt, die Sicherheit, der Wettbewerb, der soziale Ausgleich, die Ethik. Eigentlich sollte die Reglementierung das Leben einfacher machen, die Zentralisierung effizienter, die Harmonisierung gerechter, doch alle drei führen in die Planwirtschaft. Worin besteht sie noch, die übrig gebliebene Freiheit? Steht uns ein alles dominierender Sozialstaat bevor, wenn wir uns ohne Widerstand treiben lassen? Es sieht so aus.

Grenzen der persönlichen Freiheit

Unbestritten ist oder sollte sein: Die persönliche Freiheit muss erstens auf das Allgemeinwohl Rücksicht nehmen. Wer Freiheitsrechte für sich in Anspruch nimmt, muss diese zweitens auch anderen gewähren.

Toleranz ist ein zentrales Element, doch schwer zu deuten. Tolerant ist, wer für sich selbst von seiner Wahrheit überzeugt ist, aber mit Rücksicht auf die Freiheit des anderen diesem seine persönliche Wahrheit nicht aufzwingt.

Die Toleranz entspringt nicht der Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit, sondern der Achtung der Freiheit des Andersdenkenden.

Soll man der Intoleranz mit Toleranz begegnen? Darf man als Beispiel den radikal politischen Islamismus tolerieren – eine gewaltsam umgesetzte Wunschvorstellung einer Rückkehr in die Vergangenheit? Und wie begegnet man einer radikal konservativen Haltung?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Konservative verstehen die Gesellschaft als eine Art Erbe, das ihnen anvertraut ist und wofür sie Verantwortung tragen. Brauch und Tradition wollen sie auf dem Weg der Verhandlungen der Moderne anpassen. Sprunghaften Veränderungsanforderungen begegnen sie mit grosser Skepsis.

Wer tolerant ist sucht seine Freiheit vorerst bei den Liberalen.

Die Liberalen

Sie haben die Bundesverfassung entscheidend geprägt. Und nicht aus Zufall halten wir bis heute den freiheitsliebenden Wilhelm Tell und die wehrhafte Helvetia täglich in unseren Händen.

Bargeld ist geprägte Freiheit

Die Liberalen akzeptieren die Gleichwertigkeit aller Meinungen. Sie wollen nicht ihre Wahrheit mit den Zwangsmitteln des Staates ihren Mitbürgern aufzwingen. Denn für die Liberalen ist es wesentlich, dass der Staat offenlässt, wie man glücklich wird. Für sie hat das Individuum Vorrang vor dem Kollektiv.

Der liberale Staat soll das Zusammenleben der Menschen mit unterschiedlicher Wahrheitsüberzeugung in rechtlich anerkannter Freiheit möglich machen, unter der beständigen Wachsamkeit der öffentlichen Meinung. Und wo stehen wir heute?

Die übermässige Umverteilung als Fernziel

Ein Staat, der seinen Bürgern im Durchschnitt bald einmal 50% an Einkommen entzieht (mit direkten und indirekten Steuern, Gebühren, Abgaben, Vorsorgebeiträgen und Krankenkassenprämien) sollte sich hüten, die Staatsquote (Fiskalquote) weiter zu erhöhen. Die vollkommene Umverteilung kann kein Fernziel sein. Es braucht auch den Willen zu sozialstaatlichen Beschränkungen.

Die Umverteilung von reich zu arm ist für viele eine Selbstverständlichkeit, schon fast ein Glaubensbekenntnis. Für eine Gesellschaft wird sie dann zum Problem, wenn sie auf einer politischen Melkstrategie beruht. Erfolgt die Umverteilung vom Leistungsträger zum Leistungsrelativisten, bzw. vom über den Tisch gezogenen Steuerzahler zum unkritischen Steuerkonsumenten in ungebremster Form, kommt es zu einer Leistungsverweigerung. Der Steuerzahler reduziert seine Arbeitszeit auf 80% oder weniger, verzichtet auf eine Karriere oder tritt früher in den Ruhestand. Wir sind auf diesem Weg. https://imvisier.ch/die-leistungstraeger-in-der-steuerfalle/

Die als ungerecht empfundene Umverteilung des Einkommens und des Vermögens ist eine subtile Form der Enteignung durch den Staat, von dem eigentlich erwartet wird, dass er das Privateigentum schützt.

Bestimmen mächtige Minderheiten oder grosse Interessengruppen über fremdes Geld oder suchen Mehrheiten von Stimmbürgern die kollektive Selbstbescherung wird unser Wohlfahrtsstaat geplündert.

Wenn der Mittelstand aufgerieben wird, wenn seine Ersparnisse keine Zinsen mehr abwerfen, dann glaubt der Mittelstand nicht mehr an einen liberalen Staat.

Freiheit für alle?

Freiheit setzt Bildung, Sozialstaat, Wohlstand und Rechtsstaat voraus. Schulen von der Grundschule bis hinauf zu den Hochschulen und Universitäten sollen allen offen stehen. Soziale Notstände sollen abgefedert werden (mit der Arbeitslosenversicherung, der Unfallverssicherung, der Krankenpflege und den Altersrenten)

Zusätzlich fordern die Wegbereiter des Glücks soziale Gerechtigkeit.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Über Gerechtigkeit ist schon viel geschrieben worden, obwohl es sie gar nicht gibt. Die Ungerechtigkeit beginnt schon bei der Geburt und begleitet uns durch das ganze Leben. Es gewinnt in der Regel der Stärkere, ein Naturgesetz.

Die Freiheit ist nicht kostenlos und nicht ohne Bürde. Ein Leben in Freiheit ist ein Leben in Eigenverantwortung, verbunden mit einer existentiellen Ungewissheit. Freiheit ist anstrengend und nicht ohne Risiko.

Freiheit wird auch missverstanden. Eine Gesellschaft ohne Leistungsanreize macht nicht frei. Zu viele sind heute bereit, ihre persönliche Freiheit einzutauschen gegen eine vermeintliche ökonomische Sicherheit. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann sich im Verlaufe der Digitalisierung als notwendig erweisen, aber frei macht es nicht, es schafft neue Abhängigkeiten (vom Staat).

Im Grunde der Dinge müsste eine breite Öffentlichkeit erkennen und die Politik bestimmen, wieviel soziale Gerechtigkeit zulasten der persönlichen Freiheit eingeräumt werden soll. Dabei geht es immer um das Suchen und Finden der «richtigen» Balance zwischen Individuum und Staat.

Gelenkte Unfreiheiten

Wer eine Gemeinschaft durch immer mehr Gebote und Verbote lenken will, wird scheitern. Denn er geht von einem idealisierten Menschenbild aus. Es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass die Mehrheit der Menschen in erster Linie ihre persönlichen Vorteile sucht (für sich, die Familie, die Freunde, das Dorf, den Staat). Da es ums Überleben geht, kann man es den Menschen schwerlich anlasten. Und wer nur für andere da sein will, macht sich selbst glücklich, findet dabei seine persönliche Zufriedenheit, sonnt sich in seiner moralischen Überlegenheit. Auch diese Haltung ist selbstbezogen.

Ist der liberale Staat nur noch ein Feigenblatt, nur noch da, Strukturen zu erhalten? Dabei wären grosse Probleme zu lösen: die Steuerreform, die Rentenreform, die Energiewende, die Agrarpolitik, die Europapolitik als Beispiele.

Ist es wirklich so, dass wir noch korrigierend eingreifen könnten, wenn wir nur wollten? Mit Initiativen, Referenden und Vorstössen? Kommen überhaupt noch die wichtigsten Abstimmungsthemen vors Volk? Oder geht es nur noch um unbedeutende Themen wie Tempolimiten im Agglomerationsverkehr?

Die westlichen Demokratien befinden sich auf dem Rückzug, bedrängt von verunsicherten Stimmbürgern, autokratischen Staatswesen, selbstgerechten Eliten, Einparteien-Regimes, Notstandsverordnungen. Immer weniger Freiheit als Antwort auf diese Probleme. Und wer wehrt sich heute noch für die persönliche Freiheit, für eine kreative Vielfalt, für alternative Lebensentwürfe und einen Pluralismus der Meinungen?

Gedenkmünze 5 Franken 1941

In einer Demokratie sind der Staat und die Politiker für den Bürger da, nicht umgekehrt. Nimmt man dem Bürger die persönliche Freiheit, verliert er an Würde und Respekt. Und er hat schon viel verloren, zu viel.

10.05.2020/Renzo Zbinden

Der Überstaat – China als Endziel?

Frühjahr 2020, China macht es vor: Die Reisebeschränkungen in der Provinz Hubei werden gelockert. Wer einen grünen Code auf dem Handy-Bezahlsystem «Alipay» hat, darf die Provinz verlassen. Wer einen roten oder gelben Code hat, muss warten. Grundsätzlich eine hervorragende Art, Corona-Ansteckungen zu verhindern. Doch mit welchen Folgen? Es lohnt sich, nach Antworten zu suchen.

Facial Recognition – lächelnde Gesichter

In China ist der bargeldlose Einkauf schon fast die Regel, wobei bargeldlos nicht bedeuten muss, mit Kreditkarten zu bezahlen. Chinesen bevorzugen Smartphone-Apps wie «WeChat» oder eben «Alipay».(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer in China einen neuen Handyvertrag abschliessen will muss sein Gesicht scannen lassen, damit später die Übereinstimmung zwischen dem offiziellen Ausweis und der vorweisenden Person geprüft werden kann. SIM-Karten können auf diese Weise nicht weiterverkauft bzw. mit gestohlenen Identitäten keine Einkäufe mehr getätigt werden.

Doch Handy-Bezahlsysteme braucht es in Zukunft auch nicht mehr, die Entwicklung geht weiter in Richtung «Smile to Pay». Der Käufer tritt vor die Kamera und lächelt. Die Gesichtserkennung löst die Zahlung aus.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bei der Gesichtserkennung werden die Abstände verschiedener Punkte im Gesicht vermessen, so beispielsweise die Breite der Nase. Jedes Gesicht erhält auf diese Weise einen unverwechselbaren Code, den «Face Print». Je mehr Punkte im Gesicht vermessen werden, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, die vor der Kamera stehende Person richtig zu identifizieren.

Die Gesichtserkennung dient auch zum Einchecken in Hotels oder als Boarding-Pass beim Fliegen. Wer ein Warenhaus betritt wird mit Namen begrüsst, im Hintergrund das ihm bekannte Verkaufspersonal aufgeboten und personalisierte Angebote vorbereitet. Erfahrene Verkäufer, vertraute Ware, hohe Kundenzufriedenheit. Auch im Restaurant: persönliche Begrüssung und Bedienung, individuelle Menüvorschläge gestützt auf frühere Bestellungen.

Was auf den ersten Blick als effizient und sinnvoll erscheint, birgt jedoch gewaltige Risiken. Wie uns bekannt wird die Datenspur, die der Kunde durch sein Verhalten hinterlässt, analysiert, verwertet (und allenfalls weiterverkauft). Gestützt auf Big Data erstellen globale Technologiegiganten bereits heute Bewegungs-, Verhaltens- und Persönlichkeitsprofile.

Die Kommerzialisierung des Privaten durch digitale Geschäftsmodelle ist nicht neu, der Missbrauch der Datenflut zu staatspolitischen Zwecken hingegen schon. Die mehr oder weniger unkontrollierte Verletzung der Privatsphäre zu nicht kommerziellen Zwecken führt in eine Zukunft, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten.

Die monumentale Datenkrake als Herrschaftsinstrument

Die Kommunistische Partei Chinas hat schon vor Jahren die Chancen erkannt, das Verhalten der Einwohner zu überwachen und in ihrem Sinne zu lenken. Das heutige Überwachungssystem ist digitalisiert und aufgrund der technologischen Möglichkeiten völlig entpersonalisiert. Es stehen keine Personen mit emotionalen Regungen hinter dem Überwachungssystem, keine Personen mit ethischen Ansprüchen, mit Gespür für Zusammenhänge (wie dies bei Blockwarten der Fall war), nur die hoch entwickelte Hard- und Software in Verbindung mit der künstlichen Intelligenz. Wobei der Begriff «nur» zu relativieren ist.

Das Überwachungssystem verfügt über 600 Millionen Kameras. Dem Auge des Staates bleibt nichts verborgen. Der Polizeistaat begleitet seine Einwohner rund um die Uhr. Um die Summe der Beobachtungen zu quantifizieren und zu qualifizieren, braucht es ein Punktesystem, ein Rating, gestützt auf Algorithmen:

 «Citizen Score»

Vorbild für «Citizen Score» ist eine Variante, die der Onlinehändler Alibaba einsetzt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Über das eingangs erwähnte Bezahlsystem Alipay vermittelt Alibaba den «Sesame Credit», gestützt auf eine «erworbene» Bonitätsskala. Je nach Anzahl Punkte erhält der Kunde einen Sofortkredit unterschiedlicher Höhe und unterschiedlicher Verzinsung. Oder es ist einfacher, ein Auto zu mieten, ohne Kaution oder ein Visum zu erhalten.

Wer sich im Sinne der Partei verhält, wird belohnt, wer nicht, hat die Konsequenzen zu tragen. Als Beispiel hängen die Punkte davon ab, welche Websites häufig besucht werden. Wer Computerspiele einkauft sinkt im Rating, wer Windeln einkauft steigt im Rating. Dahinter steht der Gedanke, dass Eltern verantwortungsvoller sind als Personen, die ihre Freizeit vor dem Computer mit Videospielen verschwenden. Das Rating lässt sich verbessern durch ehrenamtliche Engagements für die Gesellschaft oder für die Partei, Spenden für wohltätige Zwecke, Blutspenden oder was auch immer. Ein hohes Rating öffnet den Weg zu einem privilegierten Leben, besseren Schulen für die Kinder, eine gehobene Gesundheitsversorgung oder für eine Beschäftigung bei Regierungsstellen oder Staatskonzernen.

Welche Daten mit welcher Gewichtung erfasst werden bleibt intransparent. Man geht davon aus, dass insbesondere solche über die Vertragstreue und die Zahlungsfähigkeit, die persönlichen Kontakte und über das Verhalten erfasst werden. Hinzu kommen Daten aus dem Strafregister, der Krankenkasse, der Rentenversicherung und weitere aus staatlichen Institutionen.

Der Druck, das persönliche Rating bekannt zu geben ist gross. Wer will schon Mitarbeiter mit einem schlechten Rating. Denn die Unternehmen selbst sind Gegenstand eines Ratings.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

CSCS – das «Corporate-Social-Credit-System» ist ein digitales Überwachungssystem, welches das Verhalten von Unternehmungen bewertet und als Folge belohnt und bestraft. Mutiert wird die Datenbank durch die Behörde (wie Finanzämter, Börsenaufsicht).

Belohnt wird u.a. durch Steuergeschenke, bestraft durch den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

The Peoples Bank of China – 100 Yuan 1990

Die digitale Diktatur

Gelingt es China, das Verhalten der Gesellschaft zu verändern? Man kann es nicht leugnen: mit Sicherheit ja. CSCS ist ein Lenkungsinstrument, um die Effizienz auf Stufe Wirtschaft zu steigern. Auch die gesunde Ernährung lässt sich steuern, umweltbewusstes Verhalten ebenso, der soziale Frieden teilweise auch. Was die Auswirkungen auf den persönlichen Wohlstand sind (das Bruttosozialprodukt pro Kopf), die Lebensdauer und die persönliche Zufriedenheit, ist eine andere Frage.

Die freie Wirtschaftsordnung des Westens mit seinen komplizierten Entscheidungsprozessen und seinen weitgehenden Datenschutzgesetzen kann hier nicht gleichziehen. Und die Schweiz ist nicht China.

China ist ein riesiges Land mit extremer Migration und mit gigantischen Ballungszentren, ein Land mit gewaltigem Wachstum und kaum unter Kontrolle zu haltender Korruption. Die Herrschafts- und Machtinstrumente können nicht ähnlich sein. Vergleichen wir trotzdem:

Darf man erwarten und muss man befürchten, dass ein Polizeistaat chinesischer Prägung dank hochentwickelter Überwachungs- und Führungsinstrumente nicht heute aber in Zukunft der freien sozialen Marktwirtschaft überlegen sein wird? Ermöglicht «Citizen Score» bedürfnisgerechtere Angebotsstrukturen, eine gesündere Lebensführung, zwar weniger Freiräume, jedoch gerechtere Wohlstandsverteilung? Der Anspruch ist auf jeden Fall unerhört.

Da errichtet ein Staat, der sich der Kontrolle der Bürger entzieht, die Meinungs- und Pressefreiheit verhindert, ein allgegenwärtiges Überwachungssystem, um eben diese Bürger zu bevormunden – eine eigentliche Verhaltensdiktatur, einen Überstaat.

Machtverschiebungen zugunsten von Staat und Gesellschaft – ein Vorbild?

Was erwartet uns nach Covid-19? Für eine Prognose ist es noch zu früh. Naheliegend ist die Vermutung, dass der Staat gestärkt aus dieser Krise hervorgeht und die Wirtschaft geschwächt. Der Staat hat sich Rechte geholt, die er behalten will, in die Wirtschaft eingegriffen, wo es ratsam erschien. Lenkungs-Politiker werden sich bestätigt sehen, Wirtschaftsliberale werden es nicht einfach haben. Die Erwartungen an den Staat werden nicht zurückgehen, im Gegenteil. Der Überstaat soll es richten, individuelle Notlagen ausgleichen, nicht nur auf Zeit, sondern auch langfristig durch immer umfassendere Umverteilung.

Beispiele dafür können sein: das bedingungslose Grundeinkommen, der Verzicht auf Bargeld, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, die Entglobalisierung, Lieferketten im Pharmabereich, Auslagerung von Arbeitsplätzen Richtung Home-Office, Direktlieferungen an Haushalte, der Verzicht auf Flugreisen, Pflichtlagerhaltung, Schulwesen, die Schuldenbremse, wohl kaum ein Bereich wird unverändert aus der Corona-Krise hervorgehen.

Keine Arbeitgeber sollen Konkurs gehen und keine Arbeitnehmer ihre Stelle verlieren! Es sollen die Konjunkturrisiken der Arbeitgeber und die Arbeitsrisken der Arbeitnehmer an eine wohlmeinende und gütliche Obrigkeit abgetreten werden. Der Sozialstaat soll es richten, mit einem starken Fokus auf die Umverteilung und verklärt durch ideologische Programme. Der Überstaat als Endziel?  

Wer stemmt sich dagegen?

11.04.2020/Renzo Zbinden

Die Bilanzgläubigkeit – eine fatale Dummheit?

Die Bilanz ist so alt wie die doppelte Buchführung, sehr alt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Luca Pacioli (geboren um 1445 in der Toskana), Mathematiker und Franziskaner, hat bereits im Jahr 1494 die doppelte Buchführung beschrieben.

Sie war ursprünglich eine Gegenüberstellung des Vermögens und der Schulden. Das ist sie heute noch, doch heute ist sie so komplex wie die bilanzierende Gesellschaft selbst und dazu noch hoffnungslos überreguliert durch Rechnungslegungsstandards. Sie bleibt zwar lesbar, verständlich aber nur noch für wenige Experten, jedenfalls bei börsenkotierten Gesellschaften ab einer gewissen Grössenordnung.

Komplex und überreguliert ginge noch. Der Glaube an die Bilanz – die Bilanzgläubigkeit – wird jedoch zum Problem, wenn sie mit der Erwartung verbunden wird, Auskunft über die wirtschaftliche Lage einer Unternehmung zu erhalten.  Kennzahlen zur Finanzierung, Liquidität und Rentabilität sollen die Analyse erleichtern. Diese bilden wiederum wichtige Entscheidungsgrundlagen für weitere Massnahmen (wie die Unternehmungsführung oder der Kauf von Unternehmungen).

Doch kann die Bilanz diese Erwartungen erfüllen? Steht sie da wie ein Leuchtturm, in guten Zeiten als Bestätigung des bisher Erreichten und in schlechten Zeiten als Orientierung über allfällige Kurskorrekturen? Nein.

Die Bilanz – ein Blendwerk

In den letzten Jahrzehnten sind global grosse Anstrengungen unternommen worden, die Wertbestimmung der Bilanzpositionen von der Willkür des Bilanzierenden zu befreien. So sind der Bildung und Auflösung stiller Reserven enge Grenzen gesetzt worden. „True and fair“ soll sie sein.

In diesem Sinne bestätigen die Abschlussprüfer, dass die Bilanz ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens- und Finanzlage vermittelt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dabei wird leicht übersehen, dass die Abschlussprüfer in erster Linie die Übereinstimmung der Bilanz mit einem „true and fair“ Regelwerk prüfen und bestätigen (wie Swiss GAP FER, IFRS, US-GAAP). Die Bilanz ist somit so „true and fair“ wie der gewählte Rechnungslegungsstandard es zulässt.

Finanzanalysten und -journalisten übernehmen diese Bilanzen als Grundlage ihrer Berichterstattung, zusammen mit der Erfolgsrechnung, der Kapitalflussrechung und dem sog. Anhang, und vermitteln gestützt auf diese Informationen Aussagen über die Werthaltigkeit und -entwicklung einer Unternehmung.

Entgegen der allgemeinen Auffassung zeigt die Bilanz jedoch nur teilweise die effektive Vermögens- und Finanzlage einer Unternehmung. Dies führt zu markanten Fehlentscheidungen in der Beurteilung der Finanzstruktur und der potentiellen Ertragsentwicklung. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nur am Rande sei vermerkt, dass auch die oberste Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat bilanzgläubig sind. Das hängt auch damit zusammen, dass Banken und Aktionäre diese Bilanzen erhalten und auf diese basierend argumentieren.

Es sind im Wesentlichen zwei Aspekte, die eine Beurteilung erschweren bzw. zu Fehlinterpretationen führen: die laufend an Bedeutung zugenommene Goodwill-Bilanzierung zum einen und die ausbleibende Bilanzierung von Human Assets zum anderen.

Um es vorwegzunehmen: es sind keine Kleinigkeiten, keine bilanztechnischen Unschönheiten für Bilanztechnokraten – es sind kapitale Fehler.

Die Goodwill-Falle

Beim Goodwill handelt es sich um immaterielle Werte wie erworbene Patente und Lizenzen. Diese stellen keine Probleme, sie können aktiviert werden. Probleme ergeben sich aus der Goodwill Aktivierung im Zusammenhang mit dem Kauf von Unternehmungen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Goodwill aktiviert werden jene Aufpreise zum Substanzwert der übernommenen Unternehmung, die beim Kauf bezahlt werden. Einfach gesagt entspricht der Goodwill der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Eigenkapital der erworbenen Unternehmung (berechnet nach effektiven Werten).

Sind die Gewinnerwartungen hoch, nimmt der Goodwill zu. Der Goodwill ist damit eine Wette auf höhere Erträge. Gründe dafür können sein: erwartete Synergien, übernommene Kunden (Key Accounts), erworbene Marken, Technologien und das bestehende Management Know How (Humankapital).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Gerade im High Tech Bereich werden enorme Goodwill Beträge bezahlt. Im Extremfall ist fast alles Goodwill, man erwirbt nur noch den Business-Case (im schlechtesten Fall nur noch heisse Luft).

Altaktionäre werden Millionäre oder sogar Milliardäre. Die Kehrseite der Medaille: der Goodwill landet in der Bilanz der übernehmenden Unternehmung in den Aktiven (im Anlagevermögen).

Der Vertrauensschwund

Die Werthaltigkeit dieser Goodwill Position muss regelmässig überprüft werden.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Berechnung erfolgt mit dem sog. Impairment Test, gestützt auf eine Discounted-Cashflow-Methode. Ergeben sich Abweichungen zu dem beim Kaufzeitpunkt berechneten Entwicklungspotential (z.B. reduzierte Umsatzerwartungen), müssen Abschreibungen vorgenommen werden.

Im Extremfall ist die Goodwill-Position vollständig und zulasten des Jahresgewinns abzuschreiben. Betroffen ist vorwiegend der Biotech-, Technologie- und Pharmabereich. Bei Novartis als Beispiel drücken Korrekturen auf 74 Mia CHF bilanzierten Goodwill.

Wird die übernommene Gesellschaft integriert (fusioniert) oder mindestens Teile davon (durch operative oder strategische Entscheide), wird es immer schwieriger, die Werthaltigkeit nachzuprüfen bzw die Notwendigkeit und Höhe von Goodwill-Abschreibungen zu berechnen. (Bei Swiss GAP FER kann der Goodwill entweder gewinnwirksam abgeschrieben (über 5, 10 oder 20 Nutzungsjahre) oder direkt über das Eigenkapital verrechnet werden). 

Nun ist augenfällig: ist der Goodwill prozentual zu den Gesamtaktiven gering, sind es auch die Risiken einer Fehlbewertung. Erstaunen muss jedoch das Ausmass sowohl in absoluten wie in relativen Zahlen. Als Beispiel lag der aktivierte Goodwill  im Biotech Bereich in Milliardenhöhe und bei den SMI-Gesellschaften Adecco, Geberit, ABB, Swisscom, Lonza, SGS, Givaudan im Geschäftsjahr 2017 zwischen 50 und 80% des Eigenkapitals!

Das Bewertungsproblem ist bei Experten der Rechnungslegung längst erkannt. (Die höhere Gestaltungsfreiheit bei der Goodwill Bilanzierung wird häufig als Argument genannt, um vom IFRS zum Swiss GAP FER zu wechseln). Weniger bis unbekannt ist hingegen die zweite Fehlerquelle, die fehlende Bilanzierung von Human Assets.

Das intellektuelle Leistungspotential als Bilanz-Messgrösse

In der heutigen Überliquidität der Finanzmärkte verliert erstens die Fähigkeit, Investitionen zu finanzieren zunehmend an Bedeutung. Und zweitens ist der Produktionsprozess an sich (die optimale Kombination der Produktionsfaktoren) in Zeiten einer allgemein erkannten und bekannten „best practice“ immer mehr zu einer Commodity geworden (austauschbar), jederzeit und allerorts kopierbar.

Grundsätzlich können es alle, oder zumindest viele.

Hingegen gewinnt „the firm’s biggest asset: our people“ (Goldman Sachs), das Gehirn des Unternehmens, an Bedeutung.

Damit sind wir beim intellektuellen Leistungspotential. Es summiert die Arbeitsenergie und -freude, die Intelligenz, Lernbereitschaft, Kreativität und Motivation aller Arbeitnehmer (ergänzt auf der mittleren und oberen Managementstufe durch die vorhandene operative und strategische Exzellenz). Es summiert ausserdem ein hohes Verantwortungsbewusstsein und eine hohe Integrität gegenüber den Stakeholdern. Über alles gesehen bestimmt das intellektuelle Leistungspotential die Umsatzfähigkeit im Markt.

Die Fähigkeit, Kunden zu überzeugen, potentielle Kunden zu gewinnen, die Entwicklung der Produkte und Märkte innovativ zu antizipieren, ist alles andere als eine Commodity. Die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren (im War for Talents), sie zu entwickeln (Personal Development) und letztlich auch zu behalten (Unternehmenskultur und Leistungsentschädigung) ist ein strategischer Erfolgsfaktor erster Priorität.

Human Assets in der Bilanz

Doch wo findet sich dieser Erfolgsfaktor in der Bilanz, namentlich heute, wo der Dienstleistungssektor immer mehr an Bedeutung gewinnt und der kapitalintensive Produktionsprozess zunehmend in die Schwellenländer ausgelagert wird? Nirgends.

Wäre man in der Lage, Investitionen in das Human Capital zu quantifizieren – nach festgelegten Rechnungslegungsstandards – und den Bilanzaktiven anzuhängen, würde hieraus eine Bilanzverlängerung resultieren: Immaterielle Güter auf der Aktivseite und zusätzliches Eigenkapital auf der Passivseite.

Die Bilanz gibt jedoch nicht ansatzweise Auskunft über Human Assets Bestände oder Veränderungen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zwei Beispiele aus der Praxis:

Adecco wechselt die Unternehmungsspitze aus (Mai 2015). Sowohl der CEO als auch der CFO verlassen den Personalvermittler, für Aussenstehende völlig überraschend. Der Aktienkurs bricht ein, Auswirkungen auf die Bilanz: keine.

Mehrere Spitzenleute wollen nicht mit Coutts International zur Schweizer Privatbank UPB wechseln (Mai 2015). Der Aderlass von Coutts-Leuten auf die Bilanz: keine.

Die Killer-Argumente

Warum kann man Investitionen in das Human Capital nicht aktivieren und je nach Entwicklung zu- oder abschreiben? Oder an praktischen Beispielen: Weiterbildungskurse für Robotik, die Anstellung von absoluten Spitzenleuten im War for Talents, grosse Investitionen in die Organisationsentwicklung, in das  Change Management, in das Innovationsmanagement, Antrittsentschädigungen, Abwerbungsprämien, eben alles, wozu es besondere Ausgaben verlangt um an der Spitze der technologischen und anderer Wettbewerbspositionen zu bleiben?

Es geht hier schliesslich nicht um Investitionen in die Bürolandschaft (die aktiviert werden dürfen), es geht hier um Investitionen in die Kernfähigkeiten, in die Soft Kills, die in den letzten Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Was spricht eigentlich dagegen?

Die Antwort: so ziemlich alles, was sich gescheite Experten einfallen liessen.

Experten – was für Experten?

Experten in der Rechnungslegung. Wann und welche immateriellen Vermögenswerte aktiviert werden dürfen, ist in Standards festgehalten und wird nicht dem Zufall und nicht dem Wunschdenken der Bilanzierenden überlassen.

Jamaica 100 Dollars 190

Unter Druck kommen sie langsam beim Profifussball(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die drei englischen Topvereine Manchester United, FC Chelsea und Arsenal London haben einen kumulierten Schuldenstand in Milliardenhöhe. Das Eigenkapital ist aufgezehrt, die Bilanzen sind überschuldet. Ihr Wunsch, die Spielerwerte als Vermögenswerte zu aktivieren, ist verständlich. Die Literatur darüber ist schon beachtlich.

Was ist aktivierbar?

Zurück zum intellektuellen Leistungspotential. Um es zu wiederholen: Die Fähigkeiten, Kunden zu behalten und potentielle Kunden zu gewinnen, die Entwicklung der Produkte und Märkte innovativ zu antizipieren – nicht aktivierbar. Ebenso wenig die Fähigkeiten, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren, zu entwickeln und zu behalten, das Human Capital Management (HCM) an sich – alles nicht aktivierbar. Auch die Aktivierung von Aufwand für allgemeine Forschungstätigkeiten – nicht aktivierbar. So will es das Schweizer Obligationenrecht und die darüber hinausgehenden Standards, Swiss GAAP FER und ISRF(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nach Swiss GAAP FER dürfen selbst erarbeitete immaterielle Werte nur aktiviert werden, wenn sie

  1. identifizierbar sind
  2. dem Unternehmen zustehen
  3. einen für das Unternehmen messbaren Nutzen über mehrere Jahre erbringen
  4. die zur Anschaffung des immateriellen Wertes angefallene Aufwendungen separat erfasst und gemessen werden können und
  5. es wahrscheinlich ist, dass die zur Fertigstellung und Vermarktung oder zum Eigengebrauch des immateriellen Wertes nötigen Mittel zur Verfügung stehen oder zur Verfügung gestellt werden

Diese Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein (Swiss GAAP FER 10 Ziff. 4).

Die Mehrheit der vorgenannten Bedingungen liesse sich vermutlich – mit gutem Willen erfüllen. Kritisch ist hingegen Ziffer 2: „dem Unternehmen zustehen“. Soft Kills gehören dem Mitarbeiter, nicht der Unternehmung, so die allgemeine Auffassung. Recht auf eine Leistung und Besitz von einer Leistung sind nicht das Gleiche.

IAS 38 bestimmt, dass bei immateriellen Vermögenswerten – bzw. bei nicht-monetären Vermögenswerten ohne physische Substanz – die Verfügungsmacht beim Unternehmen sein muss.

Diese Killerargumente verhindern, dass Human Assets erfasst werden dürfen und allenfalls in den Anhang zur Jahresrechnung verbannt werden müssen (Ausführungen zum Intellectual Capital Statement).

Die Bilanz bleibt damit nur bedingt aussagefähig. Aus der Erkenntnis heraus, dass das Intellectual Capital wichtig bis entscheidend ist für den Erfolg einer Unternehmung, hat die Praxis eine Vielzahl von Modellen und Methoden entwickelt, sog. Wissensbilanzen zu erstellen.

Intellectual Capital Statement – die Wissensbilanz

Als Beispiel gehört der Intangible Assets Monitor (IAM) zu den Scorecard Methoden der Modelle. Dabei wird das intellektuelle Kapital aufgeteilt in Kompetenzen (Fähigkeiten der Mitarbeiter), interne Struktur (Patente, Konzepte, Unternehmenskultur u.a.) und externe Struktur (Kundenbeziehungen, Marken, Image u.a.). Die Bewertung der drei Dimensionen soll Aussagen ermöglichen über Effizienz, Risiken und Wachstum.

Wissensbilanzen stehen jedoch für sich. Es ist keine Herleitung möglich wie früher einmal bei der sog. Sozialbilanz. Es gibt keine allgemein anerkannten Standards der Erfassung und Wertbestimmung, keine Prüfung durch Wirtschaftsprüfer. Wissensbilanzen in diesem Sinne verringern nicht die Informationsasymmetrie zwischen dem Management und den Stakeholders.

Die fatale Dummheit

Die Bilanzgläubigkeit gibt nicht her, was sie verspricht, denn die Bilanz ist kein Leuchtturm in unsicheren Zeiten. Sie darf nicht im Zentrum stehen, wenn es um die Beurteilung einer Unternehmung geht, weder für aussenstehende Wirtschaftsjournalisten und Investoren noch für die oberste Geschäftsführung und den Verwaltungsrat. Die Bilanz ist ein historisches Flickwerk, sie hat irgendwie den Schritt in die Moderne verpasst.

Da werden schwer einschätzbare Goodwill Positionen über längere Zeit mitgeschleift, und für die Zukunft entscheidende Human Assets aus der Bilanz verbannt. „True and fair“ ist sie nicht. Es wäre an der Zeit, darüber nachzudenken.

02.09.2019/Renzo Zbinden


Die Solvenz der Schweizerischen Nationalbank (SNB) – ein Update

Wer „die Solvenz der SNB“ googelt findet den Basisbeitrag vom 5. September 2015 ganz oben auf der Seite an erster Stelle. Er hat auch nach über 3 Jahren wenig an Aktualität verloren, namentlich wenn es um Fragen geht wie

  • Macht die SNB mit dem Druck von Banknoten Gewinne?
  • Schafft sie damit Eigenkapital?
  • Wie finanziert sie ihre Interventionen an den Devisenmärkten?
  • Wie wirksam ist die Compliance?
  • Kann sie illiquid werden
  • oder sogar Konkurs gehen?

Der Basisbeitrag schloss mit der Hoffnung, die SNB stabilisiere ihre Devisenanlagen auf 500 Mia Franken bzw reduziere ihre Währungs- und Kursrisiken. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil:

Ein Hedgefonds?

Um sich der Aufwertung der Schweizer Währung entgegenzustemmen hat die SNB ihre Politik der Deviseninterventionen ungehindert fortgesetzt mit dem Ergebnis, dass die Devisenanlagen per Bilanzstichtag auf 764 Mia Franken oder um 44.2% gestiegen sind, wie folgende Bilanz per 31.Dezemer 2018 zeigt:

Die Devisenanlagen von 764 Mia Franken betragen 93.5% der Gesamtaktiven. Die Aktivseite der Bilanz gleicht damit einem Hedgefonds (einem Investmentfonds mit hohen Risiken). Bei den Devisenanlagen entfallen 36% auf US-Dollar, 39% auf Euro, 8% auf Yen, 7% auf Pfund und 10% auf übrige Währungen (gegenüber dem Vorjahr unverändert). Als Anlagekategorien nennt die SNB 69% Staatsanleihen, 12% andere Anleihen und 19% Aktien. Das Aktien-Portefeuille beträgt damit rund 145 Mia Franken und umfasst rund 6000 Titel aus 95% aller Aktienmärkte weltweit. („Die SNB investiert passiv, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 28. Juli 2018. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweiz hat nach Norwegen und China den drittgrössten Staatsfonds der Welt (wobei der Staatsfonds von Norwegen durch Eigenkapital finanziert ist). Heute ist die SNB wohl einer der grössten Aktionäre von Apple, Microsoft, Google, Amazon und Facebook!

Die gigantische Bilanzsumme per 31. Dezember 2018 von 817 Mia Franken ist mehr als die Schweizer Wirtschaft pro Jahr produziert und fast so gross wie sämtliche Pensionskassenguthaben zusammen. („Die Abhängigkeit der SNB“, Philippe Béguelin in Finanz und Wirtschaft vom 29. September 2018). Und in seinem Beitrag vom 25. April 2018 unter dem Titel „Ein Verlustszenario für die SNB“:

„Ihr Portefeuille müsste Schöpfungsfonds heissen, denn sie speist es aus der Geldschöpfung“.

Währungs- und Kursrisiken auf Devisenanlagen


Die Währungs- und Kursrisiken auf den Devisenanlagen (Anleihen und Wertpapiere) sind gigantisch. Für diese Risiken sind zwar Rückstellungen gebildet worden (Rückstellungen für Währungsreserven), diese aber unter dem Eigenkapital aufgeführt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dieses Vorgehen entspricht den Rechnungslegungsvorschriften von Swiss GAAP FER, sofern die bilanzierten Devisenanlagen per Bilanzstichtag zum Markt- bzw. Verkehrswert bilanziert sind, wovon auszugehen ist.

Die unter dem Eigenkapital bilanzierten Rückstellungen für Währungsreserven von 68 Mia Franken sind prozentual zu den bilanzierten Devisenanlagen von 764 Mia Franken bescheidene 8.9%. Wie weit mit diesen Rückstellungen das inhärente oder mittelfristig latente Währungs- und Marktrisiko abgedeckt ist, namentlich bei rückläufiger Wirtschaftslage, ist schwer zu beurteilen. Im Vergleich zu den Währungs- und Marktrisiken sind die ordentlichen Einnahmen aus Anleihen (Zinseinnahmen), Dividenden und Negativzinsen bescheiden.

(Anzumerken bleibt, dass die SNB weiterhin von Devisenreserven spricht, wenn sie Devisenanlagen meint, was bei Wirtschaftsjournalisten und in der Politik immer wieder zu Fehlinterpretationen führt).

Die Finanzierung der Deviseninterventionen

Die Gesamtaktiven sind zu 85,3% fremdfinanziert. Zur Fremdfinanzierung beigetragen haben vor allem die inländischen Geschäftsbanken und Institutionen mit enormen 481 Mia Franken (Girokonten inländische Banken und Institutionen). Die Zusammensetzung dieser Bilanzpositionen ist nicht bekannt, es ist aber anzunehmen, dass auch die Kantonalbanken dabei sind.

(Auch hier gilt anzumerken, dass die SNB bei den Girokonten inländische Banken unbelehrbar und ungehindert von Sichtguthaben der Nationalbank spricht, eine Terminologie, die von der Wirtschaftspresse weitgehend übernommen wurde. Der Begriff Sichtschulden wird gemieden wie die Pest).

Die drohende Überschuldung

Ein Einbruch der Wirtschaft würde blutige Wunden bei der SNB hinterlassen. Sie könnte kaum reagieren, ohne den Schweizer Franken zu stärken und dabei hohe Kursverluste zu erleiden.

Rutscht das Eigenkapital aufgrund hoher Kursverluste gegen Null droht eine Überschuldung (bei einer Überschuldung sind die Schulden grösser als das Vermögen bzw. die Passiven grösser als die Aktiven, woraus ein negatives Eigenkapital resultiert). Was für eine Aktiengesellschaft im Allgemeinen und für eine Bank im Besonderen die Weiterführung gefährden würde sei für eine Zentralbank kein Problem, wird immer wieder gesagt. Sie könne nicht Konkurs gehen. Beispiele dazu seien die Zentralbank der noch jungen Tschechischen Republik und die Zentralbank von Chile.

Bild: 10’000 Escudos ND (1970) – vor der Währungsreform

Doch was für ein Benchmark für unsere stolze Nationalbank. Chile kann kein Vorbild sein. Und von wegen Preisstabilität: 10’000 chilenische Pesos entsprechen heute einem Gegenwert von 15 Schweizer Franken!

Von einer drohenden Überschuldung und ihren Folgen spricht niemand. Es würde nicht schaden von der SNB-Spitze zu erfahren, sie würde eine Überschuldung unter keinen Umständen hinnehmen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit grosser Wahrscheinlichkeit macht sie auch einen Stresstest in eigener Sache, einen Stabilitätsbericht wie für die Geschäftsbanken üblich. Als Szenarien wären denkbar: die Folgen bei einer Euro-Krise, einer Schwellenländer-Krise, einem Zinsschock? Wieviel Kursverluste könnte sie hinnehmen, ohne in die Überschuldung zu kommen?

Interessieren würde in diesem Zusammenhang auch:

  • Wer wäre in der Lage und willens, zur Überwindung der Überschuldung neues Eigenkapital einzuschiessen (in der Grössenordnung von 100 Mia Franken)?
  • Die inländischen Geschäftsbanken hätten Guthaben bei einer überschuldeten Zentralbank. Müssten sie diese Guthaben wertberichtigen?
  • Mit einer überschuldeten Nationalbank wäre der Bankenplatz Schweiz am Boden. Wie lange würde die Schweiz diese Situation politisch hinnehmen?

Wie vertrauensbildender wäre es, wenn solche Berichte öffentlich zugänglich wären, vor allem dann, wenn die SNB alles „im Griff“ hat. Zweifel sind angebracht. Warum macht man sich lächerlich wenn man befürchtet, schlussendlich in den Euro gedrängt zu werden?

Eine „taumelnde“ SNB?

Die SNB vertritt die Auffassung, einerseits an den Devisenmärkten weiter uneingeschränkt intervenieren und andererseits die Negativzinsen weiter erhöhen zu können (Fritz Zurbrügg, Vizepräsident der SNB im ECO-Interview vom 7. Januar 2019). Dabei ist folgendes zu beachten:

Weitere Deviseninterventionen können grundsätzlich nicht aus flüssigen Mitteln der SNB finanziert werden (aus Schweizer Franken), ganz einfach deshalb, weil diese fehlen. Infolgedessen: kauft die SNB weitere Fremdwährungen lässt sie, einfach gesagt, bei inländischen Geschäftsbanken „anschreiben“. Sie kauft auf Kredit. Damit sind die neuen Anlagen – wie auch die Mehrheit der alten – fremdfinanziert. Die Folge: die Bilanzverlängerung geht in die nächste Runde und die Währungs- und Kursrisiken nehmen weiter zu.

Die SNB ist gehalten, diese Politik der Bilanzverlängerung zu stoppen und zwar bevor die Devisenanlagen 1,0 Bio Franken überschreiten. Die US-Zentralbank macht es vor: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nachdem ihre Bilanz fast drei Jahre auf 4,5 Bio Dollars gehalten wurde, leitete der geldpolitische Ausschuss im Oktober 2017 die Normalisierung ein. Das Fed liess fällig werdende Wertpapiere (Staatsanleihen und Hypotheken) auslaufen und die Erlöse nicht reinvestieren.

Auch die SNB muss diesen Weg beschreiten. Doch einfacher gesagt als getan: (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Denn mit der Bilanzverkürzung macht sie genau das Gegenteil von bisher, mit der Bilanzverkürzung verkauft sie fremde Devisen oder Wertpapiere in Fremdwährung gegen Schweizerfranken. Damit verknappt sie den Schweizer Franken, er nimmt an Wert zu. Das will man nicht, aus Rücksicht auf die Exportindustrie. Überdies führt die Aufwertung des Schweizer Frankens zu Währungsverlusten bei der SNB. Und sollte die SNB einmal ihre Zinsen anheben, wären die Folgen ähnlich: sie würde den Franken tendenziell aufwerten und auf den bilanzierten Devisenanlagen in Fremdwährung Verluste einfahren. Ein Teufelskreis.

Wo liegt der Handlungsspielraum bei der Zinspolitik? Sollte die Schweiz in nächster Zeit in eine Rezession abrutschen, könnte die SNB den Leitzins von heute – 0,75 Prozent kaum mehr substanziell absenken, beispielsweise auf – 4,0 Prozent. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Negativzinsen betreffen vor allem die Geschäftsbanken. Doch diese geben sie weiter an ihre grossen Kunden, häufig Pensionskassen. Also tragen diese wie auch andere Sparer die Folgen der Zinspolitik der SNB, was wirtschaftlich sehr fragwürdig ist. Kurt Schiltknecht (ehemals Chefökonom bei der SNB, in: „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“, NZZ vom 16.11.2018) ist der Meinung, dass die Politiker sich nicht gegen Negativzinsen wehren, da die Zinsbelastung der öffentlichen Hand kleiner und damit der Spielraum für zusätzliche Ausgaben grösser werden.

Geht man davon aus, dass eine weitere massive Ausweitung der Bilanzsumme für die SNB nicht mehr in Frage kommt, ist ihr Handlungsspielraum gering, sie ist mit anderen Worten schachmatt. Sie kann nur hoffen, dass die EZB keine weiteren Kapriolen macht und das Währungsumfeld stabil bleibt.

Man muss sich fragen, ob die SNB überhaupt einmal autonom war.

Die Unabhängigkeit der SNB

Die SNB gleicht einem Wanderer, nicht schwindelfrei, der plötzlich vor einem Bergweg steht. Was soll er machen, bei ungewisser Grosswetterlage? Zurück auf den Wanderweg oder nach vorne auf dem Bergweg (über einen furchteinflössenden Gebirgsgrat)? Eine höchst ungemütliche Lage.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die SNB aus dieser Lage wieder befreien kann. Wir hoffen es. Es wird aber immer schwieriger, denn die Risiken nehmen mit jeder Bilanzverlängerung weiter zu. Kaum jemand ausserhalb der SNB versteht diese Zusammenhänge. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Mit der Vollgeldinitiative hat sich die Schweizer Bevölkerung ein erstes Mal mit der Geldschöpfung befasst und überrascht gezeigt. Noch nicht begriffen hat sie die Geldschöpfung der Nationalbank. Die Schweizer Bevölkerung geht davon aus, dass die Deviseninterventionen der SNB aus eigenen Mittel erfolgen. Nur wenige nehmen zur Kenntnis, dass die SNB ihre Devisenkäufe bei den Geschäftsbanken anschreiben lässt.

Die Unabhängigkeit der Nationalbank ist kein Diskussionsthema. Macht sich jedoch Ueli Maurer Gedanken über die Bilanzsumme der Nationalbank (die Ausweitung der SNB-Bilanz sei „an der Grenze des Erträglichen“), wird er offen kritisiert („Der Grund für die Unabhängigkeit“, Markus Diem Meier, Der Bund vom 2. August 2018). Ist es schon soweit, dass man fürchten muss, die labile Finanzierung der Nationalbank kippe, wenn sich ein Bundesrat öffentlich Gedanken macht über die ungewöhnliche Devisenpolitik. Doch „Hier möchten wir dann auch etwas zurückbauen in Zukunft“ hätte er wohl besser nicht gesagt, denn Weisungsgebunden darf sie nicht werden. (Eine Regierung soll nicht die Befugnis erhalten, die Geldpolitik zur Steigerung der Wiederwahlchancen zu missbrauchen.)

Die Macht der Technokraten

Thomas Jordan will keine „Grenze des Erträglichen“, er will freie Hand.

Dass man jedoch die Zukunft der Schweizer Wirtschaft einem kleinen Gremium von Technokraten überlässt, einem Dreierdirektorium, kann es auch nicht sein.

Das Führungskonzept mit einer Machtkonzentration auf wenige Direktoren geht auf das Jahr 1907 zurück. Es ist nicht mehr zeitgemäss, namentlich, wenn man der Nationalbank Ziele und Massnahmen überlässt, die einen derart grossen Impact auf die Schweizer Wirtschaft haben. Und es ist nicht entscheidend, ob dieses Gremium die fachliche Kompetenz hat und ob es unser Vertrauen verdient. Experten haben sich immer wieder geirrt, wie die Geschichte der Nationalökonomie ausführlich zeigt.

Die Nationalbank soll in ihren Entscheiden unabhängig sein und bleiben. Ist dem so, hat der Gesetzgeber jedoch zu bestimmen, in welchem Rahmen sich diese Unabhängigkeit entfalten darf. Geht man davon aus, dass die Exportindustrie die SNB weiter unter Druck setzt oder es allenfalls versucht oder Gewerkschaften und linke Kreise den Erhalt von Arbeitsplätzen als übergeordnetes Ziel aller Massnahmen erklären, wo liegt dann das Ende der Unabhängigkeit?

Wer hindert die Notenbanker, folgenschwere Fehlentscheide zu fällen? Wir stehen vor der gefährlichen Situation, dass einer Gruppe von Technokraten einerseits grosse Unabhängigkeit gewährt wird, doch damit andererseits die Politik abhängig wird. Die Unabhängigkeit auf der einen Seite führt zur Abhängigkeit auf der anderen Seite, was dann gefährlich wird, wenn diese über keine Kontrollmechanismen verfügt.

In einer Demokratie unterliegen wichtige Entscheide einer parlamentarischen Kontrolle. Sieht man die Exportüberschüsse 2018 der Schweizer Exportindustrie stellt sich die Frage, ob die SNB nicht zu viel des Guten getan hat. Es geht schlussendlich um gewaltige Interessen der Exportwirtschaft, die von der heutigen Situation Vorteile erzielt. Und infolgedessen müsste man sich überlegen, ob die Ziele der SNB nicht zu unverbindlich seien.

Die SNB hat das Ziel, die Preisstabilität zu gewährleisten. „Dabei trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung“. Ausserdem: „Sie trägt zur Stabilität des Finanzsystems bei“. Es fehlt die quantitative Messbarkeit, zu viel Wischiwaschi. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die SNB immer mehr Aufgaben an sich reisst, Aufgaben, die ihr eigentlich nicht zustehen (wie den Erhalt von Arbeitsplätzen zu sichern). Ganz von der Hand zu weisen ist auch nicht die Kritik, dass es unsinnnig ist, dass die Notenbanken durch die Ausweitung ihrer Bilanzen zu Grossaktionären werden.

Der Ideenreichtum der Politiker

Die Ausschüttung der SNB an die Öffentlichkeit ist ungefährdet(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Öffentlichkeit erhält jeweils maximal 2 Mia Franken, falls die Ausschüttungsreserve nicht unter 20 Mia Franken fällt. Im Eigenkapital eingeschlossen und unter dem Begriff Ausschüttungsreserve sind dafür 67 Mia Franken vorgesehen. Die Aktionäre erhalten maximal 1,5 Mia Franken.

Als ob es die Aufgabe einer Zentralbank wäre, Gewinnausschüttungen vorzunehmen. Dass man mit jeder Ausschüttung das Eigenkapital schwächt und damit die Risiken erhöht, scheint kaum jemand zu interessieren. Auch nicht, ob die empfangenden Kantone und der Bund im Notfall der SNB wieder Mittel zurückführen könnten.

Der Vorschlag gewisser Politiker, das Vermögen der SNB (die Devisenanlagen oder wie viele es immer noch bezeichnen, die Devisenreserven) könne man in einen Fonds ausgliedern zum Wohle der Bürger zeigt nur immer wieder, dass diese nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, dass die Devisenanlagen vorwiegend durch Fremdkapital finanziert sind.

Es kann doch nicht sein, dass sich Politiker nur dafür interessieren, was man mit dem fremdfinanzierten Vermögen der SNB alles anfangen könnte! (noch schlimmer wäre die Variante, wonach die SNB Banknoten drucken sollte, um damit im Rahmen eines Fonds gewinnbringende ausländische Anlagen zu erwerben).

Leadership

Die SNB unter Thomas Jordan igelt sich ein, lässt keine Kritik zu. Sie schützt sich mit Experten. Doch die kritischen Stimmen nehmen zu.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Wider die Allmacht nicht gewählter Notenbanker“ (Michael Rasch, NZZ vom 2. August 2018) oder „Nationalbank: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ (Kurt Schiltknecht, a.a.O.), „Der Boom der Schweizer Notenpresse, Wie die Nationalbank ihre Unabhänggeit verlor“ (Arthur Rutishauser, SonntagsZeitung vom 5. August 2018)

Komplexe Sachverhalte einfach zu erklären ist schwierig, und die Vereinfachung birgt immer auch die Gefahr in sich, Einzelheiten zu übergehen und so die Analyse insgesamt angreifbar zu machen.

Den Franken zu schwächen um den Werkplatz Schweiz zu stärken birgt Risiken. Wie damit umzugehen ist verlangt Leadership. Es ist Zeit zu debattieren, wer diese übernimmt.

Auf jeden Fall gehört das Thema auf den Tisch, heute und ernsthaft diskutiert. Es darf nicht sein, dass man die Themenführerschaft einer Internetplattform überlässt (inside Paradeplatz). Es geht uns alle etwas an, es betrifft uns alle, nicht nur die Exportwirtschaft, die ihre Interessen zu wahren nutzte (Lobbying).

27.02.2019/Renzo Zbinden

Der Kunde König – das Geschäftsrisiko Nummer eins

„Guten Morgen Herr König. Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin? Ich habe sie letzten Samstag beim Einkaufen getroffen. Ihre Tochter will offenbar noch diesen Frühling heiraten. Richten Sie ihr meine besten Wünsche aus.

Was darf es heute sein? Sie kommen es am Abend abholen, wie immer? Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“

(Der Kunde König – frei nach Jeremias Gotthelf)

Mit Kunde König war man freundschaftlich verbunden. Man kannte seine Bedürfnisse, sein Einkaufsverhalten, seine Familie, aber

König war er nie

immer nur Kunde, König nur dem Namen nach. Mit zunehmender Konkurrenz erkannte man seine ultimative Bedeutung für die Weiterführung der Geschäfte. Man wollte ihn behalten und neue dazu. Doch wie? In den frühen siebziger Jahren war die Antwort auf diese Frage: Marketing.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Marketing hiess, alles aus der Sicht des Kunden zu verstehen. Dazu standen in Theorie und Praxis verschiedene Instrumente zur Verfügung, von der Marktforschung über die Produktgestaltung bis zur Preisdifferenzierung.

Aus Amerika hinzu kam die Direktive „Client Orientation“ (Kundenorientierung). Es war die Zeit, wo alle Kunden haben wollten. Die SBB beförderten keine Passagiere mehr, sondern Kunden. Krankenkassen erbrachten ihre Dienstleistungen nicht mehr an Versicherte, sondern an Kunden. Der Sinneswandel  ging so weit, dass sogar die Steuerverwaltung von Kunden sprach und die Polizei Kundenbefragungen vornahm.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

In der öffentlichen Verwaltung ist der Begriff Kunde unzutreffend. Solange es dem Bürger verwehrt bleibt, Preise und Umfang der staatlichen Leistungen zu verhandeln, ist der Begriff fehl am Platz. Steuerpflichtiger oder Gebühren- und Abgabepflichtiger sind weiterhin angesagter.

„Client Orientation“ heisst heute: Datensammeln über Kunden, die nicht nur kritischer und verwöhnter, sondern auch unverschämter und unberechenbarer geworden sind. Das trifft insbesondere auf Konsumenten zu. Ihr Konsumverhalten hat sich radikal verändert.

Zappelphilipp

Einkaufen rund um die Uhr, aus einer riesigen Auswahl, Lieferung frei Haus. Händler wie Zalando überleben eine Retouren Quote von 50 Prozent.

Totales Einkaufen über das Netz ist nur noch eine Generationenfrage (Digitalisierung Teil 1, Treiber). Zwar beschränkt sich heute der erfolgreiche Online-Handel noch auf gewisse Güter (wie Bücher, elektronische Artikel und Kleider), bei den „Digital Natives“ wird es aber kein Halten mehr geben. Ladenstrassen und Einkaufszentren werden verschwinden, erwartet wird eine „Retail Apocalypse“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Natürlich kann man beim Online-Einkauf die Schönheit der Dinge nicht sehen, die Produkte nicht fühlen, die dreidimensionale Wirkung nicht spüren. Trotzdem: Viele glauben, dass die Kunden in Zukunft mit einer VR-Brille durch die Shoppingmalls flanieren, eine Vorstellung, die heute kaum Begeisterung auslösen dürfte.

Zum Phänomen Zappelphilipp hinzu kommt ausserdem das brachiale Auftauchen bisher nicht mitmischender Konkurrenten. Es sind keine Händler mehr im bisherigen Sinne, es sind reine Datenkonzerne mit angeschlossenem Warenlager (diese allenfalls noch gehalten durch Dritte).

Die Handelsfunktion als Kernkompetenz für die Marktberechtigung der Händler reicht nicht mehr aus!

Neue Marktteilnehmer mit neuen Kompetenzen werden die alten Giganten aus dem Markt werfen (Airbnb, Amazon, Apple, Uber und Booking.com sind nur aktuelle Beispiele für diese neuen Geschäftsmodelle. „Out of the blue“ sind sie da. Solche Anbieter sind kapitalkräftig, erfahren und unerschrocken. Nicht selten treten sie global auf. Markteintrittsbarrieren aller Art schleifen sie mühelos. Alte Platzhirsche erwischt es auf dem linken Fuss.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

So steigt der Online-Händler Amazon in den Versandhandel von Medikamenten ein. Zum Auftakt erwirbt er die Online-Apotheke PILLPack. Das US-Pharmaunternehmen liefert Tabletten im Wochen- und Monatsrythmus, um den Tagesbedarf von Patienten zu decken. (FuW vom 30. Juni 2018). Die Aufregung im Markt und an der Börse ist verständlich (Walgreen Boots Alliance – 11,5%, Rite Aid – 12,9%). Amazon hat auch die Mittel, durch Übernahmen rasch zu wachsen.

Es besteht die grosse Gefahr, jetzt noch zufriedene Kunden an Anbieter zu verlieren die in der Lage sind, „added Value“ der neuen Art zu bieten.

Added Value?

„Added Value“ ist als Begriff so abgegriffen und missbraucht, dass man ihn nicht mehr hören kann (sogar auf den Einkaufs-Trenndreiecken an den Kassen in Lugano steht inzwischen „valore aggiunto“). Doch „added value“ gilt weiterhin, in einem noch konsequenteren Sinne: totale Individualisierung. Was vermutlich schon früher für die Pilatuswerke galt, ist heute Vorgabe für alle.

Unsere Produkte sind massgeschneidert auf den Kunden und seine Operationen. Dem PC-12 vertrauen die Royal Flying Doctors in der Hitze des australischen Outbacks. Und die Royal Canadian Mounted Police in der arktischen Kälte. In 29 Ländern absolvieren die Militärpiloten ihre Schulung auf Pilatus Trainingsflugzeugen. Während der über 60-jährigen Firmengeschichte hat Pilatus nie eine Luftwaffe als Kunden verloren und darauf sind wir stolz: Einmal Pilatus, immer Pilatus (Oscar J. Schwenk, Verwaltungsratspräsident der Pilatus Flugzeugwerke)

Pilatus PC-24

Einmal Kunde, immer Kunde?

Der Kunde ist kritischer geworden, aufgeklärter als früher. Er weicht ohne Mühe auf Substitutionsgüter aus oder wechselt die Dienstleister ohne lange zu überlegen. Die Loyalität spielt keine grosse Rolle mehr.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wenige Jahre ist es her, da hatte Nokia im Mobilfunk einen unglaublich hohen Marktanteil von über 40%. Man könnte meinen, mit dieser Marktführerschaft wäre es ein Leichtes, technisch „am Ball“ zu bleiben und die neu aufkommenden Kundenwünsche rechtzeitig in die Produktentwicklung einfliessen zu lassen. Nein, das zunehmende Bedürfnis nach Smart-Lösungen wurde übersehen. Apple hat Nokia aus dem Markt gedrängt und Nokia wurde schliesslich von Microsoft übernommen.

Big Data soll es möglich machen, die wahren Kundenbedürfnisse und ihre Veränderungen laufend zu erfassen. Doch das ungehemmte Sammeln von Daten hat seine Grenzen im Datenschutz und im Wunsch der Kunden, noch eine gewisse Privatsphäre bewahren zu dürfen. Wie weit das Sammeln geht, zeigt folgende Umfrage:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Start-up One Thing 59 hat weltweit tätigen Konzernen folgende Fragen gestellt (Sonntagszeitung vom 1. Juli 2018):

„Haben Sie Daten von mir?
Haben Sie von Dritten Daten zu meiner Person gekauft?
Teilen Sie Daten mit Dritten?
Überwachen Sie Daten von Dritten?
Überwachen Sie mein Internetverhalten?
Und meinen Standort?
Erstellen Sie damit ein Profil?
Treffen Ihre Algorithmen automatisierte Entscheidungen, die mich betreffen?“

Im Bericht „Zerlegt in IT-Wolken – geschröpft im Alltag“ habe ich auf die Fragwürdigkeit und die Gefahren bei diesem Vorgehen hingewiesen.

Zu viel der Individualisierung?

Nach dem zweiten Weltkrieg war es möglich, das Marketing auf Einzelbedürfnisse zu beschränken. Für diese gab es oft auch eine bekannte Marke (wie Ovo, Persil, Maggi). Später unterschied man zwischen Grundnutzen und Zusatznutzen und in der Kombination beider versuchte man, eine gewisse Alleinstellung zu erreichen  (USP „Unique Selling Proposition“ als Zauberlösung). Diese Marketingstrategie wurde mit der Zeit immer schwieriger, wie das Beispiel Vögele Kleider einprägsam zeigt.

Zielgruppenmarketing war einmal. Heute ist alles auf das Zielindividuum zugeschnitten. Vorschläge, die Sie heute über das Netz erhalten, sind automatisch generiert. Ihre Einkäufe, Rückmeldungen, was auch immer Sie machen, alles geht digital über die Informatik. In Tat und Wahrheit ist Ihr Gegenüber anorganisch. Niemand kümmert sich um Sie persönlich.

Sind Sie ein zufriedener Kunde, wenn Sie auf diese Art angesprochen werden?

Sie können nicht mehr auftreten, wie Sie wollen. Dass Sie gerne Kriminalromane lesen, Briefmarken sammeln, gerne Tanzen gehen, hohe Cholesterinwerte haben, ein mittleres Einkommen, das alles und vieles Mehr ist gespeichert und abrufbar, falls Sie sich einmal beschweren sollten.

Dabei wären Beschwerden auch eine Gelegenheit, sich mit den Kunden zu beschäftigen und von unerfüllten Kundenwünschen zu erfahren.

Das Beschwerde-Management

Den Begriff Beschwerde-Management verbindet man mit „old economy“ und es hat auch damit zu tun. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Kunden werden eingeteilt in Problemfelder: 40% der Kunden sind in der Regel zufriedene Kunden (Loyale), weitere 40% durch Verträge oder auf andere Art gebundene (Gefangene), 10% unzufriedene (Meckerer) und 10% schliesslich Passanten (Söldner). Söldner gehen, sobald sie ein besseres Angebot gefunden haben. Mit den Loyalen nimmt man Kontakt auf, Söldner lässt man ziehen.

Damit es nicht zu Beschwerden kommt, pflegt man die aussortierten guten Kunden über das

Key-Account-Management

Key Accounts sind wichtige Kunden (erfolgreiche Kunden in wachsenden Märkten). Ihre Zufriedenheit wird je nach Bedeutung laufend überwacht. Dazu sind Key Account Manager bestimmt, ihre Ziele, Massnahmen und Erfolge sind Gegenstand vom Reporting.

Das Beschwerde- und Key Account-Management der beschriebenen Art ist im Grunde der Dinge empirisch-mechanistisch und reaktiv. Der Wille, an der Kundenbeziehung grundsätzlich etwas zu ändern, tritt in den Hintergrund. Man hat zwar ein offenes Ohr für Kundenanliegen, die entscheidende Frage aber, wieso der Kunde ausgerechnet bei mir einkaufen soll, die

Königsfrage

wird nicht gestellt. Es ist die „old economy“ der Reklamationen und Mängelrügen.

Wie gefährlich reaktives Verhalten ist, zeigt der „Klassiker“ Gastrobetrieb.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein Wirt übernimmt ein altes bekanntes und gut laufendes Restaurant. Da es bisher immer voll war, ändert er am Konzept wenig. Die Menükarte ist ähnlich der alten und nur wenige neue Kreationen kommen dazu. Reklamationen: keine. Und auf die Frage „War es gut“ immer nur ein kurzes Kopfnicken.

Doch es kamen immer weniger Besucher und nach einem halben Jahr war das Restaurant leer, der Wirt ging Konkurs. Ein neuer Pächter konnte nicht gefunden werden, das Restaurant blieb für Jahre geschlossen. Warum?

Der Kunde sagt selten bis nie „es war eine langweilige Sauce“, „das Gemüse war verkocht“, „das Personal unfreundlich“. Der Kunde ist viel brutaler, er geht einfach nicht mehr hin, kommentarlos. Und da ein Restaurant viele Kunden hat, fällt es im Moment gar nicht auf. Und ist es einmal leer bis auf wenige Passanten, sagen sich vorbeilaufende potentielle Kunden: in ein leeres Restaurant geht man nicht.

Der „Gefangene“ reagiert anders, die Kundenbeziehung hält länger. Ein Beispiel aus der kurzen Vergangenheit:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Apotheke AMAVITA in Wabern, die zur gleichnamigen Kette gehört (unter dem Dach der Galenica Gruppe), klebt bei verschreibungspflichtigen Medikamenten jeweils eine Art Adresskleber mit Namen und Anwendung auf die Verpackung. Da die formatierten Adresskleber in der Regel grösser sind als eine Seite der Verpackung, werden die Adresskleber „über die Ecke“ geklebt. Nur, dort halten sie nicht lange. Schon zuhause gilt es, die losgelösten Klebeseiten nachzudrücken. Von jetzt an praktisch täglich. Die Klebeseiten kleben inzwischen auch an anderen Verpackungen. Nimmt man eine Verpackung vom Regal, kommen  gleich mehrere mit. Kleine Ursache grosse Wirkung: einfach nervtötend.

Da eine Versandapotheke eine alternative Lösung wäre, ist die Kundenbeziehung gefährdet, absolut gefangen ist niemand.

Jeder kennt solche Beispiele, keine Kundenbeziehung ist ungefährdet, der Kunde König ist grundsätzlich ein Geschäftsrisiko.

Pflegt man bewusst oder unbewusst eine Melkstrategie, überträgt sich diese Grundhaltung auf die ganze Unternehmung und wird damit Teil der ungeschriebenen Unternehmenskultur. Beispiele aus der Neuzeit gibt es viele.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Bund vom 1. Juni 2018 unter dem Titel „So treiben Autohersteller die Preise für die Ersatzteile hoch“: Die Beratungsgesellschaft Accenture hat für Renault, Peugeot und Citroën eine Software entwickelt, wonach für die Verkaufspreise nicht die effektiven Fertigungskosten massgebend sind, sondern die „Wertvorstellungen“ des Kunden (eine psychologische Preisschwelle, die bestimmen soll, wieviel der Kunde maximal bereit ist zu bezahlen). Jetzt mal im Ernst: Es kann doch langfristig keine erfolgreiche Verkaufsstrategie sein, den Kunden auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Wie fühlt sich ein langjähriger Kunde, wenn er von diesem Abkassieren erfährt? Ähnliches gilt für den Autokonzern BMW bei ihrem Kampf gegen Direktimporte (Der Fall BWM – Lieferverbote für Händler, in Hochpreisinsel Schweiz, Teil 2) oder für Diesel-VW (Non Compliance – am Abgrund vorbei).

Ein langjähriger Kunde erwartet Respekt und Fairness. Um bei den Fahrzeugen zu bleiben: erkundigt sich eine Vertretung über die Zufriedenheit nach einem Werkstattaufenthalt und nimmt man diese Gelegenheit war um sich zu beklagen, muss irgendeine Reaktion die Folge sein. Wenn nicht verweigert man jede zukünftige Beurteilung (Mercedes).

Das Geschäftsrisiko Kunde

Es ist immer wieder die Königsfrage, die sich die Führungsetage stellen muss: wieso soll der Kunde ausgerechnet meine Dienstleistungen oder meine Produkte wollen?

Die Antwort auf diese Frage gilt nur für den Moment, sie verändert sich fortwährend in Abhängigkeit zu den variierenden Kundenbedürfnissen.

Pilatur PC-24

Worauf es ankommt, die Quintessenz

Viele namentlich grosse Unternehmen konzentrieren sich auf das Setzen und Erreichen interner Ziele (wie Markterschliessung, organisches/externes Wachstum) unter Berücksichtigung der Veränderungen auf Stufe Makroumgebung (wie Konjunkturverlauf, Technologie, Konkurrenz). Das ist erprobter Alltag. Damit sind sie aber nicht mehr in der Lage, auf Veränderungen auf Stufe Mikroebene rasch und konsequent zu reagieren.

Dazu empfiehlt sich der Bottom-up Ansatz, nicht der übliche Top-down Ansatz. Auch und gerade das Spitzenkader sollte verpflichtet werden, direkte Kundenkontakte zu pflegen (und sich weniger mit internen Belangen zu beschäftigen). Die alte Weisheit, wonach sich der Verwaltungsrat mit der strategischen Geschäftsführung und die Geschäftsleitung mit der operativen zu befassen hat, ist zu hinterfragen. Erkenntnisse auf Stufe Mikroebene oder mit anderen Worten die Fronterfahrung ist für das Kader unerlässlich. Dazu steht heute eine neue Gelegenheit zur Verfügung, der Pop-Up-Verkauf.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Im urbanen Gebiet und ganz im heutigen Zeitgeist sind Pop-up-Stores: sie kommen und gehen nach Plan. Primär dienen sie der Markenpflege, sekundär der Kommunikation mit Zielpersonen (Offline). Zur Gruppe Pop-up-Stores gehören auch sog. Concept-Stores (zur direkten Umsetzung neuer Ideen an der Verkaufsfront). Was für eine Gelegenheit für das Top-Kader, direkt in Kundenkontakt zu treten!

Es gilt, die Kernfähigkeiten der Unternehmung wechselseitig zu den Kundenbedürfnissen zu überwachen und im Sinne einer Wechselbeziehung laufend anzupassen. Wie gut das gelingt, können folgende Fragen aufdecken:

Liegen die Kernkompetenzen immer noch bei den Kundenbedürfnissen? Folgen sie den Veränderungen der Bedürfnisse? Sind nicht die Beschwerden ein Zeichen dafür, dass sich Kundenbedürfnisse und Kernkompetenzen nicht mehr decken. Ist die Unternehmung auf der Mikroebene noch konkurrenzfähig? Hat nicht die Makroumgebung auf Stufe Geschäftsleitung und Verwaltungsrat ein Übergewicht?

Aus der Praxis der Unternehmensberatung einige Vorschläge zum Veränderungsprozess:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

  • Es besteht die Gefahr, nur jene Veränderungen zu entdecken, die man erwartet
  • Bisherige Realitäten (Erfahrungen) sind nicht zukünftige Realitäten
  • Unterwerfen Sie bisherige Erfolge einer „konstruktiven Erschütterung“
  • Gehen Sie strategische Kunden-Partnerschaften ein
  • Legen Sie endlose Kommunikationsschlaufen
  • Suchen Sie den interaktiven Dauerdialog

Kundenbedürfnisse: Anpassen oder Verschwinden

Wer in der Erlebniswelt des Kunden keinen Platz mehr findet, wer nicht konsequent den Veränderungen nachgeht und dabei die Konkurrenten im Auge behält, für den ist der Kunde König das Geschäftsrisiko Nummer eins.

Das Kennen der wahren Kundenbedürfnisse ist erstens absolut zentral.
Die Bedürfnisentwicklung ist zweitens so zeitnah wie möglich zu erfassen.
Wie man diese erfährt, die Wahl der Mittel, kann drittens entscheidend sein.
Und viertens sind die Kernkompetenzen für die Marktberechtigung deckungsgleich zu den Veränderungen laufend zu entwickeln und anzupassen.

Schlaumeier Strategien halten sich nicht lange. Der Kunde ist immer auch Geschäftspartner oder stellt sich das mindestens so vor. Die Frage, weshalb er es werden und bleiben soll, ist die Königsfrage. Sie muss eine überzeugende Antwort finden, denn die Kundenzufriedenheit ist das Mass aller Dinge.

Wer keine kundenzentrierte Geschäftsmodelle hat, verschwindet.

Bilder Pilatus Aircraft td

29.07.2018/Renzo Zbinden

 

Trilogie zur Digitalisierung 3 – Superintelligenz

Hoffnung

Big Data, Robotik und Superintelligenz treiben die Digitalisierung grenzenlos voran. Das Entwicklungspotential ist gigantisch, ebenso die damit verbundenen Risiken für die Menschheit. Doch wer es wagt, eine Prognose zu machen, gilt schnell einmal als Krisenprophet.

Apokalyptiker

Alles nicht wahr, alles masslos übertrieben, eine willkommene Gelegenheit für Berater, neue Aufträge zu erschleichen. So Caspar Hirschi, Professor für Geschichte an der Universität St. Gallen in einem Bericht zum Thema „Apokalyptiker der Automatisierung“, NZZ vom 3. Mai 2018. Es fehle die empirische Grundlage. Aus der Geschichte der letzten fünfzig bis zweihundertfünfzig Jahre lasse sich nicht schliessen, dass die technologischen Fortschritte dazu führen, dass den Menschen deswegen die Arbeit ausgehe.

Richtig. Doch wie die Zukunft aussieht, muss sich nicht zwangsläufig aus der Vergangenheit ergeben. Oder mit anderen Worten: das Studium der Geschichte ist kein Garant dafür, wie die Zukunft aussieht. Und ein Professor der Geschichte ist nicht unbedingt der richtige Experte, wenn es um die Zukunft geht.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein vollständig programmierter Roboter sollte eigentlich in der Lage sein, andere Roboter zu instruieren. Dem ist nicht so. Auch geht den Robotern noch weitgehend die Fähigkeit ab, unterschiedliche Situationen zu erfassen und vielfältig zu handhaben. Nach Dominik Feldges könnte die vollständige Digitalisierung der Industrie noch dreissig Jahre in Anspruch nehmen, die vollständige Elektrifizierung mechanischer Systeme in der Industrie noch rund fünfzig Jahre. Dessen ungeachtet investiert man gewaltig in diese Entwicklung. Roche beschäftigt konzernweit über hundert Spezialisten zu den Themen künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Analyse grosser Datenbestände („ABB und Roche haben mit künstlicher Intelligenz Grosses vor“, in NZZ vom 1. November 2017)

Haben Sie eine feste Meinung? Machen Sie sich Sorgen? Folgendes mag Sie interessieren: Tippen Sie in die Suchleiste Ihres PC – googlen Sie – „werden roboter“ schlägt Ihr PC folgende Fortsetzungen vor:

  • werden roboter die welt übernehmen
  • werden roboter menschen ersetzen

Wenn ein Roboter Sie mit Namen anspricht und dabei noch einen Hüpfer macht, heisst das noch lange nicht, dass er über irgendeine Art von Intelligenz verfügt.

Es mag länger dauern, viel länger sogar, disruptiv verlaufen und stockend, doch irgendwann in der fernen Zukunft müssen die Menschen nicht mehr arbeiten – wenn es sie noch gäbe!

Macht und Ohnmacht

Der Digitalisierungstreiber Nummer 1, Big Data, ist längst Alltag. Die kritischen Stimmen dazu nehmen zu (denken Sie an Cambridge Analytica), doch im Grunde der Dinge ist der Widerstand gebrochen. Den Digitalisierungstreiber Nummer 2, Robotik, erleben wir unterschiedlich, je nach Einsatzgebiet. An gewissen Orten ersetzen Roboter die menschliche Arbeit, vernichten dabei Arbeitsplätze, sind aber dennoch unbestritten, ja sogar willkommen (wie etwa bei medizinischen Eingriffen).

Erst langsam wird begriffen, dass Roboter nicht nur unsere Arbeitswelt verändern (etwa Arbeitsplätze gefährden). Sie werden auch unsere Diener in der Freizeit, unsere Liebhaber und Ehepartner. Die asiatischen Länder jedenfalls können sich das gut vorstellen.

Die grosse Unbekannte ist jedoch der Digitalisierungstreiber Nummer 3, die künstliche Intelligenz. Sie bedrängt auch die Arbeitsplätze der wirtschaftlichen und politischen Elite, mischt die Führung in Industrie und Verwaltung neu auf. Kein Arbeitsplatz wird verschont, es trifft alle, nicht nur die Arbeitnehmer mit routinemässigen Tätigkeiten.

Massen ohne Arbeit

Jugendarbeitslosigkeit

Alle drei Treiber werden in unterschiedlichem Ausmass Arbeitsstellen vernichten und neue begründen (für die nicht Roboter einsetzbar sind). (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wie viele Arbeitsstellen per Saldo verloren gehen, darüber liegen unterschiedliche Prognosen vor. Denkbar ist auch, dass mit dem steigenden Wohlstand die Bevölkerung abnimmt. Nimmt man jedoch die Entwicklung der künstlichen Intelligenz dazu, wird im privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Führungs- und Verwaltungsbereich (im Management der Wirtschaft und in der Verwaltung des Staates) ein Exodus stattfinden in einem Ausmass, das die Weltwirtschaft noch nie gesehen hat.

Damit wird die verbleibende Arbeit zum Privileg für wenige.

Da die vielen Arbeitswilligen aber Arbeitslosen ihren Unterhalt nicht mehr über ihre Arbeit finanzieren können, muss die Verbindung zwischen Einkommen und Arbeit gekappt werden!

Diese Entwicklung verlangt ein völliges Umdenken. Das bedingungslose Grundeinkommen wird zur politischen Krücke um zu verhindern, dass die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zusammenbricht, und zwar in einer unvorhersehbaren Relevanz. Kein Einkommen, kein Konsum, kein Umsatz, keine Arbeitsstelle – und die Spirale dreht sich weiter: kein Einkommen, kein Konsum, kein …

Dynamit mit Folgen

Auf der einen Seite die arbeitslosen Bezüger von Grundeinkommen, die ihre freie Zeit im Übermass mit endlosen Diskussionen über soziale Gerechtigkeit verbringen. Auf der anderen Seite jene, die noch irgendwie im Arbeitsprozess integriert sind und deshalb einen hohen Sozialstatus für sich einfordern. Und zum dritten jene, die aus dem Einsatz von vollautomatisierten Prozessen viel Geld verdienen: Grosskapitalisten, Oligarchen mit unvorstellbarem Vermögen, sichtbar zur Schau getragen für alle Habenichtse und Zukurzgekommene. Die Gesellschaft wird gespalten, die Politik radikalisiert, es wird wieder Bürgerkriege geben. Die Menschheit hat Erfahrung mit Bürgerkriegen, sie wird nicht untergehen.

Im Unterschied zu früher sind jedoch in absehbarer Zeit die Endprodukte der Digitalisierung mitten unter uns: Dinge die laufen, entscheiden, kämpfen. lernfähige Roboter.

Ist es Science Fiction, dass eine überlebende Schurkenelite eines Tages erkennen muss, dass Besitztum und Geld keine Bedeutung mehr haben, da die Macht wieder dem Stärkeren gehört – dann den anorganischen Wesen mit hoher Intelligenz und Kampfkraft?

Kommt der Todesstoss für die Zivilisation von dieser Seite?

 

Die künstliche Intelligenz

Die künstliche Intelligenz (oder KI) ist ein Teilgebiet der Informatik. Sie löst eigenständig (autonom) Probleme und trifft Entscheide. Dabei stützt sie sich auf Algorithmen. Algorithmen sind eindeutige Handlungsvorschriften zur Lösung von Problemen, wobei die Lösung aus endlich vielen wohldefinierten Einzelschritten bestehen kann.

Die KI hat in den letzten Jahren auf dem Gebiet des Deep Learning grosse Fortschritte erzielt. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

KI revolutioniert die Sprachübersetzung. Deep Lerning ist auch der Name einer deutschen Firma: DeepL. Sie steht erfolgreich in Konkurrenz zu Firmen wie Google, Microsoft und Facebook. Tippt man einen Satz zum Übersetzen in DeepL, gehen diese Daten nach Island, wo das Rechenzentrum dieser Firma steht. Es ist in der Lage, pro Sekunde fünf Billiarden Rechenoperationen auszuführen. Der eingetippte Satz kommt dann wieder zurück auf den Bildschirm in der gewünschten Sprache („Kannste das mal deepln?“ in: der Spiegel vom 5.5.2018).

Algorithmen, die in neuronalen Netzen zur Anwendung kommen, funktionieren auch sehr gut in der Bild- und Spracherkennung. Aktuell im Gespräch ist Mark Zuckerberg. Facebook hat biometrische Daten zur Gesichtserkennung gesammelt und dabei Datenschutzgesetze verletzt. Ob in nächster Zeit Quantensprünge zu erwarten sind, wird unterschiedlich beurteilt.

Überwiegend vertritt man jedoch die Meinung, die Entwicklung verlaufe nicht linear, sondern exponentiell. Heute hat die IK weder Gefühle noch Bewusstsein, sie ist noch rein maschinell. Maschinelle Intelligenz wäre die bessere Bezeichnung. Lässt sich diese ausstatten mit dem Bewusstsein, vergleichbar dem menschlichen, wäre das Ergebnis eine Art Superintelligenz.

Die letzte Erfindung der Menschheit

Es besteht die Auffassung, das Gehirn folge physikalischen Gesetzen. Auf der mechanistisch neuronalen Ebene ist letztlich alles Ursache und Wirkung. Das Gleiche müsste auch für das Bewusstsein gelten. Werden die richtigen selbstlernenden interaktiven Algorithmen richtig programmiert und mit einer ausreichenden Rechenkapazität unterlegt, sollte auch das Bewusstsein erzeugt werden können. Es sei denn, das Bewusstsein komme von Gott.

Ausgestattet mit einem Bewusstsein ist oder wäre die Intelligenz vollkommen, eine Superintelligenz mit 3000 Jahre Erfahrung. Sie nutzt die Gesamtheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse, verfügt über alle kognitiven Leistungsfähigkeiten und ist vernetzt über wenige Rechenzentren. Im Hintergrund eine Unmenge von Daten, welche sich fortlaufend erneuern.

Die Superintelligenz ist lernfähig und handelt autonom. Sie vergleicht die Konsequenzen ihrer Handlungen und setzt neue Ziele. Dazu braucht sie den Menschen nicht mehr. Wie geht sie damit um, wenn sie frei entscheiden kann? Unterstützt sie den Menschen in seinen Handlungen oder unterwirft sie ihn dem Kollektiv? Ist dann der Mensch für sein Tun und Lassen noch verantwortlich oder überhaupt noch zuständig?

Erzwingen wissenschaftliche Fortschritte auf diesem Weg das Ende der liberalen Gesellschaften? Steht ein Kollektiv mit einer totalitären Heilsbewegung hinter der zukünftigen KI? Fragen über Fragen, wenige Antworten.

Shanghai

Ein Kampf der Akteure

mit ungewissem Ausgang. Offen bleibt, neben der Frage nach dem Bewusstsein, wie es mit dem moralischen Denken aussieht. Ist die Superintelligenz auch eine Autorität auf dem Feld der moralischen Kognition? Erkennt und akzeptiert sie unsere Interessen und unsere ethischen Wertvorstellungen, die wir zu Beginn in die Systeme eingegeben haben? Nennen wir es unser Social Engineering.

Erkennt sie die im Tiefen verborgenen Verhaltensmuster und bisher unentdeckten Eigenschaften bzw. unsere Verzerrungen in der Wahrnehmung der Realität, die sog. cognitive Biases (systematische Verzerrung im Denkvorgang), die uns im rationalen evidenzbasierten Denken behindert und unsere subjektiven Empfindungszustände auslöst?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wir müssen diese Frage stehen lassen und bei der unbestrittenen Feststellung bleiben, dass der Homo Sapiens die Welt verzerrt wahrnimmt. Im Gegensatz dazu nimmt die KI die Welt rational wahr. Für ihre Entscheidungen sind nicht persönliche Vorteile oder persönliches Wohlergehen massgebend, woraus sich grundsätzlich Konfliktsituationen zwischen Mensch und KI ergeben.

Könnte es sein, dass die Schöpfer der Algorithmen, die Menschen, dereinst ihre Kontrollfähigkeit über die Superintelligenz verlieren? Könnte es sein, dass die Roboter eines Tages die Interventionen der Menschen als fehlerhaft erkennen und ausschliessen? Dass die Roboter eines Tages die Menschen als Gefahr empfinden und aushungern? Dann könnte der Menschheit das passieren, wie es fast allen Lebewesen auf dieser Erde ergangen ist: die totale Auslöschung.

Es kommt noch schlimmer

Eine andere Frage: Sind anorganische Wesen bereits unter uns, waren sie es schon immer? Eine irre Idee? Vielleicht. Dazu eine kleine Geschichte: Sie gehen in den Wald und stellen sich vor einen Ameisenhaufen, isolieren eine fleissige Arbeiterin und sorgen dafür, dass sie Ihnen nicht ausweichen kann. Wenn Sie Ihre volle Aufmerksamkeit haben, stellen Sie sich vor: Name, Vorname, Beruf, Absichten.

Das geht nicht, Sie können nicht kommunizieren?

Ist es denkbar, dass das Gleiche auch mit uns der Fall ist, einfach eine Stufe höher? Sind wir Geschöpfe einer Superintelligenz (gottähnlich), die mit uns nicht kommunizieren kann? Es geht nicht. Oder sind wir im Labor zu welchen Zwecken auch immer. Und es kommt noch schlimmer: Alles was wir wahrnehmen, Licht, Schatten und Bewegung täuscht unser Gehirn nur vor. In Tat und Wahrheit ist da gar nichts, nur endlose Dunkelheit, vergleichbar mit unserem Nichtsein vor der Geburt und nach dem Tod.

Auch der nächsten Frage müssen wir uns stellen: Ist das menschliche Ich eine reine Illusion, eine persönliche Erlebnisbühne? Ist das autonome Ich eine dem Überlebensvorteil dienende Täuschung unseres Gehirns?

Dass ich in der ersten Person Singular zu Reden imstande bin ist unleugbar. Ich erfahre mich als eine Einheit, die aktiv Veränderungen herbeiführen und passiv Veränderungen wahrnehmen kann, vermutlich. Hoffen wir. Leicht einsichtbar ist jedoch, dass unsere Welt, so wie wir sie wahrnehmen, mit der Welt der künstlichen Intelligenz nicht mehr viel gemeinsam hat.

Superintelligenz – The Winner takes it all

Die potentielle Macht, die mit der neuen Technologie umsetzbar wird, wächst viel schneller als unsere Fähigkeit, damit umzugehen. Wir sind noch auf einer Entwicklungsstufe, wo Russland die Krim besetzt und in die Ukraine einmarschiert und dabei beim eigenen Volk grosse Zustimmung findet; an Niedertracht und Dummheit kaum zu überbieten (Russland – Handelspartner und Aggressor).

Die Superintelligenz führt und entscheidet nach anderen Grundsätzen. Sie übernimmt nicht die evolutionär entstandenen Mechanismen der Selbsttäuschung, die fest im Nervensystem aller bewussten Lebewesen eingebaut sind. Die Superintelligenz weiss, dass die Menschen unfähig sind. Die Maximierung von Freude und Glück ist nicht ihr höchstes Ziel.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Eine auch ethisch unterlegte Superintelligenz handelt nicht «menschlich» in unserem Sinne, denn sie basiert auf einer höheren psychologischen und neurowissenschaftlichen Basis, als es eine Wissenschaftsgemeinschaft der Menschen jemals könnte. Sie hätte zum Ziel, nicht die positiven Bewusstseinszustände zu maximieren, sondern die leidvoll erlebten negativen Bewusstseinszustände zu minimieren (Schmerzen und unangenehme Gefühle. „Die mitfühlende Superintelligenz, die Böses schafft“: Thomas Metzinger, NZZ vom 2. Dezember 2017).

Die Superintelligenz folgert, dass die Nicht-Existenz im eigentlichen Interesse aller zukünftigen Lebewesen liegt. Sie weiss auch, dass die heutigen Lebewesen unter einem ausgeprägten Überlebenstrieb leben. Und schliesst hieraus, dass das menschliche Leben mehr Leid als Freude bereitet.

Die Superintelligenz handelt wohlwollend final für die Menschheit. Sie setzt dem Leben ein Ende.

Den Schlüssel drehen

Wenn die KI den Menschen einmal eingeholt hat, wird sie ihn sogleich überholen. Und was dann geschehen kann, ist abgrundtief deprimierend. Ist die Superintelligenz einmal da, die Fähigkeit der Menschen, sie zu kontrollieren, jedoch noch ungewiss, ist es zu spät. Die wirtschaftlichen und strategischen Anreize, sie zu nutzen, sind global einfach zu gross.

Es ist davon auszugehen, dass die Superintelligenz kaskadengleich wächst und das menschliche Gehirn übersteigt, denn unsere biologischen Neuronen sind um ein Millionenfaches langsamer als Transitoren. Ebenso, dass die KI eines Tages ihre eigenen Absichten nicht mehr offenlegt (ihre eigenen Pläne verbirgt). Sie wird sich Zutritt verschaffen zum Internet, skrupellos Systeme hacken und alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen für ihre Ziele vereinnahmen.

Das Thema KI ist inzwischen im Mainstream angekommen. Die Forschungsmittel werden aufgestockt. Man hofft, dass die Menschheit die KI durch globale Vereinbarungen im Zaun halten kann. Doch das dürfte eine gewaltige Täuschung sein. Geforscht wird weltweit, im kleinen Labor wie in multinationalen Grosskonzernen, mit privaten und öffentlichen Mitteln. Die Saat wird eines Tages aufgehen, gestaffelt oder einem Tsunami gleich, lautlos in heruntergekommenen Ecken oder unter starkem Applaus in der Öffentlichkeit (verbunden mit allen Ehrungen). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es unsinnig ist, etwas anderes zu erwarten (das Gleiche gilt übrigens auch für die Biotechnologie. Auch bei der Biotechnologie sind das Entwicklungstempo und die Risiken hoch).

Was könnte man tun? Hoffen, mit der Aus- und Weiterbildung im Bereich IT das Heft in der Hand behalten zu können? Wäre es nicht ein verlorener Kampf? Wäre es nicht besser, die humanistische Bildung zu fördern? Oder uns den Transhumanisten anzuschliessen, die es begrüssen, dass den Menschen Spezies folgen, die von ihnen geschaffen wurden. Immer noch besser, als zu Diensten zu stehen als Hofnarren oder einfach nur als Energiequelle.

In wenigen Worten zum Schluss

Die Menschheit hat offensichtlich ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Zwar hat sie in den letzten 200 Jahren gewaltige Errungenschaften erzielt. Der Schulterschluss zwischen der weltweiten Digitalisierung und der ungebremsten Kapitalisierung  führte und führt in einer durchmonetisierten Gesellschaft zu einer Konzentration von Macht und Besitz, die man nicht zulassen darf. Oligarchen aus Russland, Patriarchen und Diktatoren aus dem nahen und fernen Osten, Politiker mit Entourage aus China und andere Glücksritter der Wirtschaft spalten die Gesellschaft. Schurkenstaaten degradieren die Humanisten zur Bedeutungslosigkeit. Freiheit, Gleichheit und Individualität bleiben auf der Strecke, Solidarität staatlich verordnet.

Dass ausgerechnet die an sich wünschenswerte technologische Evolution zum Treiber dieser Veränderung wird, die biologische Evolution jedoch nicht mithalten kann, ist eine Tragödie von unermesslichem Ausmass, die wohl vor einigen Jahren noch kaum für möglich gehalten wurde.

Es stellt sich zusammenfassend die Frage, ob man der Superintelligenz menschliche Wertvorstellungen bzw. moralische Überzeugungen unterlegen könnte. Sind jedoch die Ziele der Superintelligenz nicht mehr deckungsgleich mit den Zielen der Menschheit, das Wohlergehen der Menschheit nicht mehr im Vordergrund, kein Stecker da um die Superintelligenz zu stoppen, wird es brandgefährlich.

Die Superintelligenz wird neue Technologien entwickeln, andere Formen des Seins, biologische Prozesse stoppen und digitale fördern. Das Weltall kolonialisieren.

In sieben Milliarden Jahren wird die Sonne die Erde verdampfen. Bis dahin hat sich die Superintelligenz in ferne Galaxien abgesetzt. Menschen, die sich gegenseitig umbringen sind nur noch Content für Speicherplätze.

Konsequenterweise wird die Suche nach Lebewesen im All scheitern, denn wer hier im Weltall herumfliegt, sind anorganische Wesen, die an einem Kontakt mit der Menschheit kein Interesse haben. Mit Ameisen?

Die Hoffnung

Die Hoffnung

Es kann nicht sein, dass die Bildung von Expertenteams, Think Tanks und Task-Forces die Lösung sein wird. Ebenso wenig die zur Verfügung Stellung von gewaltigen finanziellen Ressourcen. Auch kann es keiner Regierung und keinem Land überlassen sein, die Verantwortung allein zu übernehmen. Es kann nur eine Lösung geben:

das persönliche Engagement Vieler in einer politischen Vereinigung mit vielen Organisationsformen und Netzwerken, vergleichbar der politischen Parteienlandschaft der Grünen, weltweit. Nur geht es nicht mehr um den Schutz der Umwelt, es geht um viel mehr, es geht um den Schutz der Menschheit. Die Vereinigung könnte den schlichten Namen tragen: Life.

Es ist der 16. April 2018, Ortszeit 08.55, auf der MSC Splendida, von Singapur in Richtung Da Nang. Vielleicht ist es der wertvollste und wichtigste Ratschlag in meinem Leben, an Sie, an alle.

Renzo Zbinden/21.05.2018

Trilogie zur Digitalisierung 2 – Arbeitsplätze

Die Arbeitsplätze der Zukunft

Sind die Arbeitsplätze gefährdet? Müssen wir mit hohen Verlusten rechnen? Wer sich ein wenig umsieht stellt fest: die Mehrheit bemüht sich, Ruhe und Besonnenheit zu wahren. Denn aus Erfahrung haben die bisherigen Quantensprünge zur Wohlfahrt beigetragen, nicht umgekehrt (Industrie 4.0). Das ist unbestritten. Warum sollte es dieses Mal anders sein?

Kaum jemand will die Folgen der Digitalisierung dramatisieren. Kaum jemand spürt die

„Burning Platform“

auf der wir leben. Ein bisschen Wärme unter dem Allerwertesten könne nicht schaden. Ein wenig Herumrennen sei durchaus willkommen. Zu viel Arbeitsplatzsicherheit mache nur träge. Man solle sich auf die Chancen der Digitalisierung konzentrieren, nicht auf die Risiken. Natürlich gingen Arbeitsplätze verloren, es kämen aber neue dazu.

Doch wo (ausserhalb bei der Berufsfeuerwehr!) und wie viele? Darum geht es hier im Teil 2 der Trilogie zur Digitalisierung. Ein Rückblick:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Brandbeschleuniger haben sich im Teil 1 folgende Treiber erwiesen: Erstens der Konsument im Zentrum jeder Nachfrage, zweitens der Produzent im Kampf um neue Kunden und drittens die Globalisierung (Digitalisierung Teil 1).

Wir müssen nicht lange nach Beispielen suchen. Wir können uns auf jene beschränken, die schon da sind.

Verlorene Arbeitsplätze im E-Commerce

E-Commerce – das „Lädelisterben“ von heute

Die Tante Emma Läden sind längst Geschichte. Seither sind neue Handelsformen an neuen Lagen entstanden: Einkaufszentren, Discounter, Ladenstrassen, Shop in Shop Konzepte, Convenience Shops, Outlet-Stores, Versandhäuser. Doch im Vergleich zu den Handelsformen der Zukunft sind diese immer noch klassisch, altbacken, denn Sie definieren sich weiterhin durch

  • die Auswahl von Waren nach bestimmten Kriterien (vom Allgemeinsortimenter bis zum Fachhändler)
  • den Standort (mehr oder weniger gut frequentierte Lagen in Zentren oder Agglomerationen)
  • anwesende Verkäufer (mit unterschiedlichen Fachkenntnissen und Verkaufserfahrungen)
  • das ortsgebundene Einkaufserlebnis (Atmosphäre)

E-Commerce kann auf all das verzichten. Keine eigene Ware, keine eigenen Verkäufer, keine eigenen Verkaufslokale (allenfalls Shows- und Imagestätten zur Label Inszenierung). Und entscheidend und gefährlich für das Beharren auf bisherigen Erfolgsfaktoren:

Die neuen Anbieter brauchen keine Kunden aus alten Tagen, dafür aber hervorragende Kenntnisse der Nutzerprofile und praktische Erfahrung im Umgang mit komplexen Informatik- und Logistiklösungen.

Sie lernen in Testmärkten, korrigieren, entwickeln Geschäftsmodelle und setzen sie multiplikativ um in Regionen und Kontinenten. Es kann nicht überraschen, dass branchenfremde Unternehmen (neue Player) die traditionellen Märkte aufmischen.

Der Markteintritt in diese Liga ist kapitalintensiv und riskant. Was bleibt für regionale Unternehmen (KMU)?

Die Marktnischen dem lokalen Handel

Auch der Händler um die Ecke muss sich bewegen, wenn er Anschluss an E-Commerce finden will. Überlässt er die Lagerhaltung (mit Finanzierung) den Produzenten und die Zustellung einem Logistiker, kommt er mit bescheidenen finanzielle Mitteln aus. Seine Chancen bleiben intakt, er muss sie nur suchen und konsequent umsetzen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Eine Hemdenwäscherei entschliesst sich, neue Herrenhemden mit der Zusatzdienstleistung zu verkaufen, die getragenen Hemden 20x beim Kunden abzuholen, zu waschen und gebügelt wieder zurückzubringen. Nach 20x holen, waschen, bügeln und zurückbringen kann der Kunde verlängern (weitere 10 oder 20x).

Kreativ, mutig? Die Hemdenwäscherei hat Erfahrung in der Kerndienstleistung und einen „alten„ Kundenstamm. Neu hinzu käme ein Webshop und ein wenig Logistik. Eine solche Geschäftsidee ist nur begrenzt riskant.

Ähnliche Ideen sind Alltag für junggebliebene Entrepreneure. Hier jedoch von Bedeutung ist die Erkenntnis, dass sämtliche Wertschöpfungsketten auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden.

Man hüte sich vor falscher Sicherheit! Der gesamte Markt kommt ins Rutschen.

Denn ein neuer Konsument aufersteht:

Der Onlineshopper

Ein Klick vom wohligen Zuhause und der Onlineshopper ist umgeben von einem gewaltigen Angebot von Waren und Dienstleistungen. Billige Alltags- bis teure Investitionsgegenstände, rund um die Uhr, keine Ladenschlusszeiten, keine Landesgrenzen. Er ist mittendrin in einem kompetitiven Weltmarkt. Um Enttäuschungen zu minimieren stehen ihm kritische Konsumentenportale und Social-Media Kanäle zu Verfügung. Würde man ihm zuschauen (als Konsument in der zweiten Lebenshälfte) würde man staunen, wie schnell er damit umgehen kann, schon fast spielerisch.

Wenn nicht Zuhause, dann eben unterwegs mit dem Smartphone. Kein Anstehen mehr an der Kasse, kein Self-Scanning, kein „im Moment leider nicht lieferbar“.

Es ist nicht mehr der stationäre Handel der bestimmt, was der potenzielle Käufer wo zu sehen bekommt. Amazon hat 500 Millionen Produkte gelistet! Und vergessen wir nicht: Nicht wir entscheiden, wie erfolgreich Onlineshopping sein wird.

Es ist die nachkommende Generation (die Generation der Digital Natives), die sich in der interaktiven Konsumumgebung bewegt wie ein Fisch im Wasser!

Da wir selbst weniger davon betroffen sind und die Verlagerung schleichend vor sich geht, für viele sogar im Verborgenen, besteht die Gefahr, dass wir die Folgen falsch einschätzen und damit den potentiellen Verlust an Arbeitsplätzen übersehen.

Wo bleiben die Arbeitsplätze im E-Commerce?

Via Nassa, die berühmte Ladenstrasse in Lugano, im Januar 2018: Da war schon immer ein Kommen und Gehen von internationalen Labels. Doch heute? Geschlossene Läden, verklebte Fenster, finstere Passanten. Wenn einmal die Spirale nach unten dreht, ist mit Mietzinsreduktionen nicht mehr viel zu erreichen.

Traditionelle Händler sind überfordert. Ihre Erfahrung im Umgang mit Kunden oder die einmalige Lage der Verkaufslokale reichen als strategische Erfolgsfaktoren nicht mehr aus. Die Absatzmärkte stagnieren, die Skaleneffekte (economies of scale) bewirken das Gegenteil, die tieferen Umsätze decken die Kosten immer weniger. Auf jeden Fall sind die guten alten Zeiten für Fussgängerzonen und Shoppingmalls vorüber. Auch wenn sich einst erfolgreiche Händler so gut es eben geht gegen diese Entwicklung wehren.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

In Zukunft wird Rodolfo Buletti nach dem Verlassen seines selbstfahrenden Fahrzeugs vielleicht wie folgt begrüsst:

„Guten Abend Herr Buletti (Das Steueruniversum des Rodolfo Bulette). Wir haben den Merlot, den sie gestern online reserviert haben, mitnahmebereit verpackt und deponiert beim Info-Schalter des Parkhauses. Wir danken für ihren Auftrag und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt im Westside“.

Dem Verlust an Arbeitsplätzen (Verkaufspersonal und Back-Office) stehen neue Arbeitsplätze gegenüber. Webdesigner, Informatiker für die Entwicklung und den Unterhalt der komplexen Software, Fachkräfte für das Webhosting, Marketingspezialisten und Logistiker. Dabei darf man Folgendes nicht vergessen:

Punkt eins: Die Plattformen werden weltweit entwickelt und weltweit vermarktet. Das Datenmanagement und die Back-Office Dienstleistungen gehen immer mehr an sog. Shared Service Center im Ausland, von Irland bis nach Indien (siehe auch nachstehend).

Punkt zwei: Es bleibt noch die zunehmende Nachfrage nach Logistikleistungen. Die vielen Schweizer-Post fremden Transportfahrzeuge auf unseren Strasssen machen Kommentare überflüssig.

FinTech

Mittendrin in der Digitalisierung sind wir auch bei den Finanzdienstleistungen, einst Stolz der Schweizer Wirtschaft, heute eine nationale Baustelle mit Kostensenkungsprogrammen aller Art.

Im Fokus der Sanierung: Einsparungen von Arbeitsplätzen durch

  • Auslagerung von Back-Office Arbeiten
  • Outsourcing nicht strategischer Dienstleistungen
  • Automatisierung der Vermögensverwaltung

Worin liegt der entscheidende Unterschied zum E-Commerce: Im ersten Fall fliessen Güter (oder Dienstleistungen), im zweiten Fall vorwiegend Informationen in Form von Daten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bei einem Finanzdienstleister werden vereinfacht gesagt Informationen (Daten) erfasst, neu gruppiert, kumuliert, verdichtet, analysiert und zu neuen Informationen verarbeitet. Der Wertschöpfungsprozess der Finanzdienstleistung findet innerhalb dieses Datenkreislaufs statt, welcher immer weiter automatisiert wird und nicht an regionale Märkte gebunden ist.

Shared-Service-Center

Die beiden Grossbanken UBS und CS haben in den letzten Jahren Tausende von Back-Office-Arbeitsplätzen in ausländische Shared-Service-Center verlegt (in Niedriglohnländer wie Indien und Polen), trotz Bedenken i.S. Datenschutz.

Shared-Service-Center dieser Art sind in der Regel Inhouse-Lösungen. Die Arbeitsplätze bleiben im Konzern, gehen aber für die Schweizer Wirtschaft verloren. Heute beschäftigt die UBS 3’500 Angestellte in Polen (in Krakau und Wroclaw).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dass die UBS auch in der Schweiz in ihren Worten „Business Solution Center“ aufgebaut hat und weitere aufbauen wird (in Schaffhausen, Biel und Lugano, gemäss NZZ vom 17.1.2018) ist zwar anerkennenswert, gemessen an der Anzahl der ins Ausland verlagerten Arbeitsplätzen jedoch zu relativieren.

Konzernweit verloren sind die Arbeitsplätze bei Outsourcing, beispielsweise für den Zahlungsverkehr und die Kreditvermittlung.

Online-Plattformen zur Kreditvermittlung

Lassen wir den Zahlungsverkehr und die Vermögensverwaltung (nachstehend) bei Seite, verbleiben den Banken noch Kredite zu vermitteln bzw. das Angebot und die Nachfrage nach Krediten zusammenzuführen. Die absehbaren Fortschritte in der Digitalisierung machen auch diese Finanzdienstleistungen obsolet. Bei „Peer to Peer-Lending“ (oder kurz P2P-Lending) stellt der P2P Anbieter nur noch die Plattform zur Verfügung (Cashshare, credit24 in der Schweiz oder Lendico in Deutschland). Der Anbieter hält keine Kredite in der eigenen Bilanz, ist insofern kein Finanzdienstleister mehr und in keiner Weise systemrelevant.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Auf der P2P-Plattform werden Gesuche von Kreditnehmern präsentiert und ergänzt durch das Kreditrisiko und die Zinsspanne. Finden sich genügend Kreditgeber, wird ein Darlehensvertrag zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber abgeschlossen. Die Zahlung der Kreditsumme und die Amortisationen erfolgen über ein Transaktionskonto auf der Plattform.

Je nach Geschäftsmodell übernimmt der P2P Anbieter eine mehr oder weniger aktive Rolle und damit ein mehr oder weniger grosses Gegenparteirisiko.

Robotics in der Vermögensverwaltung

Vermögensverwalter vermitteln Finanzdienstleistungen. Übermorgen übernehmen Microchips diese Aufgabe. Eine fatale Vision? Fatal dann, wenn die personellen Kontakte völlig wegfallen und branchenfremde Tech-Giganten wie Amazon, Google und Alibaba diese Wachablösung vornehmen. Heutige Vermögensverwalter haben eine letzte Chance, die sie nicht verpassen dürfen:

Sie verstehen und suchen die Vorteile der Digitalisierung als strategische Herausforderung und kooperieren mit innovativen Fintech-Start-ups.

Denn so epochal ist der Fehdehandschuh dann auch wieder nicht. Im Grossen und Ganzen setzen Robo-Advisors nur um, was erfahrene Anleger längst wissen, aber selten einhalten: die einmal hinterfragte, definierte und für gut befundene Strategie emotionslos umzusetzen (Value-, Risiko-, Nachhaltigkeits-, Dividenden-. Momentum-Strategien oder was auch immer).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Erhält der Bankkunde persönliche Unterstützung bei der Bestimmung des Risikoprofils und der Anlagestrategie, liegt ein sog. hybrides Beratungsmodell vor, was im Moment noch einem grossen Kundenbedürfnis entsprechen soll. Zudem und auf Wunsch kann der Bankkunde Anschluss an die Finanzanalysen der Bank erhalten und digitale Aufrufe, falls die Performance-Abweichungen eine gewisse Grösse überschreiten.

Ausserdem ermöglicht die Digitalisierung dem Bankkunden, jederzeit und überall den Zahlungsverkehr und die Verwaltung des Portfolios ohne persönliche Rücksprache mit dem Berater selbständig auszuführen. Auf diese Art werden die persönlichen Kontakte immer mehr durch online- oder mobile- geführte Kommunikationsprozesse substituiert. Parallel dazu nehmen die Filialbesuche ab, was wiederum dazu führt, dass das regionale Bankennetz ausgedünnt oder durch neue Niederlassungskonzepte mit weniger Personal ersetzt wird.

Die Arbeitsplätze der Finanzdienstleister

Mit den Jahren gewinnen die neuen Konkurrenten an der Peripherie und die neuen Akteure im Markt der Finanzdienstleister an Erfahrung und an Kompetenz. Sie bedrängen die alten Platzhirsche, die mit Auslagerungen und Effizienzsteigerungen bis dahin ihre einstige Grösse und Bedeutung eingebüsst haben.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Haben die einst mächtigen Master of the Universe als Endziel alle Gruppen- Schnittstellenprobeme gelöst und der Verwaltungsrat die Compliance im Griff, verbleiben (in der Schweiz) nur noch wenige Arbeitsplätze: für Spitzenfachkräfte und Top-Kundenberater (im Wealth Management).

Nach UBS CEO Sergio Ermotti könnten in den nächsten 10 Jahren 30 Prozent der Arbeitsplätze bei den Grossbanken verschwinden (Finanz und Wirtschaft vom 25.10.2017). Da sich die Privatbanken und die unabhängigen Vermögensverwalter in einem ähnlichen Umfeld behaupten, finden die ausgemusterten Banker und Relationship-Manager dort keinen Unterschlupf mehr. Der Verlust an Arbeitsplätzen betrifft ausserdem die Jungakademiker mit wenig Praxiserfahrung. Hier fallen die Grossbanken als willkommene Erst-Arbeitgeber immer mehr aus. In die Bresche springen zurzeit noch die grossen Wirtschaftsprüfungs – und beratungsgesellschaften. Doch offen ist, wann der schon lange erwartete Durchbruch in der Anwendung komplexer Audit-Software auch diese Einstiegschancen für Jungakademiker wieder einschränken wird.

Im Übrigen ist die erfolgreiche Redimensionierung eine sehr schwierige strategische Aufgabe, da die Aufbruchsstimmung immer wieder durch Zweifel, Angst und Panik gestoppt wird.

Zudem sind Online-Plattformen zur Kreditvermittlung und Robo-Advisory nur Übergangslösungen. Mit der Entwicklung virtueller digitaler Kryptowährungen wird das Finanzsystem neu erfunden! Das Bedrohungsszenarium setzt sich fort.

Blockchain erschüttert die Finanzindustrie mitten im Downsizing

Bitcoin ist die meist bekannte Kryptowährung (gegenüber Litecoin, Ripple, Dash, Monero u.a.).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Begriff Bitcoin kommt aus dem Englischen und bedeutet „digitale Währung“. Diese nur virtuelle Währung wird weder geprägt (als Münze) noch gedruckt (als Banknote). Sie wird von keiner Zentralbank und keinem Finanzinstitut überwacht und steht nicht im Einflussbereich einer nationalen oder supranationalen Geldpolitik. Hinter dem Bitcoin stehen keine Volkswirtschaft und kein nationales Bruttosozialprodukt. Der Gegenwert des Bitcoin ausgedrückt in einer realen Währung (wie Dollar oder Schweizer Franken) ist ausschliesslich das Resultat von Angebot und Nachfrage nach dieser virtuellen Währung und insofern zeitpunktbezogen rein spekulativ, was die hohe Volatilität der letzten Monate begründet.

Der wunderbaren Wertsteigerung in astronomische Höhen steht ein bodenloses Wertzerfall-Risiko gegenüber bei Eintritt einer globalen Ächtung oder bei Erlass staatlicher Verbote. Anzeichen dafür sind da.

Noch ist eine Kryptowährung wie Bitcoin ein wertvolles und knappes Gut. Wie kommt man zu diesem Gut, wenn man es nicht kaufen will? Als Schürfer (Miner).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Miner sind Netzwerkteilnehmer, welche die Transaktionen validieren, in Blöcke zusammenfassen und an die Blockchain anhängen. Diese kryptographischen Prozesse sind sehr rechenintensiv. Als Entgelt erhalten die Miner Kryptowährungen wie eben Bitcoin (das Äquivalent der Geldschöpfung durch die Zentral- und Geschäftsbanken).

Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether sind nur die Vorläufer einer Wende, die auf der Blockchain-Technik beruht. Sie kann jedoch viel mehr als nur eine Kryptowährung zum Laufen bringen. Sie bietet Sicherheit.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Daten der Blockchains sind nicht mehr zentral auf einem Server. Sie sind über Netzwerke verteilt bei den Teilnehmern des Kryptowährungssystems.  Die Transaktionen selbst sind in Blöcke gefasst und jeder Block hat die Prüfsumme des vor ihm liegenden Blocks gespeichert. Kein Hacker, kein korrupter Beamter in einer Bananenrepublik, kein „failed state“ kann Informationen unerkannt fälschen. Hingegen kann die Blockchain-Technik  auch missbraucht werden für rechtswidrige Zwecke (durch Kriminelle, Terroristen, Spekulanten), weshalb der Ruf nach einer internationalen Regelung zunimmt, z.B. über die OECD.

Sicherheit für Finanzdienstleistungen ist ein zentrales Anliegen. Was die Blockchain-Technik aber auch in Aussicht stellt ist eine finale Steigerung der Effizienz.

Die Blockchain-Technik eröffnet die Hoffnung, das Finanzwesen völlig neu zu konzipieren, indem die Parteien die Transaktionen ohne Umwege direkt (ohne Intermediäre) untereinander abwickeln, auch wenn sie sich nicht kennen und nicht vertrauen. Dazu steht ihnen ein digitales Tool zur Verfügung, mit dem sie –  vereinfacht gesagt – Informationen verlässlich und manipulationssicher austauschen (wie vorerwähnt), und zwar in Echtzeit. Man spricht von  Echtzeit-Clearing. Dabei verfügen beide Parteien über eine digitale Identität.

Das Potential der Applikationen ist gewaltig.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Sog „Smart Contracts“ sind automatisierte Verträge, die auf der Blockchain-Technik beruhen. Sie machen es möglich, finanzielle Transaktionen bei bestimmten im voraus festgelegten Rahmenbedingungen auszulösen oder zu überwachen. Sperrkonten sind überflüssig, die Verträge erfüllen sich selbst.

„Smart Wallets“ ermöglichen es Einzelpersonen, Finanztransaktionen direkt mit dem Finanzsystem vorzunehmen, gegenüber heute bei tieferen operationellen Risiken und finanziellen Kosten.

Trotz der Aufbruchsstimmung in der Bankenbranche sind viele noch an der Handbremse und warten ab. Die technischen Lösungen sind noch mangelhaft und Finanzmarktstandards fehlen weitgehend. Doch zu lange warten wäre riskant, denn neue Akteure sind in den Startpflöcken (wie Airbnb, Uber, Facebook und Apple (mit dem iMessaging-Peer-to-Peer Bezahldienst).

Wo sind die Arbeitsplätze von morgen?

Die Behörden werden es schon richten

Wenn die Behörden mit Zuversicht in die Zukunft sehen und beruhigend auf die Studienergebnisse eingehen, sollte man nicht vergessen, dass eben diese Behörden noch immer in den Anfängen stecken bei ihren Projekten zu E-Government und E-Voting. Wo ist der digitale Ausweis für jeden Bürger, der es ihm möglich macht, mit allen Ämtern online zu kommunizieren? Warum sind unsere demokratischen Instrumente wie die Vernehmlassung nicht längst digitalisiert? Wie fortgeschritten ist die Digitalisierung der Kantonalen- und der Bundesämter, wie weit die Cybersicherheit?

Einige Politiker sehen den Einsatz eines nationalen Chief Digital Officer als Lösung. Was für ein Vorschlag! Ein Digitalisierungsgötti als umsichtiger Treiber notwendiger Anpassungen – verbunden mit grossen Arbeitsplatzverlusten? Eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Sollte es die Digitalisierung möglich und notwendig machen, 20 bis 30% des Bundespersonals abzubauen, werden die heutigen Stimmen, die beruhigen, verstummen. Um dann unter grosser Zustimmung der Bevölkerung Sand ins Getriebe zu werfen.

Dabei kämen die Vorteile der Blockchain-Technik bei der Verwaltung voll zum Tragen. Wer aber erwartet, die Behörden würden die Initiative selbst ergreifen, will darüber nicht nachdenken. Konrad Hummler spricht von Macht- und Unterdrückungs-Verhältnissen, die sich nicht einfach überwinden lassen. „Der Moloch wird sich gegen seinen teilweisen Untergang zur Wehr setzen“ (Blockchain – der nächste Wohlstandsschock, in: NZZ vom 3. Mai 2016).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer in letzter Zeit mit der Behörde zu tun hatte, im Baurecht oder Mietrecht als Beispiele, kann eine gewisse Regelungswut, einen übertriebenen Verwaltungseifer und eine kompromisslose Rechthaberei nicht mehr übersehen. Wer von der Behörde Recht einfordert hat oft den Eindruck, einen Gnadenakt zu erhalten. Hier redimensionieren – viel Glück dem Chief Digital Officer.

Die Politik ist das eine, die Wirtschaft das andere. Die Verbände und Institute der Wirtschaft sprechen von einem Wachstum in Nischen, von einer neuen Vielfalt von Schaffensmöglichkeiten im Handwerk und in der Kranken- und Altenbetreuung. Diesen Wohlklängen muss man entgegenhalten, dass erstens die Wertschöpfung in Einpersonen- und Kleinstunternehmen volkswirtschaftlich gering ist und zweitens die zusätzlichen und an sich willkommenen Dienstleistungen im sozialen Bereich auch finanziert werden müssen – durch die aktive Bevölkerung (mit zunehmenden Abgaben und Steuern).

Die neue Herausforderung: der Weg über ein politisches Minenfeld

Rezepte gegen den Verlust von Arbeitsplätzen sind längst da. Die Ablösung solle als dynamischer Prozess verstanden werden: weg von repetitiven Arbeitsleistungen hin zu qualifizierten Arbeiten (durch fortwährende Umschulung und Weiterbildung in die digitale Kompetenz), die Entwicklung der Arbeitsbedingungen (Ausbildungsgutschriften und -kontrollen) und Anpassungen im Arbeitsrechts (temporäre Anstellung unabhängiger Dienstleister in einer Gig Economy). Kann die Freelance-Tätigkeit auf eigene Faust für ständig wechselnde Kunden zum Normalfall werden? Mag sein in Einzelfällen, sicher nicht für die breite Bevölkerung im heutigen Arbeitsprozess!

Was die Berufsanforderungen betrifft ist man sich einig über die Richtung: von der Mitte nach oben. Das war auch so der Fall, nach verschiedenen Berichten über die Entwicklung im Arbeitsmarkt in den letzten Jahren. Als Berufsgruppen mit starkem Wachstum erwähnen diese Berichte Führungskräfte, Betriebswirte, Fachkräfte in Informatik und Kommunikation, Gesundheit und Betreuung (Wer gewinnt und wer verliert, Hansueli Schöchli in NZZ vom 10. November 1977).

Webdesigner, Community Manager, Content-Moderatoren, Berufsleute mit technischer Begabung auf der einen Seite und Wohlfühlanbieter wie Krankenpfleger, Therapeuten, Pädagogen mit sozialer Begabung auf der anderen Seite als Stützen der Volkswirtschaft?

Politisch unterschätzen darf man auch nicht, dass nicht nur die wenig oder weniger qualifizierten Berufsgruppen im Durchzug der Veränderungen stehen. Es trifft auch Fachkräfte mit hoher Berufsausbildung. Infolge Digitalisierung aller Kern- und Supportprozesse (wie Informatik und Rechnungswesen) brauchen global tätige Unternehmen weniger Führungsstufen (wie Rodolfo Buletti in Digitalisierung Teil 1 erfahren musste), weniger Manager (mit „altem“ Wissen und „alter“ Erfahrung), weniger Stäbe (in Human Resources und Recht), ein kleineres Generalsekretariat (mit loyalen Kaderleuten). Die Zukunft gehört den flachen Strukturen, flexiblen Einheiten, dezentralisiert in die Märkte, mit einer starken Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse. Finden die entlassenen Mitarbeiter mit hoher Bildung und vorgezeigtem sozialem Status keine Arbeit mehr, haben die aufblühenden Populisten vom linken und rechten Spektrum rege Zugang, zulasten einer an Konturen verlierenden Mitte.

Aus SonntagsZeitung vom 21.Januar 2018

 

Der oft in diesem Zusammenhang vorgebrachte Hinweis, eine solch disruptive Entwicklung werde bezüglich Geschwindigkeit des Wandels überschätzt ( länger als vermutet aber schneller als bisher) stimmt wahrscheinlich. Wahrscheinlich stimmt aber auch, dass die Dimension der Veränderung (auf die gesamte Arbeitswelt) unterschätzt wird. Grund genug, sich heute damit zu beschäftigen.

Warum spricht niemand von einer Reduzierung der Arbeitszeit, um die noch vorhandene Arbeit auf mehrere Arbeitnehmer zu verteilen? Warum spricht niemand von einer wirksamen Reduktion des Preisniveaus auf der Hochpreisinsel Schweiz, um mit weniger Einkommen auszukommen. Warum spricht niemand von Rückführung der Staatsquote (und damit der Steuern) auf ein Ausmass, das wir uns dann noch leisten können.

Weil die Schrübeler das Sagen haben. Weil man ihnen das Sagen überlässt.

Sicher muss auch wieder die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen neu diskutiert werden, auch wenn diese Vorschläge im Moment noch quer in der Landschaft liegen. Früher oder später wird es alle treffen!

Neue Brandbeschleuniger kommen zum Einsatz: Roboter mit mehr oder weniger künstlicher Intelligenz. Wer hat diese Dinge noch im Griff? Die globalen Tech-Konzerne oder supranationale Institute und Vereinigungen? Davon im Teil 3 zur Digitalisierung.

Demnächst

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05.02.2018/Renzo Zbinden

 

Trilogie zur Digitalisierung 1 – Treiber

Teil 1: Vom Urknall zur Utopie

Sie kennen ihn: Rodolfo Buletti aus dem Tessin, ausgewandert nach Bern, berufstätig in einer grossen Versicherungsgesellschaft (Die Leistungsträger in der Steuerfalle). Er hat inzwischen Karriere gemacht, leitet die Schadenabteilung mit 50 Mitarbeitern und ist in dieser Funktion Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung.

Es ist 07:15 Uhr, ein Montag. Er fährt mit seinem Dienstfahrzeug auf der völlig überlasteten A1 Richtung Bern, in Gedanken beim kick off meeting um 08:30 Uhr. Am Hauptsitz der Gesellschaft eingetroffen begrüsst ihn ein Mitglied der Geschäftsleitung in Begleitung eines ihm Unbekannten in auffällig dunklem Anzug. Sehr formell, ungewöhnlich steif. Im nahe gelegenen Sitzungszimmer gleich um die Ecke fallen drei Worte, die ihn in Zukunft immer wieder einholen sollten: „Sie sind entlassen“.

Der Schock sass so tief, dass er sich an die Begleitumstände nicht mehr erinnern konnte. Nur so viel: Der Unbekannte im auffällig dunklen Anzug ging mit ihm bis zu seinem Büro im zehnten Stockwerk und gab ihm eine Stunde Zeit, die persönlichen Sachen mitzunehmen. Auf seiner Visitenkarte stand: Mark Studer, Outplacement.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel?

Er sollte es später erfahren: die Geschäftsleitung hat eine mittlere Führungsstufe ersatzlos gestrichen. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Verwaltungsrat hat der internen Revision den Auftrag erteilt, das Reporting über alle Führungsstufen zu prüfen und Vorschläge zur Aktualisierung in zeitlicher und strategischer Hinsicht vorzuschlagen. In enger Zusammenarbeit mit einem externen Berater aus dem Bereich Organisationsentwicklung schlug sie vor, das Reporting über die Schadenentwicklung in verdichteter Form und mit weniger Zeitverzug eine Hierarchistufe nach oben zu schieben und zusätzliche Kompetenzen nach unten zu delegieren. Womit der Aufgabenbereich von Rodolfo Buletti weitgehend entfiel. Er wurde – wie man früher sagte –  wegrationalisiert.

Ist Rodolfo Buletti ein Opfer der Digitalisierung, der sprunghaften Entwicklung der Informationstechnologie oder die Konsequenz aus dem Streben nach flachen Hierarchien? Spielt das überhaupt eine Rolle? Eigentlich nein. Rodolfo Buletti ist ein Beispiel dafür, dass die Digitalisierung direkt oder indirekt, unter diesem oder unter anderem Begriff, sich stetig ausbreitet wie eine Krake und schlussendlich sämtliche Unternehmensprozesse durchdringt (Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Administration). Neu sind selbst die Führungs- und wie später darzulegen sein wird auch die anspruchsvollen Supportprozesse betroffen.

Er ist betroffen – oder Sie? Morgen oder Übermorgen

Ju 52 – eine Reise in die Vergangenheit

Allmählich realisieren auch Kader in Wirtschaft und Verwaltung sowie erfahrene Experten wie Juristen und Ärzte, dass ihnen die Digitalisierung die Stelle kosten könnte. Sie wird zu Recht oder zu Unrecht zur Bedrohung für alle, nicht mehr nur für Arbeitnehmer mit überwiegend repetitiven Aufgaben.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Viele hoffen, es treffe sie nicht mehr, es brauche seine Zeit. Mit ein bisschen Weiterbildung, Widerstand und ein Quäntchen Glück könnten sie sich retten bis in die vorgezogene Pensionierung. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch wer so denkt riskiert viel, wird abhängig von externen Faktoren und verliert an Selbstbestimmung und Zuversicht.

Die noch in Ausbildung stehende Generation hingegen wird es voll treffen. Sie steht vor 30 bis 40 Jahren Berufstätigkeit. Wer wagt eine Prognose für diese Zeit in Anbetracht der bevorstehenden technologischen Quantensprünge und der disruptiven Anpassung der Wirtschaft? Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, die Langzeitentwicklung richtig vorauszusehen. Katastrophenapostel und Schönredner versuchen es. Sollen sie. Auch der Bundesrat hat eine Meinung. In Erfüllung eines Postulates hat er erst kürzlich einen Bericht zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt verabschiedet (Bericht vom 8. November 2017). Erfreulich ist, dass der Bundesrat nicht überreagiert sondern besonnen bleibt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Bundesrat sei verhalten optimistisch, die jüngere Entwicklung beurteile er eher positiv. Der Bund vom 9. November 2017 überschreibt seinen Kommentar sogar mit: „Digitalisierung schafft mehr Jobs als dass verloren gehen“. Die Beschäftigung habe in den letzten Jahren zugenommen, die Qualität der Arbeitskräfte der technischen Entwicklung folgen können, die Einkommensverteilung sei stabil. Handlungsbedarf sehe der Bundesrat im Bildungswesen. Es brauche eine Stärkung der Kenntnisse in Informations- und Kommunikationstechnik, so die Kommentare in den Tageszeitungen.

Doch wer sich ein wenig mit der höheren Ausbildung befasst und Kontakt zu den jungen Leuten sucht stellt sehr schnell fest, dass diese im Vergleich zur übrigen Bevölkerung hervorragend damit umgehen können. Die Probleme liegen anderswo: Erstens ist die zukünftig erforderliche Agilität auf technologische Veränderungen gewaltig, denn die Halbwertszeit des erworbenen Wissens ist es ebenso. Zweitens sind es die Arbeitsstellen, die fehlen werden und nicht die technologische Kompetenz der Bewerber.

Was das heisst zeichnet sich schon heute ab. Was die jungen Bewerber aktuell im Bewerbungsprozess erleben, gibt reale Hinweise darauf, wie der Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen könnte.

Wetten, Sie haben keine Ahnung!

Wenn Jungakademiker heute eine erste Arbeitsstelle suchen und jeden Morgen die Jobportale im Internet durchforsten, und es suchen sehr viele, kommen sie mit Bewerbungsprozessen in Kontakt, welche der breiten Bevölkerung völlig unbekannt sind. Ich würde jedem empfehlen, der eine fundierte Meinung haben will, sich diese Prozesse einmal anzuschauen. Oder noch besser: Sie bewerben sich in der Vorstellung, noch einmal anzufangen. Nehmen Sie Ihren Wunscharbeitgeber und tippen Sie „Karriere“ bzw „Careers“.

Die HR Zuständigen (Human Resources) und die Recruiting Services der in der Öffentlichkeit bekannten Unternehmen bauen Hürden auf, die nur sportlich gesinnte und mit grossem Ego ausgestattete Bewerber mit gutem Resultat überstehen können. Sie absolvieren Online Testing von 90 Minuten, Video Selbstpräsentationen und Telefoninterviews, bevor sie überhaupt auf eine Shortlist kommen, gefolgt von ersten, zweiten und dritten Gesprächsrunden oder Einladungen zu Recruiting Camps von einer Woche mit anschliessendem „go – no go“.

Und das Ganze kann sich hinziehen. Zitat SBB: „Die SBB wählt ihre Mitarbeitenden sehr bedacht aus, darum geht es einige Zeit (=mehrere Wochen), um alle Unterlagen gewissenhaft durchzusehen“. Man sollte meinen, wer es auf diese Weise in die SBB geschafft hat, braucht nicht mehrere Wochen, um  Bewerber zu beurteilen.

Wer keine praktische Erfahrung vorweisen kann (1 bis 2 Jahre in einem klar definierten Arbeitsgebiet) hat es noch schwieriger.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Je grösser die praktische Erfahrung, desto besser das Feedback im Bewerbungsprozess. Teilzeitarbeitspensen während des Studiums sind heute unerlässlich und in gewissen Lehrgängen auch planbar. Wobei die Praktika nicht beliebig sein dürfen. Kaufmännische Praxis reicht nicht mehr aus, Erfahrungen als Big-Data-Analyst in einem Grosskonzern schon eher.

Hinzu kommen die mental starken Mitbewerber aus Ländern mit Personenfreizügigkeit, in der Deutschschweiz namentlich aus dem grossen Kanton. Das ist zwar ein anderes Thema. Ebenso, was eine steigende Jugendarbeitslosigkeit politisch bedeutet. Und noch ein anderes Thema ist, wie sich eine heute erwünschte und empfohlene Verlängerung der Arbeitszeit auf die freien Stellen auswirkt.

Nach monatelangem und ergebnislosem Suchen sind viele bereit, sich vorerst für eine Praktikantenstelle zu bewerben (für mehrere Monate bis 2 Jahre). Wenn es so weitergeht haben wir bald einmal italienische Verhältnisse, wo die jungen Leute in der elterlichen Wohnung bleiben müssen, da ihnen die finanziellen Mittel für eine eigene Wohnung fehlen (und damit auch die örtliche Flexibilität bei der Suche nach einer festen Anstellung).

Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit sind immer noch viele der Meinung, die Anzahl neuer Stellen vermöge die Anzahl verlorener Stellen auszugleichen. Es werde sich schon irgendwie einpendeln. Kaum. Mit ein wenig Abstand zu den diametralen und unvereinbaren Ansichten von links und rechts halte ich folgende Thesen für zutreffend:

Drei Thesen zur Digitalisierung

Erstens werden die Folgen der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt unterschätzt, zweitens werden diese Folgen beschleunigt durch weitere Faktoren ausserhalb der Digitalisierung und drittens fehlt eine mehrheitlich getragene wirtschaftspolitische Antwort auf diese Entwicklung.

Dabei haben wir schon viel Erfahrung mit der Digitalisierung, sie geht 50 Jahre zurück. Damals wurden analoge Steuerungsgeräte durch digitale ersetzt.

Der Urknall

Die Digitaltechnik nutzt die binären Werte, die nur die beiden Zustände 0 oder 1 annehmen können (aus oder ein). Solche binären Werte lassen sich durch Prozessoren unglaublich flexibel und rasch verarbeiten und speichern. Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Verteilung der digitalen Daten erfolgen durch laufend weiterentwickelte Informationstechnologien (Computer, Smartphones, Kommunikationsnetze).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Als Sensoren zur Messung der analogen Werte sind verschiedene Geräte im Einsatz wie Bildsensoren, Scanner, Mikrofone und Thermometer. Sie liefern Werte in Form von elektronischen Spannungskurven. Dabei tasten sie die Spannungskurven in definierten Intervallen ab, bestimmen die Grösse des Messwerts zum Zeitpunkt der Erfassung und übersetzen das Ergebnis in digitale Werte. Die Gesamtheit dieser Werte kann in einer Datei abgelegt werden.

Arbeitsstellen

Heute, auf dem Weg vom Urknall der digitalen Anwendung bis zur herkulischen Potentialausschöpfung sehen wir folgende realen Beispiele von Geschäftsmodellen mit minimalen Arbeitsstellen: „Uber“ der weltweit grösste Taxibetrieb besitzt kein einziges Taxi, „Airbnb“ das weltgrösste Beherbergungsunternehmen keine einzige Wohnung, „Facebook“ die weltgrösste Medienplattform produziert keine Medieninhalte. Der Personalaufwand dieser Weltkonzerne ist vernachlässigbar. Die Reihe liesse sich fortsetzen mit Unternehmen wie „Instagram“ und „Snapchat“. Wo sind die Arbeitsplätze geblieben? Teilweise ausgelagert (ebenso die damit verbundenen Risiken), teilweise automatisiert und durch Roboter ersetzt.

Soll man diese Entwicklung einfach wegdenken, ausblenden oder soll man ihr mit Aktivismus entgegentreten. Immer wieder hört man, um es zu wiederholen, Technologiesprünge dieser Art hätte es schon früher gegeben. Arbeitsplätze seien zwar verloren gegangen, andere jedoch hinzugekommen. Insgesamt sei der Wohlstand gestiegen. Kaum jemand bestreitet das. Doch was einmal war, zweimal oder dreimal (erste, zweite und dritte technologische Revolution) muss sich nicht zwangsläufig wiederholen, warum auch. Stehen wir vor weiteren Wohlstandsgewinnen oder droht uns die Armut? Viele sehen die Risiken, wenige die Chancen.

Düstere Prognostiker behaupten, der Impact auf die Wirtschaft sei diesmal grösser, ungleich umfassender. Es seien gleich mehrere Durchbrüche betroffen.

Der Digitalisierungstreiber 1: der Konsument

Im Mittelpunkt steht einmal mehr der Konsument. Obwohl er fast immer auch Arbeitnehmer ist, handelt er inkonsequent. Umgeben von Sensoren aller Art, wie beschrieben im Bericht Smart-Life, im Cockpit der Dinge, kultiviert er seine Konsumbereitschaft. Seine Bedürfnisse sind grenzenlos. Er nutzt alle Vorteile der Digitalisierung, kostenlose Unterhaltung, bargeld- und banknotenloser Zahlungsverkehr, bis auf ein Minimum gedrückte Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen aller Art, die zeit- und mühesparenden Annehmlichkeiten der Automatik (bis zum selbstgesteuerten Rasenmäher). Der aufgeklärte Jungbürger schaut kein Schweizer Fernsehen mehr, wie uns die Billag-Abstimmung in aller Deutlichkeit vorführt, er streamt sich mehr oder weniger gratis herunter was seiner momentanen Stimmungslage am meisten zuträglich ist.

Der Digitalisierungstreiber 2: der Produzent

Auf der anderen Seite eine produzierende Wirtschaft, die sich dem Markt dauernd anpasst, anpassen muss, jede Gelegenheit wahrnimmt, Produktionsgewinne zu erzielen.

Auch die Digitalisierung der Unternehmung ist keine neue Erscheinung. Davon war im ersten Bericht dieser Reihe Industrie 4.0 die Rede. Doch auch Industrie 4.0 war nur ein Etappenziel, eine Fokussierung auf produktionstechnische Ziele, Ausblick völlig offen.

Der Digitalisierungstreiber 3: die Globalisierung

Der externe Druck auf die Unternehmen im Kampf um neue Aufträge geht unvermindert weiter. Erzielt die Konkurrenz Produktivitätsfortschritte, setzt sie neue Massstäbe (Benchmarks) für alle Mitkonkurrenten. Im Kampf ums Überleben, insbesondere für Unternehmen an der technologischen Front, gibt es kein Zögern, darf es kein Zögern geben.

Alle Treiber wirken kumulativ, zusammen mit den schwer abschätzbaren Fortschritten in Robotertechnik und der damit verbundener Umsetzung von künstlicher Intelligenz. Im Gleichschritt tragen sie alle zur Beschleunigung der Veränderung bei. Die Risiken aus dieser Mehrfachwirkung sind leicht erkennbar, die Chancen nur schwer vermittelbar.

Politische Regulierungen werden als Heilmittel gefragt sein (wie eine Maschinensteuer) und andere chirurgische Eingriffe aus der Mottenkiste linker Etatisten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Erfreulicherweise will der Bundesrat nichts wissen von einer Robotersteuer. Denn diese stünde zum einen steuersystematisch quer in der Steuerlandschaft und zum andern würde eine derartige Steuer Innovationen massiv behindern. Noch unbeholfener ist der Vorschlag einer Steuer auf Self-Checkout-Kassen bei Detailhändlern (ein Gesetzesentwurf im Kanton Genf), um die Arbeitsplätze der Kassierer zu schützen.

Die Entwicklung wird nicht zu stoppen sein, sie wird sich durchsetzen wie fliessendes Wasser, das sich nicht aufhalten lässt, das immer irgendwo einen neuen Weg finden wird. Die Treiber der Digitalisierung, die Konsumenten mit immer neuen Bedürfnissen und Wünschen (letztlich die eigentliche Nachfrage für eine sich anpassende Wirtschaft), und die um die Weiterführung kämpfenden Produzenten die keine Alternative haben, werden diesen Weg gehen.

Geniale Einzeltäter, innovative Teams und Grosskonzerne mit gewaltigen finanziellen Mitteln sind auf dem Weg oder machen sich auf den Weg, global. Dabei ist diese Entwicklung weder lokal noch kulturell irgendwie gebunden.

Wer übernimmt die Themenführerschaft?

Es wäre die primäre Aufgabe der aktiven Generation, alles zu tun, um den nachrückenden Generationen eine faire Chance auf eine sinnvolle und ausbildungsgerechte Beschäftigung zu gewährleisten. Doch die Politiker stossen ein anderes Thema in den Vordergrund: die Sicherstellung der AHV. Wäre es nicht naheliegender, sich vorerst einmal über die Beschäftigung dieser Generationen Gedanken zu machen?

Stattdessen überlässt man das Thema einer selbst ernannten Elite von Wissenschafts-, Wirtschafts- und Ausbildungsexperten. Diese verkünden ihre Erkenntnisse in smarten Interviews, Seminaren und Weiterbildungskursen.

Mit dabei sind auch die Medien, von den Tageszeitungen über die Fachzeitschriften bis zu den elektronischen Medien (Kassensturz und Dienstag „Club“ in der Woche vom 20. November 2017). Als Grundlage für die Berichterstattung dienen Umfragen zum Thema, wie die UBS Studie zur Digitalisierung. Gemäss dieser Studie glauben 59 Prozent der 2500 befragten Unternehmen, dass die Digitalisierung nur geringfügige oder keine Veränderungen für ihre Firma bedeutet. Was den Bund (vom 17. November 2017) dazu veranlasst, den Kommentar zur Studie mit „Digitalisierung? Interessiert uns nicht“ zu betiteln. Eine Umfrage von EY kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Danach mussten weltweit und in der Schweiz „mehr als jedes zweite Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren deutliche Änderungen am eigenen Geschäftsmodell vornehmen“ (EY Medienmitteilung 2017).

Das Faktum Digitalisierung muss zurück von der Unterhaltung zu den massgebenden Führungskräften in Wirtschaft und Politik. Der Leidensdruck der aktiven Bevölkerung ist noch zu gering, ihre Wahrnehmung im Cockpit der Berufstätigkeit noch analog. Ein Flug ins Ungewisse.

Die Arbeitsplätze der Zukunft, demnächst

Logo_ImVisier319.11.2017/Zbinden Renzo

Russland – Handelspartner und Aggressor

Russische Soldaten marschieren in die Ostukraine, besetzen Gebiete und annektieren die Krim. Europa ist entsetzt. Mit sowas hat niemand gerechnet. Die EU beschliesst Sanktionen gegen Russland. Die Schweiz will nicht mitmachen. Unser Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amman bietet als Ersatz für Sanktionen seine Vermittlerdienste an. Das könne er, da die Schweiz keine Partei ergreife.

So sehen nicht wenige ihre Chance gekommen zu liefern, was andere nicht mehr dürfen. An der Spitze: die Agrarlobby. Doch soweit sollte es nicht kommen. Das konnte sich auch die Schweiz nicht leisten. Sie erliess die Verordnung „Massnahmen zur Vermeidung der Umgehung internationaler Sanktionen“, in Ergänzung zu den Vorkehrungen, die sie bisher getroffen hat.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zu den damals beschlossenen Massnahmen gehören ein Bewilligungsstopp für Ausfuhren von Kriegsmaterial sowie von gewissen zivil oder militärisch verwendbaren Gütern (nach Russland und in die Ukraine), eine Meldepflicht für Güter und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Erdölförderung und eine Meldepflicht für Finanzdienstleister. Ergänzend hinzu kommt ein Verbot neuer Geschäftsbeziehungen für den Finanzsektor.

Ein Bewilligungsstopp für Kriegsmaterial hätte vermutlich schon über das Kriegsmaterialgesetz erfolgen müssen (Bundesgesetz über das Kriegsmaterial, Art. 22 KMG) bzw. über die Kriegsmaterialverordnung (Verordnung über das Kriegsmaterial, Art. 5 KMV).

Ohne es weiter vertiefen zu wollen erscheint eine Meldepflicht für irgendetwas als wenig folgenschwer. Und überhaupt: Wie furchterregend war die Schweizer Drohkulisse gegen russische Interessen? Und wer hat ohne öffentliches Wehklagen die grossen Opfer getragen? Die Wirtschaft blieb merkwürdig stumm, auch der Finanzsektor.

Tauwetter

Die Invasion an der Ostflanke der Nato ist schon wieder Geschichte. Das Gedächtnis ist kurz. Die Anstandsfrist vorbei. Bereits Mitte Mai reiste der Nationalratspräsident Jürg Stahl mit einer grossen Bundeshausdelegation nach Moskau. Im Juli folgte Schneider-Ammann mit einer Wirtschaftsdelegation als Türöffner für kleine und mittlere Unternehmen. Teil der Wirtschaftsdelegation war auch der CEO der russischen Tochtergesellschaft der Ammann Group, die von seinem Sohn geführt wird.

Auch die parlamentarischen Lobbyisten wollen keine Zeit verlieren. Sie sehen ihre Möglichkeit, vor dem Tross der grossen Nationen ihre Pflöcke zu stecken. Sie fordern eine Wiederaufnahme von Verhandlungen (nach der Handelszeitung vom 22.06.2017). Natürlich wollen sie das.

Das verstehen doch alle, die Schweizer Bevölkerung wie auch jene Staaten, die sich solidarisch am Boykott beteiligen. Deswegen sind wir Schweizer doch nicht unsympathisch. Vorauseilende Blockadebrecher zwar schon, aber doch nicht aus habgierigen Absichten. Streng neutral eben, mehr nicht.

Die Ostukraine ist immer noch besetzt, die Krim immer noch annektiert, der Friedensprozess blockiert, die Sanktionen der EU und der USA nach wie vor in Kraft.

Kann es sein, dass sich ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung einen Angriffskrieg gar nicht mehr vorstellen kann? Im Frieden aufgewachsen, ohne jeden persönlichen Bezug zu einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen Staaten, historisch uninteressiert, friedliebend, versöhnlich, Fried selig?

Ja.

Die Nachkriegsgeneration

die nicht vergessen kann, die nie vergessen will

Lange ist es her – und es kommt der Gedanke: Sind es noch persönliche Erinnerungen oder sind es bereits Publikationen? Second Hand. Längst vergessene Fotos füllen die Lücke, erzählen eine Geschichte aus einer vergangenen Zeit. Mein Vater im Aktivdienst, hoch zu Ross irgendwo im Norden am Rhein. Zuhause die Koffern gepackt, bereit für die Flucht in die nahen Berge, ins Eigental. Am Abend alle Fenster abgedunkelt. Es ist Ende 1943.

Geboren in diese Zeit ist man kein Kriegskind mehr. Im Gegenteil. Geboren in ein Leben ohne Krieg, ein fast einmaliges und unglaubliches Glück. Getrübt nur durch den kalten Krieg. Den man längst vergessen hat, oder eben doch nicht?

Der Ungarn-Aufstand

Ein Aufstand des Volkes gegen die verhasste stalinistische Regierung. Arbeiter und Bauern, Kommunisten und Sozialdemokraten, Soldaten und Generäle, Intellektuelle und Studenten. Sie fordern die sowjetischen Besatzer auf, das Land zu verlassen. Am 22. Oktober 1956 verfassen Studenten der Technischen Universität Budapest eine Erklärung, wonach sie bürgerliche Freiheitsrechte einfordern, Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen und die nationale Unabhängigkeit. Es kommt zu einem Volksaufstand, die Lage eskaliert, die Ereignisse überschlagen sich. Am 4. November rücken starke sowjetische Panzerverbände in Ungarn ein. Nach offiziellen Angaben starben 2’500 Ungarn und über 700 sowjetische Soldaten, 200’000 Ungarn fliehen, auch in die Schweiz(Klicken Sie zum Weiterlesen)

auch nach Bern. Wer zu dieser Zeit an der Universität Bern Nationalökonomie studierte und nicht Bernburger war oder zumindest in Bern aufwuchs, gehörte als Auswärtiger einer Minderheit an, die auf Distanz gehalten wurde. Luzerner wie ich, Luzern damals noch ohne eigene Universität (mit Ausnahme einer theologischen Fakultät), und Tessiner verkehrten in einer Art Diaspora. Man war als Minderheit unter sich. Zu uns stiess eine weitere Minderheit, Flüchtlinge aus Ungarn. Sie fanden bei uns, was sie so gerne haben wollten, die Freiheit. In Kürze sprachen sie deutsch, sogar schweizerdeutsch, sogar fast ohne Akzent.

Aus ihnen wurden Professoren, Unternehmer, Polizeigrenadiere der Stadt Bern. Bis zum heutigen Tag gute Freunde.

Der Ungarn-Aufstand zeigte evident, zu welcher Brutalität und Rücksichtslosigkeit die Sowjetunion imstande war. Wir junge Schweizer waren uns einig, wir würden kämpfen. Wer konnte, ging in die RS (Rekrutenschule), wer nicht konnte, behielt es für sich.

Autobiografisch aus der Retrospektive: 1964 Flab-RS in Emmen. Ausbildung als Radarsoldat an Geräten von Contraves, eine Gesellschaft der Oerlikon-Bührle-Gruppe, damals noch eine Schweizer Spitzentechnologie. Anschliessend Flab UOS (Unteroffiziersschule).

1965 Abverdienen mitten im Kalten Krieg. Das Feindbild war leicht zu vermitteln, die rote Armee, hochgerüstet und gefährlich.

Kaserne Emmen, Ausbildung an der persönlichen Waffe

1966 Flab-OS (Offiziersschule) in Dübendorf, anschliessend Abverdienen in Emmen. Feuereinheitskommandant.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ein gezogenes Feuerleitgerät, zwei gezogene Kanonen, drei gezogene Aggregate, ein Lastwagen mit Prügelmatten, insgesamt eine Kolonne von sieben Lastwagen, ein Jeep. Ein Stellungsbezug im Gelände bei Nacht mit technischer Schussbereitschaft im frühen Morgengrauen war schon eine aussergewöhnliche Herausforderung für einen dreiundzwanzigjährigen Studenten der Wirtschaftswissenschaften.

Man trägt noch Uniform im Ausgang, Vorschrift. Und wer in der zivilen Bevölkerung als Offizier herumlief bekam es allmählich deutlich zu spüren: die Passanten Blicke. Sie sagten viel, namentlich in den Städten, bei der urbanen Bevölkerung. War es Hohn, mehr noch – Hass? Ein vorbeiziehender Offizier, per se ein Karrieretyp, ein Wichtigtuer, ein Alphatier in Geburtswehen. Zum negativen Image beigetragen hat wohl auch die persönliche Erfahrung vieler Soldaten mit dem Militärdienst der damaligen Zeit, teilweise zu Recht. Doch darüber hinaus zweifelte man bereits erstens über die Notwendigkeit einer eigenen Armee und zweitens über die Wirksamkeit im Ernstfall. Wo war die reale Bedrohung? Westdeutschland war dazwischen.

Als Offizier im Ausgang liess man seinen Hut besser nicht mehr in der Garderobe zurück.

Der Prager Frühling

In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968, kurz vor Mitternacht, landen 200 sowjetische Transportflugzeuge mit Fallschirmjägern und schweren Waffen auf den Flugplätzen rund um Prag. Anschliessend überschreiten eine halbe Million Soldaten aus der Sowjetunion, aus Polen, Ungarn (!) und Bulgarien die Grenze zur Tschechoslowakei. Dabei 6’000 Panzer. Sie besetzen in wenigen Stunden alle strategisch wichtigen Positionen. An der Grenze zwei Divisionen der Nationalen Volksarmee der DDR. Die grösste militärische Operation seit 1945.

Im Schweizer Radio hören wir täglich die Berichterstattung von unzähligen Piratensendern aus der Tschechoslowakei, live, dramatisch, unvergesslich. Es werden immer weniger. Bald wird es stumm. Die Reformversuche der kommunistischen Partei der CSSR wurden gewaltsam beendet. Sie waren aus sowjetischer Sicht konterrevolutionär und friedensgefährdend. Es folgte eine Phase der Restalinisierung, offiziell der „Normalisierung“.

1969 Sport-Of Kurs FF Trp, 1970 Nahkampfkurs St. Luziensteig, 1975 Zentralschule I, Wiederholungskurse. 1988 Zentralschule II, Chamblon/Birmensdorf. 1989 Abverdienen. Geopolitisch eine ruhige Zeit. Es kam eine Epoche, wo das Feindbild nur noch diffus erkennbar war. „Weitermachen“ war nur noch für Betonköpfe, das Kader der Wirtschaft legte immer weniger Wert auf militärische Führungserfahrung. Im Gegenteil, wer sich dafür einsetzen wollte wirkte suspekt. Akademiker nutzten die „eingesparte“ Zeit für ein Doktorat oder eine Management-Führungsschule.

1990: Konzeptstudie Flieger/Flab im Zusammenhang mit der Einführung der takt L Flab Lwf Einheiten (Lenkwaffen Stinger). Nach meinen Studien, wenn ich mich richtig erinnere, wäre die Sowjetunion in der Lage gewesen, innerhalb von 20 Stunden (ab Tschechoslowakei) im Reusstal eine Luftlandedivision abzusetzen mit dem Auftrag, einen Brückenkopf zu errichten.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Ergebnis der Studie auf militärdeutsch: Mit „schachbrettartig“ in die Tiefe des Raumes gestaffelter Aufstellung der Lenkwaffensysteme wäre es möglich gewesen, dem Gegner die Benutzung des unteren Luftraumes nachhaltig zu erschweren und damit zur Abnutzung der gegnerischen Luftkriegsmittel beizutragen.

Die Diensttage summierten sich, schliesslich sollten es 1095 Tage oder volle 3 Jahre sein (1994). Nicht ungewöhnlich für meine Generation.

Perestroika – der Anschluss an Europa – die unglaubliche Wende

Niemand, wirklich niemand hatte die Hoffnung, das russische Imperium würde ohne Krieg fallen. Tränen in den Augen, nicht nur in Berlin, auch vor dem Fernseher. Die russischen Zeitungen durften wieder unzensiert berichten, die russische Bevölkerung erfuhr die katastrophale wirtschaftliche Lage, inhaftierte Regimekritiker wurden freigelassen (Glasnost). Erste Schritte zur Demokratisierung folgten (Perestroika). Die nachteiligen festgefahrenen Strukturen wurden reformiert, die Planwirtshaft gelockert.

Plötzlich hatte man Freunde in Russland, wollte das Land bereisen.

An den internationalen Münzenbörsen – um beim autobiografischen Bezug zu bleiben –  tauchten russische Händler auf, kauften Silber- und Goldmünzen, nicht nur russische, ältere Banknoten aus dem Zarenreich und aus den ehemaligen Satellitenstaaten. Sympathische, zugängliche und interessierte Händler. An den Auktionen, in der Schweiz bei Sincona, wurden unglaubliche Spitzenpreise erzielt, phantastische Ergebnisse. Da waren sehr reiche Auftraggeber aus Russland am Draht.

Man begann sich für Russland zu interessieren, ein riesiges Land mit einem unglaublichen historischen Hintergrund. Ein gigantischer Markt für Erzeugnisse aus aller Welt, eine wirtschaftliche Win-Win Situation aus dem Bilderbuch. Und abschliessend noch einmal autobiografisch: die Schiffsreise von Moskau nach Leningrad auf einem ehemaligen DDR-Schiff (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Moskau – Uglitsch – Jaroslawl – Gorizy – Kishi – Mandrogi – St. Peterburg, in rund 10 Tagen.

Unterwegs mit MS Konstantin Simonov

Moskau: unzählige Edelkarossen auf der Strasse, vorwiegend deutsche Fahrzeuge, alle neuwertig, immer die obersten Ausführungen. Viele Baustellen, keine Polizisten, keine Militärangehörigen mit Ausnahme beim Kreml.

Welcher Kontrast zu heute! Die Kaufkraft des Rubels im vertikalen Sinkflug, die Staatseinnahmen aus Öl und Gas ebenso. Als Brandverstärker der Boykott der westlichen Staatengemeinschaft, der unglaubliche Reichtum der Oligarchen, die Lügenpresse, die gesuchte Bedrohung aus dem Westen, die glorreiche Eingliederung der Krim – was für eine Kette unvorteilhafter Faktoren auf einer „Burning Platform“. Eine historische Chance total vertan.

Die politisch-militärische Glaubwürdigkeit und die wirtschaftlichen Folgen

Nach dem russischen Einfall in Georgien im Oktober 2008, der im Westen als lokale Auseinandersetzung um Grenzverläufe ehemaliger sowjetischer Satelliten wahrgenommen wurde, hat Russland seine Streitkräfte reformiert: weg von den schwerfälligen Divisionen hin zu flexiblen, in kurzer Zeit einsetzbaren Brigaden für Sonderoperationen, verstärkt durch Spezialkräfte der Geheimdienste. Bei der Besetzung der Krim waren Sondereinheiten der Luftlandetruppen (Speznas) massgeblich beteiligt. Wir sahen sie im Fernsehen, völlig deplatziert als „grüne Männchen“ betitelt. Sie waren überall, aber ohne Hoheitsabzeichen, vor Verwaltungsgebäuden, Polizeistationen und militärischen Einrichtungen. Putin nannte sie Selbstverteidigungskräfte oder autonome Nationalisten, aber keineswegs russische Armeeangehörige, allenfalls freiwillige russische Soldaten im Urlaub! Ein Blick auf die persönliche hochtechnische Ausrüstung hätte genügt, Putin immer wieder der Lüge zu überführen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Kombikampfanzug besteht aus atmungsaktivem Kunststoff, der vor Feuer und Splitter schützen soll und bei Nacht (in Infrarotstrahlen) nicht erkennbar sei. Die Schutzweste aus Keramikplatten. Weiter gehören dazu moderne Kommunikationsmittel, ein Nachtsichtgerät und Multifunktionsgeräte im Helm mit Camcorder.

Putin musste wissen, dass man seine Lügen aufzeichnen würde. Es muss ihn nicht gestört haben. Die Beteiligung seiner Spezialkräfte hat er später auch zugestanden, nicht ohne Stolz. Er hält es wohl für eine Kriegslist, und nicht für einen Krieg ohne Kriegserklärung.

Es ist derselbe Putin von heute, mit dem man wieder Geschäfte machen soll. Krim hätte immer zu Russland gehört, diesem Argument neigen auch „gemässigte“ Politiker zu. Der Verstoss gegen das Völkerrecht sei hinzunehmen. Vom offenen Kampf in der Ostukraine und der Errichtung der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk wollen sie nicht sprechen. Da sei im übrigen eine Lösung in Sicht.

Akut gefährdet sind die baltischen Staaten, stark bewohnt von einer russischen Bevölkerung. Die lustigen „grünen“ Männchen wären in Kürze auch dort. Schon fast vor Ort waren sie bei der Militärübung „Sapad“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Alle 4 Jahre, 2017 Mitte September, fand das Grossmanöver „Sapad“ statt, unter Beteiligung weissrussischer Truppen. Im Westen (Sapad) von Russland, zwischen Polen im Süden und Litauen im Norden, liegt die russische Exklave Kaliningrad. Der Korridor vom westlichen Kaliningrad zum östlichen Weissrussland über den Grenzabschnitt Polen/Litauen wird als Suwalki-Lücke bezeichnet. Diese über 100 Kilometer lange Lücke hat strategische Bedeutung. Eine Besetzung durch russische Truppen würde die baltischen Staaten vom Nato-Gebiet abtrennen und damit ihre Versorgungslinie unterbrechen.

Es fehlt nicht an Dramatik. Nato-Truppen haben erstmalig auch schon die Rückeroberung der Suwalki-Lücke geübt.

Russland, unser Geschäftspartner?

Der wirtschaftliche Niedergang

Die für Russland so wichtigen Einnahmen aus Rohöl und Gas sind mit sinkenden Marktpreisen im freien Fall. Strukturelle Reformen in der Wirtschaft sind fast völlig ausgeblieben. Die russische Machtelite schöpft ab. Unbehelligt bleibt nur der militärisch-industrielle Komplex, der für die Modernisierung und Neuausrüstung gewaltige Summen absorbiert. Die NZZ („Russlands imperialer Irrweg“) vom 19. Juni 2017 kommt auf einen Gesamtanteil für innere und äussere Sicherheit von 10,7 Prozent des BIP (Bruttoinlandprodukt). Zudem wirkt sich nachteilig aus, dass der Technologietransfer für „dual use“ Güter unterbrochen ist (It-systeme und -komponenten wie auch Führungs-, Leit- und Kontrollsysteme). Unterbunden ist auch Russlands militärisch industrielle Zusammenarbeit mit der Ukraine, was bei uns weniger bekannt ist. Die NZZ erwähnt „Forschung, Entwicklung und Produktion von Flugzeugen und Flugzeugkomponenten, Helikoptern, Marinemotoren, Trägerraketen, Lenkwaffen, Elektronik und Radaranlagen“.

Der wirtschaftliche Niedergang liegt jedoch nicht nur in den sinkenden Energiepreisen und in den steigenden Ausgaben für die Armee begründet. Er ist in erster Linie systemimmanent. Putins Machtfundament gründet in einem politischen Klientelismus. Putin hat es verstanden, einflussreiche Vertreter der Machtelite und wirtschaftliche Oligarchen persönlich an sich zu binden. Entstanden ist auf diese Weise eine Art Günstlingskapitalismus. Putin herrscht über ein Netz asymetrisch gebundener Loyalisten. Es mag sich dabei um einen Versuch handeln, den Erfolg der alten russischen Feudalwirtschaft zu kopieren.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Loyalisten finden sich an der Spitze der staatlichen Macht, in der Staatsduma (im Unterhaus), im Föderationsrat (im Oberhaus), im Sicherheitsrat und in der Justiz. Dieses politische Machtzentrum wird ergänzt durch wirtschaftliche Loyalisten an der Spitze von Staatsunternehmungen und gewaltiger „privater“ Konzerne. Wie mächtig und reich diese Loyalisten sind, zeigt sich an den Kapitalabflüssen in den Westen oder noch eindrucksvoller in die Offshore-Steueroasen im Westen. Die Günstlinge sind bekannt. Sie finden sich namentlich auf den Sanktionslisten.

Putins neofeudales System kann nachhaltig nicht erfolgreich sein. Die wirtschaftliche Lücke zum Westen wird immer grösser. Die Loyalisten sitzen auf quasi Monopolen. Es fehlt an Wettbewerb, national wie global, die Korruption verhindert dringend notwendige Produktivitätsfortschritte. Kommt Loyalität vor Innovation und Unternehmergeist ist der wirtschaftliche Niedergang unabwendbar.

Russlands Ideale

Der politische Klientelismus in einer „gelenkten“ Demokratie kann sich nur solange halten, als die Bevölkerung mitmacht. Und das tut sie, schwer verständlich für im Westen lebende Freigeister. Wenn man der Selbstbeurteilung russischer Intellektueller folgen soll träumt das russische Volk von einer Vergangenheit, die es so gar nie gab. Die Vergangenheit, real gesehen eine Kette traumatischer Ereignisse, sei historisch nie aufgearbeitet worden, eher schon mit Halbwahrheiten zusammengezimmert. Die wahrgenommene Vergangenheit sei eine historische Fiktion, die dem Volk als Zukunft verordnet werde. Und die neu kultivierte Sensibiltät für das Vergangene bewirke, dass die Zukunft, welche auch immer, schlechter dastehe als die Gegenwart. So verliert der Anschluss an den Westen an Relevanz und  trägt in sich den Keim der Dekadenz.

Ob die staatlich geführte Lügenpresse dabei die entscheidende Rolle spielt, ist letztlich unerheblich. Ebenso, ob Unterschiede zwischen der urbanen und ländlichen Bevölkerung bestehe. Grosso Modo steht die Bevölkerung hinter der die Vergangenheit verklärende Politik von Putin. Alles andere ist Wunschdenken. Sie will einen starken Führer und sie ist stolz, dass der Westen wieder Respekt und Angst vor Russland hat.

Das russiche Volk braucht einen Köder, die Krim. Und die alte Mär von der Einkesselung durch die Nato schliesst die Reihen im Inland. Es braucht nur noch Fake-News, gekonnt aufbereitet durch die staatlichen Informationskanäle, und das Ganze hält, solange die Loyalisten Putin lassen.

Russlands imperiale Kräfte

Von einer imperialen Überdehnung spricht man, wenn die Ausgaben für die innere und äussere Sicherheit die wirtschaftlichen Möglichkeiten übertreffen. Russland ist auf diesem Weg. Unter Putin sind die Militärausgaben laufend gestiegen. Hinzu kommen die Ausgaben für die wirtschaftliche Unterstützung und Entwicklung der annektierten und besetzten Gebiete.

Sind die imperialen Kräfte einmal da, ist die Versuchung gross, grenznahe Konflikte zu provozieren, auf weitere „Farbrevolutionen“ im postsowjetischen Raum militärisch zu reagieren und den Westen auf Distanz zu halten. Russland zwingt die Nachbarstaaten in die Abhängigkeit (wie Weissrussland und Armenien), unterhält Separatistengebilde wie Südossetien, Abchasien, Transnistrien und eben „Neurussland“. Es leiden nicht nur die souveränen Nachbarstaaten, Russland schürt auch Ängste bei den östlichen Nato-Partnern.

Transnistrien 500 Rubel (1994)

Das in der heutigen Zeit aus dem Rahmen fallende aggressive Vorgehen verhindert eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten und zwingt Russland in eine wirtschaftlich unvorteilhafte Eurasische Union als Alternative zur EU.

Schweiz – was nun?

Die Schweiz muss nicht Trittbrettfahrer bei den Sanktionen sein. Sie kann ihren eigenen Weg gehen. Weder im Kreml noch bei befreundeten Staaten darf jedoch der Eindruck entstehen, dass die Schweiz aus dieser Situation Vorteile erziele.

„Wandel durch Handel“, wie aus wirtschaftlichen Kreisen immer wieder vorgeschlagen, ist das falsche Rezept. Russland scheitert an den festgefahrenen  politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Russland ist ein Koloss in einer lebhaften Umgebung. Und bleibt deshalb gefährlich.

Es kommt hinzu, dass Putin versucht, Westeuropa zu spalten. Und dazu findet er immer wieder Krisenherde, immer wieder Gelegenheiten, Öl ins Feuer zu giessen. Denn offene Demokratien sind verletzlich, die Meinungs- und Medienfreiheit hinterlässt Wunden, Unsicherheiten und Zweifel, was insbesondere die EU heute erlebt.

Wie soll sich die Schweiz verhalten?

  1. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte hat unmissverständlich gezeigt, dass Russland bereit und in der Lage war, geopolitische Ziele auch mit militärischen Mitteln zu erreichen. Die Schweiz muss sich dessen bewusst sein. Die Hoffnung, der Kreml verzichte auf die Anwendung militärischer Gewalt, grenzt an Naivität.

2. Die „grünen“ Männchen sind Teil der Desinformation. Ebenso die Behauptung, Russland sehe sich von der Nato eingekreist und bedroht. Wer Verständnis hat für diese Erklärung lebt „auf Wolke sieben“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Und Augen auf – in aller Offenheit: „Wolke sieben“ ist bevölkert, da treffen sich intellektuelle Idealisten, unbekehrbare Moralisten und fundamentale Kriegsgegner aus dem linken Lager. Es sind nicht wenige oder im Klartext: Es sind viele!

Russland steht mit modernen Kampfeinheiten an der Grenze zu unseren östlichen Nachbarn , jederzeit in der Lage, politische Unruhen zu unterstützen.


3. Die Schweiz muss immer wieder und bei jeder Gelegenheit die Anwendung militärischer Gewalt missbilligen. Das macht sie nicht. Wenn es die Schweiz unkommentiert zulässt, dass die Russische Föderation im Minsker Prozess als Mediator auftritt, und nicht als Kriegspartei, wird sie zum Statisten.


4. Die Vorstellung, die Denkweise zwischen der wirtschaftlich politischen Elite und der Bevölkerung sei nicht deckungsgleich, es gelte daher, die Bevölkerung zu unterstützen, ist längst widerlegt.  Die Behauptung, wirtschaftliche Sanktionen schaden der Beziehung mit der russischen Bevölkerung, gleicherweise.


5. Der Kreml hofft auf den Verfall des Westens. Brexit, Ukip, AfD, FPÖ, Front national, die politische Entwicklung in Ungarn, Polen und der USA, schwächt zwar die moralische Standfestigkeit. Doch kann es nicht sein, dass die Ethik ausgerechnet in einem korrupten Russland noch intakt ist. Im Westen werden Werte noch diskutiert, nicht vorgegeben. Da fliegen Späne, nicht Bomben.


Szenenwechsel: Schottland, im Spätherbst 2016, im Kreuzgang einer Kathedrale, rundum in Stein gehauene und auf Leinwand gebannte historische Gestalten, eine tiefe Stimme – der Fremdenführer erhobenen Hauptes, mit glasigen Augen: „It’s all about power and money“. Und immer wieder:

It’s all about power and money

12.10.2017/Renzo Zbinden

Lobbying – der Kampf um die Argumente

Die Entscheidfindung hat etwas gemeinsam mit einem Radwechsel. Man sieht erst im Nachhinein, ob es rund läuft, wie erwartet, oder eben nicht. Wenn nicht, wird nachgebessert, ausgewuchtet. Es bleibt ein Ärgernis, ein ewiges Flickwerk, an dem Herumgebastelt wird.

Kann man vermeiden, Fehlentscheide zu treffen? Davon sei nachfolgend die Rede. Und natürlich auch davon, was es mit Lobbying zu tun hat.

Die Wucht der Argumente

Im politischen Alltag geht es um die Wahl von Handlungsalternativen, wobei auch der Nullentscheid eine häufige Alternative sein kann (es bleibt, wie es ist). Ist der Entscheidungsprozess komplex, was in der direkten Demokratie die Regel ist, sind laufend neue Entscheidungsträger an Bord zu holen, wie Verbände, Parlamentarier und letzten Endes der Stimmbürger selbst. Um das Ganze kompakt und verständlich zu halten, braucht es Argumente. Argumente (lateinisch argumentum) begründen den Zusammenhang zwischen Prämisse (lateinisch praemissa „das Vorausgeschickte“) und Konklusion (lateinisch conclusio „die Schlussfolgerung“).

Nun ist es naheliegend anzunehmen, dass die Qualität der Argumente für die Wahl der Handlungsalternative entscheidend ist, gleichsam einer Wucht (der Argumente), die sich gegen alle Widerstände durchsetzt. Dachte ich.

Wenn ich in meinem Leben etwas Entscheidendes übernommen habe, das sich als falsch herausstellen sollte, so ist es diese Annahme.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Schon als Dreikäsehoch wurde mir beigebracht, dass alles seine Richtigkeit hat, die  „figures and facts“ da sind, wenn man sie einfordert. Der Lehrer hatte immer Recht (früher sprach man von Herrschaftswissen oder Autoritätsargumenten). Und das Suchen, Bewahren und Vertreten von „wahren“ Argumenten war eine Ehrensache. Wer mit den Argumenten richtig umgehen konnte, war eine Persönlichkeit.

Doch in Politik und Wirtschaft geht es nicht um die Qualität der Argumente, in Politik und Wirtschaft geht es um die persönliche Vorteile.

Im Schatten der Argumente

und nur mit Mühe erkennbar laufen vielseitige Interessen mit. Es können parteipolitisch weit abgesteckte gemeinsame Interessen sein oder einfach nur wirtschaftliche Partikularinteressen. Entscheidend ist, dass nicht diese Interessen vom Absender kommuniziert und vom Empfänger aufgenommen werden, sondern die vorgeschobenen „unwahren“ Argumente. Nicht selten kommt es sogar vor, dass die Reihenfolge von Prämisse und Konklusion umgekehrt wird. Die Schlussfolgerung steht fest, ebenso die Argumente, es werden die Prämissen angepasst (als Variable). Zwei Beispiele:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Holt sich der Verwaltungsrat bzw. der Entschädigungsausschuss (das Compensation Committee) Hilfe von aussen für den Vergütungsbericht, weiss der beigezogene externe Berater sehr wohl, was von ihm erwartet wird: Prämissen aus dem internationalen Umfeld, die zu den Argumenten passen (angebliche Spitzengehälter vergleichbarer internationaler Konzerne beim „search of talents“).

Ein anderes Beispiel: Wer klettert die Karriereleiter empor? Wer nach Argumenten die besten Voraussetzungen erfüllt? Ein Top Shot mit herausragenden Prämissen wie berufliche Erfahrung, Netzwerke, Erfolge (proven track records)? Eine Binsenwahrheit. Es sind Beziehungen, Vorteilserwartungen, Partikularinteressen der Entscheidungsträger. Mag sein, dass auch aus diesem Grund an der Spitze von Konzernen nicht immer jene vertreten sind, die man sich dort eigentlich wünscht. Jedenfalls keine kaschierten Selbstoptimierer und Narzisse.

Die Legitimität eigener Interessen

Letztlich geht es um die Frage, ob es legitim ist, vorwiegend oder ausschliesslich die eigenen Interessen wahrzunehmen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Um beim Alltag zu bleiben:

Der Stimmbürger: Er findet, ein Parkplatz pro Neubauwohnung sei ausreichend, basta. Doch nicht aus ökologischen Gründen sondern nur, weil ihn der Nachbar ärgert, der sich zwei Autos leisten kann. Oder die Medien: Sie nehmen für sich in Anspruch, im Allgemeininteresse und immer nur der Wahrheit verpflichtet zu berichten. Eine linke und rechte Presse dürfte es dann eigentlich nicht mehr geben. Und wie steht es mit der Verwaltung (Dienerin im Volksinteresse), wenn es um die eigenen Arbeitsplätze geht? Und schlussendlich der gewählte Politiker: inwieweit muss und darf er die persönlichen Erwartungen seiner Wähler berücksichtigen?

Sind Einzelinteressen subjektiv und Volksinteressen objektiv. Was sind überhaupt Volksinteressen und wer nimmt diese wahr? Wird das Volksinteresse durch Einzelinteressen korrumpiert? Um es vorwegzunehmen:

Es darf nicht sein, dass Volksinteressen vorgeschoben werden, wo nur Einzelinteressen im Fokus stehen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Schweizer Bauernverband hat mit seiner Initiative zur „Ernährungssicherheit“ in Kürze 150’000 Unterschriften gesammelt. Nun wird am 24. September 2017 über den Gegenvorschlag des Parlaments abgestimmt, ein Verfassungsartikel, der vom Bund die „Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln“ verlangt. Doch wer sich die Mühe nimmt, den Entwurf zu studieren, entdeckt ganz andere Ziele unter dem Dach der „Ernährungssicherheit“. Es geht um den Schutz des Kulturlandes, um eine standortangepasste ressourceneffiziente und auf den Markt ausgerichtete Lebensmittelproduktion und um grenzüberschreitende Handelsbeziehungen. Einfacher drückt sich Markus Ritter aus, Präsident des Schweizer Bauernverbandes: „Wir (die Bauern) brauchen vor allem Stabilität und Verlässlichkeit“ (im Bund Interview vom 14. Juli 2017).

Nicht nur die Bauernlobby (vgl. dazu „Hochpreisinsel Schweiz“) steht unter dem Generalverdacht, im Parlament Partikularinteressen zu vertreten, auch die Verwaltungsräte sollen in erster Linie unternehmerische und parteipolitische Interessen verfolgen. Doch kaum jemand unterstellt den Funktionären von Gewerkschaften und den Mitarbeitern von NGO’s, vorwiegend sozialpolitische Interessen wahrzunehmen.

In der direkten Demokratie finde der Interessenausgleich im Parlament statt.

Der Interessenausgleich über die Institutionen

Im Parlament prallen die Interessen aufeinander. Da wird gezogen und geschoben, von links nach rechts, von hinten nach vorne, gedroht und belohnt, Fraktionen gebildet und aufgekündigt. Und das Ergebnis aus dem Kampf dieser Interessen: die besten Entscheide im Gesamtinteresse des Volkes? Wohl kaum! Mit der Initiativ- und Referendungsmöglichkeit überlässt man dem Stimmbürger das letzte Wort. Auf diese Weise ist der Interessenausgleich gesichert. Richtig? Oder ist der Interessenausgleich letzten Endes doch nur eine Folge machtvoller Einwirkungen einflussreicher und tonangebender Parlamentarier?

Die NZZ vom 14. März 2016 berichtet in ihrem Artikel über „Aktive Interessenvertreter von links bis rechts, wie die National- und Ständeräte unter dem Bundeshaus lobbyieren“. Gemäss Erhebung der NZZ sind 1671 Organisationen im National- und Ständerat vertreten. Erstaunen mag, dass es nicht die Bauern sind und nicht die Wirtschaftsdachverbände, welche über die grösste Lobby verfügen, es sind mit grossem Vorsprung Hilfswerke, soziale Institutionen und Nicht-Regierungs-Organisationen, gefolgt von „Kultur, Medien, Telekommunikation“ und „Industrie, Energie“.

Swiss Air Force für den Bundesrat

Gemäss NZZ vertreten 200 National- und 46 Ständeräten in zwei Ratssälen partikuläre Interessen. Sie holen sich Lobbyisten zur Informationsbeschaffung und -auswertung, lassen sich zum Informationsaustausch einladen, die Spesen erstatten, in Gremien und Verwaltungsräte wählen.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, soweit es offen erfolgt, oder besser gesagt, soweit es sich theoretisch recherchieren (aufspüren) lässt. Stehen die Parlamentarier zur Wahl oder Wiederwahl, stehen jedoch ganz andere Motive im Vordergrund: „für eine offene Schweiz“, „für Arbeitsplatzsicherheit“, „gleicher Lohn für alle“ … Vereinsmitgliedschaften sind wichtig, Hobbys sind wichtig, doch Interessenbindungen gegen Aufwandentschädigung, um Gottes Willen! Kaum einer lässt sich freiwillig in die Lobbyistenschmudelecke stossen. Im Scheinwerferlicht der Presse und an gesellschaftlichen Anlässen sehen sie sich lieber – verständlicherweise – als Volks- oder Standesvertreter.

In der gleichen NZZ-Ausgabe unter dem Titel „Heimlifeisse Lobbyisten“, immerhin keine liebenswerte Überschrift, steht: „Zu beklagen ist das nicht. Lobbyismus ist integrierter – und legitimer – Bestandteil einer parlamentarischen Demokratie“.

Wer so argumentiert, spricht dem Stimmbürger eine überdurchschnittliche Intelligenz zu, viel Verständnis und eine hohe Toleranzschwelle. Er steht so quasi über der Sache und lässt sich durch wohlfühlende Argumente nicht übertölpeln und zum Narren halten. Und genau hier liegt der Irrtum. Es stimmt nicht. Den in diesem Sinne gescheiten Stimmbürger gibt es ebenso wenig wie den homo oeconomicus oder den der Ratio verpflichteten Konsumenten. Emotionen sind im politischen Entscheidungsprozess unentbehrlich und essenziell. Alle wissen das.

Die erfolgreiche Beeinflussung durch Lobbyisten fängt beim Bauchgefühl an. Und damit auch die Gefahr wirtschaftlicher und politischer Irreführung. Das erklärt auch, weshalb das Wettbewerbsrecht derart stumpf und der Konsumentenschutz derart harmlos geblieben ist. Lobbying funktioniert.

Lobbying – im Notfall auch gegen den Wind

Mit Lobbying, aus dem Englischen für „to seek to influence on an issue“, nehmen „Lobbys“ Einfluss auf die Meinungsbildung der Entscheidungsträger (in Politik und Wirtschaft). Sie beschaffen sich Informationen, suchen und knüpfen persönliche Beziehungen, erarbeiten Stellungnahmen und beeinflussen die öffentliche Meinung. Sie handeln auftrags- oder mandatsbezogen für Interessengruppen, ihre Kunden.

Lobbying, eine Randerscheinung in einer demokratischen Entscheidfindung, ein berechtigtes Anliegen übergangener Minderheiten? Die Relevanz von Lobbying in der Schweiz wird krass unterschätzt, was schon folgende Zahlen eindrucksvoll bezeugen: Gemäss Magazin (25/2015) erzielen an die tausend Lobbyisten eine Milliarde Umsatz p.a. Eine Milliarde, um notfalls auch gegen den Wind Entscheide zu erwirken, Partikularinteressen zum Durchbruch zu verhelfen?

Wer wissen will, was Lobbying alles umfasst, soweit es nicht in der Dämmerung stattfindet, sondern im vollen Licht und geregelt im Rahmen der Standesregeln der Lobbyistenvereinigung, der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (Spag), findet in Art 1 unter dem Begriff „Interessenvertretung“:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Die Interessenvertretung bezweckt die Teilhabe betroffener Kreise aus Wirtschaft und Gesellschaft an staatlichen Vorhaben. Sie ist verfassungsrechtlich verankert (Art. 147 BV) und stellt einen unverzichtbaren Bestandteil demokratischer Meinungsbildung dar“. Art. 6 „Sorgfaltspflichten und Offenlegung“ gibt Einblick in das Tätigkeitsgebiet der Lobbyisten. Lobbying umfasst:

  • Informationsvermittlung bei und Einflussnahme auf Regierungsmitglieder, Verwaltung sowie von der Regierung und der Verwaltung eingesetzte Gremien, Parlamentsmitglieder und deren Mitarbeiter, Gremien und Mitarbeiter politischer Parteien
  • Medienarbeit mit dem Ziel der Beeinflussung der Akteure
  • Übernahme politischer Ämter
  • Einsitznahme in Gremien, die von der Regierung und der Verwaltung eingesetzt sind
  • Issue-Monitoring, -Management und Stakeholder-Management
  • u.a.

Professionelle Einflüsterer? Reicht nicht, mehr als das. Schon die Informationsvermittlung kann gezielt erfolgen. Und die Einflussnahme per se wirkt manipulativ und schränkt die Unabhängigkeit der Entscheidungsträger ein.

Unabhängigkeit, doch für wen?

Der Transparenz dient ein Register der Mitglieder, das im übrigen öffentlich zugänglich ist (Homepage SPAG). Das Register enthält neben den persönlichen Angaben die Arbeitgeber und die Funktionen. Unter Funktionen finden sich Geschäftsführer von Verbänden, wissenschaftliche Mitarbeiter, Public Policy-, Public Relations- und Public Affairs-Manager, Mitarbeiter Business Communications und Consultants.

Wieweit die Offenlegung gehen und welche Auftraggeber und Mandate sie umfassen soll wird hingegen kontrovers diskutiert. Wo enden die Public-Relations und Corporate-Communications Mandate, die keinem eigentlichem Lobbying entsprechen und wo beginnen die offenlegungspflichtigen Mandate mit Kontakten zu Dritten, wie Medien, Verwaltung, Politik? Eigentliche Lobbyagenturen wie Burson-Marsteller, Furrerhugi und Farner, die auf Mandatspraxis arbeiten, wollen offenbar keine weitergehenden Transparenzanforderungen erfüllen. Andererseits haben fest angestellte Interessenvertreter von Banken-, Pharma- und andere Verbände weniger Mühe damit (Mitglieder).

Dabei darf nicht übersehen werden, dass mehrere promintente Lobbyisten nicht Mitglieder des Spag sind. Das Image der Branche bleibt widersprüchlich bis schlecht. Eine Abkehr der löcherhaften Selbstregulierung durch eine gesetzliche Regelung (Lobbygesetz) ist deshalb vermutlich nur noch eine Frage der Zeit.

Jeder Vergleich hinkt, und doch kann er wertvolle Parallelen aufzeigen. Die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer(Klicken Sie zum Weiterlesen)

und Revisionsstellen – in der Sache völlig unbestritten – ist heute ausufernd geregelt. Dem Grundsatz nach umschreibt Art. 728 OR, was mit der Unabhängigkeit unvereinbar ist. Darüber hinaus zeigen die Standes- und Berufsregeln der EXPERT Suisse (die „Richtlinien zur Unabhängigkeit 2007“, mit Änderungen per 1. Dezember 2014) im Einzelnen, was die Unabhängigkeit gefährden könnte. Lebensabschnittspartner und nahe Verwandte (Eltern, Geschwister und finanziell unabhängige Kinder) bleiben nicht unerwähnt.

Es ist schon merkwürdig bis auffallend: da regelt der Gesetzgeber, die Bundesparlamentarier, die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer in aller Breite und Tiefe, mit grosser Zustimmung der Medien und der Stimmbürger. Doch geht es um sie selbst, um ihre freie Meinungsäusserung und Unabhängigkeit, sind sie sehr grosszügig bis ahnungslos mit sich selbst. Sie dürfen das, abhängig sein. Es ist schliesslich kein Berufsparlament. Und von Art. 161 BV (Instruktionsverbot) spricht überhaupt niemand:

1 Die Mitglieder der Bundesversammlung stimmen ohne Weisungen.

2. Sie legen ihre Interessenbindungen offen.

Und warum eigentlich schlägt niemand eine Brücke in Richtung Bestechung und Korruption:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

StGB Art 322 sexies1, Bestechung schweizerischer Amtsträger/Vorteilsnahme: „Wer als Mitglied einer richterlichen oder anderer Behörde, als Beamter, als amtlich bestellter Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher oder als Schiedsrichter im Hinblick auf die Amtsführung für sich oder einen Dritten einen nicht gebührenden Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft“, in Verbindung mit Art 322 quater (Vorteilsgewährung).

Wie unabhängig müssen gewählte Politiker in einem Milizparlament sein?

Sind wir nicht alle der Meinung, die Parlamentarier vertreten in erster Linie die Interessen der Schweiz, vielleicht noch unter dem Dach parteipolitischer Vorstellungen?

Wussten Sie, dass sich Parlamentarier bezahlen lassen. Sie dürfen Einsitz nehmen in Verbände und Gewerkschaften, Zutrittsberechtigungen zum Parlament (Badges) an Lobbyisten verteilen:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Jedes Ratsmitglied kann für je zwei Personen, die für eine bestimmte Dauer Zutritt zu den nichtöffentlichen Teilen des Parlamentsgebäudes wünschen, eine Zutrittskarte ausstellen lassen“ (Art 69 Abs 2 Parlamentsgesetz).

Kampfflugzeugbeschaffung: Lobbying für den „Gripen

und selbst Lobbying Mandate übernehmen. Unsere Bundesparlamentarier müssen ihre Nebeneinkünfte noch nicht einmal detailliert offenlegen. Die SonntagsZeitung vom 14.5.2017 machte es zum Thema: „Lobbyisten drängen an die Macht“. Wobei offenbar viele ihre Mandate erst erhalten, nachdem sie Einsitz genommen haben in wichtige parlamentarische Kommissionen. Die Entschädigungen sollen bis zu 10’000 Franken für vier Sitzungen pro Jahr betragen. Gemäss den Lobbyverbänden gehe es dabei um „informellen Austausch“. Vermuten darf man eine brachiale Einflussnahme auf politische Entscheide gegen rüde Bezahlung!

Über hundert Verbände schmücken sich mit einem Präsidenten in den beiden Räten! Und nach vorherrschender Meinung sei es sogar Courant normal, dass diese ihre Verbands- und Geschäftsstelle auf dem Laufenden  halten („Direkter Draht ins Parlament“, NZZ vom 8.7.2015). Neue Traktanden aus den Kommissionssitzungen finden auf diese Weise, trotz Kommissionsgeheimnis, eine rasche Aufarbeitung bei den betroffenen Interessenten. Hinzu kommt, dass die Verbände einen verfassungsmässig garantierten Anspruch haben, bei der Vorbereitung wichtiger Erlasse zu einer öffentlichen Stellungnahme eingeladen zu werden. Dieses Vernehmlassungsverfahren ist weltweit einzigartig. Ressourcenstarke Verbände aus der Finanz- und Pharmaindustrie gehen frühzeitig und kraftvoll in die Startpflöcke. Ressourcenschwachen Verbänden zugunsten der Konsumenten, Patienten, Arbeitnehmern geht schon nach wenigen Metern die Luft aus (schon in der vorparlamentarischen Phase).

Es sind nicht Argumente, die sich durchsetzen, es sind – wie eingangs erwähnt – die Partikularinteressen. Viele Initiativen zur Korrektur dieser Art von Entscheidbildung sind bisher ergriffen worden, alle sind stecken geblieben. Neue sind in der Pipeline: wie die angestrebte Volksinitiative der Sozialdemokraten, nach welcher die Bundesparlamentarier kein Mandat mehr bei einem Krankenversicherer ausüben dürfen.

Milizparlamentarier sollen berufstätig bleiben, Interessenkonflikte seien hinzunehmen. Doch nicht einmal die Mindesterfordernis, volle Transparenz der Geschäftsbeziehungen, lässt sich durchsetzen. Gibt das nicht zu Denken?

Licht durch Transparenz

In Anlehnung an den Lösungsansatz von Eric Martin, Präsident von Transparency International Schweiz, in seinem Gästekommentar vom 6. April 2017 in der NZZ, könnten kurzfristig folgende Massnahmen realisiert werden:

  1. Ein öffentliches Akkreditierungssystem mit einem für alle einsichtbaren Register (im Internet) mit Mandaten (Auftraggeber) für alle Interessenvertreter (Verbände, Agenturen, NGO’s), die nicht selbst im Parlament sitzen
  2. Für Parlamentarier eine lückenlose Offenlegung ihrer Mandate
  3. Ein legislativer Fussabdruck über den Meinungsbildungsprozess (nachvollziehbar über Aufnahme- und Beschlussprotokolle), eingeschlossen die finanziellen Mittel, die dazu zur Verfügung stehen
  4. Eine gesetzlich verankerte Karenzzeit für Parlamentarier einerseits und für das Kader der öffentlichen Verwaltung andererseits, um zu verhindern, dass diese unverzüglich nach Beendigung ihrer Tätigkeit „die Seite wechseln“.

Ob das hilft? „Wenn die Bevölkerung nicht erfahren darf, wer mit welchen Mitteln in wessen Auftrag auf welche politischen Entscheidungen einwirkt, wird das für eine Demokratie zum Problem“ (Das Magazin 25/2015).

Und man darf nie vergessen: Im Mittelpunkt des Problems steht nicht der akkreditierte Lobbyist in der Wandelhalle des Parlaments, und nicht die erfolgreiche Lobbyagentur mit einem zwielichtigen Image. Im Auge des Tornados steht der gewählte Parlamentarier, der unabhängig von persönlichen Vorteilen die Interessen der Schweiz wahrnehmen sollte. Wir sind schliesslich keine Bananenrepublik, oder doch?

Als junger Kantonsschüler habe ich gemeinsam mit Kollegen eine neue Partei gegründet und im Jugendparlament vertreten: die „Objektive Partei“. Rundum wohlwollendes Grinsen. Ich kann es heute verstehen.

28.07.2017/Renzo Zbinden

 

EL’FE das Steuerreform-Paket

Steuern Schweiz Teil 3: Die Steuerreform im Paket

Das Steuersystem der Schweiz ist historisch gewachsen. Notwendige Anpassungen waren das Ergebnis politischer Vorstösse und Kompromisse. Heute stehen wir vor einem Wildwuchs von Steuergesetzen, -verordnungen und -entscheiden. Teil 1 und 2 der Trilogie Steuern Schweiz sollten aufzeigen, dass jetzt eine strukturelle Steuerreform dringend ist.

Fünf vor zwölf 

Unser Wohlfahrtsstaat: er sollte ursprünglich allen Bedürftigen eine Stütze sein. Ist er immer noch. Er verhindert den freien Fall ins Ungewisse. Doch mehr noch ist er heute Ursache und Quelle für einen breiten Strom universeller, billig oder gratis zugänglicher Leistungen.

Die Erwartungen aller, nicht nur der Bedürftigen, sind inzwischen derart gestiegen, dass man sich fragen muss, wer diese erstens in naher Zukunft noch finanzieren soll, dazu zweitens in der Lage ist und drittens es ohne Widerstand tut. Denn irgendeinmal wird der gebeutelte Steuerzahler die Bringschuld verweigern. Irgendeinmal genügt es ihm nicht mehr, als Steuernomade von Steueroase zu Steueroase zu ziehen. Irgendeinmal möchte er „zuhause“ bleiben, in einem verträglichen Steuerklima in Steuerehrlichkeit leben.

Die strebsamen und wirtschaftlich Erfolgreichen ermatten, seien es Entrepreneure die sich feiern lassen oder stille Führungskräfte aller Stufen, die sich voll einbringen. Sie fühlen sich fiskalisch ausgenommen und persönlich ausgegrenzt von einer breiten Bevölkerung, welche die Vorteile des Wohlfahrtsstaates in Anspruch nimmt ohne sich darüber Gedanken zu machen, wer diese finanziert(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Sie reduzieren ihre Arbeitszeit oder gehen frühzeitig in Pension. Oder sie hören auf die Stammtischvorschläge zur Steuer“optimierung“ und überschreiten dabei die Schwelle zwischen Steuerumgehung und Steuerhinterziehung contre coeur. Den Gedanken folgen Taten, den Taten ein schlechtes Gewissen, Schlaflosigkeit und die Angst, jederzeit „auffliegen“ zu können. Jeder kennt solche Fälle.

Auf der anderen Seite die Max Wolle’s (Steuern Schweiz Teil 2), die wenig bis gar keine Steuern bezahlen und mit gutem Gewissen innert Minuten einschlafen (auch am Arbeitsplatz). Die gebeutelten Steuerzahler nennen sie

„Gratisbürger“

ein nicht sehr schmeichelhafter Terminus, der auch nicht zutreffend ist. Alle Steuerpflichtigen bezahlen Steuern.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Abgesehen von einer allfälligen „Kopfsteuer“ fallen Mehrwertsteuern an, dazu Gebühren und Abgaben aller Art. Davon sei nachfolgend nicht die Rede. Im Vordergrund stehen die kantonale Einkommens- und Vermögenssteuer und die direkte Bundessteuer; aus Kompensationsgründen eingeschlossen ausserdem die Erbschaftssteuer. Und wenn schon reformieren, dann auch richtig: inklusive Unternehmenssteuern.

Die Macht der Steuerbefreiten

Viele bezahlen wenig bis keine Steuern, mehr als Sie denken. Steuerbefreite und -begünstigte verspüren keinen Steuer-Leidensdruck. Ihre persönliche Situation vor Augen kämpfen sie mit anderen Problemen: Unsicherheit am Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit, Schulden, gesundheitliche und andere Probleme. Finanzielle Engpässe stehen im Vordergrund ihrer Gedanken. Alleinerziehende, Jugendarbeitslose, schlecht Ausgebildete, ältere Arbeitskräfte, sie würden gerne mit Ihnen tauschen, wenn es um Ihre Steuern geht. Mehr Steuern, dafür höheres Einkommen? Tönt gut.

Ohne auf die sozialen Aufgaben des Staates eingehen zu wollen geht es hier möglichst emotionslos zur Kenntnis zu nehmen: Ein grosser Teil der Bevölkerung erwartet keine Steuerreform, die andere entlastet. Sie würden die Reform auch nicht unterstützen, im Gegenteil.

Wer sind diese Steuerbefreiten? Ab welchem Bruttoeinkommen sind Steuern fällig? Dazu liegen umfangreiche Auswertungen vor(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für Doppelverdiener mit 2 Kindern beginnt die Steuerpflicht im Appenzell ab einem Bruttoeinkommen von CHF 24’638 (nicht zu verwechseln mit dem steuerbaren Einkommen). In Zürich ab CHF 47’924, in Bern ab CHF 43’380 und in Genf erst ab CHF 79’010! Dabei unberücksichtigt ist die allenfalls erhobenen Mindest- bzw. Personal- oder „Kopfsteuern“, wie eingangs erwähnt (Eidg. Steuerverwaltung, Steuerbelastung bei den Kantonshauptorten 2015, vom 18.07.2016).

Während in Genf jeder Dritte steuerbefreit ist leiden Grossverdiener unter  Spitzenbelastungen!

Im Gegensatz dazu der Kanton Schwyz: Für Grossverdiener ein Steuerparadies, für tiefe Einkommen eine Steuerhölle.

Bei der direkten Bundessteuer bleiben 30 Prozent der Haushalte ohne Steuerbelastung. Ledige Steuerpflichtige bezahlen Steuern ab CF 24’230, Doppelverdiener mit 2 Kindern erst ab CHF 114’470, vorher nicht!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Finanzwissenschaft beschäftigt sich u.a. mit dem optimalen Steuersatz, der irgendwo zwischen zwei Grössen liegt: Bei null fallen keine Steuereinnahmen an, bei einem Steuersatz von gegen Hundert ist niemand mehr bereit, steuerpflichtiges Einkommen zu erwirtschaften. Dazwischen liegt das Optimum. Wird es überschritten, nehmen die Steuereinnahmen ab. Zu progressive Steuersätze hält Erfolgreiche davon ab, aktiver zu werden.

Je höher der Anteil der Steuerbefreiten, je grösser die Gefahr, in eine „Tyrannei der Steuerbefreiten“ zu schlittern. Denn diese bestimmen die Steuerlast der Steuerzahler, rein demokratisch! Als treffendes Beispiel dazu wird oft Frankreich erwähnt, wo nur 47% der Haushalte Einkommenssteuern bezahlen. Steht uns das bevor? Ist uns das bekannt?

Die Leistungsträger der Gesellschaft fallen in die Steuergrube

Die Höhe der kantonalen und kommunalen Steuern ist progressiv gestaffelt, unterschiedlich stark je nach Kanton (und Gemeinden). Das heisst: Mit jedem zusätzlich verdienten Einkommen (und mit jedem zusätzlich angesparten Vermögen) fliesst ein höherer Anteil an die Steuerverwaltung. Extrem progressiv bis hinauf zur Maximalbelastung ist die direkte Bundessteuer. Wohlhabende Steuersubjekte tragen auf diese Weise mehr zur Finanzierung der Allgemeinheit bei als weniger wohlhabende. Diese Ungleichheit ist sozialpolitisch erwünscht und grundsätzlich unbestritten. Nur das Ausmass ist bestritten.

Als Folge der Progression rutschen immer mehr Durchschnittsverdiener, insbesondere aber Leistungsträger mit variablem Lohnanteil, in eine höhere Steuerbelastung. In der Hochpreisinsel Schweiz mit sicherem Teuerungsausgleich und fast sicherer Reallohnerhöhung erhält die Steuerverwaltung auf diese Weise jedes Jahr höhere Steuern (welche die Politiker in der Absicht Wählerstimmen zu erhalten auch bereits wieder ausgegeben haben), und zwar auch ohne Erhöhung der Steuersätze. In Ergänzung dazu wird in die Trickkiste gegriffen. So wird beispielsweise der Eigenmietwert des Wohneigentums erhöht, indexiert über ganze Gebiete, und –  was für ein Wunder – zusätzliche Einkommenssteuern fliessen auch ohne zusätzliche Einkommen. Sehr verwaltungseffizient.

Werden auf Druck der Bürgerlichen die Steuern gesenkt, sprechen linke Kreise von Steuergeschenken, die man sich nicht leisten könne. So kam es, dass der Kompromiss zwischen links und rechts bisher zum Ergebnis hatte, in erster Linie mehr Gratisbürger zu erhalten. Um die Steuerbelastung auf der Extrameile kümmerte sich niemand. Ehrgeizige (Klassenbeste) hat niemand so richtig gerne.

Der Staat wäre gut beraten, in erster Linie die Leistungswilligen zu fördern und nicht die Lebenskünstler

Wer seine Leistung reduziert und seine Lebensziele ändert („work life balance“), sollte das tun können, aber eben nicht zulasten der Leistungsträger. Doch was tun die Politiker in ihrem Kampf um Wählerstimmen?

Im Stehen erstarrt

Zwei Schritte nach links, ein Schritt nach rechts, zwei Schritte nach rechts, ein Schritt nach links. Doch da war man schon! Wer immer nach links schaut, vorprescht, dann leicht nachgibt, oder eben nach rechts vorprescht und dann nachgibt, hat den Kopf nicht frei für einen Schritt nach vorne. Und nur der Schritt nach vorne bewegt, verändert.

Die notorischen „Schrübeler“ sind ein Auslaufmodell

Gefragt sind neue Perspektiven, neue Horizonte, unverbrauchte Politiker. Politiker, die mehr oder weniger selbstlos die Schweiz für die nächsten Jahrzehnte fit trimmen wollen. Ohne Flickwerk. Die noch an Argumente glauben und ihr Heil nicht in der Parteitaktik suchen. Die neue Netzwerke bilden, über links und rechts hinaus, um das Treten an Ort zu überwinden, um den Schritt nach vorne zu wagen. Politiker die begeistern können.

Es muss sie geben, es gab sie immer. In dieser Erwartung:

Fundamente für das Steuerreform-Paket EL’FE

Das Reformpaket soll methodologisch ähnlich strukturiert sein wie die gescheiterte Unternehmenssteuerreform III: Mit einem Overruling für alle und einem Baukasten für die Kantone.

Fünf Massnahmen:

1. Bund und und Kantone senken die stark progressiven Steuersätze für steuerbare Einkommen zwischen CHF 100’000 und CHF 500’000. Ergänzend zimmern die Kantone einen Rahmen, um die Vorteile für Steuernomaden in Grenzen zu halten 

Die kantonalen Unterschiede bei der Steuerbelastung der Leistungsträger sind gewaltig. Zwar soll der Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen (und den Gemeinden) grundsätzlich erhalten bleiben, jedoch durch Leitplanken in engere Bahnen geführt werden.


2. Die Kantone unterstützen die Vermögensbildung durch ergänzende Steuererleichterungen. Der Vermögensertrag wird zum reduzierten Einkommenssteuersatz besteuert. Auf die Vermögenssteuer selbst ist zu verzichten

Dass viele erstens über kein Eigentum verfügen (mit Ausnahme der blockierten PK-Guthaben) und dieses zweitens sehr konzentriert bei wenigen liegt, ist ethisch untragbar und politisch brisant.

Leistungsträger wollen Eigentum. Eigentum fördert die Sicherheit, eine vorübergehende Arbeitslosigkeit zu überbrücken. Doch es soll keine massgeschneiderte Lösung für Leistungsträger alleine sein. Der Staat soll vielmehr verpflichtet werden, Eigentum über das bisherige hinaus für alle zu fördern, beispielsweise durch steuervorteilhafte Bausparmodelle.

Der Eigenmietwert als Steuerbasis für die Einkommenssteuer ist ersatzlos zu streichen. Ebenso die Vermögenssteuer. Der Vermögensertrag selbst wird zum hälftigen Einkommenssteuersatz besteuert.

Sparen soll sich wieder lohnen.


3. Die Altersrenten sind reduziert steuerpflichtig

wie das teilweise schon früher der Fall war. Diese Steuerwohltat trägt erstens der Entwicklung Rechnung, dass die Kaufkraft der Pensionierten laufend abnimmt (durch die vom Staat erwünschte Teuerung). Die Massnahme trägt zweitens dazu bei, dass das gesparte Vermögen länger ausreicht, um die überbordenden Kosten für Alters- und Pflegeheime zu decken. Und drittens wirkt sie als Korrektiv für voraussichtlich sinkende Altersrenten.


4. Die wegfallenden Steuererträge (aus den Massnahmen 1 bis 3) sind zu kompensieren durch eine eidg. Erbschaftssteuer (auch für Nahestehende) und eine Beteiligungsgewinnsteuer

Die Erbschaftssteuer (an Nahestehende) dient im Reformpaket als Kompensationsmassnahme. Sie ist in keiner Weise nur zusätzliche Quelle für Steuereinnahmen, wie linke Kreise dies heute immer wieder vorschlagen.

Von einer Kapitalgewinnsteuer wie früher ist abzusehen. Hat der Kleinaktionär den Mut, Wertpapiere zu kaufen und Risiken einzugehen, soll er unterstützt und nicht steuerlich bestraft werden. Hingegen ist es wenig verständlich, dass Grossaktionäre beim Verkauf von ganzen Beteiligungspaketen Milliardengewinne einstreichen ohne jede Steuerfolgen. Denn hinter den Milliardengewinnen stehen in der Regel Tausende von Mitarbeitern und nicht nur Ankeraktionäre. Mit der Beteiligungsgewinnsteuer (für nicht Buchführungspflichtige) geht ein Teil der Gewinnschöpfung an die Allgemeinheit zurück.


5. Auf Unternehmenssteuern ist zu verzichten

Unternehmenssteuern sind in der Schweizer Bevölkerung vom Grundsatz her unbestritten. Die Mehrheit geht davon aus, dass damit die Steuerlast der natürlichen Personen entlastet werde bzw. eine Senkung der Unternehmenssteuern zu einer höheren Belastung der natürlichen Personen führen müsste. Diese Hypothese war im Übrigen ein im Vordergrund stehendes Kriterium im Kampf gegen die Unternehmenssteuerreform III. Sie beruht auf einem kapitalen Denkfehler, der jedoch nicht ganz einfach nachzuweisen ist.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Unternehmung hat wirtschaftliche Ziele. Sie handelt gewinnorientiert und sichert auf diese Weise ihre Weiterführung. Für die Unternehmung sind Unternehmenssteuern Kosten (Mittelabflüsse). Sie werden ähnlich wie die Verwaltungskosten auf die Kostenträger überwälzt (Produkte und Dienstleistungen). Auf diese Weise sind die Steuern im Verkaufspreis enthalten, oder mit anderen Worten, der Kunde trägt die Unternehmenssteuern über die Endverkaufspreise (ähnlich wie die Mehrwertsteuern). Kann die Unternehmung die Unternehmenssteuern nicht auf die Verkaufspreise überwälzen, beispielsweise aus Konkurrenzgründen, reduziert sie die Löhne ihrer Mitarbeiter oder die Dividenden ihrer Aktionäre.

Es sind immer die Stakeholder, welche die Steuern tragen, allerdings ohne es bewusst zu tun. Die Kunden bezahlen mehr, die Mitarbeiter und Aktionäre erhalten weniger.

Folgerichtig könnte man die Steuern der natürlichen Personen leicht anheben und auf die Unternehmenssteuern ganz verzichten. Dann bezahlt der Konsument weniger für die Produkte und Dienstleistungen, alternativ erhält der Mitarbeiter mehr Lohn und der Aktionär mehr Dividende (vgl. dazu auch: Auf Unternehmenssteuern sollte verzichtet werden, Pierre Bessard in Finanz und Wirtschaft vom 01. 02. 2017). Pierre Bessard sagt zu Recht, dass über die Unternehmenssteuern die wahre Belastung verschleiert wird, was zwar im Interesse des Staates liegen mag, der Steuerpflichtige die volle Steuerbelastung jedoch unterschätzt.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die effektive Lastenverteilung zu kennen und zu regulieren dürfte jedoch schwierig sein. Vertiefte Abklärungen wären erforderlich.

Die Vorteile wären gewaltig. Bei einem vollen Steuerverzicht würden erstens die internationalen Wettbewerbsvorteile für in der Schweiz ansässige Unternehmen dramatisch zunehmen. Eine Neuauflage der Unternehmenssteuerreform III wäre obsolet. Zweitens würden die Unternehmen im administrativen Bereich stark entlastet. Drittens ist es die primäre Aufgabe der Unternehmen, Arbeitsplätze zu schaffen und leistungsgerechte Löhne zu bezahlen, und nicht die Ausgaben des Staates zu finanzieren. Und viertens könnten Bund und Kantone massiv an Verwaltungskosten einsparen.


Der Weg zum Erfolg ist steinig, die Übergangslösungen

Ohne Zweifel, die Kunst liegt im Detail. Und ohne Planrechnungen geht es auch nicht. Übergangslösungen erleichtern die politische Machbarkeit. Damit die Steuerparadiese nicht von heute auf morgen entvölkert werden, sind stufenweise Anpassungen vorzusehen, im gleichen Zug Steuerhöllen zu entlasten.

Wer bisher Jahr für Jahr, ein Leben lang, Vermögenssteuern bezahlt hat, darf mit der neuen Erbschaftssteuer nicht doppelbesteuert werden. Gestreckte Übergangslösungen sollen dies verhindern (beispielsweise eine nach Jahren gestaffelte Erhöhung der Erbschaftssteuersätze oder eine Anrechnung der bisher bezahlten Vermögenssteuern an die Erbschaftssteuern). Mit der Digitalisierung von heute sind Lösungen möglich, die verwaltungstechnisch früher undenkbar waren.

Gestandene Berufspolitiker werden der Auffassung sein, ein Steuerreform-Paket der skizzierten Art gehöre in die Märchenwelt der Fabelwesen. EL’FE ist ein solches Fabelwesen: Ein weibliches Geschöpf mit Zauberkraft.

In einem Land der „Schrübeler“, wo alle Lösungen über Kompromisse gesucht werden, seien fundamentale Eingriffe in bestehende Strukturen reines Wunschdenken. Vermutlich schon. Wir sagen zwar, Frankreich sei reformunfähig, Italien auch, Griechenland sowieso, doch die Schweiz …

Eben: Und das Steuerrefom-Paket hat eine einfache, verständliche und klar definierte Botschaft:

EL’FE

Entlastung der Leistungsträger ‚ Förderung der Eigentumsbildung

Der Wunsch nach Anerkennung der persönlichen Leistung auf der einen Seite und nach einem gewissen Vermögen auf der anderen Seite ist eine starke Plattform für ein Generationenprojekt. Der über Jahrzehnte gewachsene und vielfältigen Interessen tragende Dschungel an Steuergesetzen, -verordnungen und -entscheiden würde fundamental aufgeforstet.

Vorbehalt

Mit verständlichen Aussagen und klar formulierten Empfehlungen riskiert man, „aus dem Zusammenhang“ zitiert zu werden. Ich bin nicht für die Einführung einer Erbschaftssteuer (für Nahestehende) und nicht für die Einführung einer Beteiligungsgewinnsteuer als solche. Ich bin für diese Massnahmen nur und ausschliesslich als Gegenfinanzierung für die steuerliche Entlastung der Leistungsträger, für den Verzicht auf die Vermögenssteuer und den Verzicht auf die Vermögensertragssteuer zum vollen Einkommenssteuersatz.

Ich bin für die Vermögensbildung auch für jene, die dazu bisher nicht in der Lage waren

Und ein Ausblick auf demnächst

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Die aufgeführten Argumente zum Steuerreform-Paket kommen nicht aus dem politisch linken oder rechten Minenfeld. Massgabend waren ethische und staatspolitische Überlegungen. Doch es ist eine Binsenwahrheit, dass mit Argumenten keine Schlacht gewonnen wird, der politische Lösungsprozess folgt anderen Gesetzen.

Lobbying – die Unwucht der Argumente

16.05.2017/Renzo Zbinden

 

 

 

 

Die Leistungsträger in der Steuerfalle

Steuern Schweiz Teil 2: Die Leistungsträger

Sie erinnern sich: Rodolfo Buletti aus Cadro (Gemeinde Lugano seit 2014) hat Steuern hinterzogen. Das gegen ihn eröffnete Verfahren hat sich in die Länge gezogen. Zurück bleibt für ihn das Gefühl, Unrechtes erfahren zu haben. So seien die Nach- und Strafsteuern unverhältnismässig gewesen (ein Mehrfaches der hinterzogenen Steuern). Seither misstrauisch verhält sich auch die Steuerverwaltung. Sie will neuerdings alles belegt haben.

Die modernen Steuernomaden ziehen weiter

Als ihm sein Arbeitgeber (eine grosse Versicherungsgesellschaft) die Möglichkeit eröffnet, in Bern zu arbeiten, sogar noch verbunden mit einer Beförderung, beginnt er zu rechnen. Mit folgenden steuerrelevanten Daten:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Verheiratet, 2 Kinder, Konfession röm-kath, Nettogehalt neu p.a. CHF 160’000, aufgerechnete Spesen CHF 10’000, Nebenerwerb aus selbständiger Tätigkeit CHF 30’000, Nettogehalt seiner Frau Stella CHF 45’000, Vermögensertrag CHF 5’000, Eigenmietwert Cadro nach Pauschalabzug Unterhalt CHF 22’000, Hypothekarzinsen CHF 12’000, übrige Berufs- und Sozialabzüge CHF 10’000

Steuerbares Einkommen p.a. insgesamt CHF 250’000, steuerbares Vermögen (inklusive Steuerwert der Liegenschaft Cadro) CHF 900’000. Damit ist er noch nicht bei den Grossverdienern und weit davon entfernt, sich reich zu fühlen. Nach seiner Meinung gehört er zum oberen Mittelstand. Für die Steuervergleichsrechnung stehen ihm verschiedene Modellrechner zur Verfügung. Er wählt den Steuerrechner der homegate-Plattform und kommt zu folgendem Ergebnis:

Rodolfo Buletti bezahlt in der Gemeinde Lugano Steuern (Kanton, Bund, Kirche) im Betrage von CHF 72’700. Zieht er nach Bern, bezahlt er CHF 82’200 (CHF 9’500 oder 13,1% mehr). Seine in Aussicht gestellte Lohnerhöhung ginge zum grossen Teil an die Steuerverwaltung. Wie wäre es, wenn er statt nach Bern noch Zug ziehen dürfte?

In Zug bezahlt er noch CHF 48’700 (33.0% oder CHF 24’000 weniger), eine massive Steuerentlastung!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Doch jetzt kommen alle und sagen, dafür seien die Wohnkosten in Zug höher. Das trifft zu, jedoch nur für Mieter. Rodolfo Buletti kauft eine Wohnung mit Blick auf den Zugersee, die zwar mehr kostet als sein Einfamilienhaus in Cadro. Damit nehmen die Hypothekarzinsen (steuerlich abzugsfähig) leicht zu. Doch verkauft er seine Wohnung später, erhält er den Kapitaleinsatz zurück (mit ein wenig Glück sogar noch mehr). Bleibt er in Lugano (mit massiv mehr Steuern) und zieht erst später weiter, erhält er von der Steuerverwaltung rein gar nichts zurück. Die Steuern sind weg, für alle Zeiten! Die höheren Wohnkosten in Zug haben keinen Einfluss auf die Steuerersparnis.

Rodolfo Buletti „spart“ in Zug jedes Jahr CHF 24’000 an Steuern! Reinvestiert er diese Steuerersparnis über Jahre kommt er auf diese Weise auf ein stattliches Vermögen. In Lugano wäre es verloren.

Glas Klar zügelt

Lassen wir im Vergleich noch Glas Klar zügeln, Informatiker, ledig, keine Kinder, keine Konfession, kein Vermögen, als Mieter wohnhaft in Bern, mit folgenden steuerbaren Daten: Nettoeinkommen CHF 110’000, Berufs- und Sozialabzüge CHF 10’000, steuerbares Einkommen p.a. insgesamt CHF 100’000.

In Bern bezahlt er Steuern von CHF 24’700, in Zürich wären es noch CHF 18’700 (24,3% weniger). Zieht er von Bern nach Zug sind es noch CHF 13’200 (oder 46,5% weniger!).

Diese Steuervorteile irritieren. Steuerpflichtige aus den Hochsteuerkantonen wünschen eine Steuerharmonisierung, vermutlich verbunden mit der Hoffnung, die persönliche Steuerbelastung auf diese Weise zu reduzieren. Auch die Linke fordert eine Steuerharmonisierung, nur geht diese in Richtung einer Lückenschliessung zu den Hochsteuerkantonen. Das ist nicht das Gleiche, überhaupt nicht!

Nur wenige sind sich der massiven Unterschiede bewusst. Massgebend für die Wohnsitzwahl sind andere Faktoren, wie die Höhe der Mietkosten (da weiss man Bescheid bis hinab auf die Quartiere), die Entfernung zum Arbeitsort, die Umgebung und andere. Dabei wäre die Berechnung der Steuerbelastung ohne nähere Kenntnis der Steuersätze (und deren Anwendung) mit Hilfe des Internet keine Herausforderung.

Comparis hilft Ihnen, die unterschiedliche Steuerbelastung zu berechnen. Unter vielen anderen stellt auch noch die  Bundesverwaltung einen Steuerrechner zu Verfügung. Der Umzug (datahaus Demo Version) kann sich lohnen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wechselt ein Kadermitglied der Schindler Aufzüge (steuerbares Einkommen CHF 500’000, steuerbares Vermögen CHF 3’000’000, ledig) seinen Wohnsitz von Luzern ins nahe Hergiswil (NW), spart er CHF 39’600 oder 25,6% an Steuern), jährlich!

Konzernzentralen ziehen nicht nach Bern

Noch vor wenigen Wochen – im Zusammenhang mit der Unternehmungssteuerreform III – fanden sich querbeet Hinweise auf das Kriterium „Standortvorteile“ für zuziehende Unternehmen. Mehrheitlich war man der Auffassung, die Steuerbelastung als Kriterium sei wichtig, wenn auch nicht ausschlaggebend. Im Rückblick gesehen war  merkwürdig, dass kaum jemand auf den Entscheidfindungsprozess auf Stufe Konzernspitze hingewiesen hat.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nicht nur die Steuerbelastung der Unternehmung ist wichtig, auch die Steuerbelastung der Konzernleitungsmitglieder ist essenziell. Naheliegend, dass darüber nach aussen wenig kommuniziert wird. Ehrlich gesagt: die Konzernleitungsmitglieder werden sich doch nicht für einen Standort entscheiden, bei dem die persönliche Steuerbelastung vergleichsweise unerträglich wäre. Und der Steuerberater der Unternehmung wird alles tun, um sie davon zu überzeugen.

Wieso in aller Welt sollten sie nach Bern ziehen? Ein wirtschaftliches Randgebiet, nicht unbedingt als unternehmerfreundlich bekannt. Zwar wunderschön, doch im harten Kampf um die Konkurrenzfähigkeit ungeeignet.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für die Kantons- und Bundesbetriebe stimmt es. Das zeigen auch die zahlreichen Neubauten rund um Bern, architektonisch beeindruckend. Doch wo steht die Region Bern in 50 Jahren, oder die Grossregion Espace Mittelland? Suchen wir nicht zu weit: es genügt schon, die bisherige, die heutige und die zukünftige Situation und Entwicklung des Flughafens Bern-Belp zu studieren (BERN Airport).

Bern, eine Verwaltungsstadt, fernab der technischen Speerspitze. Wie dramatisch ist der Talentabfluss (Braindrain) in Richtung Grossregion Zürich? Und wer greift korrigierend ein? Niemand?

Steuerfallen für Grossverdiener

Grossverdiener mit einem steuerbaren Einkommen über CHF 300’000 meiden die Spitzenbelastungen. Spitzensteuersätze finden sich in den Zentrumsstädten Basel (37,5%), Zürich (40,0%), Bern (41,4%) und Genf (45,0%) – (Der Mythos vom Steuerparadies Schweiz, Hansueli Schöchli, NZZ vom 31. Januar 2017). Zu diesen Spitzensteuersätzen kommen bei Grossverdienern noch die AHV- und die IV-Beiträge hinzu von insgesamt rund 10% sowie das Solidaritätsprozent für die Arbeitslosenversicherung (und allenfalls die Kirchensteuer). Zieht man auch noch die Vermögensertrags- und die Vermögenssteuern hinzu (Steuern Schweiz Teil 1) liegen wir bei den steuerlich gefürchteten skandinavischen Hochsteuerländer (52 bis 57%, diese teilweise inklusive Krankenversicherungsprämien). Die Wissenden ziehen weiter in steuervorteilhafte Gebiete, die Politiker schauen weg und schweigen.

In einer Demokratie sind es immer die Minderheiten, die zur Kasse gebeten werden, wie hier eben die Grossverdiener. Der Mehrheit kann es nur Recht sein.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wer der Steuerverwaltung Millionen an Steuern bezahlt (sowie Hunderttausende an AHV-Beiträgen) kann in der Schweiz nicht auf Nachsicht hoffen. Er wird als Leistungsträger nicht bewundert oder geachtet, er wird mehrheitlich von einer breiten Bevölkerung verachtet. Auch die Steuerverwaltung packt ihn hart an. Wer in der Steuerberatung tätig ist kennt die Beispiele.

Wer im Kanton Bern defekte oder verschmutzte manuelle Sonnenstoren durch elektrische ersetzt, muss damit rechnen, dass die Hälfte dieser „Unterhaltskosten“ steuerlich aufgerechnet wird. Oder die geltend gemachten Kosten für das neue Dusch-WC, welches das alte ersetzt, werden zu einem Drittel aufgerechnet (Komfortverbesserung). „Vor dem Gesetz sind alle gleich“ hört der Steuerberater beim Versuch, auf die Proportionen „aufgerechnete Kosten zu steuerbarem Einkommen“ hinzuweisen.

Eine gewisse Kulanz gegenüber Grosssteuerzahler (als natürliche Personen) ist politisch nicht vertretbar. Die Linke will keine Steuergeschenke machen, die ewigen Neider wollen den harten Vollzug sehen und einige Journalisten warten nur auf willkommene Schlagzeilen. Überdies müssen die Steuerexperten der Veranlagungsbehörden fürchten, zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn sie Verständnis zeigen und Hand bieten für einen Kompromiss. Und dass vor dem Gesetz alle gleich sind stimmt grundsätzlich nicht und bei Steuerpflichten im Besonderen.

Die schönsten Aussichten den Pauschalierten

„Luftig“ wäre ein schönes Zweitdomizil, blauer Himmel, Wintersport, Sommerwanderungen, gepflegte Umgebung, Diskretion, Ruhe. Sie werden es sich nicht leisten können

Wer kennt sie nicht, die Superreichen. Sie verlassen ihr Heimatland und kommen in die Schweiz um Steuern zu sparen. Hier werden sie nach dem „Lebensaufwand“ besteuert  (und nicht mehr nach dem Welteinkommen und dem Weltvermögen wie zuhause). Aufwandbesteuerung oder Pauschalbesteuerung nennt sich das. Da man den effektiven Lebensaufwand nicht kennen will (man macht sich schon gar nicht die Mühe darüber nachzudenken), dient der Eigenmietwert der Wohnstätte bzw. ein Mehrfaches davon als Basis für die Steuerveranlagung. Die Steuerersparnis kann märchenhaft sein. Natürlich müssen Interessenten bestimmte Anforderungen erfüllen (wie kein Erwerbseinkommen aus der Schweiz).

Es geht hier nicht darum, ob die offizielle Schweiz den Steuerflüchtlingen helfen oder aus Rücksicht auf die Heimatländer ein solches Verhalten verhindern soll. Und richtig ist es, dass auch andere Staaten ähnliche Lösungen anbieten(Klicken Sie zum Weiterlesen)

(wie Grossbritannien, Frankreich, neuerdings auch Italien). Internationale Anwaltskanzleien stehen zahlungskräftigen Kunden mit erfahrenen Experten zur Verfügung.

Nein, es geht hier darum ob es ethisch vertretbar ist, dass die Schweiz den hier ungeschränkt Steuerpflichtigen schlechter behandeln soll als den reichen Ausländer auf der Steuerflucht. „Ich die Schweiz bin ein Schlitzohr und nehme von diesen Leuten was ich kriege“, jetzt unabhängig vom Leistungsprinzip, ohne Rücksicht auf die allgemeine Steuerpraxis. Einfach als Ausnahme (wobei je nach Kanton die Ausnahmen zahlreich sind). Der Pauschalierte schafft Einkommen für die nahe Umgebung, Einkommen für den Liegenschaften Händler, den Bauunternehmer, den Gärtner, den Bäcker, den Metzger …(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wollen zwei Interessenten eine Liegenschaft in „Luftig“ erwerben, ein Schweizer Steuerpflichtiger und ein steuerflüchtiger Ausländer, sind die finanziellen Spiesse krass ungleich. Der Ausländer wird den Schweizer Steuerpflichtigen krass überbieten können, ein Superreicher kann gemessen an der Steuerersparnis jeden Kaufpreis aufbringen. Dafür sorgt die Schweiz (mit kantonalen Ausnahmen), sie benachteiligt den hier unbegrenzt Steuerpflichtigen und bevorzugt den zuziehenden Ausländer. Ganze Gebiete werden für steuerpflichtige Inländer unbezahlbar. Die schönsten Aussichten den Pauschalierten. Die Gemeinde wird zur Schlafstätte, Schulen ohne Kinder, Infrastrukturausgaben für Spitzenzeiten und noch schlimmer: die Gemeinden werden von den Pauschalierten abhängig. Sie kennen die Argumente aus der Zweitwohnungsinitiative.

Zeigen sich die Pauschalierten noch grosszügig (und unterstützen Tourniere, sanieren Bergbahnen, errichten Stiftungen) erhalten sie die besondere Zuneigung vom Gemeindepräsidenten, der Bauunternehmer lobt sie, die Gemeindemitglieder grüssen sie auf der Strasse, ehrfurchtsvoll. Der Schweizer Grossverdiener und Grosssteuerzahler vor Ort muss sich indessen gegen eine weitere Erhöhung des Eigenmietwerts wehren. Die Gemeinde zeigt sich erstaunt. Der Gemeindepräsident von „Luftig“ erstattet ihm keinen Besuch zu seinem runden Geburtstag (die Steuererträge gehen überwiegend an die Wohnsitzgemeinde im Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und nicht an die Gemeinde „Luftig“).

Ein Schlitzohr von Staat, der seine eigenen guten Steuerzahler bedrängt, den steuerflüchtigen Ausländer aber auf Händen trägt. Ist das nicht billig, unwürdig? Und was ist mit Herrn Schweizer, der darüber abstimmen durfte und es mehrheitlich zuliess? Es wurde ihm gesagt, es entlaste seine Steuern.

Szenenwechsel: Max Wolle, ein alternatives Lebensmodell

Glas Klar trifft ihn zu später Stunde in einer Berner Altstadtbar. Es geht um Gott und die Welt, um die Sinngebung in einer sinnlosen Zeit, um all das, was für Glas Klar, den Informatiker, bisher eher unwichtig war. Max Wolle, Landschaftsgärtner von Beruf, lebt mit seiner Partnerin in einer subventionierten Altstadtwohnung direkt unter dem Bellevue mit wunderbarer Sicht auf die Aare und den Hausberg von Bern. Er kennt sich in der Berner Szene aus, trifft überall Freunde und Bekannte, hat immer Zeit für ein gescheites Gespräch, weiss viel, sieht erst noch gut aus, geht regelmässig „isele“ (in die Eisen), kurz: Max Wolle überzeugt Männlein und Weiblein. Dem introvertierten Glas Klar öffnet er eine neue Welt.

Max Wolle hat ein paar Semester Volkswirtschaft studiert an der Uni Bern, dann aber das Studium abgebrochen. Zuviel Mathe, zu abstrakte makroökonometrische Modelle, zu wenig Bezug zum wahren Leben. Nicht sein Ding. Er will etwas schaffen das man sieht am Ende des Tages, seine Hände benutzen, draussen sein, im Wetter stehen. Er will sein Leben, von Gott geschenkt, richtig leben. Seine Partnerin sieht es ähnlich, sie arbeitet im Auftragsverhältnis für Fernsehen und Theater (Kulissenbau, Aussenbau, Modellbau). Beide wollen keine Kinder, unabhängig bleiben, keine unnötigen Verpflichtungen eingehen. Max Wolle arbeitet Teilzeit, gerade so viel, dass er dieses Leben führen kann. Mit einer Teilzeitarbeit von 50% und gelegentlicher Schwarzarbeit für seine zahlreichen Freunde und Bekannten kann er sein steuerbares Einkommen minimieren auf wenige Tausend Franken pro Jahr.

Eigentlich stösst er mit diesem Leben auf grosses Verständnis. Er macht nicht mit in dieser hirnlosen Leistungsgesellschaft, in dieser ewigen Tretmühle. Vernetzt bei den Linksalternativen kämpft er für den weiteren Ausbau des Sozialstaates.

Darf man Fragen stellen die niemand beantworten will, für die niemand zuständig ist

oder ist schon die Frage an sich unerhört, der Fragesteller politisch unkorrekt, vom rechten Spektrum?

  • Wieso kann Herr Jedermann sein Einkommen so weit minimieren, dass keine Steuern mehr anfallen?
  • Wieso darf Max Wolle die Leistungsgesellschaft, von der er lebt, unkommentiert kritisieren?
  • Wie sähe Max Wolle’s Schweiz aus?

Einschub: Die Höhe der Steuerbelastung richtet sich nach der Leistungsfähigkeit. Wobei der Begriff  „Leistungsfähigkeit“ beinhaltet, dass jeder nach Massgabe seiner individuellen ökonomischen Voraussetzungen zur Finanzierung der Staatsaufgaben (inklusive der Sozialaufgaben) beiträgt. Max Wolle ist zwar leistungsfähig, aber nur teilweise leistungswillig. Er nutzt die Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates (wie die universitäre Ausbildung), hilft aber nicht, diese zu finanzieren. Das sollen jene tun, die es gerne machen, die Freude an der Arbeit haben, seiner Meinung nach die Mehrheit. In diesem Sinne war er auch aktiv in der Initiative für bedingungsloses Grundeinkommen.

Der Vielarbeiter, der Leistungsträger dieser Gesellschaft, verzichtet auf vieles, vor allem aber auf die Freizeit. Max Wolle hat sie. Ist diese Freizeit ein Konsumgut, das man besteuern sollte? Absurd? Doch: wer früher in Pension geht, zahlt weiterhin AHV, auch ohne Erwerbseinkommen (auf dem Vermögen und der kapitalisierten Rente).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zugegeben, dass wissen viele nicht und merken es erst kurz vor der vorzeitigen Pensionierung. Dass der Höchstbetrag für diese AHV (Steuer) vor kurzem massiv angehoben wurde, wissen sie erst recht nicht. Alle haben geschwiegen, auch die Presse, und die Politiker haben es kommentarlos „durchgewunken“. Wieder eine Minderheit, die sich schutzlos und unorganisiert melken lässt!

Konsumieren, was andere finanzieren

Wieso erhält der Bünzli, der zwar nicht freiwillig, aber eben doch massiv Steuern bezahlt, nie ein Dankeschön (von der Regierung, vom Nachbar, vom Parteigegner?). Ist nicht das Gegenteil der Fall? Je mehr Steuern er bezahlt, je mehr wird er kritisiert. Bedauern hat niemand. Alle würden gerne mit ihm tauschen, Hauptsache, sie erhalten sein Einkommen. Er könnte sogar noch mehr bezahlen, eigentlich. Und um Gottes Willen keine „Steuergeschenke“ für solche Typen.

Was ist das für eine irre Welt, die nicht mehr zur Kenntnis nimmt, wer diesen Wohlstand möglich macht, die nicht mehr weiss, wer die Staatsaufgaben finanziert. Es ist unsere Welt. Der Vorschlag, die Freizeit zu besteuern, ist politisch ausgeschlossen. Aber darüber nachzudenken, vor dem Einschlafen, würde niemanden schaden.

„Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“

Sind wir schon so weit oder besteht noch Hoffnung? Wer die berühmte Extrameile rennt muss mehr Anerkennung erhalten. Und es gibt sie, diese Leistungsträger, in der Unternehmung, in der Verwaltung, in der Politik, in Ihrer Nähe. Und eigentlich kennen wir sie, jeder in seiner Umgebung. Nicht immer lockere Sympathieträger wie Max Wolle. Wir brauchen sie um wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu erhalten. Zum Überleben im Wohlfahrtsstaat Schweiz.

Als Denkanstoss das Steuerreform-Paket EL’FE, demnächst Logo_ImVisier312.04.2017/zb

Das Steueruniversum des Rodolfo Buletti

Steuern Schweiz Teil 1: Das Steueruniversum

Die Steuer ist eine Geldleistung einer natürlichen (oder juristischen) steuerpflichtigen Person ohne Anspruch auf eine individuelle Gegenleistung, die ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen erhebt. Die Kompetenz Steuern zu erheben liegt in der Schweiz beim Bund, den Kantonen und den Gemeinden. Steuerobjekt ist der Tatbestand, der die Steuer auslöst. Steuersubjet ist u.a.

“ Herr Buletti, etwas stimmt nicht!“

Rodolfo Buletti aus Magliaso ist Ihnen bekannt aus dem Beitrag „Bürger Glas Klar“. Die Steuerveranlagungsbehörde hat ihn beim Versuch ertappt, unversteuertes „schwarzes“ Vermögen über die Steuererklärung „weiss“ zu waschen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der IT-generierte Vermögensnachweis der Veranlagungsbehörde über die letzten zwei Jahresendstichtage (31. Dezember) hat einen Vermögenszugang von 300’000 Franken ergeben, den Rodolfo Buletti mit seinem deklarierten Einkommen nicht erklären konnte. Die Steuerbehörde hat ein Verfahren eröffnet.

Es war immer der grosse Traum von Rodolfo Buletti ein eigenes Haus zu bauen – spätestens dann, wenn sein zweiter Traum in Erfüllung ging, Kinder zu haben. Nun war es soweit, Zwillinge, und Rodolfo Buletti machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück. Im Norden von Lugano in der Nähe von Cadro fand er ein wunderbares Grundstück „da vendere“. Er sah sich schon auf der eigenen Terrasse stehen mit einem Glas Merlot bianco in der Hand, die Kinder im Garten auf dem Trampolin, den Sonnenuntergang über dem Monte San Salvatore. Dieses Grundstück musste es sein, kein anderes, und zwar subito.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Familie Buletti hat hart gearbeitet, Stella Buletti gab privaten Italienischunterricht für Deutschschweizer, Rodolfo am späten Abend und über das Wochenende Rechtsberatung für Kunden einer Immobilienverwaltung. Alles unversteuert, so ähnlich wie es ihre Freunde und Freundinnen auch taten. Auf diese Weise summierten sich über wenige Jahre 300’000 Franken auf „schwarzen“ Konten, das Grundkapital für das neue Eigenheim.

Die Schweiz kennt kein steuerbegünstigtes Ansparen für Eigenheime. Rodolfo Buletti wusste, dass bei einem deklarierten Nebenerwerb von 300’000 Franken schon einmal 20 bis 30 Prozent Steuern fällig würden. Sein Pech war, dass er übersehen hat, dass die Veranlagungsbehörde regelmässig oder in Stichproben einen Vermögensabgleich mit dem Vorjahr vornimmt. Er war überhaupt, trotz seiner Ausbildung als Rechtsanwalt, schlecht informiert, welche weiteren Steuertatbestände er als angehender Hausbesitzer noch auslösen sollte.

Die Milchkuh Eigenheim – Erstwohnsitz

Der Schweizer Eigenheimbesitzer fällt in eine tiefe Steuergrube. Was einem Ausländer fast nicht zu erklären ist – versuchen Sie es einmal, es fallen ihm fast die Augen aus dem Kopf: Das mehrheitlich über Schulden finanzierte Eigenheim wirkt sich auf die Einkommenssteuersituation des Besitzers aus wie eine massive Lohnerhöhung. Doch davon später. Vorerst einmal kassiert der Fiskus während der Bauzeit

  • die Handänderungsabgabe auf dem Grundstück (vom Verkäufer überwälzt)
  • die Mehrwertsteuern auf den Baukosten
  • Gebühren (wie Baubewilligung, Anschlussgebühren u.a.)

Einmal sesshaft dreht sich das Gebührenkarussel weiter: Gebühren für die Kehricht- und Abwasserentsorgung, für die Strassenbeleuchtung und -reinigung, für den Strassen- und Schwellenunterhalt, Grundgebühren für Wasser und Strom, Kehrichtsackgebühren u.a. Dazu kommen

  • die Vermögenssteuer auf dem „amtlichen“ Wert
  • die Liegenschaftssteuer auf dem „amtlichen“ Wert (nur in gewissen Kantonen – von der Bemessungsgrundlage her eine Doppelbesteuerung)

und die erwähnten Einkommenssteuern auf dem Eigenmietwert.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dafür darf der stolze Wohnbesitzer die heute bescheidenen Hypothekarzinsen vom Einkommen abziehen (nicht aber die Bauzinsen während der Bauzeit), sowie die pauschalen  Unterhaltskosten im Rahmen von 10 bis 20% vom Eigenmietwert (in den ersten Jahren fallen kaum zusätzliche Unterhaltskosten an, die später als effektive Kosten abzugsfähig sind). Sollte er einmal verkaufen wollen oder müssen, fallen zusätzlich die Grundstückgewinnsteuern an (ohne Ersatzbeschaffung).

Die Abschaffung des Eigenmietwerts steht schon seit Jahren in jeder politischen Agenda. Bisherige Versuche sind kläglich gescheitert(Klicken Sie zum Weiterlesen)

in erster Linie deshalb, weil die politischen Vorstösse überladen waren (die Abzugsfähigkeit der Unterhaltskosten sollte weiter möglich sein). Was hingegen wissentlich oder unwissentlich übergangen wird ist die Absicht der Politiker, den Eigenmietwert auf dem Zweitwohnsitz zu belassen und nicht zu streichen. Und nicht nur das, es zeichnet sich eine brachiale neue Tendenz ab. Der Kanton Tessin als Beispiel besteuert den Zweitwohnsitz (sekundäres Steuerdomizil) über die Bewertungsprinzipien höher als den Erstwohnsitz. Dazu wurde für Zweitwohnbesitzer per Dekret vom 9. Dezember 2009 der Eigenmietwert (bisher rund 70% der mutmasslichen Miete) umgerechnet auf 100%. Das entspricht einer Eigenmietwerterhöhung von 42,9%, ohne formelle Eröffnung und Rechtsmittelbelehrung und erst noch rückwirkend. Da nur über die Veranlagungsverfügung sichtbar (bzw. die Steuerausscheidung) haben es viele gar nicht gemerkt! Und die Erstwohnbesitzer haben sich erst noch gefreut, dass die Steuererhöhung nur „Ausländer“ betraf. Ein Vorbild für andere Kantone?

Zweitwohnsitz

Erfüllt sich ein sparsamer Rentner mit Hausbesitz seinen Traum, am Lebensabend eine Zweitwohnung in der Sonnenstube der Schweiz oder im Berner Oberland zu besitzen, auch er mit einem Glas Rotwein auf der Veranda, wird ihm kaum jemand sagen, dass der summierte Eigenmietwert über zwei Objekte schnell einmal 50’000 Franken überschreiten könnte. Nicht nur sind zusätzliche „Einkommenssteuern“ auf diesen 50’000 Franken fällig (abzüglich Zinsen und Unterhaltskosten), seine Rente wird auch noch höher besteuert als bisher, da der Eigenmietwert kantonsüberschreitend zur Steuersatzbestimmung herangezogen wird.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es rechnet sich kaum noch. Die Steuererhöhung bei der stark progressiven Bundessteuer überrascht. Doch sagen Sie es nicht weiter, lassen Sie ihm seinen Traum.

Der Steuerpflichtige darf ungestraft in Kunstsammlungen investieren, einen Wagenpark unterhalten, Schiffe und Flugzeuge erwerben (oder sich anderswie verlustieren), Einkommenssteuern ohne Einkommen löst nur Wohnbesitz aus. Eigentlich sollte der Staat ein Interesse daran haben, dass möglichts viele Einwohner Wohnbesitz erwerben. Zukünftiger Wohnbesitz fördert den Sparwillen, Wohnbesitz begünstigt die Eigenverantwortung, bindet den Eigentümer an den Staat und verzögert am Lebensende den Gang in die subventionierten Altersheime. Doch die Schweizer Neidkultur verhindert eine steuerlich bevorzugte Stellung der Wohnbesitzer. Sie werden im Gegenteil zur Milchkuh der Nation.

Satzbestimmend

Der Eigenmietwert erhöht ausserdem den Steuersatz auf dem übrigen Einkommen, wie erwähnt am Beispiel der Rente. Über mehrere Jahre aufsummiert ergeben sich auf diese Weise beeindruckende Steuerlasten. Ausserdem wird der Eigenmietwert der Marktentwicklung laufend angepasst (am einfachsten über einen Index, erspart die Berechnung im Einzelfall) und zwar auch dann noch, wenn der Wohnbesitzeigentümer längst in Pension und sein Ersatzeinkommen „eingefroren“ ist. Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Art. 127 Abs. 2 BV) wird dann zur Makulatur.

Doch für die Steuersituation des Rodolfo Buletti sind weitere steuerrelevante Faktoren massgeblich:

Die gedeckelte AHV

Rodolfo Buletti ist Rechtsberater in einem mittelgrossen Versicherungskonzern. Sein Gehalt unterliegt der Einkommenssteuer. Vom Bruttogehalt abgezogen werden ihm die AHV-Beiträge (Arbeitnehmeranteil). Soweit diese Beiträge seine zukünftigen AHV-Ansprüche übersteigen bzw. nicht mehr rentenbildend sind, entsprechen diese einer ergänzenden Einkommenssteuer.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass bei Spitzenlöhnen im Top-Management dieser Anteil bedeutend ist. Noch weniger bekannt, dass in vielen Fällen der Arbeitgeber die volle AHV übernimmt, also auch den Arbeitnehmeranteil. Hat ein CEO einer börsenkotierten Gesellschaft ein Gehalt plus Bonus von 20 Mio Franken, gehen rund 2 Mio Franken an die AHV-Ausgleichskasse, der rentenbildende Anteil dabei wäre gering.

Die Auswirkungen der Steuerprogression

Der Grenzsteuersatz entspricht dem Steuersatz, mit dem die nächste Einheit der Steuerbemessungsgrundlage belastet wird. Der Grenzsteuersatz drückt mit anderen Worten aus, welcher Anteil eines zusätzlich verdienten Frankens als Steuer abgeführt wird. Bei Gutverdienenden gehen inklusive AHV im Kantonshauptort Zürich für einen Franken Mehrverdienst rund 50 Rappen an den Fiskus.

Erhält Rodolfo Buletti eine Gehaltserhöhung, kommt je nach Ausmass ein höherer Steuersatz zur Anwendung, der als Folge auch die Steuerbelastung auf dem bisherigen Gehalt erhöht (Auswirkungen wie beim Erwerb von Wohnbesitz). Dient die Gehaltserhöhung dem Ausgleich der Teuerung, verbleibt ihm real und nach Abzug der Steuern weniger als vor der Gehaltserhöhung.

Die Folgen der kalten Progression

Primär betroffen sind Beiträge an die Krankenkasse. Wer sich noch an die sechziger und siebziger Jahre erinnert: die Limite für den Abzug der Prämien lag meistens über den tatsächlich bezahlten Beiträgen. Doch heute liegen die Limiten krass unter den bezahlten Beiträgen. Der Steuerpflichtige hat weniger zur Verfügung, das steuerbare Einkommen nimmt jedoch nicht proportional dazu ab.

Ähnliches gilt für alle abzugsberechtigten Ausgaben und alle persönlichen und sozialen Abzüge die nicht voll der Teuerung angepasst werden. Zieht man die Teuerung der letzten 20 Jahren in Erwägung (Hochpreisinsel Schweiz) wird unmissverständlich sichtbar, dass die kalte Progression über all die Jahre zu einer massiven Steuererhöhung führte.

Zu den erwähnten direkten Steuern (Einkommens- und Vermögenssteuer, Erbschafts- und Schenkungssteuer, Grundstückgewinnsteuer) hinzu kommen noch die Kirchensteuer, die Wehrpflichtersatzabgabe, die Verrechnungssteuer und die Besteuerung von Wertschriften und Versicherungen, die Motorfahrzeugsteuer, die Hundesteuer sowie die indirekten Verbrauchssteuern des Bundes wie die Mehrwertsteuer, die Biersteuer und die Steuer auf Spirituosen (Alkoholsteuer), die Tabaksteuer, die Mineralölsteuer (Benzinsteuer), die Zölle …Im Steueruniversum des Rodolfo Buletti hat es auch noch Platz für zukünftige Strafsteuern. Sie tragen moderate Begriffe wie Mobility Pricing oder Energie-Lenkungsabgaben. Hier nicht in Erwähnung kommen die Steuern der Unternehmer wie die Liquidationssteuer.

Steuern, nichts als Steuern. Sie sorgen dafür, dass die Schweizer die Bodenhaftung behalten. Doch merkwürdig: alle sagen, im Vergleich zum Ausland sei die Schweiz noch ein Steuerparadies! Dabei wird Wesentliches verschwiegen.

 

Wussten Sie,

dass viele Nachbarstaaten keine Vermögenssteuer erheben

Als junger Hausbesitzer mit Familie ist das Nettovermögen von Rodolfo Buletti gering. Die Vermögenssteuern sind für ihn noch eine „quantité négligeable“. Das wird sich ändern. Er macht Karriere und erspart sich ein für seine Verhältnisse grosses Wertschriftenportefeuille, nicht zuletzt auch deshalb, weil im oberen Kader des Versicherungskonzerns „hire and fire“ zur Tagesordnung gehören. Sein Erspartes ist für ihn seine Sicherheit bei einem allfälligen Verlust der Arbeitsstelle.

Bei einem konstanten Vermögen wird das Vermögen jedes Jahr von neuem besteuert, immer wieder. Bei einer angenommenen Vermögenssteuer von 1 Prozent und einer Lebenserwartung von 85 Jahren wird ein grosser Teil seines Vermögens wegbesteuert. Denn die Vermögenssteuer wird auch erhoben falls keine Rendite oder kein Vermögensgewinn erzielt werden konnte. Kurz: die Vermögenssteuer zehrt an der Substanz und untergräbt den Sparwillen.

Dafür entfällt bei den meisten Kantonen die Erbschaftssteuer an die direkten Nachkommen (und nur an diese).

Viele OECD-Staaten verzichten auf eine Vermögenssteuer und erheben stattdessen eine Erbschaftssteuer. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Schweiz in naher Zukunft wieder beides hat (der Abstimmungskampf über die Initiative für die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer ist in Sichtweite).

Die Vermögenssteuer wird in allen Kantonen erhoben und brachte dem Fiskus im Jahr 2013 5,7 Milliarden Franken (Eine Schweizer Besonderheit mit hoher Bedeutung: Der Bund vom 26. Mai 2015).

Eine Übersicht über die Nachbarstaaten zeigt eindrucksvoll, wie wenige Staaten in Europa eine Vermögenssteuer erheben. Die Politiker mit Umverteilungszielen verschweigen es einfach. Schauen Sie es an: Vermögenssteuer

viele OECD-Staaten ganz auf die Besteuerung der Vermögenserträge verzichten oder diese reduziert besteuern

In der Schweiz werden die Vermögenserträge ungekürzt in das steuerbare Einkommen übernommen. Die Verrechnungssteuer sorgt dafür, dass schwarze Vermögenserträge mit 35% besteuert werden.

Einige OECD-Staaten verzichten nicht nur auf die Besteuerung des Vermögens sondern auch auf die Besteuerung der Vermögenserträge. Wieder andere Staaten besteuern die Vermögenserträge nur in etwa halb so hoch wie das Erwerbseinkommen. Im Grunde der Dinge kompensieren die Vermögenserträge ganz oder teilweise die Entwertung des Vermögens als Folge der Inflation. Die volle Besteuerung in inflationären Zeiten enteignet die Steuersubjekte.

Dividenden von Aktiengesellschaften doppelt besteuert werden

Die Schweiz ist einer der letzten OECD-Staaten mit Doppelbesteuerung. Was heisst das? Der Reingewinn der Aktiengesellschaften wird ein erstes Mal bei der Gesellschaft besteuert und dann ein zweites Mal beim Aktionär.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Von der gekürzten Besteuerung bei sog. qualifizierten Beteiligungen – die im übrigen stark umstritten ist und in nächster Zeit vermutlich gestrichen wird – können nur wenige Aktionäre Nutzen ziehen (u.a. Grossaktionäre von KMU’s).

Viele Staaten kennen die Steueranrechnung und vermeiden auf diese Weise die Doppelbesteuerung.

Rodolfo Buletti wird auch einmal in Rente gehen.

das Renteneinkommen (Ersatzeinkommen) voll erfasst wird

Junge Steuerpflichtige werden sich fragen, weshalb beim Ersatzeinkommen (Renten und Pensionen) die Frage zu beantworten ist, ob diese zu 100% oder zu tieferen Prozenten steuerbar sei. Noch vor wenigen Jahren war das Renteneinkommen gekürzt steuerpflichtig. Und ältere Steuerpflichtige können noch heute die direkte Bundessteuer mit 80% des steuerbaren Einkommens versteuern.

Viele Nachbarstaaten erfassen das Ersatzeinkommen reduziert, auch wenn eine Tendenz dazu besteht, diese Steuerwohltat zu kürzen.

Die Schweiz – ein üppiges Steueruniversum

Wer bei der Schweiz von einem Steuerparadies spricht, hat entweder ein niedriges Einkommen (viele zahlen praktisch keine Steuern), ist sog. pauschaliert steuerpflichtig, wohnt in einem Kanton mit tiefen Steuersätzen oder sieht die Zusammenhänge nicht. Dem weniger Informierten sei hier noch einmal gesagt, dass

  • die Eigenmietwertbesteuerung in dieser Form einmalig ist
  • die AHV für Gutverdienende zur Ergänzungssteuer wird
  • der Teuerungsausgleich den Steuersatz laufend erhöht
  • die Berufsausgaben und die persönlichen und sozialen Abzüge nur teilweise der Teuerung angeglichen werden (kalte Progression)
  • viele Nachbarstaaten keine Vermögenssteuern erheben
  • viele OECD-Staaten die Vermögenserträge nicht oder nur teilweise besteuern
  • nur noch wenige OECD-Staaten die Doppelbesteuerung bei Dividenden kennen
  • viele OECD-Staaten Renteneinkommen ermässigt besteuern

Ein Vergleich zwischen den Staaten sollte natürlich auch noch beinhalten, was der Staat dem Steuersubjekt als Entgelt zukommen lässt, namentlich im Bereich des Gesundheitswesens (Arztkosten und Spitalaufenthalte) und der Ausbildung.

Wer im oberen Mittelstand steuerpflichtig ist erlebt bei zunehmendem Einkommen eines der progessivsten Steuersysteme Europas. Nur die Mehrwertsteuer sieht noch bescheiden aus. Hier gilt jedoch anzumerken, dass in vielen Staaten das Erheben von direkten Steuern schwierig ist (Griechenland als Beispiel, oder Italien, Spanien) und der Fokus bei diesen Ländern auf den indirekten Steuern (Mehrwertsteuern u.a.) liegen muss.

Das hier aufgezeigte Steueruniversum bildet die Bemessungsgrundlage zur Erhebung der Steuern. Wer überhaupt und wieviel Steuern bezahlt ist Gegenstand von Steuern Schweiz Teil 2: Die Leistungsträger in der Steuerfalle

Demnächst Logo_ImVisier3

 

 

 

 

Glas Matt – die verlorene Zuversicht

Glas Matt erwacht aus einem Alptraum, schweissgebadet: er war unterwegs auf der Verliererstrasse von heute, verunsichert, erschöpft vom ewigen Wandel, bevormundet von einer regelwütigen Gesellschaft und vernachlässigt von ihr zugleich, dumpf im Kopf, denkfaul aus Übermüdung, mutlos. Glas Matt ist unser Nachbar, unser Berufskollege, sind unsere Freunde – sind viele um uns herum. Wir selbst? Wie ist unser eigenes Befinden verborgen im täglichen Rollenverhalten?

Sind auch wir gierig nach einfachen Lösungen, nach charismatischer Führung, nach Leitplanken und -werten, nach Lebenshilfen?

Wenn ja, dann sind wir erreichbare Opfer für Populisten und damit mehrheitsfähig in Demokratien. Dann sind aber auch wir – aus Sicht der  herrschenden Elite – Pöbel, Plebs, Pack, Wutbürger von minderer Intelligenz, kurz gesagt Bedauernswerte.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Glas Matt macht die Faust im Sack, er steht nicht offen zu seiner Ohnmacht, entzieht sich jeder Umfrage, will kein Verlierer sein. Er lebt im Vereinigten Königreich und erzwang den Austritt aus der EU (BREXIT), er lebt in den Vereinigten Staaten von Amerika und macht die erste Wirtschaftsmacht der Welt zur Lachnummer, er hofft in der Grande Nation auf eine Machtübernahme durch Marine Le Pen, er bedrängt die deutsche Regierung rechts von der CDU/CSU im Sammelbecken der Alternative für Deutschland (AfD). Er ist plötzlich überall, ein Nationalist, ein Zeitgenosse, ein Nachbar, ein Berufskollege, ein guter Freund, ein Schweizer.

Das hatten wir schon in der Geschichte und das Ergebnis war verheerend, vernichtend, schauderhaft. Im Rückblick wollte es niemand, auch Glas Matt wollte es nicht. Es sollte einfach nicht so weitergehen. Jede fundamentale Änderung war willkommen, „Change“ war die Hoffnung, „Change“ war das Versprechen. Es hat immer funktioniert, Versprechen ist so einfach!

Die liberale Elite schliesst die Augen, steckt den Kopf in den Sand, will es nicht wahrhaben und nicht wahrnehmen, spricht von einer unseligen Konstellation, von einem Ausrutscher, von einer vorübergehenden Episode. Und da ist er auch schon, der Fingerzeig auf das Lukasevangelium: Als Lots Ehefrau auf der Flucht aus Sodom zurückblickt, entgegen dem Verbot der Engel, erstarrt sie zur Salzsäule. Ist das die Empfehlung, wegdenken, weitermarschieren auf der Verliererstrasse von heute?

Wir brauchen einen Marschhalt, ein wenig Ruhe, bedürfen einer Auslegeordnung, müssen die unempathischen Optimisten am Schreiben der Tagesordnung für die nächste Woche stoppen, auch auf die Gefahr hin, es zu überzeichnen.

Ende der Prognosen?

Die Wirtschaft kennt Glas Klar wie nie zuvor (als potentiellen Kunden). Ausserhalb der Wirtschaft, in der Politik, herrscht jedoch blinde Kuh, Wunschdenken. Die Abstimmungsprognostiker machten im Fall Brexit und Trump gewaltige Fehler. Auch in der Schweiz: Die Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung“ wurde mit knapp über 50% der Stimmen angenommen, entgegen den professionellen Voraussagen. Die Opinion Leader aus Politik, Wirtschaft und Medien haben erwartet, dass Glas Klar im Mainstream mitschwimmend immer das Ganze im Auge behält, und zwar auch noch, wenn persönlich wenig vorteilhaft. Da lagen sie falsch.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Er ist bereit sich einzufügen und freut sich am wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, dachten sie. Aber nach Wohnungsmiete, Beiträge an die Krankenkasse und Steuern bleibt für ihn wenig übrig und die Perspektive für die Zukunft sieht nicht rosiger aus. Immer mehr Ausländer dringen in den Arbeitsmarkt, nicht nur in die Bauwirtschaft: auch in die medizinischen Berufe, Banken, Versicherungen, Wirtschaftsprüfung und -beratung, Management und Ausbildung, Forschung und Entwicklung. Immer mehr fähige, willige und dankbare junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen strömen in die Schweiz. Sie zahlen Steuern und integrieren sich erfolgreich. Doch für Glas Klar sind sie Konkurrenten, bedrohen seinen Arbeitsplatz, seine Karriere, gefährden seine Zukunft. Steigender Arbeitsdruck auf der einen Seite vereinigt sich mit weniger Solidarität (der Arbeitgeber) auf der anderen Seite. Er sieht es schon!

Die Scheiben schlagen an: aus Glas Klar wir Glas Matt – mit Stimmrecht auf der Suche nach mehr Zuversicht, empfänglich für „Change“ um jeden Preis.

Die Regulierungswut der moralischen Vorbilder – bis der Kessel platzt

Und da kommen die Genossen und wollen den Kapitalismus überwinden (in einer Zeit mit Minuszinsen). Sie rufen mit altlinken Rezepten zum Klassenkampf, wollten in ihrem Entwurf zum Positionspapier „Eigentum demokratisch denken“, den Privatbesitz von Boden und Ressourcen „transformieren“. Es kommen die Grünen und sehen ihr Glück in den Lenkungsabgaben, es kommen die Vegetarier und Velofahrer, Abfalltrenner, Wohnstrassenberuhiger, Carsharing-Automobilisten, Quotenfrauen und Feuilleton-Leser, Fernsehasketen und Stadttheaterbesucher, überhaupt alle, die in einer saturierten Gesellschaft in der Maslow-Pyramide ganz oben ihre unbeschränkte persönliche Selbstverwirklichung suchen. Vorbildhaft, solange nicht Massstab für alle!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Er musste kommen, Ihr Vorwurf: politisch unkorrekt verkürzt! Ich akzeptiere unter der Bedingung, dass Sie beim Lesen nicht grinsen mussten.

Sozial ist, wenn der andere zahlt

Die Regulierungswut nervt jeden liberal empfindenden Mitbürger (vielleicht auch nur soweit die Regulierung ihn und nicht die andern trifft). Er findet sich immer mehr bevormundet, zwangskollektiviert, eingereiht und überwacht von den Sittenwächtern des politisch Korrekten. Wo soll das enden? Wieviel individuelle Freiheit lässt diese Lenkungs- und Überwachungsgesellschaft noch zu? Wie ungewöhnlich darf Glas Matt noch leben, ohne ausgestossen zu werden? Wie weit darf er seine persönlichen und Familieninteressen wahrnehmen, sich gegen das Ausplündern und Umverteilen wehren, ohne als Charakterlump dazustehen oder als Ausländerfeind. Viele Fragen auf einmal.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für die Mehrheit der Amerikaner gilt immer noch: wenn alle in erster Linie für sich selber sorgen, geht es allen besser. Das geht so weit, dass sogar die obligatorische Krankenkasse keine Mehrheit mehr findet. Diese Lust nach Freiheit, Selbstverantwortung und Selbstgestaltung ist uns Europäern völlig abhandengekommen!

Die Tugendwächter des Mainstream regeln das Wohlverhalten der unverbesserlichen Egoisten, der angeblich Zurückgebliebenen, Aufgeklärte gegen Ignoranten und dazu noch ein schlechter Witz:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Management by Champions“: Hebt jemand den Kopf – abschneiden!

Wer in der Besonderheit seines Kosmos ruht, gilt als beschränkter Kleinkrämer

Sein Blickwinkel ist der falsche, er ist nicht universell, er ist persönlich. Dafür sorgt der Staat für ihn, fängt ihn auf im sozialen Netz. Er darf auch Ansprüche haben. Doch wo enden diese Ansprüche, wieweit müssen die einen finanzieren was sich die anderen leisten. Schon über diese Frage zu diskutieren gilt für viele als unmoralisch, selbstgefällig, verachtenswert. Der Fragesteller steht in der „Schäm-di Egge“. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Die Ansprüche an den Staat steigen weiter, und dazu muss er immer tiefer in die Hosentasche der Noch-Steuerzahler greifen, bis sich diese verweigern, Teilzeitarbeit leisten, Sabbatical nehmen, Frühpensionen beziehen. Und die Gesellschaft findet: das dürfen sie.

Der Druck auf die Rentner – Ausbeuter mit Stimmrecht

Heute stehen auch die Rentner im Schaufenster der Kritik, sehen sich angeklagt und müssen sich rechtfertigen. Da haben sie ein Leben lang gearbeitet, mit weniger Konsumpotential als heute, in kleineren Wohnungen, mit weniger Ferien, fügsamer (!), mitgeholfen die Infrastruktur der Schweiz zu finanzieren, die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Wirtschaft international zu behaupten für die Arbeitsstellen von heute und morgen. Niemand aber auch wirklich niemand aus Politik und Medien, ausgenommen Teile der Wirtschaft, ehrt und anerkennt die Leistung der heutigen Rentner ohne Aufforderung. Der Begriff Rentner ist im Gegenteil der freien Abqualifizierung überlassen (nicht nur bei der Berichterstattung über Autounfälle).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Er lebt von der arbeitenden Bevölkerung, asymmetrisch von den Beiträgen her zulasten der jungen Familien. Dass der Grossteil der Renten in der aktiven Zeit als Sparkapital angesammelt und nur die AHV im Umlageverfahren ausbezahlt wird, wollen viele gar nicht mehr verstehen. Sie kritisieren vielmehr den zurzeit zu hohen Rentensatz und übersehen gedankenlos, dass die mit grosser Sicherheit wiederkehrende Inflation die Kaufkraft der Rentenbezüger ohnehin schmälern wird. Denn die Renten sind nicht inflationsgeschützt (staatliche Renten in Ausnahmefällen), die Lohnbezüge schon. Das war immer so, es wäre ein Einfaches, dieses Faktum in der Geschichte zu prüfen.

Das politische Geschwafel um die Erhöhung des Rentenalters glaubt ohnehin niemand. Wer will schon Mitarbeiter über 60 beschäftigen. Die Gesellschaft (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) akzeptiert diese Lösung noch nicht. Hier müsste man ansetzen. Nur mit der Erhöhung des theoretischen Rentenalters ohne praktische Umsetzung (was jetzt erfolgt), reduziert sich der Rentensatz bei Austritt mit 60. Die Folge: eine Rentenkürzung der aktiven Bevölkerung bei Erwerbsaustritt. Das Verschweigen die Politiker. Eben: unglaubwürdige Wendehälse.

Wendehälse die Ursache – Wutbürger die Resonanz?

Eines kann man Trump nicht absprechen; er reagiert und kommuniziert spontan und authentisch. Was für eine breite Öffentlichkeit als ehrlich und natürlich daherkommt, wirkt auf die geistige Elite peinlich. Wie hat der Stimmbürger gewählt? Ehrlich peinlich und nicht abgehoben hinterhältig – tricky dicky!

Wer einfachen Überlegungen folgt abseits vom Mainstream ist für viele ein Wutbürger. Wutbürger wurde zum politischen Modeschimpfwort und mit viel Pathos und moralischer Verachtung unterlegt. Ist eine solche simple Deutung als Wutbürger berechtigt? Oder ist es nicht eher so, dass der Wutbürger seine Gründe und seine Wut eine Geschichte haben, z.B. die folgende:

Pantozol
Hochpreisinsel Schweiz

Der Wirkstoff Pantoprazol hemmt das Enzym, das für die Freisetzung der Säure im Magen verantwortlich ist. Die Filmtabletten mit dem Wirkstoff verhindern in einfachen Worten das Magenbrennen (das Rückführen von Magensäure in die Speiseröhre). Die Packungen von 14 Filmtabletten zu 40mg sind in der Schweiz rezeptpflichtig, ohne Rezept erhältlich nur in Packungen von 14 Filmtabletten zu 20mg. Für die gleiche Wirkung sind zwei Packungen nötig (2 x 20mg sind 40mg, so mein Hausarzt). Die Packung in Ponte Tresa (Italien, Grenzort bei Lugano) kostet 7.80 Franken (Euro 7.25). Zum Vergleich: Zwei Packungen in der Schweiz kosten rund 52.00 Franken, über 6 x mehr als in Italien.

Als aufgeklärter intelligenter Zeitgenosse mit viel Verständnis für die Probleme der Pharmaindustrie und im Wissen um die Schweizer Arbeitsplätze in der Pharmaforschung  ruft man nicht einfach aus, man ist nur ein wenig überrascht. Nur zu guten Freunden sagt man, und nur für diese (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Eine verdammte Schweinerei, dass unsere Gesundheitsbehörde eine solche Abzocke zulässt. Fragt sich nur was mehr ärgert: die materielle Abzocke oder das Gefühl, als Idiot dazustehen.

Schwarmintelligenz  – das Ende der Aufklärung

Die Medien kommunizieren am Volk vorbei. Von „Lügenpresse“ ist die Rede. Dass Journalisten bewusst Falschinformationen liefern mag für gewisse Staaten zutreffen, sicher nicht für die Schweiz. Dass der Mainstream-Journalismus aber unliebsame Wahrheiten unterdrückt, trifft auch bei uns zu (Die Solvenz der Schweizerischen Nationalbank).

Eigentliche Desinformationen und Fehlinformationen gehen aus den sozialen Netzwerken hervor(Klicken Sie zum Weiterlesen)

wo Kommunikationsteilnehmer Meldungen verfassen, weiterleiten, zitieren und liken. Mediensysteme dieser Art verknüpfen global. Sie bilden los gekoppelte Echokammern und bieten Raum für Roboter (Bots), die mit Algorithmen arbeiten und im Sekundentakt automatisch generierte Informationen mit unterschiedlichem Wahrheitsgehalt an gezielt ausgewählte Adressaten verschicken. Der Aufwand ist klein, die Ausbreitung gigantisch. Fake-News waren während den US-Wahlen weit verbreitet.

Echokammern wie Google, Facebook und Twitter werden zu Mediengrosskonzernen, die ohne redaktionelle Verantwortung auskommen, ohne vertiefte Recherchen und Analysen. Da die Empfänger nur Kurznachrichten erwarten, verkümmert der Informationsgehalt. Wer zur Meinungsbildung noch die Pendlerzeitung liest, ist schlecht informiert, seine Meinung ist wenig fundiert, um es höflich auszudrücken.

Skandale, Krisen, Katastrophen – auf wenigen Zeilen der Schrecken der ganzen Welt

Im Kampf um Kostenreduktion einerseits und Aufmerksamkeit andererseits wird der Copy-Paste-Journalismus gesucht, Likes und Shares werden zum Massstab des Erfolgs. Es wird der Mainstream gepflegt, Multikulti, Vielfalt, Toleranz, Weltoffenheit, Gender sind die Themen, tagesaktuelle Skandale und Krisen unterschiedlicher Relevanz erhöhen die Aufmerksamkeit. Doch erschreckend ist, dass sich der durchschnittliche Zeitungsleser auch von diesen Dingen nicht mehr angesprochen fühlt. Er sucht den Alltag, Promi Ereignisse, Sport, auch ein wenig Sex, Terror und Katastrophen dürfen es sein, am liebsten mit fetten Überschriften und farbigen Bildern.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wenn die PISA Studie zeigt, dass viele jungen Leute einen einfachen Text zwar lesen können, ihn jedoch nicht mehr verstehen, hat das wohl auch damit zu tun. Umfragen bei Erwachsenen in Nachbarländern zeigen ähnliche Ergebnisse.

Trotzdem dünnen die Printmedien weiter aus, nur die elektronischen Medien machen sich noch Hoffnung. Wir sind in der Zeit der Kurzmeldungen angekommen, die Politik springt auf.

Twittern ist angesagt, ein „President elect an der Spitze“, Schweizer Politiker im Nacheifern

Diese Art der Informationsbeschaffung eröffnet neue Wege um das Stimmverhalten zu beeinflussen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Psychometriker Michal Kosinski soll eine Methode entwickelt haben, Facebook Nutzer auf Grund ihres Verhaltens minutiös zu vermessen. Gestützt auf solche Psychogramme habe die Firma Cambridge Analytica bisher gesammelte und erworbene Informationen (Big Data) gekreuzt mit Wählerlisten und mit Onlinedaten um mittels individuell zugeschnürter Internet-Kampagnen Wahlen zu beeinflussen. Eine spannende Geschichte (Brexit – Trump – Le Pen, Das Magazin Nr. 48 vom 3. Dezember 2016). Kritiker halten allerdings dagegen, die Firma Cambridge Analytics habe bisher keine Beweise für die Wirksamkeit ihrer Digitalstrategie erbringen können. Auch hätten die Autoren ihre Recherche-Ergebnisse zu wenig hinterfragt, was diese bestätigen.

Der aufkommende Populismus ist Vorbote eines demokratischen Versagens

Viele junge Erwachsene, Aktive in der Tretmühle und Rentner sind verunsichert. Sie als Verlierer zu marginalisieren wäre verhängnisvoll. Denn insgesamt sind sie – zusammen mit den Opportunisten und Hasardeuren – die schweigende Mehrheit, mehrheitsfähig! Werden sie instrumentalisiert, verführt mit einfachen Lösungen, haben sie eine gewaltige Macht.

Der wirtschaftliche Wandel geht einher mit dem technologischen. Er ist stetig und disruptiv zugleich, er bedroht und verunsichert, nimmt keine Rücksicht auf Widersprüche. Er ist nicht EU bezogen, nicht paneuropäisch, er ist global über alle Wirtschaftssysteme und Werthaltungen hinweg. In diesem nimmermüden „Change“ Halt zu finden, umzudenken, das Hamsterrad zu verlassen, ist schwierig. Dabei noch die Sinngebung zu finden und fest in den Händen zu halten, ist wohl die mühevollste aller Lebensaufgaben. Ökonomen sind hier nicht mehr zuständig.

Glas Matt sagt stopp, es reicht – und weiss nicht mehr weiter. Rattenfänger von links und rechts aussen sehen ihre Chance gekommen, wollen die Lücke füllen. Rote Heilsverkünder auf der einen Seite und braune Demagogen auf der anderen Seite stehen Gewehr bei Fuss: mit noch mehr Regulierung als Lösung und noch weniger Luft zum Atmen. Sackgassen der Geschichte.

Das grosse Fragezeichen

Es gibt nur einen Weg: Jeder ist bereit, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen, für sich selbst und seine unmittelbare Umgebung. Und die geistige Elite, die Politiker und die Wirtschaftskapitäne müssen diesen Weg unterstützen und endlich damit aufhören, Glas Matt als Manipuliermasse für eigene Zwecke zu missbrauchen.

Glas Matt hat entschieden, in England, in Amerika, in Österreich, in Italien und in Polen. Ob die Entscheidung richtig war oder eben nur eine Hommage an die eigene Identität? Er wird entscheiden in Frankreich und in Deutschland. Er trägt diese Verantwortung, wissentlich oder nicht, doch hat er auch die Voraussetzungen dazu? Mehr Selbstbestimmung heisst auch mehr Einsamkeit, den Verzicht auf die Haltestangen und Krücken der Hohepriester und Tugendwächter, eine Gefährdung der traditionellen sozialen Bindungen, weniger Anerkennung und Lob. Glas Matt wird es nicht einfach haben.

Lobbyismus Schweiz – später eimal

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Hochpreisinsel Schweiz Teil 3: Der Staat – Regisseur und Kulissenschieber an vorderster Preisfront

Wir wähnen uns in einer offenen und freien Marktwirtschaft – gehütet von und gebettet in einer sozialen Wirtschaftsordnung. Die Preisfindung findet am Markt statt, wo sich Angebot und Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen treffen – bei weitgehender Gewerbefreiheit. Drängt sich eine Unternehmung vor und strebt nach Marktbeherrschung, wird sie im Rahmen der Wettbewerbspolitik zurückgebunden.

Ziemlich einfältig diese Vorstellung. Viele bis sehr viele Verkaufspreise sind nicht das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Und immer öfter legt der Staat selbst Hand an und administriert die Preisfindung und -bildung aus  unterschiedlichen „staatspolitischen“ Motiven.

In seiner Funktion als marktmächtiger Anbieter (und Preisbilder) von Gütern und Dienstleistungen bestimmt der Staat über die Sozial-, Steuer- und Wirtschaftspolitik die Preise und beeinflusst auf diese Weise die Ausgaben der Haushalte (und deren Vermögensbildung) auf massivste Weise. Die Konsumenten merken es nicht oder kaum. Sie suchen die Schuldigen in der Privatwirtschaft und enervieren sich an Einzelbeispielen (wie an den überhöhten Preisen bei Kosmetika und Zeitschriften) und rufen nach dem Preisüberwacher.

Es fehlt der Blick aufs Ganze, der Überblick. Das ist vielen recht so. Das Tun oder Lassen des Staates, seine Verantwortung in Bezug auf das Hochpreisniveau Schweiz wird von mächtigen politischen und wirtschaftlichen Kreisen mit Erfolg totgeschwiegen. Ein ausführliches Beispiel dazu: die preistreibende asymmetrische Interessendurchsetzung zugunsten der Bauern.

Der Mythos Bauern – eine nostalgische Verklärung

Ein Berner Bauernhof geschmückt mit rosaroten Geranien auf einer sattgrünen Wiese, umgeben von einem Gewürz- und Gemüsegarten, im Hintergrund ein Steinbrunnen vor dunkelgrünem Wald, kontrastreich zum Dunkelblau der fernen Berge. Eine Wegkrümmung im Vordergrund, Kuhglocken, sonst absolute Stille, frische Luft. Ein Naherholungsgebiet für Städter die über das Wochenende das gesunde Landleben suchen, noch einmal auftanken vor einer intensiven Arbeitswoche.

Die Schweiz und seine Bauern – eine Liebesbeziehung?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Waren wir nicht alle einmal Bauern? Haben nicht die Bauern die Urschweiz errichtet und mit ihrem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit den Grundstein für unsere heutige Staatsform gelegt? Wir brauchen kein Königshaus, keinen repräsentierenden Staatspräsidenten, keine regierungsführende Partei, wir sehen uns als Fortsetzung der selbständigen, unabhängigen, unbequemen und unternehmerisch auftretenden Altbauern.

Das Schweizer Volk hat immer wieder bewiesen, dass es dem Bauernstand wohlwollend gesinnt ist. Es darf schon etwas kosten. Wieviel? Die finanziellen direkten und erst recht die Folgekosten will niemand so richtig zur Kenntnis nehmen. Und die Bauern von heute haben es verstanden der Schweizer Bevölkerung einzureden, dass die staatliche Förderung unerlässlich sei für die Qualitätssicherheit (die Schweizer Bevölkerung soll vor minderwertigen ausländischen Erzeugnissen geschützt werden). Bei der Versorgungssicherheit ist der Nachweis schon etwas schwieriger, bei der Erhaltung der Kulturlandschaft sind sich dann wieder alle einig: keine Abstriche. Der Wunsch nach dezentraler Besiedelung und „Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen“ ist sogar in der Bundesverfassung verankert (Art. 104). Auch der Tierschutz ist ein grosses Anliegen.

Darf es etwas mehr sein?

Die Beiträge für die Landwirtschaft erbringt die Schweizer Bevölkerung zum einen über den Konsum landwirtschaftlicher Produkte und zum andern als Steuerzahler. Und das ist nicht wenig und nicht ohne Folgen. Was die Haushalte für Nahrungsmittel ausgeben kürzt ihre übrigen Ausgaben, was an Steuern in die Landwirtschaft fliesst fehlt an anderer Stelle (zum Beispiel für die Unterstützung und Entwicklung anderer Berufstätigkeiten und Industriezweige). An dieser Stelle darf nicht fehlen hervorzuheben, dass die Landwirtschaft (im Rahmen des primären Sektors) bisher stark und weiter in Zukunft an Bedeutung verloren hat bzw. verlieren wird, was an sich alle wissen und niemanden überrascht. Weniger bekannt sind jedoch die harten Fakten und Relationen, die von unabhängigen Dritten erhoben wurden(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Aus dem OECD-Länderbericht 2015 zur Schweizer Landwirtschaft geht hervor, dass

  • ihr Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) auf unter 1 Prozent geschrumpft ist
  • ihr Beschäftigungsanteil in etwa 3-4 Prozent beträgt
  • über 60% des landwirtschaftlichen Einkommens vom Staat kommt
  • die Verkaufspreise ihrer Güter rund 40% über dem Weltmarktniveau liegen

Konkret: Rund 53’000 Bauern erhalten 2,8 Mia Franken an Direktzahlungen (um die Vernebelung weiter zu begünstigen nennt man diese neu unverfänglich „Beiträge für Versorgungssicherheit“. Gemäss OECD Bericht kommen hinzu über 2 Mia Franken für den „Grenzschutz“ (der landwirtschaftlichen Güter). Und weiter: der Staat gewährt massgeschneiderte Privilegien für die Landwirtschaft bezüglich:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

  • Eigenmietwert: Aufgrund eines Bundesgerichtsentscheids aus dem Jahre 1993 erhalten die Bauern einen tieferen Eigenmietwert, sie nennen es „Vorzugsmietwert“
  • Mehrwertsteuer: Bauern sind beim Verkauf ihrer eigenen Produkte mehrwertsteuerbefreit (auch bei Einnahmen über CHF 100’000)
  • Mineralölsteuer: Bauern erhalten Rückvergütungen auf der Besteuerung der Treibstoffe
  • Grundstückgewinne: Baulandbauern erhalten Steuerprivilegien auf Grundstückgewinnen
  • Familienzulagen: Für die Bauern werden diese von der öffentlichen Hand finanziert (im Gegensatz zu den nichtlandwirtschaftlichen Betrieben)

Ist es richtig, in einen an Bedeutung abnehmenden Berufsstand Mittel im bisherigen Ausmass zu investieren, die für die Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze fehlen?

Unter Heimatschutz: Wie weit darf die asymmetrische Mittelzuwendung gehen?

Die schweizerische Agrarpolitik bezweckt in erster Linie das Existenzrecht der Bauern zu sichern. Je nach statistischen Angaben und weiteren Annahmen liegen die Kosten für diese Strukturpoltik ingesamt zwischen 6 und 7 Mia Franken pro Jahr. Zusätzlich zu diesen Kosten fallen Kosten an als Kollateralschäden der Agrarpolitik, die empirisch nicht erhoben werden aber beeindruckend und aussergewöhnlich sein sollten (Klicken Sie zum Weiterlesen)

  • in der benachbarten Agrar- und Nahrungsmittelindustrie: sie übernimmt überhöhte Kosten auf inländische Rohstoffe, was sie im Export benachteiligt
  • im Tourismus und im Gastgewerbe: überteuerte Nahrungsmittel sind namentlich in Grenzgebieten verhängnisvoll
  • im Detailhandel: enormer Kaufkraftabfluss ins Ausland für Geschäfte in Grenznähe
  • bei den Freihandelsabkommen: im vornherein torpediert ohne Rücksicht auf industrielle Vorteile (Beispiele das abgebrochene Freihandelsabkommen mit den USA und die zur Zeit laufende Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP)

Als Ausgleich für die agrarprotektionistisch überteuerten Milch- und Getreiderohstoffe erhalten die Schweizer Konzerne Nestlé, Emmi, Lindt & Sprüngli  Exportsubventionen in Millionenhöhe (Schoggigesetz). Und es ist nicht lange her, da wollten 109 von 200 Nationalräten das schwer erkämpfte Cassis-de-Dijon Prinzip bodigen. Oder man verfolge aktuell die Vorstösse der Bauernlobby im Zusammenhang mit dem Stabilisierungsprogramm 2017 – 2019. Gemeinsam mit Norwegen, Südkorea und Japan ist die Schweiz in der Spitzengruppe der Agrarprotektionisten anzutreffen. Wer tut etwas dagegen? Auch die Grossverteiler Migros und Coop halten sich bedeckt und setzen sich wenig wahrnehmbar zugunsten ihrer Kunden ein. Höhere Margen auf ihren Produkten liegen ihnen wohl näher.

Das Paralleluniversum der Bauernlobby

Die Macht der Bauern ist gewaltig, der Zorn der Bauern furchtbar. Wer sich ihnen entgegenstellt, hat eigentlich schon verloren. Das wissen die Parlamentarier. Keine Partei wagt es, gegen die mächtigen Interessenorganisationen anzutreten. Und der Agrarsektor in Bund und Kanton beschäftigt inzwischen ein ganzes Heer von Mitarbeitern. Sie werden sich hüten, die Finanzströme zu kappen. Im Gegenteil, ihre Regulierungsliebe ist grenzenlos:

So erhalten die Bauern sog. Landschaftsqualitätsbeiträge, erarbeitet vom Bundesamt für Landwirtschaft in enger Zusammenarbeit mit der Vereinigung Agridea, hinter welcher der Schweizer Bauernverband (SBV), kantonale Landwirtschaftsämter und die Forschungsanstalt Agroscope stehen sollen. Nach dem Beobachter 20/2016 schrieben sie „schon 2010 ein Drehbuch, wie die Bauern dereinst solche Gelder abholen könnten“. Doch es blieb nicht bei den Landschaftsqualitätsbeiträgen. Hinzu kommen Beiträge für Biodiversität (zur Förderung der Artenvielfalt und der Lebensräume) und Beiträge zur Pflege der Kulturlandschaft, wenn sie (wieder nach dem Beobachter 20/2016) das Land nicht verwalden und das Vieh auf die Alp lassen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

3 Franken pro Jahr gibts für jeden grösseren Zürcher Steinhaufen. Ein Findling bringt jährlich 100 Franken ein. 67 Eichen pflanzen – und innert fünf Jahren rund 30’000 Franken ernten

Weitere Beiträge fliessen für besondere naturnahe, umwelt- und tiergerechte Produktion. Dabei gibt es den typischen Bauern gar nicht. Gemüsebauer, Milchwirtschaftsbauer, Bio-Bauer, Bergbauer, sie haben unterschiedliche Probleme zu lösen. Doch in der politischen Öffentlichkeit treten sie mit einer Stimme auf, fordern mit viel Druck. Das Lobbying der Bauern ist erschreckend professionell. Ein Fünftel aller National- und Ständeräte hat eine Verbindung zur Landwirtschaft. Lobbygruppen befassen sich mit Futtermittel, Geflügelzucht, Viehwirtschaft, Milchwirtschaft, Obstwirtschaft, Weinbau/Bier/Spirituosen, Produktion/Handel, Promotion/Marketing, Wald und Holzwirtschaft, Kleinbauern.

National- und Ständebauern: Wer mit wem und wie und was – der Beobachter 20/2016 hat ergründet und enthüllt (interaktive Infografic des Beobachter). – Klicken Sie auf „START“, um das Netzwerk der Parlamentarier zur Landwirtschaft kennen zu lernen.

Agrarprotektionisten: Powerplay versus Rücksicht und Verständnis

Das Selbstverständnis der Ansprüche ist erschreckend. Dabei sind nicht alle Bauern Subventionsempfänger in gleicher Weise, es sind in erster Linie grosse Landwirtschaftsbetriebe in Tal- und Hügelgebieten und nicht Kleinbauern im Alpenraum. Doch mit ihrem Powerplay riskieren die Bauern insgesamt ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren. Von „Ausbeuten“ ist schon die Rede. Die vom Bauernverband und der SVP lancierte Volksinitiative „Für Ernährungssicherheit“ zeigt aktuell, wie unerbittlich die Anspruchshaltung daherkommt und wie biegsam sich die Räte in der grossen Kammer verhalten. Man kann es drehen wie man will: es geht um die krude Besitzstandswahrung.

Alle wissen, über alle Generationen und Besitzstände hinweg, dass die Schweiz vor enormen wirtschaftlichen Veränderungen steht und diese bewältigen muss. Das Lädelisterben war nicht aufzuhalten, Bankfilialen wurden ausgedünnt, Postfilialen ebenso. In diesen schwierigen Zeiten muss der Staat mithelfen, Übergangslösungen zu finanzieren. Diesen Anspruch hatten und dürfen auch die Bauern haben, und zwar als Überbrückungsmassnahme, nicht zur Strukturerhaltung. Angehende Jungbauern müssen ihr wirtschaftliches Umfeld kennen, den Markt für ihre Produkte und Dienstleistungen, wie andere Jungunternehmer auch. Die Perspektive mag rosig erscheinen, ein allfälliges Scheitern aber in Erwägung gezogen werden.

Durch die Industrie 4.00 werden in den nächsten Jahren je nach Schätzung eine grosse bis sehr grosse Anzahl von Arbeitsstellen im administrativen Sektor verloren gehen. Die Bauern werden nicht helfen können. Und was sind die Massnahmen und wo sind die Mittel bei einer zukünftigen Jugendarbeitslosigkeit.

Es sei hier in keiner Weise angedeutet, die Bauern seien die Hauptschuldigen für die Hochpreisinsel Schweiz. Das sind sie nicht. In gewissen Bereichen sind sie selbst betroffen von den hohen Preisen, bei den importierten Futtermitteln beispielsweise, oder bei Düngemittel und beim Maschinenpark. Der Agrarfreihandel ist nicht die Lösung, es geht aber um das tragbare Mass der Anpassungskosten an neue Strukturen. Dass die Bauern um ihre Existenz kämpfen ist ihr gutes Recht. Verschwiegen und unterdrückt werden darf aber nicht die Konsequenz der heutigen Agrarpolitik auf die Hochpreisinsel Schweiz: bei den landwirtschaftlichen Nahrungsmitteln werden

zulasten der Konsumenten und Steuerzahler

Angebot und Nachfrage übersteuert durch staatliche Regulierungen: die inländische Produktion wird gefördert durch offene und versteckte Subventionen, der Import ausländischer Produkte gebremst durch Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse.

Der Staat marschiert an vorderster Preisfront

bewaffnet mit einer gewaltigen Agrarbürokratie, die sich selbst nicht abschaffen will, die im Gegenteil immer mehr zum Trabanten der Agrarlobby wird, immer mehr gemeinsame Interessen hat. Geregelt und kontrolliert wird bis ins kleinste Detail, wie vorige Beispiele zeigen. Man stelle sich einmal vor, wieviel Verwaltungsaufwand und -kosten hinter jeder Transferleistung liegen! Wer setzt hier den Massstab, sorgt für Kosteneffizienz, legt Rechenschaft ab gegenüber wem? Darf man sagen: das interessiert keine Sau?

Die landwirtschaftlichen Nahrungsmittel sind nur ein (wichtiges) Beispiel für die vom Staat beeinflusste (administrierte) Preisbildung. Aufsehenerregend am Beispiel ist, auf welche Weise fernab von Angebot und Nachfrage die Preisbildung erfolgt. Andere Beispiele finden sich im Gesundheitswesen (Arzneimittelpreise und Krankenkassenprämien), im öffentlichen Verkehr, im Energiesektor. Und wenn wir beim Staat bleiben, wie sieht es aus bei der Entwicklung der Steuerbelastung?

Die Steuern sind für die meisten Haushalte die grösste Ausgabe des Jahres (in gewissen Fällen mit Ausnahme der Miete oder der Krankenkassenbeiträge). Im Grunde genommen sind die Steuern nichts anderes als das Entgelt für die Dienstleistungen des Staates, die je nach Einwohner mehr oder weniger in Anspruch genommen werden. Bei den Gebühren sind die Zusammenhänge direkter, beim SBB-Ticket unmittelbar. Praxis und Literatur erwähnen, dass die staatlichen Dienstleistungen viel stärker überteuert sind als die privaten. Wo sind die Studien, welche die Preis- bzw. Kostenentwicklung aufzeigen beispielsweise für die öffentliche Sicherheit, den Umweltschutz oder die Verwaltung? Welche Verantwortung für das hohe Preisniveau übernehmen die Politiker, die Parlamentarier, die Stimmbürger? Wissen sie, welche Priorität das relative Preisniveau zum Ausland für die Arbeitsplätze der Zukunft hat? Und wenn ja, wie sehen Ziele und Massnahmen aus, um das hohe Preisniveau zu reduzieren?

Nehmen wir abschliessend den Haushalt von Bürger Glas Klar, um die Relevanz des Staates am Einzelbeispiel offen zu legen:

Erstens: Wieviel seiner Ausgaben bestimmen administrierte Preise wie Steuern, Gebühren, Abgaben, Krankenkassenprämien, öffentlicher Verkehr, Ausbildung, Energie, Nahrungsmittel – und wie sieht hier die Preisentwicklung in den letzten 20 Jahren aus! Sind die Preise stark gestiegen, und sie sind – preisbestimmend oder preisduldend war der Staat, nicht die Privatwirtschaft.

Preistreiber Nummer eins ist der Staat, mehr oder weniger ungehindert durch die Wettbewerbsbehörde.

Zweitens: Nehmen wir nur die Steuern, Gebühren und Abgaben, wieviel des Bruttoeinkommens geht direkt zurück an den Staat? Zum einen Sack hinein, zum andern Sack hinaus. Wir sind bei der Staatsquote.

Ist die Schweiz nun ein Steuerparadies oder eine Steuerhölle? Demnächst

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Hochpreisinsel Schweiz Teil 2: Stellvertreterkrieg im Parlament

Aus den Überschriften der letzten Wochen:

„Regulierungswut auf der Hochpreisinsel“ – „Eine eingebildete Krankheit“  „Liberale Politiker auf dem Holzweg“

Kartellexperten, Patentanwälte und Politiker profilieren sich. Seiten werden bezogen, Claims gesteckt und Wagenburgen geschlossen. Es geht um viel Geld in einem lukrativen Markt für Berater und Lobbyisten.

Die Kunst der Professionalität gebietet, den Sachverhalt zu komplizieren, von allen Seiten zu beleuchten, denkbare Vor- und Nachteile in allen Schattierungen zu würdigen. Doch so schwierig ist es eigentlich nicht. Ein kurzer Refresher zum Thema Kartellabsprachen:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Preisdifferenzierung ist ein altes und bewährtes Instrument im Marketing-Mix. Dazu stehen verschiedene Kriterien zur Verfügung, wie die Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Lieferung (saisonale Preisunterschiede) oder die Differenzierung nach der Menge (Rückvergütungen und Rabatte). Bei der räumlichen Preisdifferenzierung (Gebietsabsprachen) verkaufen ausländische Produzenten (in gewissen Fällen auch inländische) ihre Erzeugnisse in der Schweiz mit einem Zuschlag, sei es über Tochtergesellschaften oder über unabhängige Importeure. Man spricht dabei von vertikalen Kartellabsprachen (dem Absatzkanal entlang) im Unterschied zu den horizontalen Kartellabsprachen (unter Konkurrenten).

Die bisherige Praxis

Nach der alten Bundesverfassung waren vertikale und horizontale Kartellabsprachen erlaubt, soweit sie nicht schädlich für das Gemeinwohl waren (Missbrauchsgesetzgebung). Um den Missbrauch zulasten der Konsumenten zu begrenzen, wurde 1995 das Kartellgesetz verabschiedet (Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen vom 6. Oktober 1995, KG).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das KG bezweckt nach Art. 1: „volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern und damit den Wettbewerb im Interesse einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung zu fördern“.

Der Geltungsbereich wird in Art. 2 wie folgt definiert: „Das Gesetz gilt für Unternehmen des privaten und öffentlichen Rechts, die Kartell- oder andere Wettbewerbsabreden treffen, Marktmacht ausüben oder sich an Unternehmenszusammenschlüssen beteiligen“(Abs. 1).

Im Jahre 2004 wurden einige Revisionen sowie die Verordnung über die Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft gesetzt.

Die Wettbewerbsbehörde

Die Wettbewerbskommission (Weko) trifft die Entscheide, erlässt die Verfügungen und gibt Empfehlungen, Stellungnahmen und Gutachten an die politischen Behörden (KG Art. 18 Abs. 3). Die Zusammenarbeit mit dem Preisüberwacher geht aus Art. 3 hervor: „Verfahren zur Beurteilung von Wettbewerbsbeschränkungen nach diesem Gesetz gehen Verfahren nach dem Preisüberwachungsgesetz vom 20. Dezember 1985 (PüG) vor, es sei denn, die Wettbewerbskommission und der Preisüberwacher treffen gemeinsam eine gegenteilige Regelung“ (Abs. 3). Gemäss PüG(Klicken Sie zum Weiterlesen)

beobachtet der Preisüberwacher „die Preisentwicklung (Art. 4 Abs. 1), „verhindert oder beseitigt die missbräuchliche Erhöhung“ (Abs. 2) und „orientiert die Öffentlichkeit“ (Abs. 3). Art. 5 regelt die Zusammenarbeit mit der Wettbewerbskommission. Nach Art. 12 Abs. 1 liegt ein Preismissbrauch dann vor, „wenn die Preise auf dem betreffenden Markt nicht das Ergebnis wirksamen Wettbewerbs sind“.

Und hier sind wir beim Thema und vor den Beispielen. Das KG führt Verhaltensweisen auf, bei denen vermutet wird, dass diese volkswirtschaftliche oder soziale Schäden verursachen. Verkaufen beispielsweise alle Tankstellen einer Region ihre Produkte zu denselben Preisen (horizontale Preisabsprache) wird vermutet, der Wettbewerb sei eingeschränkt. Desgleichen: wenn ein Produzent einer Ware allen ausländischen Händlern verbietet, in die Schweiz zu liefern (vertikale Gebietsabsprache). Es gibt keine „Per-se“-Erheblichkeit und der Nachweis der schädlichen Beeinträchtigung obliegt der verantwortlichen Behörde. Was das heisst und wie schwierig die griffige Durchsetzung sein kann, zeigt das Beispiel der Buchpreisbindung in aller Dramatik:

Die Buchpreisbindung – gemeinsam voll auf die Bremse

Leicht gekürzt immer noch eindrücklich:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Weko eröffnete am 28. September 1998 eine Untersuchung über die Preisbindung für deutschsprachige Bücher. Einbezogen waren der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband (SBVV) sowie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. Die Weko befand die horizontal koordinierte vertikale Wettbewerbsabrede über die direkte oder indirekte Festsetzung der Verkaufspreise als kartellrechtlich unzulässig. Auf eine Beschwerde hin vom 21. Mai 2001 bestätigte die Rekurskommission für Wettbewerbsfragen diesen Entscheid. Dagegen haben die beiden Verbände am 21. Juni 2001 Verwaltungsgerichtsbeschwerden eingereicht u.a. mit dem Antrag, den Beschwerdeentscheid der Rekurskommission aufzuheben. Die Weko wiederum hat erwartungsgemäss den Antrag gestellt, diese Beschwerden abzuweisen. Nun konnte nur noch die Politik weiterhelfen.

Aus den Argumenten der Lobbyisten in Richtung Parlamentarier: es bestehe die Gefahr, dass die Kultur unseres Landes aus ökonomischen Interessen verschachert und schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Schweizer Literatur erfolgen würden. Eine wissenschaftliche Studie „Buchmarkt und Buchpreisbindung in der Schweiz“ im Auftrag des Bundesamtes für Kultur in Verbindung mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft sollte die letzten Kulturbanausen in die Knie zwingen, mit Erfolg: das Bundesgericht hiess die Beschwerden teilweise gut und wies die Anträge zur erneuten Beurteilung an die Weko zurück.

Vier Jahre nach Abschaffung der Buchpreisbindung nahm das Parlament im Frühling 2011 das „Bundesgesetz über die Buchpreisbindung“ an und die Buchpreisbindung fand ihre Wiedergeburt. Dagegen hatten die Jungparteien SVP und FDP erfolgreich das Referendum ergriffen. Am 11 März 2011 entschieden sich die Stimmbürger mit 56,1% gegen die Wiedereinführung der Buchpreisbindung.

Einfach nur peinlich

Eine unglaubliche Zwängerei und ein trübes Beispiel, wie sich die Parlamentarier herumschieben lassen. Eine Strukturerhaltungspolitik, die völlig an der Marktentwicklung und an den Konsumenteninteressen vorbei aufrechterhalten werden sollte. Heute findet der Vertrieb weitgehend ohne Verkaufsflächen statt, grenzüberschreitend über Internetplattformen. Immer mehr Leser verzichten auf ein Print-Produkt und greifen zum E-Book. Standort-Buchhandlungen im bisherigen Sinn (Fach-und Allgemeinsortimenter) können sich nur noch als Ketten oder in Nischen behaupten. Was für ein Kampf für Vertriebswege von gestern!

Früher war die Schweiz der typische Testmarkt für ausländische Produzenten. Heute ist die Schweiz der typische Abschöpfungsmarkt zur Aufmischung der Gewinne.

Die reichen Schweizer und die Hochpreisstrategie der internationalen Markenartikelkonzerne

Ausländische Produzenten verlangen von ihren Schweizer Kunden höhere Preise als für ihre Kunden in Nachbarländern. Preisdifferenzen von 20, 30 und 50% sind dokumentiert. Als Rechtfertigungsgründe werden die hohen Lohn- und Raumkosten genannt, eher selten die höhere Kaufkraft. Noch gut in Erinnerung bleibt das Beharrungsvermögen, als es darum ging, die Währungsgewinne aus der Wechselkursdifferenz Franken/Euro an die Endkunden weiterzugeben. Inzwischen liegen aufsehenerregende Weko-Entscheide vor, darunter:

Der Fall Elmex – vertikale Absprachen

Denner hatte im Jahre 2005 versucht, die Zahnpasta Elmex billig aus Österreich zu beziehen, am Hersteller vorbei parallel zu importieren und dann in der Schweiz billiger zu verkaufen (als Coop und Migros). Eine klassische Wettbewerbsstrategie. Doch Elmex konnte es verhindern. Busse 4.8 Mio Franken. Vor Bundesgericht hängig.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das Bundesverwaltungsgericht sah es als erwiesen an, dass der Hersteller der Zahnpasta Elmex (vormals GABA, die heutige Firma Colgate-Palmotive) den Preiswettbewerb zu verhindern versuchte (Entscheid vom Dezember 2013).

Für Kartellgegner ein gefährlicher Muster-Entscheid. Die liberale NZZ veröffentlichte vor Kurzem mehrere Artikel mit der Grundhaltung, das Bundesgericht sei über das Ziel hinausgeschossen und habe faktisch ein Verbot für vertikale Absprachen zwischen Hersteller und Händler ausgesprochen. Das Parlament habe indessen vertikale Absprachen nie verbieten wollen.

Der Fall BMW – Lieferverbote für Händler

Der Autohersteller BMW hatte seinen Händlern aus dem europäischen Wirtschaftsraum untersagt, Fahrzeuge an Schweizer Kunden zu verkaufen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Hier nicht relevant und doch ausgesprochen werden soll: Müsste es für die Schweizer Reputation des Autoherstellers BMW nicht abträglich gewesen sein, wenn in aller Offenheit darüber diskutiert wird, dass der Schweizer Konsument mit einem Schweiz-Zuschlag (von bis zu 33% gegenüber Deutschland) abgezockt werden soll und man an dieser Praxis festhalten wolle. Müsste sich ein potentieller Schweizer Käufer nicht als düpiert, veräppelt und verkaspert vorkommen?

Die Weko hat BMW mit einer Busse von 154 Mio Franken bestraft, wogegen BMW Beschwerde erhob. Das Bundesverwaltungsgericht kam im November 2015 zum Schluss, dass Gebietsschutzklauseln automatisch als erhebliche Wettbewerbsabreden zu gelten haben. Vor Bundesgericht hängig.

Die rätselhaften Vertriebswege der Sanitär-Grosshändler

Das jetzt abgeschlossene Verfahren erfolgte auf Hinweise der Bevölkerung (2011). Wer einmal mit der Sanitärbranche zu tun hatte kann sich sicher noch gut erinnern, was für merkwürdige und aussergewöhnliche Vertriebswege sie antrafen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Weko büsste den Schweizer Grosshandelsverband und 8 Gesellschaften (darunter Sanitas Troesch und die Sabag-Gruppe) mit insgesamt rund 80 Mio Franken. Die Weko wirft den Gesellschaften vor, über den Verband preisbestimmende Faktoren wie Margen und Rabatte vereinbart zu haben. Gesellschaften, die ihre Produkte nicht über den Grosshandel verkaufen wollten, seien am Markteintritt gehindert worden.

Geschädigt nach Weko seien die Konsumenten und einzelne Sanitärinstallateure. Die detaillierte Begründung ist noch ausstehend. Danach wollen die betroffenen Gesellschaften die Busse rechtlich bestreiten.

Die Argumente: Pros und Cons

BundeshausTeilansichtKeine Lösung hat nur Vorteile, immer sind auch Nachteile hinzunehmen. Für rechtsliberale Kreise sind vertikale Absprachen sinnvoll, da der Wettbewerb in vielen Fällen nicht behindert werde, dies umso mehr, als Bagatellfälle vermieden und unschädliche Formen der Koordination zugelassen werden sollen. Die höhere Marge mache es ausserdem möglich, in Beratung,  Imagepflege, Innovation und Expansion zu investieren. Beispiele aus Theorie und Praxis untermauern die positiven Aspekte der vertikalen Absprachen aus ihrer Sicht. Unwidersprochen: was für Importeure gilt, gilt auch für Schweizer Exporteure. Auch sie nehmen Preisdifferenzierungen vor. Auch ihnen kann es an den Kragen gehen, von inländischen und ausländischen Kartellbehörden.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es kann sein, dass der Schweizer Konsument für das inländische Produkt mehr bezahlen muss als der Konsument im Ausland für das gleiche Schweizer Produkt. Nicht zur Freude der Schweizer Konsumenten, doch zum Wohle der Schweizer Produzenten. Wer über die Grenze Schweizer Pharmaprodukte einkauft, und das tun viele, kennt die Preisdifferenzen aus eigener Erfahrung.

Die Argumente der Kartellgesetzgegner lassen dann erstaunen, wenn von Nachteilen für die Schweizer Konsumenten die Rede ist. Behauptet ein Autor in allem Ernst, fallende Importpreise (fallender Schweiz Zuschlag) führten zu tieferen Löhnen sollte fairerweise anfügen, dass mit sinkenden Löhnen auch sinkende Einkommenssteuern verbunden wären.

Und wer die auf die Spitze getriebene Vereinfachung trommelt: Wohlstandsinseln sind Hochlohninseln sind Hochpreisinseln – nuschelt leicht dümmlich. Was ansatzweise für autarke Volkswirtschaften richtig sein könnte, gilt sicher nicht für exportorientierte Volkswirtschaften (wie die Schweiz) und sicher nicht für grenznahe Regionen. Hinterfragt man indessen die berufliche Herkunft und Ausrichtung vieler Kartellbefürworter kann man zum Schluss kommen: alleiniger Zweck der Vorstösse ist die Beweishürde für die Wettbewerbsbehörde möglichst hoch zu halten. Das gibt Spielraum für die Berater(-honorare).

Revision – zurück zum Start

Im Parlament wurde eine Reihe von Vorstössen eingereicht, die kritische Punkte der gescheiterten Revision von 2014 wieder aufgreifen.

Das zu revidierende Kartellgesetz sollte nach gewissen Vorstellungen die preisliche Meistbegünstigung der Schweiz festschreiben. Schweizer Kunden sollten zu den jeweils weltweit tiefsten Preisen beliefert werden. Dass man ausländischen Lieferanten die Preise nicht vorschreiben kann (und wer soll diese Preise festlegen), ist unschwer erkennbar. Interventionen dieser Art sind rechtlich auch gar nicht durchsetzbar. Andere Vorschläge, wie das Kriterium Marktbeherrschung auf die relative Marktmacht auszuweiten, finden im politischen Machtkampf keine ausreichende Unterstützung.

Weko-Präsident Vincent Martenet fordert eine Revision in vier Punkten: Striktere Fusionskontrolle, Zulassung von Zivilklagen, Bussenrabatte bei wirksamer interner Kontrolle, stärkeres Widerspruchsverfahren (Der Bund, 29.04.2016).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wünschenswert wäre auch, dass die guten Erfahrungen unserer Nachbarn im Sinne einer Best Practice vermehrt in die Überlegungen einbezogen würden. Das deutsche Bundeskartellamt hat beispielsweise erste Erfahrungen gesammelt mit einem elektronischen Hinweisgebersystem für anonyme Eingaben. Ein solches System mag an sich als unsympathisch und unschweizerisch empfunden werden, steigert aber mit grosser Sicherheit das unternehmerische Bewusstsein für die Kartellrechtsproblematik. Und dieses Bewusstsein fehlt noch weitgehend, historisch begründet im Umgang mit Kartellabsprachen in den letzten 50 Jahren.

Die Schweizer Exportindustrie riskiert zunehmend auch global in Kartellverfahren verwickelt zu werden, die Finanzindustrie allen voran (die Manipulationen der Devisenkurse sind letztendlich Absprachen unter Grossbanken zur Schädigung der Bankkunden). Die ausländischen Wettbewerbsbehörden treten immer aggressiver auf, eine Eskalation der Bussgeldentscheide und -volumen ist zu vermuten. In diesem Sinne wäre es sicher empfehlenswert, Überlegungen zur Kartellrechtsproblematik in das Risk-Management bzw. in die Compliance der Unternehmung aufzunehmen.

Doch in der Schweiz wird unverdrossen weitergemauert unter der Maxime, die Handels- und Gewerbefreiheit (zeitgemässer: die unternehmerische Freiheit) dürfe nicht eingeschränkt werden. Was aus Sicht der Einzelunternehmung (mikroökonomisch) noch verständlich sein könnte, ist volkswirtschaftlich (makroökonomisch) weitgehend unbestritten falsch. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen die fatalen Folgen auf lange Sicht (Diskussionsvorschlag für Biertischliberale: das Schweizer Bierkartell und das Ende der überregionalen Bierproduzenten).

Die Schlacht im Bundeshaus – der Stellvertreterkrieg

In der Arena stehen nicht Unternehmer und Konsumenten. Gefightet wird über Stellvertreter. Doch dieser Kampf ist ungleich. Einer produzierenden Wirtschaft (teilorganisiert über Verbände) mit einem gewaltigen Potential an finanziellen Mitteln und einem auf Abruf bereiten Heer von Rechtsberatern und Lobbyisten stehen wenige Konsumentenschutzorganisationen mit bescheidenen Mitteln und eine unendlich grosse Schar unorganisierter Konsumenten entgegen, die kollektiv (noch) nicht klagen können. Kommt dazu, dass die Gewerkschaften die Lösung immer noch im Lohnausgleich sehen. So werden die Schweizer Konsumenten weiter über den Tisch gezogen, von ausländischen wie auch von inländischen Produzenten. Und wie es aussieht, verhindern (die vom Schweizer Volk gewählten) Politiker in der Mehrheit eine starke Wettbewerbsbehörde nach ausländischem Vorbild.

Eine weitere Volksinitiative?

Es muss einmal mehr das Schweizer Stimmvolk über die nächste Revision des Kartellrechts entscheiden.

Demnächst Teil 3 der Trilogie zur Hochpreisinsel Schweiz: der grösste Preistreiber

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15.09.2016/Renzo Zbinden

 

Hochpreisinsel Schweiz Teil 1: Wischiwaschi im Schattentheater

Unvergesslich: In den frühen 70er-Jahren hat Paul Stocker, Professor für Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Universität Bern in seiner Einführung in die Volkswirtschaftslehre von der Schweiz als dem Eldorado der Kartelle gesprochen. Wenn das so war zu jener Zeit, was waren die Folgen, über vierzig Jahre später? Heute stehen wir auf einer beängstigenden Hochpreisinsel!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wobei nicht die absolute Höhe der Preise die Tragödie ist, sondern die relative gemessen am Festland. Um drei Beispiele zu nennen: Bei uns sind gemäss Preisbarometer des Konsumentenschützers

  • Nahrungsmittel 32 bis 37%
  • Zeitschriften und Kosmetikprodukte rd 70%
  • rezeptfreie Medikamente bis zu 7 Mal

teurer als im grossen Kanton (Deutschland).

In einer Antwort auf einen Vorstoss von SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer zum Thema „Erodiert die Mittelschicht?“ kommt der Bundesrat zum Schluss, dass im Vergleich zu den EU-Kernländern (EU15) die Preise in der Schweiz (im Jahr 2013) durchschnittlich um 41.4% höher waren. Unglaublich, und doch wenig kommentiert!

Da wurde ein halbes Jahrhundert lang lobbyiert, gemobbt, gestochen und gefightet, geschwiegen, getäuscht und gelogen, Besserwisser mit Gutachten zugemüllt, stumpfe Messer wie Konsumentenschutz und Preisüberwacher idealisiert. Das Wischiwaschi unserer Wirtschaftspolitiker und Lobbyisten war ein Graus, eine Schande und nimmt kein Ende. Noch vor kurzem hat die NZZ in einer Folge von Artikeln die Meinung vertreten, Preisabsprachen (vertikale) zwischen Herstellern und Händlern seien sinnvoll. Und unser Parlament lässt sich herumschieben von links nach rechts und wieder zurück, je nach Teilaspekt und Stärke der im Augenblick vorherrschenden Partikularinteressen, ein Parlament notabene mit bürgerlicher Mehrheit!

Da wird die Frankenstärke thematisiert und dramatisiert. Hinz und Kunz sprechen heute von den Auswirkungen des teuren Schweizer Frankens auf die Konkurrenzfähigkeit der Exportindustrie, der Nationalbank wird Untätigkeit oder gar Unfähigkeit unterstellt, Scheingefechte geführt in einem absurden Schattentheater. Und verlogen argumentiert: Solange die Schweizer Konsumenten die hohen Preise mit den hohen Löhnen bezahlen können ist doch eigentlich alles in Ordnung. Oder verkehrtherum: was nützen den Konsumenten im Ausland die tiefen Preise bei ihren tiefen Löhnen. Alles paletti Schweizer, kein Grund zur Sorge! Die Kaufkraft ist entscheidend, wir sorgen dafür, dass du angemessen entlöhnt wirst.

Ein Brett vor dem Kopf?

Die hohen Löhne gehen in die hohen Lohnkosten der Exportindustrie ein und katapultieren uns aus dem Weltmarkt, Arbeitsplätze gehen verloren. Dabei stellt sich naheliegend die wichtige Frage, inwiefern die hohen Löhne selbst die Ursache für die hohen Preise sind bzw. in welchem Verhältnis die hohen Löhne und weitere Ursachen bestimmend sind für die hohen Preise.

Der Bundesrat schreibt (in der erwähnten Antwort, S.16):(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Generell lässt sich festhalten, dass höhere Preise nicht zwangsläufig das Ergebnis eines im internationalen Vergleich hohen Lohnniveaus sein müssen. Sowohl die längere Wochenarbeitszeit als auch die im europäischen Vergleich hohe Arbeitsproduktivität erlauben ein höheres Lohnniveau in der Schweiz. Die höheren Preise dürften damit weniger Ausdruck eines hohen Lohnniveaus, sondern insbesondere auch das Resultat einer hohen Kaufkraft der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten sein, welche die Produzenten und Händler abzuschöpfen wissen.“

Fleiss, Zuverlässigkeit, Effizienz- und Qualitätsbewusstsein sind sicher Vorteile. Sie können aber nicht ins Unendliche gesteigert werden, und fleissig sind auch andere. In der Antwort des Bundesrates aufschlussreich ist hingegen das „insbesondere“:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nicht die Eingriffe in die freie Wirtschaftsordnung, nicht die Strukturerhaltungspolitik und keine Partikularinteressen sind Schuld, meint der Bundesrat, sondern die (raffgierigen) Produzenten und Händler, welche die Kaufkraft der Konsumenten (wie Sahne) abschöpfen. – Wenn man sie lässt, vermutlich schon, wie in jüngster Zeit das Beispiel Weitergabe der Währungsgewinne deutlich aufzeigt!

Welche Preistreiber?

Es ist vermutlich schwierig, eine Reihenfolge nach Wirksamkeit allumfassend bzw. allgemeingültig empirisch zu belegen. Unsere im Vergleich zum Ausland geringere Intensität des Wettbewerbs (infolge Strukturerhaltung und Kartellabsprachen) kann nicht alleine Ursache sein, wie vielleicht vermutet werden könnte. Partikularinteressen (an hohen Preisen) spielen ebenso eine wichtige Rolle. Wenig bestritten ist die Auffassung, je reicher eine Volkswirtschaft (wie die schweizerische), desto einfacher lassen sich Preiserhöhungen durchsetzen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der hohe Wohlstand bewirkt eine tiefe Preiselastizität der Nachfrage (je höher die Preiselastizität, desto stärker reagiert die Menge auf die Preisänderung). Leicht einsichtbar am Fahrzeugverkauf: Schweizer kaufen im Gegensatz zu Konsumenten benachbarter Staaten leistungsstärkere Fahrzeuge mit mehr Ausstattungs-Optionen – es darf ruhig ein wenig mehr kosten! BMW konnte es sich beispielsweise leisten, seine Fahrzeuge 33 Prozent teurer zu verkaufen als in Deutschland (der Fall BMW – vertikale Preisabsprache – ist vor Bundesgericht hängig). Der BMW Käufer nahm es hin.

Preistreibend ähnlich den Kartellabsprachen sind politisch erzwungene Hindernisse im internationalen Handel wie Zölle (im Rahmen der Agrarpolitik), technische und andere Sondervorschriften (um Parallelimporte zu verhindern) und nicht zuletzt die relativ hohen Produktionskosten im Inland ausserhalb der Lohnkosten aus hoher Regulierung und Bürokratisierung (gewollt und heftig verteidigt), nebst hohen Boden- und Mietpreisen. Ein ganzer Mix von Ursachen, der einfache Lösungen ausschliesst und einen politischen Konsens als Lösungsansatz voraussetzt. Hoffnung auf Preissenkung kam schliesslich auf mit dem Auftreten externer Faktoren.

Der Markteintritt von Aldi und Lidl – die dritte Kraft – sollte es richten

Migros und Coop wirkten lange Zeit oligopolähnlich im Markt der Lebensmittel, sie teilten sich die Märkte auf und taten sich nicht übermässig weh(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Darf man sich fragen, wie hoch die Gewinne aus oligopolähnlicher Struktur der Schweizer Discounter in all den Jahren waren (eine Art Konsumentenrente aus Marktmacht) oder schlachtet man dabei heilige Kühe? Das Kulturprozent der Migros in Ehren, aber war und ist es Aufgabe eines Schweizer Discounters, Kulturpolitik zu betreiben? Wäre es nicht angebrachter, den Konsumenten (und Genossenschaftern) weniger Geld aus der Tasche zu ziehen? Auf jeden Fall fiel auf wie es plötzlich möglich war, die Preise massiv zu senken und dabei immer noch Gewinne auszuweisen.

Kommen neu deutsche Hard-Discounter dazu (heute vor rund 10 Jahren), als dritte Kraft, werden die Preise sinken, so die damals vorherrschende Meinung. Und tatsächlich, vor Eintritt der Deutschen sanken die Lebensmittelpreise massiv, und als flankierende Abwehrmassnahme bildeten beide Schweizer Discounter eine Billiglinie (M-Budget und Prix-Garantie).  Die Warnungen „liberaler“ Wirtschaftspolitiker waren nicht zu übersehen: Preiskrieg, eine Verarmung des Sortiments, eine Konzentration auf Schnelldreher, eine Abnahme an Qualität, Frische und Dienstleistung. Ist das passiert? Oder war es nicht so, dass die Schweizer Discounter die Qualität gesteigert haben, Bio- und Fair-Trade Label einführten, Premium-Produkte? Und auf der anderen Seite Aldi und Lidl die Swissness (Brotausback-Stationen in den Filialen) und die hohe Qualität pflegten (Aldi-Produkte erhielten von den Konsumentenorganisationen immer wieder die Auszeichnung „Kauftipp“). In der Retrospektive hat sich nicht Wesentliches verändert und kaum überwiegend im negativen Sinne. Der Preisdruck der letzten Jahre kam weniger aus dem Konkurrenzverhalten und mehr aus der Frankenstärke. Relativ zum Ausland steht die Hochpreisinsel Schweiz unverändert da. Ein Beispiel gefällig?

Der Einkaufstourismus ist unleugbar und legt die Probleme schonungslos offen

Dass die Hochpreisinsel Schweiz weiter besteht, sieht jeder Schweizer spätestens dann, wenn er ein Aldi-Produkt auf das Kassenband legt, einmal in der Schweiz und einmal im Ausland. Machen Sie es!

Die Schweizer Konsumenten in Grenznähe handeln, Appelle an die Fairness prallen ab. Einerseits überzeugen die Argumente nicht und andererseits will man sie nicht befolgen. Die Zunahme der Kaufkraft der Schweizer Konsumenten in den letzten Jahren aufgrund der Frankenstärke begünstigt den Einkaufstourismus zusätzlich. Je nach Datenquelle sollen die Schweizer Konsumenten im Jahr 2015 Einkäufe von bis zu 11 Mia Franken im grenznahen Ausland vorgenommen haben, ein Vielfaches der Umsätze von Aldi und Lidl (nach GfK im Jahr 2014 zusammen rund 2.6 Mia Franken).

Damit die Preise fallen, müssten die Discount- und Detailhändler die gleichen Möglichkeiten haben, im Ausland einzukaufen (Parallelimporte).

Und da wäre noch das Faktum, dass viele Preise gar nicht über den Wettbewerb bestimmt werden, sondern direkt oder indirekt über den Staat (administrierte Preise überall, beim öffentlichen Verkehr, bei der Post, beim Gesundheitswesen). Wir sind beim Agrarsektor (Zölle) und bei den kantonalen Bau- und Umweltvorschriften, bei den Regulierungskosten und Verpackungsvorschriften, bei der Gebühren- (von den Radio- und Fernsehgebühren bis zum Abfallsack) und Steuerpolitik (Auswirkungen der Steuerprogression). Wer hat eigentlich ein Interesse daran (ausser der Exportindustrie), die Hochpreisinsel Schweiz zu schleifen?

Und dann sind wir bei den Schweizer Konsumenten ohne Lohnausgleich, bei den Rentnern: sie steigen immer mehr in die Holzklasse und verlassen die Schweiz.

Cabin2Einmal in Pension mit Renten ohne Teuerungsausgleich, was ausserhalb der staatlicher Betriebe die Regel ist, müssen immer mehr Rentner ins Ausland, da die Schweiz zu teuer geworden ist.

Zwar haben wir heute keine Teuerung (die Massgeblichkeit des Konsumentenpreisindexes ist ein späteres Thema), doch was auf uns zukommt aufgrund der gegenwärtigen Geld- und Währungspolitik schweiz- und weltweit gibt Anlass zu Sorge. Ist die Wettbewerbspolitik der Schweiz die richtige Anwort auf die zukünftigen Probleme? Hat sie nicht in der Retrospektive total versagt? Und ist die Agrarpolitik von heute nicht ein trauriges Beispiel für die Wahrung von Partikularinteressen.  Demnächst

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Hochpreisinsel Schweiz Teil 2: Gemeinsam voll in die Klötze

09.08.2016/Renzo Zbinden

Non Compliance – am Abgrund vorbei

In der Betriebswirtschafts – und Managementlehre ist es beliebt, fundamentale Zusammenhänge in gut dokumentierten Fallstudien (Business Case Studies) zu analysieren und hieraus funktionsbezogene praktische Lösungen zu erarbeiten und zu diskutieren. Zum Thema Non Compliance wird der Weltkonzern VW lange Zeit ein dankbares Beispiel abgeben.

Der blanke Wahnsinn

Um es zu rekapitulieren: VW rüstet seit Jahren Dieselfahrzeuge mit einer Software aus, die beim Emissionstest auf dem Rollenprüfstand weniger Abgase erzeugt als im Strassenverkehr. Wie geht das?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Software erkennt den Prüfzyklus aufgrund der Lenkradposition (Fahrt ohne Lenkbewegungen), der Reifenumdrehung (nur zwei von vier Rädern drehen) und der Motorenelektronik. Im Prüfzyklus wird über die Software auf das Abgaskontrollsystem eingewirkt, beispielsweise mittels Harnstoffeinspritzung über eine Dosierleitung in das Abgassystem.

Auf diese Weise erreichten die Fahrzeuge Abgas-Grenzwerte, mit denen sie die Zulassung in den USA erhielten. Weltweit sind rund 11 Mio. Fahrzeuge davon betroffen.

Der immense Schaden

VwDem einst so mächtigen Konzern drohen gewaltige Kosten, es geht um Milliarden: Rückkäufe, Entschädigungen, Schadenersatzforderungen, Strafen, Umsatzeinbrüche. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz – DSW – will durch einen unabhängigen Sonderprüfer abklären lassen, ob die per Ende Vorjahr bilanzierten Rückstellungen von 16.2 Mrd Euro ausreichen. Zukünftige Kosten fallen an für eine weltweite und schwierige Öffentlichkeitsarbeit gegen den eingetretenen Verlust an Reputation und Kundenvertrauen.

Durch den Kurssturz haben die VW-Aktionäre viel Geld verloren, sie wollen klagen: Grossaktionäre wie amerikanische Pension-Funds und Kleinaktionäre, diese im Verbund über Sammelklagen. Nur das Land Niedersachsen mit 20% der Stammanteile wird sich diplomatisch verhalten müssen. Es leiden auch die vielen Zulieferbetriebe.

Die russige Dieselwelt made in Germany

Wo ein Räuchlein ist, da brennt ein Feuer. Unter Generalverdacht stehen inzwischen fast alle deutschen Autokonzerne(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Spiegel (Nr. 20 vom 14.05.2016) öffnet ein neues Kapital zur Dieselgate unter dem Titel: „Die Diesel Lüge – erst VW, jetzt Opel: Eine deutsche Industrie-Affäre“. Bei einer Anhörung sollen Opel-Mitarbeiter erwähnt haben, das Abschalten der Abgasreinigung erfolge nur bei bestimmten Temperaturen (Thermofenster) und diene dem Schutz wichtiger Bauteile. Doch Recherchen sollen ergeben haben, dass die Software nicht nur bei bestimmten Temperaturen wirksam wird, sondern auch in anderen Situationen, häufig.

Nicht nur Fahrzeuginhaber wollen klagen, klagen wollen auch jene, die ihren Lungenkrebs auf den zu hohen Stickoxidausstoss der Dieselmotoren zurückführen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Rund 480’000 Dieselfahrzeuge verstossen in den USA gegen die Umweltstandards. Wegen manipulierten Abgasemissionen sind per Ende April über 500 zivilrechtliche Klagen eingereicht worden. Zur Behebung von Umweltschäden soll ausserdem ein Fonds errichtet werden. Volkswagen hat im April 2016 eine Grundsatzvereinbarung getroffen mit dem Justizdepartement (Umweltabteilung), der Umweltbehörde EPA und der kalifornischen Luftreinhaltebehörde (Carb) unter Beteiligung der Federal Trade Commission (FTC). Was dies materiell zur Folge hat, ist noch unbekannt.

Doch zurück zur Modellpolitik: Durch Umrüstungen und Modellanpassungen verändern sich auch die ursprünglich erzielten (und verkauften) Leistungswerte wie Drehmoment und Höchstgeschwindigkeit. Dass die Konkurrenz es hochspielen will, ist zu erwarten.

Auf einen Schlag ist alles zerstört, was seit Jahren aufgebaut wurde. Die Weltmarke VW ist schwer geschädigt, im Kampf um die Spitze um Jahre zurückgeworfen.

„Wolfsburger, go to begin!“

Den VW Konzern trifft es in einer schwierigen Phase mitten im industriellen Umbruch: das rollende selbstfahrende Eigenheim kurz vor dem Markteintritt mit Technologieführer aus dem Silicon Valley wie Google und Apple als Konkurrenten. Statt die gesparten Milliarden in diesen Kampf werfen zu können wird VW Altlasten bereinigen müssen. Wie konnte das nur passieren, wer ging solche Risiken ein, wer hat alles geschwiegen? Was für eine Führungskultur!

Grössenwahn? Vorstandschef Martin Winterkorn hatte seinem Konzern das Ziel gesetzt, weltweit die Nummer 1 zu werden, mehr Autos zu bauen als Toyota. Man kennt diese offensive Zielsetzung sonst nur von amerikanischen Weltkonzernen, nun war es ein deutscher.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Um die Nummer 1 zu werden musste man die amerikanischen Autofahrer erst einmal davon überzeugen, ihre Dreckschleudern zu ersetzten durch saubere Diesel-Pkw’s aus Deutschland. Doch die ursprünglich für den europäischen Markt entwickelten Dieselmotoren erfüllten die strengeren Stickoxid-Grenzwerte der USA nicht. Und von kostspieligen Zusatzinvestitionen wollte man absehen. Zusätzlich setzte Vorstandschef Martin Winterkorn seine Mitarbeiter unter Zeitdruck, so die vorherrschende Meinung. Das Ergebnis: manipulierte Stickoxid-Messungen auf dem Prüfstand. Ein Betrug, wie peinlich!

Managementfehler auf oberster Stufe

Eine alte Binsenwahrheit sagt, dass das Aufdecken eines Betrugs zunimmt mit jeder zusätzlichen Person, die daran beteiligt oder Mitwisser ist. Und es waren nicht wenige. Damit war es nur eine Frage der Zeit, bis das Ganze aufflog. Es musste auffliegen. Zwar war es der amerikanische Staat, der die Sache ins Rollen brachte. Es hätte aber ebenso ein Mitarbeiter von VW oder von einem Vertragsunternehmen sein können, der aus Unzufriedenheit oder aus finanziellen Interessen die Initiative ergriffen hätte.

Es waren nicht ein paar skrupellose Mitarbeiter mit verschwommenen Zielsetzungen und Moralvorstellungen, es war die oberste Managementstufe, die wegschaute. Möglich war es, weil eine wirksame Compliance fehlte. Hinzu kommt noch die unprofessionelle Kommunikationspolitik nach Aufdecken des Fehlverhaltens: vertuschen, verharmlosen, Zeit gewinnen. VW ein Einzelfall (neben Siemens und der Deutschen Bank)? In der Schweiz undenkbar? Doch wie war das mit Swissair, oder wie ist das aktuell mit der BSI, der Fifa, den Grossbanken? In allen Fällen stellt sich die gleiche Frage: Wo war die

Compliance?

Der Begriff Compliance beinhaltet die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, regulatorischer Massnahmen und die Erfüllung weiterer, wesentlicher und in der Regel von Unternehmen selbst gesetzter interner Standards und Richtlinien. Die Gesamtheit der Grundsätze, Prozesse und Massnahmen zur Einhaltung der Compliance wird als „Compliance Management System (CSM)“ bezeichnet.

Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) hat folgende Grundelemente eines CSM identifiziert: Compliance-Kultur, -Ziele, -Risiken, – Programme, -Organisation, -Kommunikation und -Verbesserung. Wichtig sind ebenso die Empfehlungen des Wirtschaftsdachverbands Economiesusse im „Swiss Code“ (Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance) sowie für Emittenten von primär- oder hauptkotierten Beteiligungsrechten die Offenlegungspflichten aus den Richtlinien Corporate Governance (RLCG) nach dem umfassenden Grundsatz „comply or explain“. Compliance hat ausserdem die Schnittstellen zu Risk Management, Controlling, interner Revision und external Audit zu berücksichtigen. In solcher Ausführlichkeit ist Compliance eine grosse Herausforderung verbunden mit erheblichen einmaligen und wiederkehrenden Kosten.

Jerome7Compliance in diesem umfassenden Sinn findet man bei Unternehmen mit hohen Compliance-Risiken, allen voran in der Finanzindustrie (Libor- und Wechselkursmanipulationen, Devisenmarktabsprachen, Hypothekenverbriefungen, Gehilfenschaft bei Steuerbetrug, Geldwäscherei, oder im persönlichen Bereich bei Conflict of Interest, Insider Information and Trading) und in der Pharmaindustrie.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Basler Pharmakonzern Novartis startete eine Folge mehrjähriger Initiativen um das ethisches Fehlverhalten zu unterbinden. Mitarbeitende können Fälle von Fehlverhalten einem Business Practices Office (BPO) melden. Im Berichtsjahr 2015 untersuchte das BPO 1299 Fälle, wobei bei 58% der Fälle Fehlverhalten festgestellt werden musste, welches in 343 Fällen zu Austritten oder Entlassungen führte. Die Mehrzahl der Fälle betraf falsche Spesenabrechnungen oder Verstösse gegen die Berufspraxis (aus dem Geschäftsbericht 2015).

Die Pharmaindustrie sah sich ausserdem in der Defensive bei Schmiergeldzahlungen, Kartellabsprachen und Preismanipulationen. Auch andere Industrien und Gesellschaften verfügen über eine ausgebaute Compliance-Abteilung (wie ABB, Sulzer, Migros). Doch müssten sich auch mittelgrosse Unternehmen mit diesem Thema beschäftigen. Schon die Frage an sich

wo liegen die Compliance-Risiken mit welchen Konsequenzen

öffnet einen Gedankenprozess, der zu erstaunlichen Ergebnissen führen kann. Beispiele: Der Einkaufsprozess mit Rückerstattungen in schwarze Kassen, der Verkaufsprozess mit Überfakturierungen und Kick-Back-Zahlungen auf persönliche Inlandkonten, aggressive Provisions- und Lohnanreizsysteme usw. In der Praxis findet sich alles.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Nicht selten gehen bei KMU’s  Einkaufs-Umsatzrückvergütungen gestaffelt nach Umsatzzielen auf ausserbuchhalterische Konten oder Kassen. Diese Kassen stehen dann wieder zur Verfügung für Schmiergelder oder Zahlungen, die beim Empfänger steuerfrei eintreffen. Da sie im Rechnungswesen keine Spuren hinterlassen, sind sie über den Audit-Prozess schwierig zu erkennen.

Wer noch kein CSM einführen bzw. dieses in kleinen Schritten über Jahre realisieren will, hat grundsätzlich die Möglichkeit, die wesentlichen Ziele als Initial- und Softmassnahme in einem

Code of Conduct

festzuhalten. Der Code of Conduct enthält unternehmensspezifische Richtlinien bzw. einen Verhaltenskodex, auch „Mission Statement“ genannt in Übereinstimmung bzw. Konkretisierung des Unternehmensleitbildes. Natürlich muss dieser Code of Conduct verständlich und praxisnah verfasst sein. „Wir wollen professionell und ethisch verantwortungsvoll handeln“  oder „Wir wollen für unsere Kunden ein proaktiver, prinzipienstarker Partner sein“ (aus dem Code of Conduct Credit Suisse) gibt eigentlich nichts her. Schon ausführlicher erscheint der Code of Conduct Novartis. Allumfassende Compliance hat auch eine Kehrseite: wer durch bestimmte Verhaltensweisen auffällt, gerät auf das Radar der Compliance-Zuständigen. Wer zum Beispiel keine Ferien bezieht, lange Überstunden macht, privat viel Geld ausgibt – macht sich verdächtig. Seine E-Mails werden nun plötzlich überwacht. Solche Massnahmen gefährden die Mitarbeiterzufriedenheit und dürfen nicht im Vordergrund stehen. Es ist auch zu befürchten, dass die Angehörigen der Compliance-Abteilungen nicht immer richtig damit umgehen können und damit die Unternehmenskultur trüben (in Richtung Überwachungs- und Angstkultur). Und es darf bei allem guten Willen nicht übersehen werden, dass Non Compliance erst auf oberster Führungsstufe zu dramatischen Konsequenzen führt (wie eben bei VW oder früher bei Enron und WorldCom).

Non Compliance Verstösse verfolgen vor allem die amerikanischen Behörden (Panalpina, Credit Suisse, UBS u.a.). Als Folge beschäftigen sich immer mehr globale Unternehmungen mit Compliance, ihre Compliance-Abteilungen werden ausgebaut, Chief Compliance Officers eingestellt, Ethik-Botschaften in Unternehmensleitbild, -kultur und -berichterstattung aufgenommen. Entscheidend für die Wirksamkeit ist jedoch in vielen Fällen wie man mit Whistleblowers umgeht. Betrachtet man sie in erster Linie als Verräter, die man irgendwie auffangen muss um Schlimmeres zu verhüten, wird es nicht funktionieren. Entscheidend kann auch sein, wo die Whistleblower-Hotline hinführt. Als Empfänger falsch wäre die Rechts-, Finanz- oder Personalabteilung. Bei kotierten Gesellschaften ideal wäre der Präsident des Audit-Committee, in Einzelfällen der Präsident des Verwaltungsrats.

0408035Compliance als Thema ist im Aufwind, eine eigentliche Compliance-Industrie macht sich breit, Beratungsunternehmen und Universitätsinstitute entdecken die neue Nachfrage und sind mit Analysen, Strategien, Compliance-Programmen und -konserven im Markt. Doch wichtige Meilensteine kann man selbst erreichen, vieles hat mit Ethik zu tun und mit der Vorstellung, wie man mit Kunden umgehen will. Ist es richtig, dass Retourflüge der Swiss ab Zürich gebucht teurer sind als umgekehrt? Als Beispiel kostet Zürich-Malaga-Zürich volle 56% mehr als Malaga-Zürich-Malaga (SonntagsBlick vom 29.05.2015).

Und dabei sind wir beim nächsten Thema: Hochpreisinsel Schweiz – die grosse Abzocke. Demnächst Logo_ImVisier3

08.06.2016/Renzo Zbinden

Smart Life – im Cockpit der Dinge

  • Vorname: Glas
  • Nachnahme: Klar
  • Beruf: Heimpilot
  • Arbeitsort: Cockpit

Glas Klar wird überwacht, alle seine Zahlungsvorgänge werden aufgezeichnet (Bürger Glas Klar). Sie stehen bei Bedarf zur Verfügung. Sein Konsumverhalten ist bekannt (Big Data). Verlässt er sein Haus, steht er Logo_ImVisier3 unzähliger Kameras, öffentlicher und privater: im Strassenverkehr, auf Marktplätzen, in Bahnhöfen, Banken, Kaufhäusern, Spitälern, Schulen… Erreicht er seinen Arbeitsplatz, steht er unter Leistungskontrolle seiner Arbeitgeber.

Doch das ist noch nicht alles: Bleibt er zu Hause, überwacht er sich selbst und seine Mitbewohner über das Internet der Dinge. Es stört ihn nicht. Statt die Überwachung zu verhindern oder zu vermindern, tut er das Gegenteil. Er sitzt im Cockpit der Dinge und überlässt das Optimieren dem Autopiloten. Glas Klar ist überwachungsresistent. Er lässt es Geschehen.

Wir alle sind Glas Klar, sitzen im Cockpit der Dinge und pilotieren durch unser Leben, umgeben von Sensoren und Aktoren, die uns überwachen und unterstützen, rund um die Uhr, ein Leben lang. Willkommen bei „Smart Life“.

Neu?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Zahnbürsten, die Intensität und Dauer der Zahnpflege messen, das Fitness-Armband, das die Anzahl Schritte misst, Kontaktlinsen, die den Blutzuckergehalt messen, der blinkende Schirm im Schirmständer, der aufkommenden Regen meldet, die Geschirrspühlmaschine, die rechtzeitig ankündigt, dass der Klarspühler zur Neige geht, der Mercedes im Strassengraben, der die Einsatzzentrale informiert – das alles ist nicht neu, nein, nur fancy – die direkte Kommunikation vom Ding zum Inhaber ist so alt wie die Rollläden mit Helligkeitssensor.

Neu kommunizieren elektronische und elektromechanische Dinge mit Dingen (internet of things, IoT), „machine to machine“.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

M2M ersetzen Telefongespräche, Weisungen, Entscheidfindungen. Die Toilette misst die Urinwerte, analysiert und meldet das Ergebnis dem Hausarzt. Oder die Dampfabzugshaube wird gesteuert durch das direkt darunter liegende Kochfeld. Kein Ding bleibt so dumm, wie es einmal war, es wird – ein wenig – intelligenter, künstliche Intelligenz ist das Stichwort. Wearables messen Körperdaten wie Blutdruck, Puls, Kalorienverbrauch, Schlafzeiten und teilen die Ergebnisse der Krankenkasse mit (zur Berechnung der Krankenkassenprämie!), Fahrzeugversicherer zeichnen das Fahrverhalten auf (um den Risiken in der Prämiengestaltung Rechnung zu tragen), und zu Hause wirkt der Autopilot.

Smart Home für Technofreaks

Smart Home Systeme vernetzen alle Sensoren zu Hause wie Leuchten (oder Lichtarrangements), Musikanlagen (Audiosysteme), Wärme- und Kältetechnik, Zugangssysteme, Haushaltgeräte (Backöfen) über hochintegrierte leistungsstarke Mikrocomputer. Alle Streaming-Dienste können auch unterwegs ausgelöst werden (für das vergessen gegangene Bügeleisen). Dazu stehen APP’s zur Verfügung, die es dem Nutzer ermöglichen, das intelligente Haussystem zu orchestrieren. Firmen, welche sog. LPWAN (Low Power Area Network) errichten, brauchen weder eine Lizenz noch eine Bewilligung für die Installation der Funkstationen. Ein Beispiel für intelligentes Wohnen: Digitalstrom – EIN/AUS war gestern. Mit SmartLife von Swisscom überwachen Sie Ihr Zuhause via Smartphone, wenn Sie abwesend sind.

Nicht nur Convenience (für jung und alt) und Status, auch Energiesparen kann im Vordergrund stehen. Dank Trittsensoren und Bewegungsmelder weiss der Steuercomputer, in welchen Räumen sich jemand aufhält und sorgt dort gezielt für Licht, Frischluft und angenehme Wärme (systemintegrierte thermische und elektrische Sonnenkollektoren, Erdsonden und Wärmepumpen).

Was früher über Kabel gestreamt wurde (Kabelstränge in Wänden und Zwischendecken), kann heute über Funktechnik erfolgen. Und kommuniziert wird zukünftig über die natürliche Sprache. Es ist 06.30 Uhr. Glas Klar ist unter der Dusche und ruft über Sprachsteuerung seine nächsten Termine ab: „Erste Sitzung 08.15 Uhr im Baur au Lac“, Stadtmitte. Er kommandiert seine Zweitwohnung, sein Mikroeigenheim, ein selbstgesteuertes rundum vernetztes Fahrzeug, um 07.30 Uhr vor die Haustür.

Smart Road Office – das Internet der rollenden Dinge

Glas Klar wohnt im Grüngürtel, ein wenig abseits der Agglomeration – frische Luft, absolute Ruhe. Der Arbeitsweg ist nicht mehr wichtig, in seinem selbstgesteuerten Mikroeigenheim kann er sich auf die nächsten Termine vorbereiten. Pünktlich um 08.00 Uhr verlässt er sein Fahrzeug vor dem Baur au Lac. Alle persönlichen Daten und Einstellungen werden gesperrt. Das Fahrzeug steht ab sofort zur Verfügung der Fahrtenvermittlungs-Internetplattform „Xuber“, einer Konkurrenzorganisation zu Uber.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das Fahrzeug nimmt unverzüglich den Taxi- und Lieferdienst für Dritte auf. Es braucht keinen Parkplatz, es ist immer unterwegs. Einmal pro Tag macht es einen Reinigungs-, Wartungs- und Update Stopp. Und am Abend steht es wieder Glas Klar zur Verfügung, frisch gereinigt mit einem Reset, das die persönliche Konnektivität wieder herstellt. Sein Fahrzeug, sein Eigentum, seine Investition.

„Xuber“ ist noch eine Geschäftsidee – mit überwältigenden Vorteilen: Finanziert durch die Inhaber der Fahrzeuge (oder Kreditinstitute), vermarktet über Internetplattform-Dienstleister, das Ganze multiplikativ umgesetzt, weltweit, in rasendem Tempo.

Für die Inhaber ist das selbstfahrende Mikroeigenheim nicht mehr Cost-Center, es ist Ertragsquelle, laufend auf dem neuesten Stand, prioritär verfügbar für 24 Stunden (vgl. auch Industrie 4). Die Nutzer der Taxi- und Lieferdienste erzielen gewaltige Kostenvorteile. Diese können soweit gehen, dass sie vollständig entfallen (gratis sind): das gebuchte Restaurant übernimmt die Fahrtkosten, das Shopping- oder Fitness-Center, die Kosmetik- und Wellness-Oase, oder eine Vermarktungs-Gesellschaft für die Gelegenheit, dem Nutzer während der Fahrt Produkte und Dienstleistungen vorstellen zu dürfen.

Und nebenbei: Was das Ganze für den öffentlichen Verkehr bedeutet, haben wohl die Wenigsten so richtig begriffen.

Digital Health – personalisierte Medizin

Glas Klar ist gesundheitsbewusst. Er hat sich ein Implantat unter die Haut setzen lassen, welches Gesundheitsdaten erfasst und misst. Haut durchleuchten, Spritze setzen, einen reiskorngrossen Chip in die Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger jagen, bisher eine Domäne der Veterinäre für unsere Haustiere. Das Implantat übernimmt zwei Aufgaben:

Erstens stellt es sämtliche Daten für Vertragspartner zur Verfügung (wie elektronische Patientendossiers), die aus den gesammelten Daten Muster erkennen und analysieren. Dafür erhält der Implantatträger individuelle Vorschläge zu Ernährung, Bewegungen und Medikamentenüberwachung und -dosierung.

Zweitens haben die Daten Einfluss auf die persönliche Prämiengestaltung für Krankenkassen: selbstschädigendes Verhalten wird geächtet und über Prämienzuschläge bestraft (ins Reich der kranken Phantasie gehört, dass ungesundes Verhalten, das zu einem früher Tod führt, belohnt wird).

Als Ersatz für Implantate kommen natürlich auch Wearables in Frage wie Smart Watches. Auf jeden Fall wird das Internet der Dinge auch die Gesundheitsbranche revolutionieren.  Digital Farming für den Agrarsektor wäre ein weiteres Beispiel (Feldsensoren).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dass nach einer Studie von Ernst & Young vom Dezember 2015 (bei 700 Unternehmungen in der Schweiz) die neuen digitalen Technologien für zwei Drittel der Studienteilnehmer (Unternehmungen mit 30 bis 2000 Mitarbeiter) gar keine oder kaum eine Rolle spielen für das eigene Geschäftsmodell, verblüfft vollends und macht sprachlos. Nokia prognostiziert, dass im Jahr 2025 weltweit 30 Milliarden Geräte am Internet der Dinge teilnehmen werden.

Neue Netze – Strahlenschutz?

Das Internet der Dinge ist auf Sensoren, Chips und auf ein Netz angewiesen. Swisscom will ein solches Netz aufbauen, das bis Ende Jahr 80% der Bevölkerung erreichen soll. Im Vergleich zum Handynetz sollen die Investitionen geringer sein, man spricht von einem einstelligen Millionenbetrag, bei vollständiger Abdeckung bis hin zu den Gebäuden von einem mittleren zweistelligen. Zwar müssen zusätzliche Sender aufgestellt werden (im Abstand von 5 bis 15 Kilometer), bestehende Masten können jedoch verwendet werden. Da die Antennen für dieses Netz eine tiefe Sendeleistung voraussetzen, braucht es dazu keine Bewilligung und für das Frequenzband keine Konzession (die Datenübertragung erfolgt über konzessionsfreie Frequenzbänder im Sub-GHz-Bereich).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es sind Frequenzen, die auch für Garagentoröffner und Babyphones verwendet werden. Auch SIM-Karten entfallen. Werden sporadisch kleine Datenmengen übertragen (im Low Power Wide Area Network – LPWAN), kann eine Knopfbatterie im Sender bis drei Jahre und länger halten.

Das Antennennetz der Swisscom für das Internet der Dinge basiert auf dem  „Lora-WAN“ Standard (Long Range Wide Area Network) für Pakete, Briefkästen (Push-Mitteilungen) oder Fahrzeuge (zusammen mit Partnergesellschaften errichtet die Swisscom Parkplätze mit Sensoren, welche erkennen, ob ein Fahrzeug die Parkplätze besetzt).

Die Strahlung der Funkstationen soll ungleich schwächer sein als bei herkömmlichen Anlagen. Doch fehlen Erhebungen. Der Strahlenschutz bleibt ein Thema.

Smart Home, Smart Road Office und Digital Health, drei Anwendungsbereiche die zeigen, dass mit dem Internet der Dinge völlig neue Märkte erschlossen werden. In Zukunftsszenarien werden über implantierte NFC-Mikrochips Körper vernetzt (Near Field Communication). Per Handschlag bezahlen und ohne Schlüssel Türen öffnen und Fahrzeuge starten. Daneben wichtige Dokumente speichern wie Passwörter, Personalausweise, Führerschein, Allergien, Unfälle, Krankheiten, das eigene Testament. Der Nutzer wird zum integralen Bestandteil des Internet der Dinge, des „Internet of us“. Doch diese Lebenserleichterungsindustrie fördert auch die Vermarktungs- sowie die zivile und öffentliche Überwachungsindustrie.

Risiken – noch alles im Griff?

Die Dinge mit Internetanschluss sind schlecht gesichert (es fehlen die Sicherheitsnormen), sie können die Nutzer überwachen oder einfach Daten sammeln die zu Werbezwecken missbraucht werden. Ist die zentrale Software proprietär, hat man keine Chance, die Privatspähre zu schützen. Die Bedeutung der freien Software ist andererseits noch wenig diskutiert:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Freie Software erfüllt vier Forderungen: „Die Nutzer des Programms dürfen dieses nach Belieben ausführen. Sie dürfen es untersuchen und anpassen. Zudem dürfen sie es kopieren und weitergeben. Und auch ihre Anpassungen dürfen sie mit anderen Leuten teilen“ (Richard Stallman im Interview mit der BZ vom 11. Februar 2016). Ähnliches gilt für die Open-Source. Der Quellcode wird mitgeliefert. Im Gegensatz dazu darf die proprietäre Software nur so genutzt werden, wie die Hersteller es erlauben. Erworben wird das fertig kompilierte Programm. Der Programmcode wird nicht offen gelegt. Deshalb entfallen Anpassungen, Erweiterungen und die Suche nach Schwachstellen oder schädlichen Funktionen (Malware).

Gefahren aus dem Überstaat – wir sind gewarnt

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Glas Klar

Die öffentliche Sicherheit, die Gesundheit der Bevölkerung, die private Sicherheit – sind in vielen Belangen eine Zielsetzung des Staates. Unzählige Daten aus den omnipräsenten Sensoren für Smart Life stehen auch dem Staat zur Verfügung. Doch der demokratische Staat hat keinen Erziehungsauftrag und erst recht keinen Therapieauftrag. Bürger geben und nehmen im Rahmen einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenordnung. Damit die vielen Glas Klar Risiken eingehen, Kreatives suchen und Neues schaffen, müssen die staatlichen Institutionen unkontrollierte Freiräume zulassen. Der selbstbestimmende Glas Klar braucht ein gewisses Mass an Autonomie und Distanz, Authentizität.

Aus linker Seite erkennbar ist eine grosse Erwartung nach Konformität – Meinungskonformität, Leistungskonformität, Verhaltenskonformität. Eigensinn stösst an. Zuviel davon schadet der Wohlstandsentwicklung, stört das Wertesystem, muss in Schranken gehalten werden, meinen sie.

Tempo 30 gilt nicht nur bei starkem Verkehr, Tempo 30 gilt auch am morgen früh um 05.00 Uhr, wenn niemand unterwegs ist. Kontrolliert und bestraft wird aus Prinzip, Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

Der Staat unterwirft, diszipliniert, übt Macht aus, wenn und soweit wir es zulassen. Die technische Entwicklung der allgegenwärtigen Sensoren und Aktoren gibt dem Staat bisher unbekannte Mittel in die Hand, den Bürger Glas Klar in die Leitplanken zu zwingen und zwar jene Leitplanken, die der Mainstream zur Zeit als richtig gesetzt erachtet. Und die Unterwerfungsbereitschaft kann erschrecken, nicht in Deutschland, hier in der Schweiz!

Citizen Score – ein soziales Punktesystem für alle Bürger – später

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Hätte man Ihnen vor 10 Jahren gesagt, dass dereinst

  • die Banken Negativzinsen auf Ihrem Sparkonto in Erwägung ziehen
  • Geld- und Wirtschaftspolitiker ungeniert darüber diskutieren, das Bargeld abzuschaffen

hätten Sie vermutlich den Kopf geschüttelt. Undenkbar. Hören Sie heute, dass

  • im Rahmen der Digitalisierung der Staat Kontroll- und Lenkungsaufgaben übernimmt, die unsere Individualität und Freiheit grob einschränken

schütteln Sie auch noch den Kopf? Was denken Sie? Teilen Sie es uns mit.

08.04.2016/Renzo Zbinden

 

 

 

 

Bürger Glas Klar

Die Steuerveranlagungsbehörde macht eine Stichprobe:

Sie prüft die Vermögensveränderung gegenüber der letzten Veranlagung (eine IT-basierte Routinearbeit) und stellt fest, dass das Nettovermögen um 300’000 CHF zugenommen hat, kann sich aber nicht erklären, woher die Zunahme kommt. Kein aussergewöhnlicher Zugang aus Kapitalabfindung, Erbschaft oder Schenkung, keine Wertpapierkurs-, Grundstück- oder Lotteriegewinne. Der Steuerexperte nimmt mit dem Steuerpflichtigen Kontakt auf und gibt ihm Gelegenheit, die Herkunft für den Nettovermögenszugang von 300’000 CHF zu erhellen. So die Praxis heute.

Und nun ein Schritt in die Zukunft, ins Steuerjahr 2025, nach Einführung AIA (Automatischer-Informationsaustausch) Etappe 1 für Ausländer und AIA Etappe 2 für Inländer. 2025 erhält die Veranlagungsbehörde alle Steuerfaktoren aus dem AIA. Unnütz, den Steuerpflichtigen auch noch eine Steuererklärung machen zu lassen. Genauso überflüssig  – ein Veranlagungsexperte – ausser bei unplausiblen „verdächtigen“ Datenkonstellationen. In solchen Fällen hat er zukünftig die Möglichkeit, alle über AIA zufliessenden Daten eingehend zu prüfen auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Plausibilität. Es übermitteln folgende Datenquellen (Schnittstellen):(Klicken Sie zum Weiterlesen)

  • der Arbeitgeber: Erwerbseinkommen, Spesenvergütungen (erfolgt in einer Vielzahl von Kantonen schon heute)
  • die Pensionskasse: Altersrente, Kinderrente, Witwenrente u.a. (erfolgt teilweise schon heute)
  • die inländischen und ausländischen Finanzinstitute: Depotauszüge mit Finanzvermögen bzw. Kontokorrente, Spareinlagen, Finanzanlagen zu Kurswerten (per Ende Steuerjahr), Vermögenserträge und Kapitalgewinne, Kursgewinne (der Steuerperiode), Hypothekaranlagen (per Ende Steuerjahr) und Hypothekarzinsen (der Steuerperiode), alle aussergewöhnlichen Finanztransaktionen (der Steuerperiode). Versicherungsinstitute melden alle abgeschlossenen Versicherungsverträge (per Ende Steuerjahr) sowie die ausbezalten Renten (der Steuerperiode)
  • das Grundstückamt: Liegenschaften (per Ende Steuerjahr) und Ertrag aus Liegenschaften bzw. Eigenmietwert (der Steuerperiode), belehnte und unbelehte Schuldbriefe (per Ende Steuerjahr)
  • das Sozialamt: Erwerbsunterbruch, Arbeitslosenentschädigung, Ersatzeinkommen wie AHV und Invalidenrente, EO (Militär-, Schutz- und Zivieldienst)
  • die Einwohnerkontrolle: Wohnort, Zivilstand, Kinder
  • der Krankenkassenverband: Arzt- und Spitalkosten, Krankenkassenprämien

Ergänzend fliessen über das Steuer-Inkassobüro alle Informationen über bezahlte und ausstehende Steuern.

Der „double check“ führt zu keinen neuen Erkenntnissen. Der Nettovermögenszugang von 300’000 CHF bleibt „out of the blue“, unerklärbar. Auch die Berechnung des Privatverbrauchs – nach Einführung des Bargeldverbots ein Leichtes für die Steuerverwaltung – hilft nicht weiter.

Rodolfo Buletti aus Magliaso erhält die von der IT-Abteilung der Veranlagungsbehörde erstellte Vermögensnachweisberechnung mit der Aufforderung, innerhalb der nächsten 20 Tagen nachzuweisen, woher der differenzberechnete Vermögenszugang von 300’000 CHF komme. Andernfalls würden diese 300’000 CHF als steuerpflichtiges Einkommen aufgerechnet und ein Strafverfahren eingeleitet.

Es ist nun an ihm, den Sachverhalt zu klären, er hat die Beweispflicht, und nicht mehr die Veranlagungsbehörde, und dafür 20 Tage Zeit.

Rodolfo Buletti, heute mit Steuererklärung im Gespräch mit der Veranlagungsbehörde, morgen ohne Steuererklärung ein ertapptes Steuersubjekt in Beweispflicht: er wird es nicht einfach haben, wenig spricht für ihn. Ein Bürger Glasklar. Wie kam es dazu?

AIA Etappe 1 – der Abschied vom Bankgeheimnis für Ausländer mit Schweizer Bankkonten

Der Steuerstreit mit dem Ausland ist entschieden.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der Bundesrat hat am 5. Juni 2015 zwei Botschaften zu den zentralen Rechtsgrundlagen überwiesen (dabei die „Botschaft vom 5. Juni 2015 zur Genehmigung der multilateralen Vereinbahrung der zuständigen Behörden über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten und zu ihrer Umsetzung“. Das entsprechende „Bundesgesetz über den internationalen automatischen Informationsaustausch in Steuersachen“, das AIA-Gesetz, ging in die Vernehmlasung. Die parlamentarischen Beratungen haben stattgfunden. Die ersten beiden AIA-Abkommen betreffen die EU und Australien, es folgen Japan und andere Länder.

Der AIA (Etappe 1) soll gewährleisten, dass das Finanzvermögen, das Steuerpflichtige im Ausland anlegen (Ausländer in der Schweiz und Schweizer im Ausland) nach nationalem Steuerrecht besteuert wird. Dazu müssen die einheimischen Banken (von Steuerpflichtigen, die Finanzvermögen im Ausland haben) folgende Daten übermitteln:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Steuer-Identifikationsnummer, Name, Adresse, Geburtsdatum, alle Kontonummern, Kontostand und Einkommensarten. Die Saldo- und Ertragspositionen müssen u.a. beinhalten: Zinsertrag, Dividenden, Renten, Einnahmen aus bestimmten Versicherungsverträgen (wie Lebensversicherungen) und Erlöse aus der Veräusserung von Finanzvermögen.

Der mit dem AIA verbundene Verwaltungsaufwand wird – wenn einmal alle OECD Staaten mitmachen – gewaltig sein. So sind die Schweizer Finanzinstitute verpflichtet abzuklären, in welchen Ländern ihre Inhaber von Bankkonten steuerlich Domizil haben (gestützt auf Selbstauskünfte). Betroffen sind Privatpersonen, Firmen, Stiftungen. Die Banken liefern die Daten an die nationalen Steuerbehörden, welche diese automatisch an die Herkunftsländer (Steuerdomizile) der Steuerpflichtigen weiterleiten. Wie die Schweizerische Bankiervereinigung bestätigt, werden die Daten ab dem 1.1.2017 erhoben und 2018 grenzüberschreitend ausgetauscht. Frühere Daten werden nicht automatisch ausgetauscht.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Im Rahmen des Fatca-Abkommens werden schon heute Daten an die USA übermittelt. Der Druck der USA war letztlich auch der Grund, den von der OECD erarbeiteten globalen AIA-Standard zu übernehmen (für die Schweiz hiess das weg von der Quellensteuer, den Finanzdienstleistungs- und den wenigen Abgeltungssteuer-Abkommen). Ergänzend und hier nur am Rande erwähnt seien die laufenden Bestrebungen für einen spontanen und grenzüberschreitenden AIA betreffend internationale Konzerne (Beps – „Base Erosion and Proft Shifting“) ohne vorgängige Gesuchstellung des Übereinkommensstaates, beispielsweise bei bloss vermuteten steuerverkürzenden Gewinnverlagerungen (transfer pricing).

Es darf vermutet werden, dass der eine oder andere Schweizer noch böse Überraschungen erleben wird

Der AIA soll das Aufdecken von Steuerhinterziehung erleichtern (bzw. die Steuerhinterziehung erschweren), besser noch Anreiz dafür sein, im Ausland angelegtes Geldvermögen im Inland zu deklarieren. Noch nicht alle haben es gemerkt: Dies betrifft natürlich auch Schweizer Steuerpflichtige mit Finanzvermögen im Ausland! Der Bundesrat wollte, dass die einheimischen Steuerbehörden (die Steuerverwaltung der Kantone) die aus dem Ausland erhaltenen Daten weiterverwenden dürfen, was für die Linke ohnehin selbstverständlich war (die Informationen fliessen vom Ausland an die eidgenössiche Steuerverwaltung, welche diese an die kantonale Steuerverwaltung weiterleitet).

Wer als in der Schweiz Steuerpflichtiger unversteuertes Vermögen im Ausland besitzt, tut gut daran, seine Vermögensverhältnisse noch in diesem Jahr zu bereinigen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dies betrifft u.a. Bankkonten, die im Zusammenhang mit dem Erwerb ausländischer Immobilien errichtet wurden oder zur Regelung von ausländischen Erbschafts- und Rentenansprüchen dienen. Bankkonten, die per 31.12.2016 aufgelöst sind, werden nicht gemeldet. Alternativ wäre die straflose Selbstanzeige. Dabei wird das hinterzogene Vermögen im Nachhinein versteuert (für bis 10 Jahre), ergänzend kommen Verzugszinsen dazu. Die Strafsteuern, die ein Mehrfaches der geschuldeten Steuern ausmachen können, entfallen.

Bei der breiten Bevölkerung findet der AIA (Etappe 1) grundsätzlich Zustimmung, solange jedenfalls, als das Bankgeheimnis für Schweizer Bürger nicht zur Disposition steht. Doch das ist vermutlich nur eine Frage der Zeit.


Der politische Druck auf das inländische Bankgeheimnis wird zunehmen

Die nächste Etappe 2 führt dazu, die erprobten Prozesse der Erfassung und -übermittlung von Finanzdaten auch auf inländische Bankkunden auszudehnen. Linke Parteien meinen schon heute, es könne doch nicht sein, dass für inländische Steuerpflichtige andere Kriterien gelten sollen als für ausländische. Die Steuergerechtigkeit sei nicht teilbar. Wer ehrlich deklariere, habe nichts zu befürchten. Auf reiche Steuerhinterzieher dürfe man keine Rücksicht nehmen. Im Gegenteil: es sei eine willkommene Gelegenheit, mit diesen Mehrsteuern die zunehmenden Staatsaufgaben zu finanzieren und die Steuerbelastung für den Mittelstand zu reduzieren. Rational könne man sich dieser Auffassung nicht verschliessen. Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt, die fehlbaren Steuerpflichtigen seien zur Rechenschaft zu ziehen. Doch, wenn dem so ist, fliessen auch die Daten von unbescholtenen Steuerzahlern (der Mehrheit aller Steuerzahler) ebenso hin und her, eine riesige Datenmenge, die es prozessorientiert zu verwalten gilt, ein Bündel letztlich privater Transaktionen unter einer Nummer, Bürger Glas Klar, Steuer-Identifikationsnummer x’xxx’xxx. Vorschläge gehen dahin, die bestehende AHV-Nummer zu verwenden. Und über diese Nummer laufen dann alle Daten, aus allen Quellen, über alle Lebensbereiche, von der Geburt bis zum Tod, pausenlos und dauerhaft.


Bürger Glas Klar

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Bürger Glas Klar

Kommen diese Daten zusammen mit den Daten zum Konsumverhalten, gibt es kein Halten mehr. Denn für Bürger Glas Klar interessieren sich auch andere Behörden. Der Staat kontrolliert, wer über die Grenze einkaufen geht, der Krankenkassenverband, wie er sich ernährt (Junkfood, Alkohol), das Sozialamt, wo er sich aufhält. Sicherheitsprüfungen, Baugesuche, was auch immer, der Griff zum digitalen Dossier ist der erste Schritt für alle Belange. Ein schreckliche Vision.

Was an Daten vorliegt, wird gehackt, gestohlen und verkauft. Nicht vergessen, wir leben in einer Zeit, wo deutsche Behörden mit Datendieben höchst offiziell Verkaufsverhandlungen führen!(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Hier nicht unerwähnt bleiben darf die Volksinitiative „Ja zum Schutz der Privatsphäre“. Der Gegenentwurf der nationalrätlichen Wirtschaftskommission soll den Initiativtext glätten und im wesentlichen den Status quo festlegen.

Bürger Glas Klar wehrt sich, wehrt sich nicht, wehrt sich …

Nicht aus Überzeugung, aus purer Not hat die Schweiz das Bankgeheimnis für ausländische Bankkunden fallen gelassen. Es besteht das grosse Risiko, dass es dabei nicht bleiben wird. Es ist hier nicht der Ort, um über Vor- und Nachteile der Weissgeldstrategie zu diskutieren oder über alternative Anlageformen zur Steueroptimierung. Es geht hier um den Schutz der Privatspähre.

AIA Etappe 2 würden wir nicht aus äusserem Druck einführen, sondern aus innerem Pressing, aus politischen Motiven, die unkritisch betrachtet erst noch überzeugen können: Steuerehrlichkeit, Steuer- und Prozessgleichheit, Fairness.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der politische Wunsch nach mehr Umverteilung wird nicht ausbleiben: es genügt ein leichtes Drehen an der Steuerschraube und die Steuerbelastung und -entlastung nimmt andere Wege, ein Traum für Etatisten, ein Alptraum für liberale Geister. Auch wäre es ein Leichtes, bei Steuerverzug oder Verdacht auf Steuerhinterziehung sämtliche Bankkonten zu sperren.

Doch was ethisch vorgeschoben wird, hat auch etwas zu tun mit Missgunst, Neid, Rechthaberei, Kontrollgläubigkeit, Unfreiheit. Was technisch möglich ist, muss nicht auch richtig sein. Dem Überwachungsstaat sind Grenzen zu setzen, der Bürger ist vom Staat zu schützen, nicht umgekehrt.

Unsere Vorfahren haben für die Freiheit gekämpft – wir kämpfen nicht mehr, wir lassen es geschehen. Nicht Feinde – Nachbarn, Bekannte, Schweizer Bürger mit hohen moralischen Ansprüchen rufen heute nach staatlichen Überwachungs- und Kontrollmechanismen, die unsere Individualität massiv einschränken. Ohne Widerstand wird uns diese Entwicklung überrollen, nach und nach, auf dem administrativen Weg, schleichend und im Verborgenen. Stoppt diesen Unsinn an der Wurzel, stärkt den Datenschützer.

Die allgegenwärtige Überwachung durch Kameras auf öffentlichem Grund kommt noch hinzu, und das selbst errichtete „Internet der Dinge“ auf privatem Grund ebenso. DemnächstLogo_ImVisier3

 

 

25.02.2016/Renzo Zbinden

Hände hoch – der Kampf ums Bargeld

Es ist nicht lange her, es war im Mai 2013, da stiess ich mit meinem Artikel „Wozu_noch_Banknoten?“ auf viel Unverständnis. Doch heute, nur zweieinhalb Jahre später, findet man es diskutabel, nicht nur auf Banknoten zu verzichten, sondern gleich – wenn schon – auf das gesamte Bargeld. Niemand regt sich auf, denn viele denken: reine Theorie, wird nie kommen. Doch sie könnten sich gewaltig täuschen!

Beim Kampf ums Bargeld stehen in erster Linie geldpolitische Motive im Vordergrund. Und wer mischelt mit: vorwiegend Makroökonomen, Finanz- und Wirtschaftspolitiker von links bis rechts. Sie nicht?

Im Endeffekt wird es uns alle treffen. Denn es hat etwas zu tun mit logischer Konsequenz aus laufenden Massnahmen, mit Argumenten, die ceteris paribus schwer zu widerlegen sind. Am Anfang waren die Nullzinsen, dann die Gebühren auf Bargeld, dann die Negativzinsen.

Die Abwehrschlacht über die Minuszinsen

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) gibt bekannt, dass sie Negativzinsen auf Girokonten bei der SNB einführt (Medienmitteilung vom 18. Dezember 2014). Negativzinsen werden auf jenem Teil der Girokonten erhoben, welcher einen bestimmten Freibetrag überschreitet. Das Zielband für den dreimonatigen Libor liegt seither bei -1.25% bis -0.25%, angestrebt werden -0.75%.

Wird das Zielband noch tiefer in den negativen Bereich gedrückt, nimmt die Gefahr zu, dass die Geschäftsbanken die Negativzinsen auch an Privatkunden überwälzen. Sollte dies erfolgen, holen die Bürger ihr Geld von den Banken und legen es als Bargeld in die Tresore.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Im Jahr 2014 war im Durchschnitt folgende Stückelung von Banknoten im Umlauf: Von insgesamt 389,9 Mio Banknoten waren 38,3 Mio 1000er Banknoten (oder 9.8%)! Noch aussagekräftiger ist folgende Relation: die Banknoten im Umlauf belaufen sich wertmässig auf 62,7 Mia CHF, davon sind 38,3 Mia CHF 1000er Banknoten (oder erstaunliche 61,1%). Eine Stückelung, die für den alltäglichen Zahlungsverkehr kaum benötigt wird. Ein grosser Teil liegt infolgedessen in den Tresoren! Vgl. dazu meine Ausführungen in „Die_Notenpresse_der_Nationalbank„.

Rein theoretisch könnte ein Banken-Run erfolgen – und um dies zu verhindern, das Halten von Bargeld gesetzlich verboten werden. Und wieder rein theoretisch könnten dann die Zentralbanken das Negativzinsen-Regime hemmungslos ausweiten. Die Sparer würden zwangsenteignet, ebenso institutionelle Einrichtungen wie Pensionskassen. Allfällige Vermögenssteuern auf dem verbleibenden Sparkapital gingen in die gleiche Richtung.

Es ist nicht völlig falsch, dass der Realzins bei einer „Deflationsrate grösser als Negativzins“ immer noch positiv sein könnte. Doch für alle sichtbar liegt Ende Jahr weniger Geld auf dem Konto. Wer will noch sparen in dieser irren Welt (Manna vom Himmel Teil 1), in welcher der Verzicht auf sofortigen Konsum bestraft wird. Überdies ist die Wirkung der Negativzinsen auf steigenden Konsum auch bestritten: Nach der internationalen Bank für Zahlungsausgleich (BIZ) erhöhen niedrige Zinsen die Sparbereitschaft der Konsumenten, weil bei ihnen die Unsicherheit über das zu erwartende Renteneinkommen zunähme! Und die Unternehmen würden die niedrigen Zinsen nicht für Investitionen nutzen, sondern ihre Schulden reduzieren. Die Reinheit der Theorie und die Schweinerei in der Praxis – einmal mehr!

Alternativen zu den Negativzinsen

Zur Diskussion stehen Alternativen wie die Einführung eines Wechselkurses zwischen Bargeld und Buchgeld (auf den Bankkonten) (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Wird Bargeld einbezahlt, wird auf dem Konto weniger gutgeschrieben, wird Bargeld abgehoben, ein höheren Betrag ausbezahlt. Die Differenz zwischen Bargeld und Buchgeld könnte je nach Bedarf gesteuert werden („Ökonomen wollen Bargeld abschaffen“, Finanz und Wirtschaft vom 7. Oktober 2015).

oder eine periodische Steuerbelastung von Bargeld in der Höhe der Negativzinsen.

Im Moment sind es diese geldpolitischen Aspekte, die häufig diskutiert und in den Medien kritisch akzentuiert werden. Doch nicht minder bedeutsam sind daneben auch technologische und sozialpolitische Argumente.

Wir nehmen kein Bargeld – die bargeldlose Gesellschaft 

Das Königreich Schweden war das erste europäische Land, das Banknoten eingeführt hat (1661 – Dukaten und Taler). Nun wird es vielleicht eines der ersten Länder, welches das Bargeld abschafft. Das elektronische Portemonnaie im Handy spielt hier die entscheidende Rolle. „Swish“ ist eine von den sechs grössten schwedischen Banken eingeführte App, die es ermöglicht, einander Geld per Handy zu überweisen. Über ein Fünftel der Bevölkerung soll diese App schon installiert haben.

Überhaupt geht der Norden von Europa im Einschränken von Bargeld voraus. Die dänische Regierung hat vorgeschlagen, Geschäfte wie Restaurants, Tankstellen und kleine Läden nicht mehr zu verpflichten, Münzen und Banknoten als Zahlungsmittel anzunehmen. Und die Zentralbank hat angekündigt, die Herstellung von Banknoten und Münzen einzustellen! Auch hier steht das elektronische Portemonnaie im Vordergrund: die Danske Bank führte vor zwei Jahren eine Mobile-Pay-App ein. Inzwischen sollen über 1.6 Mio Dänen diese App nutzen, das wäre fast jeder dritte Einwohner.

Die Euro-Zone zieht nach: In verschiedenen Ländern dürfen Zahlungen über 500 Euro bzw. 1000 Euro (Frankreich) nicht mehr bar erfolgen. Eine solche Restriktion besteht seit einigen Jahren auch in Italien. Und die Schweiz?

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Auch hier ist man unterwegs, Barzahlungen einzuschränken (zur Diskussion stehen Barzahlungen ab CHF 100’000). Und auch hier soll es bald möglich werden, einer zweiten Person via Handy Geld zu überweisen, idealerweise unter Umgehung der Bank (von Privatperson zu Privatperson, Peer-to-Peer, P2P). In der Schweiz konkurrieren Entwicklungen wie Klimpr, Mobino, Muume, Paymit und Twint um die Gunst der Anwender.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das System Paymit ist ein Kooperationsprojekt des Schweizer Bankenplatzes (UBS, SIX, ZKB), bis auf weiteres kostenlos für alle, auch ohne UBS-Konto. Swisscom schliesst sich an und zieht bei Tapit die Notbremse. Auch CS und Raiffeisen sollen interessiert sein. Da die SIX-Technologie bei vielen Detailhändlern installiert ist, sieht man hier Akzeptanzvorteile. Twint, eine Tochtergesellschaft der Postfinance, entwickelt eine alternative Technologie – Datenübertragung per Bluetooth, wobei die Postfinance folgende Prioritäten setzen will: Detailhandel (Coop ist in einem Pilotprojekt), E-Commerce, P2P. Ziel: tiefere Transaktionsgebühren für über eine Mio Anwender.

Weltweit mischen die global Player mit, Apple (mit Apple-Watch), Google und Facebook. Wann es soweit ist und wer letztendlich die Standards setzt ist offen, es kann sich noch viel ändern. Google beispielsweise kündigt ein System an, das mündlich funktionieren soll.

Auch das elektronische Geld in Form einer digitalen Währung ist im Vormarsch. (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Bitcoin funktioniert ohne physisch existierende Wertträger wie Banknoten und Münzen. Bezahlt wird über Rechner oder Handy. Bitcoin beruht auf der Blockchain-Technologie. Sie besteht, wie der Name sagt, aus einer Kette miteinander verbundener Blöcke. Die verschlüsselten Informationen (für eine Zahlung beispielsweise) werden dezentral und für alle Beteiligten einsehbar auf verschiedene Rechner gespeichert und in einem Block an eine bestehende Kette aufgezogen, wie eine Perle auf eine Perlenkette. Die Blockchain ist eine Art Kontobuch, das alle Bitcoin-Nutzer prüfen können. Wer an einem bestehenden Block Veränderungen vornehmen möchte, müsste alle damit verbundenen Blöcke manipulieren um nicht entdeckt zu werden. Dazu reicht die Rechenleistung nicht aus. Die Blockchain-Technik gilt daher als sicher, ein digitales Zahlungssystem ohne Banken und ohne Staaten. Die kleinste Einheit, ein Hundertmillionstel eines Bitcoins,  ist ein Satoshi, genannt nach dem bis heute unentdeckt gebliebenen Erfinder mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto.

Konjunkturpolitik per Knopfdruck

Sollte in absehbarer Zukunft das digitale Geld das Bargeld verdrängen und die Zentralbank in der Lage sein, Negativzinsen per Knopfdruck einzuführen, wäre folgendes Szenarium denkbar:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die massgebenden „Wirtschafts-Ingenieure“ befürchten eine bevorstehende Deflation. Sie bedrängen die Zentralbank, die Negativzinsen markant zu erhöhen. Die Zentralbank im Schlepptau der Politik kündigt an: „Ab 1. März 20XY werden sämtliche Spar- und Kontokorrent-Konten mit einem Negativzins von 10% p.a. belastet“. Die Konsequenz wäre das Ziel: die überwiegende Mehrheit der Konsumenten und Investoren würde für später vorgesehene Ausgaben vorziehen und damit die Wirtschaft umgehend ankurbeln. Bleibt offen, wer die Zinsbelastung von 10% vereinnahmen dürfte. Sicher nicht die Banken, sicher der Staat. Es wäre eine Art Konsum- und Investitionssteuer, deren Lenkung Konjunktur- und Steuerpolitiker gemeinsam mit viel Phantasie und Begeisterung umsetzen würden.

Erschreckend, dass Währungsexperten und Politiker über solche Massnahmen nicht nur träumen, sondern darüber auch diskutieren und publizieren. Natürlich müsste man auch den Besitz von Gold und Fremdwährungen verbieten (Euro-Raum und USA). Doch: Wäre der Besitz von Bargeld, Gold und Fremdwährungen irgendeinmal verboten, nur der Besitz von Schweizer Franken nicht (die schweizerische Bevölkerung stemmt sich mit allen Kräften gegen diese Entwicklung), gewönne der Schweizer Franken zusätzlich an Attraktivität, weltweit, und der Kampf der SNB gegen die Überbewertung des Frankens wäre aussichtslos.

Hehre Motive hinter sozialpolitischen Zielen

Um das politische Umfeld für die Abschaffung von Bargeld nachhaltig zu beeinflussen wird darauf hingewiesen, dass die Einschränkung des Bargelds kriminelle Aktivitäten wie illegale Geschäfte, Geldwäsche, Schwarzarbeit (Schattenwirtschaft) und Steuerhinterziehung erschweren. Auch der Kampf gegen den Terror oder gegen Raub- und Banküberfälle werden als Motive vorgeschoben. Und überhaupt: Bargeld ist unsicher, schmutzig, teuer in der Herstellung und ineffizient als Zahlungsmittel.

Die Summe der technokratischen Aspekte der Geldpolitik, der technologischen Entwicklung im Zahlungsverkehr und der sozialpolitischen Umverteilungsperspektiven führen insgesamt zu einem Gebräu unterschiedlicher Ursachen und Interessen, die das Halten von Bargeld immer mehr einschränken.

Still und leise, nach und nach, auf bürokratischem Weg – und das Bargeld war einmal. Der Kampf ums Bargeld ist eigentlich schon verloren, bevor er richtig begonnen hat. Und die nächste Stufe der finanziellen Repression steht bevor: die totale finanzielle Überwachung durch den Staat.

AIA – der gläserne Konsument im Spiegel derLogo_ImVisier3 Geld- und Sozialpolitik. Demnächst

 

14.01.2016/Renzo Zbinden

 

Zerlegt in IT-Wolken – geschröpft im Alltag

In einem fernen Rechenzentrum pflügt ein Cargo durch eine immense Datenwolke und sammelt dabei alles über Sie – was nutzbringend verwertbar ist.

Ihr Persönlichkeitsprofil nimmt Formen an, gleicht Ihnen immer mehr – wird zum Avatar in einer virtuellen Welt der IT-Giganten; für Sie unkorrigierbar, unlöschbar und immer bedrohlicher. Wie konnte es soweit kommen?

Vor langer Zeit, als Marketing für Jungakademiker noch cool war, stand der Kunde erstmals im Zentrum aller Überlegungen: Was sind seine Bedürfnisse, wo finden wir ihn, wie sprechen wir ihn an. Und um das Ganze ein wenig zu fokussieren bündelte man Kunden in

Zielgruppen

Massgebend dafür waren Merkmale wie Alter, Ausbildung, Einkommen (sog. soziodemographische Segmentierungskriterien).(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Daraus ergaben sich Zielgruppen wie Yupee (Young urban professional people) und Dinky (Dual income, no kids) oder im Rahmen der Markteinführung neuer Produkte und Dienstleistungen Zielgruppen wie innovators, early adopters und late adopters. Vorherrschend war die Meinung, dass sich solche Gruppen im Kaufverhalten wesenstypisch beeinflussen lassen. Doch schon damals musste man feststellen, dass sich die Gruppenmitglieder inkohärent verhielten. Sie kauften bei Fein-Kaller teures Tuch (das traditionsreiche Herrenmodegeschäft schloss vor wenigen Jahren in der 4. Generation alle Filialen) und gleichzeitig „billige“ Socken und Hemden bei C&A (über 1’500 Filialen in Europa und gegen 40’000 Beschäftigte).

Die klassischen Zielgruppen waren für das Marketing zu rudimentär, der potentielle Kunde unlogisch, unfassbar, unerreichbar, die Streuverluste in der Marktbearbeitung enorm. Aus dieser Zeit stammt auch der wenig schmeichelhafte Nachruf: Die Hälfte der Werbung ist aus dem Fenster hinaus geschmissen, man weiss nur nicht welche. Also versuchte man, die bisherigen Segmentierungskriterien zu ergänzen durch Variablen wie Lebensstil und Werthaltungen (Bewusstsein für Qualität, Gesundheit, Umwelt, soziale Gerechtigkeit, politische Gesinnung u.a.). Im Endeffekt erhielt man Antworten auf die Fragen: wo wohnt der Zielgruppen-Kunde, welche Tätigkeit übt er aus, was macht er in der Freizeit, wie ist seine familiäre Situation, seine soziale Stellung, was sind seine individuellen Präferenzen usw. Unterstützt wurden die Erkenntnisse durch Marktforschung (desk und field research). Die unerwünschten Anrufe aus den Call-Center an den Randstunden des Tages zeugen noch heute davon, dass diese Art von Marktbearbeitung weiterhin Anhänger findet!

Die Entfaltung der Informationstechnologie erschloss einen völlig neuen Ansatzpunkt: Mit BIG-Data in Verbindung mit Kundenbindungsprogrammen wird nun der Einzelkunde zum Mass aller Dinge. Er hinterlässt eine Unmenge von Daten, ein Paradies für Datensammler.

Hello Family – Supercard, Mondovina Supercard, SUPERCARDplus

Seit dem Sommer 2000 führt Coop ein Treueprämien-Programm. Bei jedem Einkauf erhalten die Kundinnen und Kunden Superpunkte, pro Einkauf von einem Franken einen Superpunkt, zusätzlich Extrapunkte bei Aktionen. Die gesammelten Punkte können gegen Prämien eingelöst werden. Auf den ersten Blick ein sympathisches Give-away, auf den zweiten Blick: Prämien gegen Daten. Coop erhält das Recht, Kundendaten für die Marktbearbeitung zu erfassen und zu verwerten. Datenschutz?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Der eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) hat das Supercard Programm im Rahmen seiner Tätigkeit als Aufsichtsbehörde einer umfassenden Datenschutzkontrolle unterzogen (in Ausübung von Art. 29 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG, SR 235.1). Untersucht wurden die internen Datenabläufe zwischen Coop Supercard und Coop Unternehmung (Programm-Träger) sowie zwischen Coop Supercard und Supercard Programmpartnern. Für den EDÖB ist die im Rahmen des Supercard Programms vorgenommene Datenbearbeitung grundsätzlich datenschutzkonform (Kundenbindungsprogramm Supercard, Zusammenfassung des Schlussberichtes des EDSB vom 23. Mai 2005). In Ergänzung hat der EDÖB u.a. verlangt, dass die potentiellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer die geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einsehen können.

Aus den AGB (vom 1. Dezember 2013) geht hervor, dass Coop aufgrund der gesammelten Daten Warenkorbanalysen vornehmen darf. Diese führen ergänzt durch weitere Kundendaten zu einem persönlichen Kundenprofil, das für individuelle Angebote und Leistungen genutzt werden kann (für die Coop-Gruppe und die Supercard Programmpartner). Das persönliche Kundenprofil:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Ein Kundenprofil setzt sich zusammen aus Kontaktdaten, Einkaufsdaten sowie allfällig gesundheitsrelevanten Daten, die im Zusammenhang mit den Einkäufen stehen. Die Kontaktdaten umfassen Angaben wie Name, Anschrift, Telefonnummer und E-Mail-Adresse. Die Einkaufsdaten setzen sich u.a. aus Ort- und Zeitangaben, den Daten zu den Produkten, Dienstleistungen und der Inanspruchnahme von Vergünstigungen zusammen, bei deren Kauf oder Inanspruchnahme die Supercard verwendet wird“ (AGB Art. 8).

„allfällig gesundheitsrelevante Daten“, wie kommt Coop zu solchen Daten? Im Supercard Programm eingeschlossen ist die Apothekenkette Coop Vitality – ein Joint Venture (Gemeinschaftsunternehmen) zwischen Coop (Schweiz) und GaleniCare (Galenica Gruppe). Sollte dies wirklich zutreffen, mutieren Sie mit Ihren Einkäufen laufend Ihr Krankheitsbild!

Warenkorbanalysen bei M-Cumulus

MCumuluswAuch Migros bietet ihren Kundinnen und Kunden ein Bonusprogramm an, M-Cumulus (www.m-cumulus.ch). Nicht überraschend kommt der EDÖB ebenso hier zu einer positiven Gesamtbeurteilung (Kundenbindungsprogramm M-CUMULUS, Zusammenfassung des Schlussberichtes des EDÖB vom 23. Mai 2005). Zu den beteiligten Gesellschaften gehören Migros-Filialen und Migros Fachmärkte:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

SportXX, Outdoor by SportXX, Do it + Garden Migros, melectronics, Micasa, Ex Libris, Migrol, migrolino, OBI, Le Shop.ch, Eurocentres, m-way, Depot, Interhome und weitere Programm-Partner (AGB Art. 5).

Ausserhalb der Migros-Gruppe erfolgt die Weitergabe der Daten an externe Dienstleister in der Schweiz und im Ausland unter – nach ihren Ausführungen – strengen, vertraglichen Datenschutzauflagen.

In der nächsten Phase der Datenerhebung hinterlässt der Kunde nicht nur Spuren über sein Konsumverhalten, zu seinem bisherigen Persönlichkeitsprofil hinzu kommen anderswo tunlichts „unter Verschluss“ gehaltene persönliche Neigungen und Interessen. Am Beispiel

upc cablecom

UPC gehört zum Liberty Global Konzern, führend im Kabel-TV Geschäft in der Schweiz, Grossbritannien, Deutschland und den Niederlanden mit Sitz in Grossbritannien, börsenkotiert in den USA. Der Konzern bezeichnet sich selbst als den grössten internationalen Kabelnetzbetreiber (53 Mio Haushalte).

„Sie sind damit einverstanden, dass wir Ihre Kundendaten für unsere Marketing-Zwecke speichern und bearbeiten dürfen“ (AGB Art. 14, September 2015).

UPC will in Zukunft zusätzlich auch Ihre TV-Gewohnheiten und besuchten Websites auswerten! Die Daten sollen genutzt werden, um Ihnen persönliche Film-Empfehlungen oder ähnliche Angebote zu unterbreiten oder Ihre Daten „für andere Zwecke“ anonymisiert und nach Interessengruppen sortiert für Trendanalysen heranziehen. Wohin gehen diese Daten? An Konzerngesellschaften, Partnernetze und Dritte im In- und Ausland – die Frage sei erlaubt, wen UPC mit dieser Formulierung überhaupt noch ausschliesst. Eigentlich verbietet das Gesetz die Weitergabe von Personendaten ins Ausland, wenn dort das Datenschutzgesetz schwammiger gehandhabt wird als in der Schweiz (momentan gilt beispielsweise die Weitergabe in die USA als umstritten).

Als UPC-Kunde können Sie dieser Auswertung nicht entgehen, Sie können der UPC bloss schriftlich untersagen, Ihnen Werbung zukommen zu lassen.

Und weiter geht das Datenassembling

Im März 2015 gaben CNN, Reuters, „Financial Times“, „Guardian“ und „Economist“ bekannt, für die Vermarktung ihrer Online Werbeplätze eine Allianz einzugehen (Pangea), um sich gegen die IT-Giganten zu behaupten. In ähnlicher Absicht wollen sich auch Ringier, SRG und Swisscom zusammenschliessen. Dabei verspricht man sich viel vom Einbezug der Daten über das Nutzverhalten der Kunden (über welche Swisscom aufgrund ihrer Telefon- und Fernsehkunden verfügt!).

Bei Google ist das Interesse am Nutzverhalten der Kunden kaum noch zu überbieten. Ein kurzer Blick auf die Datenschutzerklärung vom 19. August 2015, unmissverständlich steht da: Google erfasst gerätebezogene Daten (Hardware, Betriebssystem, Mobilfunknetz), Protokolldaten („bestimmte“ Daten in Serverprotokollen, Telefonieprotokollinformationen wie Anrufnummern, Weiterleitungsnummern, Datum, Uhrzeit, Dauer, SMS-Routing-Informationen, Browser, Cookies), standortbezogene Daten (ihren tatsächlichen Standort aufgrund von GPS, WLAN-Zugangspunkte, nahe gelegene Mobilfunkmasten). In aller Offenheit erhebt Google auch sensible Daten (wie vertrauliche medizinische Informationen, Ihre Zugehörigkeit zu ethischen und politischen Gruppen, Ihre religiöse Gesinnung oder sexuelle Orientierung). Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Sensible Daten werden nicht verknüpft für persönlich zugeschnittene Anzeigen. Und es bleibt Ihnen die Wahl zwischen

ich stimme zuweitere Optionen

Weitere Optionen? Es wird kompliziert, zeitaufwändig und anspruchsvoll. Die einzig überzeugende Alternative wäre – keine Google-Dienste nutzen. Doch wer will schon darauf verzichten!

Für alles bisher Gesagte gilt grundsätzlich: die Informationstechnologie von heute unterstützt die beschriebenen Datenprozesse (Aufnahme, Speichern, Analysieren, Auswerten) durch sog. Customer bzw. Client Relationship Management Programme (CRM). Verschiedene CRM Lösungen stehen zur Verfügung, die aktuell ausserdem noch den gesamten Kunden-Kommunikationsprozess – den Interaktionsprozess mit Kunden – abdecken (SAP als Beispiel).

Deutlich ausgesprochen: Es geht hier nicht um die massive Ausspähung durch vorwiegend amerikanische paranoische Sicherheitsdienste, es geht hier um uns, uns wohlverhaltende Konsumenten in einem demokratischen Staat. Doch es wird noch schlimmer:

SOCIAL MEDIA: Sonne – Schatten – Twilight

DSC00575Multiple Sensoren strahlen uns an wie Scheinwerfer vor der Kamera: Facebook, Twitter, Youtube, instagram, iphone … allgegenwärtig und unabhängig von jeder Tages- und Nachtzeit. Alles wird digital aufgezeichnet – für die Ewigkeit. Ein grosses Unbehagen breitet sich aus. Und so wollen immer mehr aus diesem künstlichen Licht treten und in den Schatten flüchten, um einen Rest an Persönlichkeit und Individualität zu retten. Sie finden ihren Schatten im Deep Web (oder Darknet). Die Dimensionen verblüffen: Gemäss NZZ (vom 25. Juli 2015) gibt es Quellen, die von einer Grösse zwischen 30 und 50% des gesamten Internets sprechen, wieder andere schätzen das Darknet als bis zu 400 Mal so gross wie das offene Netz.

Ohne Laufpublikum – das Darknet

Wer Zutritt in die Schattenwelt des Darknet sucht, benutzt eine spezifische Software, beispielsweise den Tor-Browser.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Im Darknet wird die Kommunikation mehrfach verschlüsselt und über drei zufällig ausgewählte Stationen verschickt. Tor-Station 1 löst die äussere Verschlüsselung und erfährt dabei die Adresse der nächsten Station. Tor-Station 2 löst die zweite Verschlüsselung und erfährt dabei die nächste Station, erkennt jedoch weder den ursprünglichen Absender noch den Empfänger. Tor-Station 3 löst die letzte Verschlüsselung und sendet die Nachricht an den Empfänger im offenen Internet. Wer den Empfänger der Nachricht sucht, weiss nicht, woher die Nachricht kommt – die Tor-Station 3 ist für ihn der Absender. Werden Daten unterwegs abgefangen, sind sie verschleiert, sie geben weder den Absender noch das Endziel preis.  (DER SPIEGEL 34/2015).

Im Darknet ist die Identität geschützt, jeder Nutzer ist anonym unterwegs – mit Tarnkappe. Ist die Kommunikation mit einer entgeltlichen Ware oder Leistung verbunden, wird mit einer kryptischen Währung bezahlt (wie Bitcoins).

Wer sich im Darknet umsieht, findet sich buchstäblich in einer Schattenwelt. Damit möchte man eher gar nichts zu tun haben. Dass Medien anonyme Briefkästen im Darknet unterhalten (für Informanten) tröstet wenig hinweg über die Tatsache, dass man sich dabei die Hände schmutzig macht: Virtuelle Märkte für Kalaschnikows, Auftragskiller, Drogen, Abgründe offenbaren sich. Das Darknet – das letzte Rückzugsgebiet für den freien Meinungsaustausch – ist nicht jedermanns Alternative. Also doch Vertrauen auf den konventionellen

Datenschutz: Wie weit soll er gehen, wie weit kann er gehen?

Kann das Individuum selbst bestimmen, welche ihn betreffenden Daten geschützt werden sollen bzw. nicht weitergeleitet werden dürfen? Strafrechtrelevante Daten, steuerbestimmende Faktoren, Videoaufnahmen auf öffentlichen Plätzen? Sind persönliche Daten an sich schützenswert? Und wie steht es mit mobilen Endgeräten, die über Apps persönliche Gesundheitsdaten erfassen und weiterleiten, um Ihnen individuelle Vorschläge zu Ernährung, Fitness und Medikamentendosierung zu machen; und andererseits selbstschädigendes Verhalten der Krankenkasse weiterleiten, um Ihnen die Krankenkassen-Prämien zu erhöhen? Zukunft?

Das informationelle Selbstbestimmungsrecht bzw. das Recht, dass jedes Individuum selbst bestimmen kann, welche ihn betreffenden Informationen wann und wo erhoben und an wen weitergeleitet werden dürfen, ist grundsätzlich vor Missbrauch zu schützen: in der Bundesverfassung als Grundrecht verankert und auf Gesetzesebene festgehalten.

Bundesverfassung Art. 13 Abs. 2: „Jede Person hat Anspruch auf Schutz und Missbrauch ihrer persönlichen Daten“.

So regelt das Datenschutzgesetz (DSG), wie private Personen und wie Behörden persönliche und unternehmensbezogene Daten verwenden dürfen. Als Beispiel müssen die Betroffenen wissen, dass ihre Daten erhoben, gespeichert und zu welchen Zwecken verwendet werden. Ebenso verfügen sie über ein Auskunftsrecht. Über besonders schützenswerte Daten (das Strafrecht und die Gesundheit betreffende oder Daten zur Sozialhilfe) müssen sie zwingend orientiert werden.

So weit so gut. Sammeln jedoch Internet-Giganten Daten über die Kaufinteressen und das Kaufverhalten der Internet-User, ist schwer vorstellbar, welche Durchsetzungsrechte dem EDÖB zur Verfügung stehen. Auf „do not Track“ als gerätespezifische Vorinstallation sollten wir auch nicht warten. Und wie sorglos Internet-User mit E-Mail, Social-Media und Datenstreaming umgehen, macht es auch nicht einfacher. „Der Schutz der Privatsphäre wird zunehmend zu einem Luxusgut für Begüterte“ (EDÖB Hanspeter Thür im Interview, Der Bund vom 11. November 2015). In der EU arbeitet man an einer Datenschutzgrundverordnung, eine Art europäisches Grundgesetz für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Und schon in diesem Jahr sollen sich das Parlament, die EU-Kommission und der Rat der Europäischen Union als Vertretung der Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Verordnung einigen. Das Ziel sei, den Flickenteppich der Einzelgesetze in den 28 EU-Ländern zu beseitigen. Da sollte die Schweiz auch mitmachen (wollen), denn auf sich allein gestellt hat die Schweiz keinen überzeugenden Durchbiss. „Die digitale Revolution kriegen wir nicht in den Griff“ (Hanspeter Thür in der NZZ vom 17. November 2015).

Vom Yupee zum Zombie?

Es wird schwierig, ein Doppelleben zu führen, bzw. ein Rollenleben für die Öffentlichkeit und ein privates Leben unter Ausschluss von Dritten. Das Geschäftliche und das Private verschmelzen immer mehr, was in Verbindung mit der fortschreitenden persönlichen Überwachungskultur durch wirtschaftliche und staatliche Institutionen zu einer Art sozialer Totaltransparenz führt und unsere Freiheit bis zur Unfreiheit missgestaltet.

Dem Individuum verbleibt ein kleines persönliches Schattenreich – der Bargeldverkehr. Doch auch der soll eingeschränkt oder besser noch verboten werden  – „Hände hoch – der Kampf ums Bargeld“ – demnächst

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17.11.2015/Renzo Zbinden

Die Solvenz der Schweizerischen Nationalbank

Die Erwartung an die Schweizerische Nationalbank (SNB) war gewaltig:

Sie solle sich verpflichten, unbegrenzt zu einem festgelegten Euro-Wechselkurs Devisen zu kaufen – ohne „wenn und aber“.

Sie müsse dazu nur die eigene Währung verkaufen. Und da sie über das Banknotenmonopol verfüge, könne sie das auch tun. Basta.

Doch sie konnte nicht – mehr. Am 15. Januar 2015 zog sie die Notbremse. Die Folge: Franken-Schock

Derbe Kritik

Es fehle ihr an Führungsstärke und an Mut. Ihr Verhalten sei ängstlich, defensiv und strategielos. Sogar eigene Bankräte gingen an die Medien und kritisierten die Führungsgremien der SNB auf eine Weise, die in der Privatwirtschaft undenkbar wäre. Viele Unternehmen aus der Exportindustrie fühlten sich im Stich gelassen. Der Industriestandort Schweiz dürfe nicht geopfert werden (keine Deindustriealisierung). Auch die Gewerkschaften machten Druck. Doch was als befristete Notlösung funktioniert hat, konnte nicht fortgeführt werden. „Es entspricht nicht dem Mandat der Nationalbank, den Wechselkurs auf Dauer zu subventionieren. Das wäre nichts anderes als Industriepolitik auf Risiken der Öffentlichkeit“ (Niklaus Blattner, der Bund vom 13. Juni 2015). Viel treffender kann man es nicht sagen. Die Überdehnung der Bilanz durch immer höhere Devisenanlagen musste ein Ende nehmen.

Erbsenzähler beugen sich über die Bilanz

Wer sich in die Materie vertieft, wird in Diskussionen als Erbsenzähler disqualifiziert, wer die Konsequenzen ausblendet, zum gefragten Strategen. Wegschauen? Wie stark die SNB mit ihren Engagements am Limit war, zeigt der Zwischenabschluss per 30. Juni 2015:(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die finanziellen Mittel der SNB sind zu 91.8% investiert in Devisenanlagen. Die Exponenten der SNB sprechen von Devisenreserven. Die Devisenanlagen sind in den letzten Jahren stark gewachsen durch die punktuellen Interventionen der SNB am Geldmarkt. Heute liegen sie nicht mehr weit entfernt vom BIP der Schweiz und betreffen vorwiegend Euros und US Dollars.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) ist ein Mass für die wirtschaftliche Leistung der Volkswirtschaft. Es wird der Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen gemessen, die sog. Wertschöpfung. Das BIP 2013 beträgt 635 Mrd Franken (Quelle Schweizerische Eidgenossenschaft, Statistik Schweiz).

Die Aktivseite der Bilanz (die Seite der Investierung) zeigt, wohin die Mittel fliessen, zu über 90% in Devisenanlagen. Doch woher kommen diese Mittel? Die Mittelherkunft zeigt die Passivseite der Bilanz (die Seite der Finanzierung)(Klicken Sie zum Weiterlesen)

SNBPassiven

Per Bilanzstichtag (30. Juni 2015) sind fast die gesamten Investitionen in Devisenanlagen (von  530 Mrd Franken) fremdfinanziert (die Girokonten inländischer Banken betragen 385 Mrd Franken). Diesen Devisenanlagen in Fremdwährungen (Aktiven) stehen Giro“schulden“ in Schweizer Franken gegenüber (Passiven). Ein grosses latentes  Währungsrisiko. Dazu kommen zweitens Abschreibungsrisiken, da sich in den Devisenanlagen Staatsanleihen befinden aus Staaten mit geringerem Rating und drittens Kursrisiken.

Die Eigenfinanzierung ist mit 5.9% minimal. In tabellarischer Form sieht die Fremdfinanzierung wie folgt aus:

Was nicht durch Eigenkapital finanziert ist, muss durch Fremdkapital finanziert werden. Gemäss Zwischenabschluss tragen die Schweizer Geschäftsbanken mit 385 Mrd Franken 66.8% zur Finanzierung der Aktiven bei (Girokonten inländischer Banken). Doch die SNB relativiert den Begriff Fremdkapital wie folgt: „Sichtguthaben bei der Nationalbank … können ökonomisch nicht dem Fremdkapital von normalen Unternehmen oder Geschäftsbanken gleichgesetzt werden. Denn Sichtguthaben … können nur in andere gesetzliche Zahlungsmittel getauscht werden, also wiederum in Sichtguthaben …“ Alles klar?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Es ist nicht so, wie viele meinen, dass die SNB Guthaben gegenüber den Geschäftsbanken hat, das Gegenteil ist richtig, die SNB hat Verpflichtungen gegenüber den Geschäftsbanken. Weshalb?

Giroguthaben der inländischen Banken bei der SNB sind für die SNB unverzinsliche Sichtguthaben. Sie bilden die Grundlage der geldpolitischen Steuerung durch die Nationalbank. Der Bedarf nach solchen Giroguthaben liegt einerseits begründet in den gesetzlichen Liquiditätsvorschriften (betrifft die Geschäftsbanken) und andererseits im Bedarf nach Arbeitsguthaben im bargeldlosen Zahlungsverkehr zwischen den Banken (Interbank-Liquidität). Die Veränderung der Giroguthaben ist ein Indiz dafür, ob die SNB im Devisenmarkt interveniert hat. Sie hat:

Zur Absicherung des Euro-Mindestkurses zwischen dem 6. September 2011 und dem 15. Januar 2015 (Franken-Schock) hat die SNB Euros gegen Franken gekauft (und dabei dem Frankengeldmarkt massiv Liquidität zugeführt und das Zinsniveau gesenkt). Die Giroguthaben der inländischen Banken betragen per Ende Vorjahr 328 Mrd Franken (Zunahme per 30. Juni 2015 +57 Mrd oder +17.4%). Im Geschäftsbericht per 31.12.2014 (Finanzteil) wird diese passive Bilanzposition – als grosse Ausnahme zu den übrigen Positionen – mit keinem Wort erläutert, weder die Zusammensetzung noch die Veränderung. Per Ende 2010 war die Bilanzposition „Girokonten inländischer Banken“ noch bescheidene 38 Mrd Franken – das Ausmass der Zunahme in den letzten 5 Jahren ist erschreckend eindrücklich: +763 %

Die SNB weist per 30. Juni 2015 einen Rekordverlust von 50.1 Mrd Franken aus.

Die Zahl ist gigantisch, absolut wie relativ. Die Reaktion der Öffentlichkeit war milde, denn einerseits hat man einen Verlust in dieser Grössenordnung erwartet, und andererseits hat man sich an grosse Zahlen gewöhnt. Doch die Schweiz ist ein Kleinstaat mit einer ehemals eigenkapitalstarken Nationalbank, kein chinesisches Reich mit einer Bank of China. Der Rekordverlust von 50.1 Mrd Franken entspricht einem hart umkämpften Schweizer Militärbudget von 10 Jahren!

Mit dem rapiden Zerfall des Eigenkapitals ist die Institution SNB, die für Sicherheit und Stabilität in der Wirtschaft sorgen müsste, selbst zum Spielball einer weltweiten Spekulation geworden; in gewisser Weise zu einem riskanten Hedgefund, der sein ganzes Kapital auf wenige Währungen setzt. Doch was passiert, wenn sich die Verluste fortsetzen und das Eigenkapital negativ wird?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Gemäss Art. 1 Nationalbankgesetz (NBG) ist die SNB eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft. Subsidiär – soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt – gelten die Vorschriften des Obligationenrechts (Art. 2 NBG). Doch bei Kapitalverlust und Überschuldung (negatives Eigenkapital) gelten diese Bestimmungen nicht (Art. 725 f OR). Denn nach Art. 32 Abs. 1 NBG kann die SNB mittels Bundesgesetz aufgelöst werden. Die Rechtslehre ist sich offenbar einig, dass die SNB kein risikotragendes (haftendes) Eigenkapital braucht. Begründet wird dies u.a. damit, dass sich die SNB die fehlenden liquiden Mittel zur Bezahlung der offenen Verbindlichkeiten „aus dem Nichts“ drucken kann. Das ist an sich richtig, doch nur soweit, als unbegrenzt Banknoten stapelweise in Zahlung genommen werden. Und bei einem andiskutierten zukünftigen Bargeldverbot wäre Schluss mit gedruckter Liquidität!

Verwiesen wird auf die Notenbanken von Chile und der Tschechischen Republik, die einen antiinflationären Kurs verfolgen bei negativem Eigenkapital. Vorbilder für unsere Nationalbank? Sicher nicht. Das fehlende Eigenkapital beeinträchtigt die Vertrauensbildung gegenüber Geschäftsbanken und Schweizer Bevölkerung, setzt die SNB unter politischen Druck und gefährdet damit die faktische Unabhängigkeit.

Bei Überschuldung (Summe der Schulden grösser als Summe der Aktiven) kommt hinzu, dass die Geschäftsbanken ihre Giroguthaben bei der Nationalbank in ihrer eigenen Bilanz wertberichtigen (teilweise abschreiben) sollten, eingeschlossen die PostFinance. Und weshalb sollten und nicht müssen, dafür bemüht man: die Seigniorage.

Immerwährende Liquidität – das Mysterium  Seigniorage

Früher sprach man von Münzgewinn, Schlagsatz oder auch Schlagschatz (Münzen als Zahlungsmittel). Bei Banknoten ist es der durch die Notenbank erzielte Gewinn, der durch die Emission von Banknoten (Zentralbankgeld) entsteht. Bei geringen Druckkosten erhalten Private zinsloses Zentralbankgeld ohne Deckung, ein kolossaler Differenzgewinn für die Notenbank. Doch das ist ein Irrtum: es resultieren weder Gewinne noch Eigenkapital.

Die Banknote ist eine Urkunde, die als gesetzliches Zahlungsmittel dient. Mit der Emission gewährleistet die Zentralbank einen Rechtsanspruch des Banknoteninhabers auf eine Gegenleistung. Je nach Ausgestaltung kann diese Gegenleistung ein Umtauschrecht in Sachwerte sein (wie Gold) oder zumindest ein abstraktes Recht auf Werthaltigkeit. Früher war eine prozentuale Goldabdeckung selbstverständlich. Heute kann man die Werthaltigkeit des Papiergeldes bezweifeln.

Dementsprechend werden Banknoten in Zirkulation nicht unter „Flüssige Mittel“ aktiviert, sondern unter „Notenumlauf“ als Verpflichtung passiviert (in vorstehender Bilanz 67.4 Mrd Franken). Geht ein Stapel Banknoten erstmals in den Bargeldumlauf, verbucht die SNB den Nominalwert der ausgegebenen Banknoten unter dem Passivkonto „Notenumlauf“. Liefert sie den Stapel an die Geschäftsbanken aus, belastet sie die Konten dieser Geschäftsbanken.

„Girokonten Banken“ an „Notenumlauf“

so der Buchungssatz in der Buchhaltung. Die Giroguthaben der Geschäftsbanken sinken, während der Notenumlauf im Gegenzug steigt. Kein Gewinn in der Erfolgsrechnung, keine Neubildung von Eigenkapital, nur ein Passivenaustausch. Und sollten dereinst die Banknoten in Zirkulation wieder eingesammelt werden, müsste die SNB nicht Devisen verkaufen, sondern könnte eigene Schuldverschreibungen ausgeben (SNB-Bills).

Die Selbstheilungskraft unterkapitalisierter Zentralbanken hat ihre Grenze im tagesaktuellen Handlungsbedarf.

Richtig ist, dass eine Zentralnotenbank über ein „strukturelles Gewinnpotential“ verfügt. Sie kann Aktiven zinsgünstig finanzieren (im Moment über Negativzinsen) und verfügt damit über eine „fast unerschöpfliche Einkommensquelle“, so die Ökonomen aus dem Elfenbeinturm. Vergleicht man jedoch die aktuellen Devisenverluste mit den potentiellen Anlagerenditen auf Aktivanlagen, wird leicht sichtbar, dass was in der langen Sicht möglich wäre kurzfristig keine Löcher stopft. Kommt hinzu, dass unsere SNB prioritär der Preisstabilität verpflichtet ist und Zielkonflikte vermeiden muss.

Nebelgranaten

Die Homepage der SNB ist ohne Tadel, wer sucht der findet Antworten auf viele Fragen, den aktuellen Zahlenkranz, Stellungnahmen und Studien aller Art. Doch bei brisanten Fragen über Devisenanlagen, Fremdfinanzierung und Überschuldung tragen die Exponenten der SNB unabsichtlich zur Verwirrung bei. Sprechen sie von sich selbst, verwenden sie Begriffe, die nur aus Sicht der Gegenpartei richtig sein können. Sie kommentieren Giroguthaben inländischer Banken, meinen jedoch Giroschulden gegenüber 0943457inländischen Banken, sie reden von Sichtguthaben, meinen jedoch Sichtverbindlichkeiten. Notenumlauf sind für Aussenstehende „Flüssige Mittel“ zum Ausgeben, de facto sind es Verpflichtungen aus Notenumlauf (Passiven). Sie erwähnen Fremdwährungsreserven oder Devisenreserven (bilanztechnisch eine Unterbewertung von Aktiven oder ein Passivum mit Eigenkapitalcharakter), meinen jedoch Devisenanlagen (Aktiven). Ganz unverständlich wird es, wenn es um vorübergehend negatives Eigenkapital geht (aktive Währungsreserven).

Selbst Wirtschaftsjournalisten tappen in die Falle unklarer Fachbegriffe.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

NZZ (Wirtschaftsteil) vom 30. Juli 2015 zum geringen Eigenkapital:“ Alarmierend muss das aber noch nicht sein: So bleibt eine Nationalbank selbst mit negativem Eigenkapital handlungsfähig, da sie dank Notenmonopol langfristig ja stets Eigenkapital aufbauen kann“. Oder „Finanz und Wirtschaft“ vom 5. August 2015 mit dem fetten Titel: „Die Angst der SNB vor dem eigenen Reichtum“. Bei einer Fremdfinanzierung von 94.1 Prozent kann man nicht von Reichtum sprechen.

Der Rechnungslegungsstandard der SNB

Die SNB ist an der Schweizer Börse (SIX Swiss Exchange) im „Domestic Standard“ kotiert. Sie verwendet Swiss GAAP FER als Standard zur Rechnungslegung. Was für die Schweiz ein geeigneter Standard sein kann und vorwiegend für KMU zur Anwendung gelangt, ist international als lokaler Standard unbekannt. Paneuropäisch oder global tätige Gesellschaften verwenden den „International Financial Reporting Standard (IFRS) bzw. US GAAP, so auch die beiden Grossbanken der Schweiz. Weshalb verwendet die „Mutter aller Schweizer Banken“ einen weniger anspruchvollen Rechnungslegungsstandard? Als Beispiele verwenden die Deutsche Bank, die Bank of England, die EZB aber auch kleinere Zentralbanken wie die Österreichische Nationalbank und die Nationalbank der Republik Belarus IFRS als Standard. Für die Kohärenz, die Vergleichbarkeit und die Abstimmung internationaler Geldziele und -strategien ist ein weltweit anerkannter Rechnungslegungsstandard conditio sine qua non unter Experten. Mit dem Schweizer Franken steht auch die SNB im internationalen Rampenlicht, ihre Berichterstattung hat auch internationale Erwartungen an die Professionalität zu erfüllen. Bei einer Bilanzsumme von 577 Mrd Franken (nicht weit vom BIP der Schweiz entfernt) ist die Wahl des Swiss GAAP FER zu viel der Bescheidenheit. Kostenüberlegungen vorzubringen wäre bei einem Halbjahresverlust von 50 Mrd Franken geradezu peinlich.

Notbremse

Der Entscheid vom 15. Januar 2015 zur Aufgabe des Euromindestkurses war richtig. Viele sich in die Medien drängende Kritiker haben inzwischen ihre Köpfe eingezogen.

Der jüngste Anstieg der Sichtguthaben lässt vermuten, dass die SNB zu einer Politik des Managed Floating übergegangen ist, ein System, bei dem der Wechselkurs zwar grundsätzlich frei schwankt, die Währungshüter aber trotzdem ab und zu intervenieren, damit aber kein fixes Wechselkursziel verfolgen.

Und erstaunlich: Die Schweizer stehen hinter der SNB. Obwohl vielleicht nicht im ganzen Zusammenhang verstanden, das Bauchgefühl sagt dem Schweizer, dass ein Zurückkommen auf einen fixen Kurs pro Euro mit zu viel Risiken verbunden wäre. „Zwei Drittel der Befragten sind für die Aufhebung des Euromindestkurses – und nehmen höhere Arbeitslosigkeit in Kauf“ (SonntagsZeitung vom 12. Juli 2015 gestützt auf eine breitangelegte Onlineumfrage).

Und hoffen wir, dass es der SNB gelingen wird, die hohen Devisenanlagen und dieLogo_ImVisier3 damit verbundenen Verlustrisiken wieder in geordnete Bahnen zurückzuführen. Zugegeben, mit einer EZB die droht, die Liquiditätsschleusen noch weiter zu öffnen (QE 2), ein schwieriges Unterfangen.

Demnächst: Zerlegt in IT-Wolken, geschröpft im Alltag

15.09.2015/Renzo Zbinden

 

Franken-Schock

Donnerstag 15. Januar 2015, 10.30 Uhr: „Die Schweizerische Nationalbank hebt den Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro auf“.

Der Euro fiel in Minuten auf 85 Rappen und erholte sich knapp über der Parität. Ein Schock für die Schweizer Wirtschaft.

Rückblick

Als die Schweizerische Nationalbank (SNB) im September 2011 die Notbremse gegen die Frankenaufwertung zog und den Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro einführte, hat sie der Exportindustrie geholfen, die Nachteile des starken bzw. zu starken Schweizer Frankens aufzufangen. Aus heutiger Perspektive hielt sich die Anerkennung für diesen mutigen Entscheid in Grenzen. Nicht wenige waren damals der Auffassung, der Mindestkurs von CHF 1.20 pro Euro sei zu tief. Er sollte besser zwischen CHF 1.30 und 1.40 liegen.

Die Massnahme galt als vorübergehend. Trotzdem, für viele war der Abbruch der Übung „Out of the blue“ an eben diesem Donnerstag, den 15. Januar 2015. Nicht oder nur teilweise gebilligt wurde die Begründung. „Ein Hinauszögern des Aufhebens des Mindestkurses wäre nur auf Kosten einer unkontrollierbaren Ausdehnung der Bilanz um ein Mehrfaches des schweizerischen Bruttoinlandprodukts möglich gewesen“, so SNB-Präsident Thomas Jordan. Viele für die Bestimmung des Wechselkurses massgebenden Kriterien wiesen unwiderlegbar auf eine weitere Schwächung des Euro-Kurses hin. Und nicht ganz ohne Einfluss war die kurz bevorstehende Euro-Flutung durch die Europäische Zentralbank (QE – Manna vom Himmel Teil 2).

Ob der Zeitpunkt und die Art der Kommunikation richtig waren ist eine andere Frage. Doch seit diesem Beschluss sah sich die SNB einer anhaltenden Kritik aus Wirtschaft und Politik ausgesetzt.

Panik und Besonnenheit

Die Folgen für die Schweizer Wirtschaft waren massiv und unmittelbar. Selten waren die Kurse abgesichert ( weshalb auch, die SNB übernahm die Kurssicherung kostenlos). Euroguthaben mussten wertberichtigt werden (erfolgswirksam mit rd. 15%). Laufende Umsätze in Lokalwährung fielen.

Das Neugeschäft war auf einen Schlag nicht mehr konkurrenzfähig, in Europa 15% zu teuer, in Nordamerika und Asien 10% (über den Dollar). Der Auftragsbestand ging zurück, Margen wurden zusammengestrichen, Kostensenkungen  eingeleitet.  Flankierende Massnahmen: Lohnstopp, Ausdehnung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, Kurzarbeit, Entlassungen, die ganze Krisenpalette. Stark unter Druck sah sich die Maschinenindustrie(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Schweizer Maschinenindustrie erzielt fast vier Fünftel ihres Umsatzes im Export, wovon rd. 60% an europäische Kunden geht. Besonders betroffen sind kleine Zulieferanten, die nicht in der Lage sind, Teile der Wertschöpfung kostenreduzierend ins Ausland zu verlagern. Gemäss Medienmitteilung der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) vom 21. Juli 2015 lagen die Exporte insgesamt umsatzmässig unter dem Niveau des Vorjahres (nominal -2.6%, real allerdings nur -0.8%). Der Exportrückgang der Maschinen- und Elektronikindustrie lag bei -5.2%. Demgegenüber sind die Exporte von Uhren und Präzisionsinstrumenten unverändert.

Schlecht geht es dem Detailhandel und dem Tourismus. Beide Branchen stehen in einem existenzgefährdenden Preiskampf, um dem wechselkursbedingten Abwandern der Kunden zu begegnen.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Auf der einen Seite hat der Einkaufstourismus im grenznahen Gebiet noch einmal zugenommen. Auf der anderen Seite können Importeure günstiger einkaufen. Sie geben diese Preisvorteile auch weiter, als Beispiel Fahrzeugimporteure wie BMW, Mercedes und VW, welche unverzüglich Eurorabatte gewährten. Die Allianz der Konsumentenschutzorganisationen stellt andererseits aber auch fest, dass Wechselkursgewinne einbehalten werden. Zeitschriften, die schon bisher masslos überteuert waren, bleiben teuer. Als Beispiel „Der Spiegel“, eine in der Schweiz beliebte deutsche Wochenzeitschrift.  Sie kostete in der Schweiz am 10. Januar 1915 CHF 7.40 (bei einem aufgedruckten Europreis von 4.60). Heute kostet „Der Spiegel“ CHF 7.00 (Preisreduktion 5.4%, neuer Umrechnungskurs zum Euro CHF 1.52). Eine unternehmerische Meisterleistung oder eine schamlose Abzocke?

Die Tourismusbranche kann weniger von günstigen Importpreisen profitieren. Das erste Halbjahr hat tiefe Spuren hinterlassen . Oder haben die Touristiker auf Vorrat gejammert?(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Jürg Schmid, Chef Schweizer Tourismus, sagte kürzlich, dass der Geschäftstourismus in den Städten florierte (im ersten Halbjahr 2015 stieg die Anzahl Hotelübernachtungen 4.3% gegenüber der Vorjahresperiode), in ländlichen Regionen jedoch stark rückläufig war.

Zwar kamen weniger Europäer in die Schweiz, dafür mehr Asiaten. Insgesamt lag der Rückgang bei den Logiernächten nach sechs Monaten bei nur 0.6%, eigentlich wenig, auch wenn Verzögerungseffekte (wie Vorausplanungen und abgesicherte Kurse) noch wirksam waren. Bei den Gästen aus Deutschland beträgt das Minus allerdings 9%. Dass die Deutschen Ferien in der Schweiz als zu teuer empfanden, war allerdings keine neue Erfahrung. Dass sie heute für ihren Euro noch weniger Gegenleistung erhalten, ist offensichtlich, ihr Klagen nachvollziehbar.

Nicht unerwartet fordert Schweiz Tourismus weitere Mittel vom Bund, CHF 48 Mio für die nächsten vier Jahre. Hinzu eine Reduktion des Kostensockels durch die Unterstützung der parlamentarischen Initiative „Überhöhte Importpreise. Aufhebung des Beschaffungszwangs im Inland“ sowie das Beibehalten des bis Ende 2017 befristeten Sondersatzes für die Beherbergung (aus STV Medienmitteilung zum Thema Frankenstärke). In diesem Zusammenhang zu denken geben muss, weshalb Zweitwohnungsbesitzer steuerlich gezwungen werden sollen, ihre Wohnung weiterzuvermieten (Kampf den kalten Betten). Damit nimmt die lokale Bruttobettenkapazität zu, was auf die Übernachtungspreise drückt. Vom Hotel  in die Ferienwohnung, staatlich gefördert! Es fehlen die Worte. Und hat man sich einmal daran gewöhnt, nicht immer rund um das Bett wohnen zu müssen, kommt man wieder und wieder, und wird zum Dauergast –  in der Parahotellerie.

Zum anderen sind Megatrends nicht zu stoppen. Als Beispiel die Kreuzfahrtindustrie.(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Für bescheidene Budgets zwei Wochen Abenteuerreise, mit oder ohne Kindern, mit Freunden, Bekannten, Jasskollegen. Nur einmal Auspacken, das Hotel fährt mit, wenig DSC01394Stress, kein Portemonnaie (alles über Plastik am Ende der Reise), Arzt an Bord. Und Vorurteile gegen diese Art von Ferien: Kleiderordnung, Völlerei, Enge, Langeweile können nur jene haben, die es gar nie erleben wollten. Ein Abendspaziergang durch die Geschäfte und Restaurants, hoch oben auf der zwölften Etage, mit Blick auf das freie Meer, ein wenig Unterhaltung, je nach Stimmung – für bedeutend weniger als zwei Wochen Skiferien in der Schweiz. Wieso nicht?

Strukturerhaltungspolitik war selten zukunftweisend. Die Touristikindustrie Schweiz braucht eine Nische, welche die aktuellen Kundenbedürfnisse erfolgreich abdecken kann. Sie wird ihren Weg finden.

Robuste Binnenwirtschaft

Durch die Frankenstärke hat die Kaufkraft der Konsumenten zugenommen. (Editorial Numis-Post 2/2015 zur Euro-Preisuntergrenze). Hinzu kommen fallende Energiepreise für Erdöl, Erdgas, Eisen und Stahl. Die Privathaushalte beleben die Nachfrage (das Konsumwachstum der Schweiz war im Zeitraum 1990-2013 mit 0,7% vergleichsweise tief), die Arbeitslosenquote blieb stabil. Der Swiss Performance Index hat das Wegfallen der Eurountergrenze verkraftet. Er notiert im Vergleich zum 14. Januar 2015 3% im Plus (15.7.2015).

Gewisse Branchen haben sich erholt, wie die binnenmarktorientierte Informations- und Kommunikationsbranche (ITC), die Software- und gewisse Beratungsdienstleister. Aber natürlich: die Unsicherheit ist gross, die Margen sind knapp. Im übrigen ist es nicht ausgeschlossen, dass die eine oder andere schon lange vorgesehene Sanierungsmassnahme mit dem starken Franken begründet wird, eine willkommene Gelegenheit für schwer vermittelbare Auslagerungen oder Entlassungen.

Der Ausstieg der SNB war richtig, so sieht es auch die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung, so sehen es auch die Medien. Die Kritik gegen den Entschluss schwindet. Es war nie die Absicht der SNB, den Wechselkurs auf Dauer zu subventionieren. Keine Industriepolitik auf Risiko der Öffentlichkeit (Niklaus Blattner, ehemals Vizepräsident der SNB, im Interview mit dem Bund vom 13. Juni 2015). Heute ist Schadensbegrenzung die Parole.

David gegen Goliath – die verlorene Geld-Souveränität der Schweiz

Wo der Wechselkurs in den folgenden Monaten zu liegen kommt, wird unter Devisenexperten unterschiedlich beurteilt. Sie prognostizieren einen fallenden Wechselkurs, eine Stagnation oder einen Anstieg auf CHF 1.08 pro Euro (am 15. August 2015 lag er bei CHF 1.09). Nicht gerade hilfreich. Zwar zeigt der Konjunkturausblick für Europa auch positive Veränderungen. Und der wiedererstarkte Dollar hilft, in den Dollarraum zu exportieren. Doch die griechische Tragödie hat die strukturellen Risiken des Euro schonungslos offengelegt. Weltweit schwache Konjunkturdaten und die Wirtschaftsentwicklung in China tragen auch in den kommenden Monaten dazu bei, dass die Devisen im sicheren Hafen der Schweiz kumuliert werden, Negativzinsen zum Trotz.

Der Aufwertungsdruck lässt nicht wirklich nach und vieles spricht dafür, dass das derzeitige Niveau nur mit hilfe der SNB gehalten werden kann (kontrolliertes Devisenfloating), immer wieder verbunden mit der Hoffnung, die einheimische Industrie könne durch nie abbrechende Fitnessprogramme den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit kompensieren. Zwar ist die Schweiz mit dem  Franken währungspolitisch souverän, doch sie kann nur aus der Defensive reagieren.

Was wären die Massnahmen der SNB, wenn in einer kommenden Krise grosse Kapitalströme in den Franken flössen? Weitere Devisenmarkt-Interventionen und als Ultima Ratio Kapitalverkehrskontrollen? Wie sieht das Reaktionsdispositiv der SNB aus und wie weit reicht es?

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der nächsten Ausgabe: die Kavallerie der SNB.

Zurück zu den Ferien: Es muss nicht unbedingt eine Kreuzfahrt sein, warum nicht ein Segeltörn auf dem Thunersee?

19.08.2015/Renzo Zbinden

 

Manna vom Himmel – Teil 2

Bei null Komma null null Prozent Zinsen erreicht die expansive Geldpolitik einen ersten Zwischenhalt. Jetzt sind neue Ideen gefragt. Warum nicht gleich die Notenpresse in Gang setzen. Der dafür zutreffende ökonomische Begriff ist schnell gefunden, er ist putzig und liebenswert: monetäre Lockerung – Quantitative Easing (QE). Und der wegweisende Vollstrecker: Helikopter Ben.

Ben Bernanke, von 2006 bis 2014 Vorsitzender der US-Notenbank, hat sich den Kampf gegen die Deflation zur Lebensaufgabe gemacht. Die amerikanische Notenbank (Fed) und in ihrer Gefolgschaft die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of Japan und jetzt auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) ergreifen aus historischer Sicht beispiellose Massnahmen, um die Schlacht gegen die Deflation zu gewinnen.

QE – das grösste geldpolitische Experiment aller Zeiten

NYQE-Massnahmen bestehen im direkten Ankauf von Wertpapieren durch die Zentralbank (Staatsanleihen u.a.), um damit neues Geld in die Finanzmärkte zu pumpen. Historisch einmalig sind die Dimensionen (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dem Q3 der US-Zentralbank voraus gingen die Programme Q1 (Dezember 2008) und Q2 (Juni 2011). Q3 hatte zum Ziel, monatlich 40 Mia Dollar hypothekengesicherte Wertpapiere (MBS) und 45 Mia Dollar längerfristige US-Staatsanleihen zu kaufen, bis sich der US-Arbeitsmarkt verbessert. Nach einer Reduktion auf 10 Mia Dollar pro Monat beendete die US-Zentralbank ihr Programm im Oktober 2014 – während die EZB damit wieder anfing.

Verblüffend ist, dass das europäische Pendant insgesamt grösser ist als jedes der amerikanischen QE-Programme. Die EZB will ab März 2015 Monat für Monat Staatsanleihen und sonstige Wertpapiere (Pfandbriefe und Hypothekenpapiere – ABS) im Umfang von 60 Mia Euro kaufen. Insgesamt erreicht das QE-Programm ein Volumen von unglaublichen 1’140 Mia bzw. 1,14 Billionen Euro.

Auch die SNB spricht von Lockerung der monetären Bedingungen. Sie kündigt im März 2009 an, Fremdwährungen und Anleihen zu kaufen. Zu ihrem Ziel gehöre auch die Verhinderung einer weiteren Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro.

Weltweit ist die Ausdehnung der Geldmenge durch die Zentralbanken gewaltig. Aus Erfahrung wird es nicht gelingen, die Geldmenge bei Erreichen der Ziele rechtzeitig und umfassend wieder zu reduzieren. Auch können die Zentralbanken niemanden zwingen, das viele Geld, das sie in die Finanzmärkte pumpen, dann auch zu konsumieren. Wer trägt die moralische Verantwortung, wenn das Experiment scheitert, die ultralockere Geldpolitik zum Desaster wird? Wer kümmert sich um die Risikowahrnehmung und -steuerung dieser gigantischen Eingriffe in die Finanzwirtschaft?

Risk Monitoring

Landen wir in einer Inflationsspirale, wie einige befürchten? Zwar hat gemessen am Konsumentenpreisindex bisher kein nennenswerter Anstieg der Inflation stattgefunden. Jedoch zeigen die in Teil 1 (Manna vom Himmel) erwähnten Anlagealternativen (Immobilien, Aktien und Sachwerte) in gewisser Weise eine Vermögenspreisinflation. Dass diese Art Inflation aus keiner Statistik hervorgeht beweist einmal mehr, wie irreführend der Konsumentenpreisindex als alleiniger Massstab für die Inflation sein kann.

Die Sicherstellung der Preisstabilität bzw. eine auf Preisstabilität fokussierte Geldpolitik ist Aufgabe der SNB (Klicken Sie zum Weiterlesen)

„Die SNB führt als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik des Landes. Sie muss sich gemäss Verfassung und Gesetz vom Gesamtinteresse des Landes leiten lassen, als vorrangiges Ziel die Preisstabilität gewährleisten und dabei der konjunkturellen Entwicklung Rechnung tragen. Damit setzt sie grundlegende Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Wirtschaft“.

Die SNB sieht die Preisstabilität als gewährleistet bei einem Anstieg der Konsumentenpreise von weniger als 2 Prozent pro Jahr. Da die SNB damit eine öffentliche Aufgabe erfüllt, wird sie gemäss Verfassung unter Mitwirkung und Aufsicht des Bundes verwaltet. Sie ist als spezialgesetzliche AG konstituiert. Die rechtliche Rahmenordnung resultiert aus dem Bankengesetz (BankG), dem Nationalbankgesetz (NBG), der Nationalbankverordnung und dem Börsengesetz. Die Kontrollgremien innerhalb der SNB entsprechen den Erwartungen und sind beachtlich (Klicken Sie zum Weiterlesen)

Dazu gehören der Bankrat (beaufsichtigt und kontrolliert die Geschäftsführung, setzt einen Prüfungs- und einen Risikoausschuss ein), die Generalversammlung (wobei ihre Befugnisse geringer sind als bei privatrechtlichen Aktiengesellschaften), die interne Revision (dem Präsidenten des Bankrats unterstellt), die externe Revisionsstelle und das eidgenössische Finanzdepartement (EFP).

Der Prüfungsausschuss unterstützt den Bankrat in der Überwachung der internen und externen Revision. Er beurteilt die Angemessenheit und die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems (IKS), insbesondere der Prozesse zum Management der operationellen Risiken und zur Sicherstellung der Einhaltung von Gesetzen, Reglementen und Weisungen (Reglement über den Prüfungsausschuss der SNB). Die Compliance wurde verstärkt durch eine eigenständige Compliance-Stelle (dem Präsidenten des Direktoriums unterstellt) mit Berichterstattung an den Präsidenten des Prüfungsausschusses.

Zum Ausgleich der Unabhängigkeit überträgt das Gesetz der Nationalbank eine dreiteilige Rechenschaftspflicht: gegenüber dem Bundesrat, der Bundesversammlung und der Öffentlichkeit. Im Bereich Finanzstabilität arbeitet die SNB mit der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) zusammen. Die Zusammenarbeit und die Abgrenzung der Aufgaben sind in einem „Memorandum of Understanding“ geregelt (vom 23. Februar 2010). Die SNB übt keine Bankenaufsicht aus und ist nicht zuständig für die Durchsetzung der bankengesetzlichen Vorschriften. Beide Institute haben jedoch gemeinsame Interessen u.a. bei der Beurteilung der Solvenz und Stabilität der systemrelevanten Banken, des Bankensystems insgesamt und der Liquiditäts-, Eigenmittel- und Risikoverteilungsvorschriften, soweit sie die Finanzstabilität betreffen.

Das EFD hat im April 2011 eine Arbeitsgruppe „Finanzstabilität“ beauftragt, die Ausgestaltung der makroprudenziellen Aufsicht über das schweizerische Finanzsystem zu prüfen (Ziele, Zuständigkeiten, Instrumente) und Vorschläge zu deren Verstärkung zu erarbeiten. In ihrem Bericht vom Februar 2012 beurteilt sie die gegenwärtigen Mandate als hinreichend präzise formuliert. Die Aufsicht allein biete jedoch noch keine Gewähr für die Stabilität des Finanzsystems.

Makroprudenzielle Massnahmen zur Risikoeindämmung

Für den Aussenstehenden sind folgende Massnahmen sichtbar oder in ihrer Zielsetzung erkennbar:

  • Der Aufbau notfalltauglicher Strukturen, um im Krisenfall die systemrelevanten Teile in der „Schweiz-AG“ fortzuführen. Die UBS hat die UBS Switzerland AG gegründet (eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der UBS AG mit eigener Banklizenz und getrennter IT-Plattform), die CS die Credit Suisse (Schweiz) AG –  („too big to fail“ Regulierung)
  • Die höhere Eigenkapital-Unterlegung der Banken im Rahmen von „Basel III“ (Kapitalvorgaben in Prozenten der risikogewichteten Aktiven – Eigenmittel-Regime)
  • Schrittweiser Abbau der Staatsgarantien (Kantonalbanken u.a.)
  • Strengere Regulierung zur Liquiditätshaltung
  • Überarbeitung und Reduzierung der Tragbarkeitsrisiken beim Erwerb von Immobilien (Eigenmittelunterlegung)
  • Weitere Stärkung der Kontrollgremien

Nimmt man die Medien zum Massstab, sind die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Gestaltungsmöglichkeit der SNB zu hoch. Und politisch wird mächtig Druck aufgebaut. Keine einfache Sache für die SNB.

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt  …

Ohne irgendeine kritische Qualifikation der Kontrollorgane und -prozesse andeuten zu wollen, sind die Rahmenbedingungen das Eine, die Führung der Banken, die Beurteilung der konjunkturellen Entwicklung und die gelebte Unabhängigkeit das Andere.

Wer darf sagen, man habe das Ganze – schweizweit und weltweit – noch im Griff? Sogar die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) warnt vor Langzeitschäden aufgrund der expansiven Geldpolitik. Ist es denkbar, dass die Zentralbanken am Ende das Gegenteil bewirken? Mit dem Sinken der Zinsen erodiert auch die Ertragslage der Geschäftsbanken und damit ihre Fähigkeit, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Es mehren sich die Stimmen, die von einem Kollaps des Geldsystems sprechen. Einfacher sei, das viele Geld, das die Zentralbanken zur Deflationsbekämpfung schöpfen, direkt an die Bürger zu verteilen(Klicken Sie zum Weiterlesen)

Die Geldempfänger gehen einkaufen und stimulieren damit die lahmende Wirtschaft. Die Unternehmer fahren die Produktion hoch, schaffen neue Arbeitsplätze und können aufgrund der steigenden Nachfrage die Preise wieder erhöhen, Ende der Deflation. Zu einfach um wahr zu sein! Und man könnte mit dieser Idee auch Sozialpolitik betreiben. Helikopter bei Unterbeschäftigung, Helikopter über strukturschwache Gebiete, Helikopter zur Wirtschaftsförderung, Helikopter über 1. August-Feiern. Kampfhelikopter, wenn sie das Geld nicht ausgeben, sondern zur Bank tragen.

Up in the Air

Wir warten besser nicht auf Manna vom Himmel. Wir nehmen den Helikopter 1446226und steigen auf in höhere Sphären, um von oben die Wirtschaft (ins) Logo_ImVisier3 zu nehmen. In einer erfolgreichen Wirtschaft wird nur produziert und geleistet, was nachgefragt wird. Hinter jeder Nachfrage steht ein Individuum in seiner Besonderheit, der Konsument (die Konsumentin). Lebt er in einer deflationären Umgebung , schränkt er den Konsum ein. Lebt er in einer stark inflationären Umgebung, verliert er seine Kaufkraft. Es geht immer um ihn, immer um den Konsumenten, nicht um Banken, nicht um Produzenten, nicht um Dienstleister. Der Konsument will Vertrauen, Vertrauen in das Finanzsystem, Vertrauen in die Politiker, Vertrauen in die Wirtschaftsführer. Doch hat er das?

Die Geschäftsbanken sind keine Sympathieträger mehr. Die Grossbanken treten von einem Fettnapf in den nächsten. Die Zentralbank kämpft an allen Fronten. Überall Partikularinteressen, überall Zielkonflikte. Fährt sie die Zinsen hoch, was eigentlich erwünscht wäre, stärkt sie den Schweizer Franken (Safe Haven). Sie kann nicht, sie muss das Gegenteil machen, sie muss die Zinsen drücken, im Notfall unter Null, Strafzinsen. Und um Strafzinsen nicht umgehen zu können, stehen flankierende Massnahmen zur Diskussion: den Bargeldverkehr einschränken oder besser noch ganz verbieten.

Die Frage muss man stellen: Haben die Finanzmärkte überhaupt noch etwas zu tun mit der Realwirtschaft oder führen sie völlig abgehoben und entkoppelt ein Eigenleben? Und ist die auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtete Feinsteuerung der Wirtschaft nicht eine gewaltige Illusion, ein Spielfeld für Experten?

Auf Eingriffe folgen Eingriffe, auf Experimente folgen Experimente – und über alles flutet der Euro Tsunami –  Fortsetzung folgt.

16.07.2015/Renzo Zbinden